Harry Merl

Leben und Wirken

Harry Merl wuchs als Sohn jüdischer Eltern – die ihren Glauben jedoch nicht praktizierten – in Wien auf und überlebte als eines von wenigen jüdischen Kindern die NS-Zeit. Nach der Reichspogromnacht wurden seine Eltern von der Vugesta zur Räumung hunderter verlassener jüdischer Wohnungen zwangsverpflichtet. Der vierjährige Harry musste dabei täglich bis zu 14 Stunden allein zuhause bleiben. Da der Vater während des Zweiten Weltkrieges als Zwangsarbeiter in Eisenerz eingesetzt war, verbrachte er im Krieg lange Zeit allein mit seiner Mutter, wo das Buch Doktor Dolittle und seine Tiere, in welchen Dolittle die Tiere rettete, mitentscheidend für Merls spätere Berufswahl war.[2] Nachdem sie ihre Namen auf einer Deportationsliste für das KZ Auschwitz gefunden hatte, musste die Familie Merl mehrere Monate versteckt in einem Kohlenkeller in Wien verbringen, bis sie am 6. April 1945 durch die Rote Armee befreit wurde.[1][3] Merl verlor durch den Holocaust seine Großeltern – seine Großmutter wurde als polnische Jüdin in der Ukraine ermordet – und andere Verwandte.[2]

Nach seinem Medizinstudium wurde Merl Facharzt für Psychiatrie und Neurologie.[4] Ab 1968 war er am Institut für Psychotherapie der Landesnervenklinik Wagner-Jauregg in Linz tätig und entwickelte dort die systemische Familientherapie. Er baute das Institut für Familientherapie auf und war dessen langjähriger Leiter. Merl wird deshalb als Vater der systemischen Familientherapie in Österreich bezeichnet.[3]

Als Dozent für Psychotherapie an den Universität Graz und an der Medizinischen Fakultät der Universität Wien lehrte er seinen obersten Grundsatz, Menschen zu lieben, auch an den Universitäten Klagenfurt, Linz, Salzburg und Wien.[4][5] Seit seiner Pensionierung ist Merl freischaffend als systemischer Therapeut und Supervisor tätig.[4]

Seit 1958 ist Merl mit der Diplomierten Krankenschwester und Mormonin Christine Merl verheiratet, die ebenfalls als Familientherapeutin tätig wurde. Das Ehepaar hat fünf Kinder und lebt in Gramastetten.[3] Auch Harry Merl konvertierte zur Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage, der mormonischen Glaubensgemeinschaft.[2]

Publikationen

  • Familientherapie. Grundlagen und Versuch einer Theorie der Intervention. Ehe u. Familie, Zeitschriften-Verlags-Gesellschaft, Wien 1987, ISBN 978-3-900353-25-4.
  • Über das Offensichtliche oder den Wald vor lauter Bäumen sehen. Ein Propädeutikum. Krammer Verlag, Wien 2006, ISBN 978-3-901811-19-7.
  • Systemische Familientherapie. Logik der Interventionen. heugl solution press, Wien 2016, ISBN 978-3-902971-03-6.
  • Das Gesundheitsbild. Lösungen durch Intuition. heugl solution press, Wien 2018, ISBN 978-3-902971-04-3.

Auszeichnungen

Künstlerische Auseinandersetzung

Harry Merl – vom verfolgten jüdischen Kind zum Vater der Familientherapie. Theaterproduktion von Johannes Neuhauser. Uraufführung 3. November 2018, Tribüne Linz.[7]

Literatur

  • Pascal Merl: Harry Israel Merl – Persönliche Erinnerungen eines jüdischen Kindes im Kontext der Zeit des Nationalsozialismus in Wien. Bachelorarbeit Pädagogische Hochschule OÖ, Linz 2014.
  • Pascal Merl: Lass das gehen – Eine jüdische Familiengeschichte im Spiegel des 19. und 20. Jahrhunderts. Verlag am Rande, Raxendorf 2023, ISBN 978-3-903190-58-0.
  • Johannes Neuhauser: Harry Merl – Vater der Familientherapie: Eine Biografie. Verlag Bibliothek der Provinz, Weitra 2019, ISBN 978-3-99028-847-4.

Einzelnachweise

  1. bibliothekderprovinz.at: Harry Merl – Vater der Familientherapie; abgerufen am 21. März 2020
  2. Renata Schmidtkunz (Moderatorin): Harry Merl, Psychoanalytiker und Begründer der Familientherapie. In: Da capo: Im Gespräch. Ö1, 20. März 2020, abgerufen am 23. März 2020 (Gespräch mit Harry Merl).
  3. orf.at vom 19. Oktober 2019: Harry Merl über seinen Glauben; abgerufen am 21. März 2020
  4. system-worx.com: Über Dr. Harry Merl; abgerufen am 21. März 2020
  5. solutionpress.at: Harry Merl; abgerufen am 21. März 2020
  6. Bundeskanzler der Republik Österreich: 10542/AB XXIV. GP - Anfragebeantwortung (elektr. übermittelte Version). (PDF; 6,59 MB) In: parlament.gv.at. 23. April 2012, abgerufen am 21. März 2020.
  7. kirchenzeitung.at vom 23. Oktober 2018: Die Lebensgeschichte von Harry Merl; abgerufen am 21. März 2020
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