Harn-Indikan

Harn-Indikan ist eine chemische Verbindung und das Kaliumsalz der Indoxylschwefelsäure. Die freie Säure ist instabil.[2] Es wird häufig mit Pflanzenindican verwechselt.

Strukturformel
Strukturformel von Harn-Indikan
Allgemeines
Name Harn-Indikan
Andere Namen
  • Kalium-3-indoxylsulfat
  • Indoxylsulfat-Kaliumsalz
  • Urin-Indikan
  • Indican
Summenformel C8H6NO4SK
Kurzbeschreibung

weißer bis beiger Feststoff[1]

Externe Identifikatoren/Datenbanken
CAS-Nummer
EG-Nummer 220-145-5
ECHA-InfoCard 100.018.314
PubChem 5177095
ChemSpider 16575
Wikidata Q27261386
Eigenschaften
Molare Masse 251,30 g·mol−1
Aggregatzustand

fest[1]

Schmelzpunkt

165 °C (Zersetzung)[1]

Löslichkeit

löslich in Wasser[1]

Sicherheitshinweise
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung[1]
keine GHS-Piktogramme

H- und P-Sätze H: keine H-Sätze
P: keine P-Sätze[1]
Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen.

Geschichte

Die Verwechslung mit dem Pflanzen-Indikan beruht auf einer frühen Form der medizinischen Diagnostik, der sogenannten Harnschau, bei der die Farbe des Urins zu diagnostischen Zwecken herangezogen wurde. Dabei wurde auf die manchmal vorkommende Grün- bis Blaufärbung des Urins geachtet, die heute im Extremfall als Purple urine bag syndrome (PUBS) bezeichnet wird und insbesondere bei älteren katheterisierten Frauen auftritt. Diese rührt zwar auch vom Farbstoff Indigo her, dieser entsteht aber eben nicht aus dem Pflanzen-Indikan. Den Unterschied zwischen Pflanzen-Indikan und Harn-Indikan entdeckte 1863 der deutsche Biochemiker Felix Hoppe-Seyler.[3] Ein Nachweisverfahren für Harnindikan wurde als Obermayer-Test bekannt, nach dem österreichischen Internisten Friedrich Obermayer (1861–1925). Dabei reagiert das Harn-Indikan mit einer Blaufärbung (Bildung von Indigo) nach Zusatz einer Lösung von Eisen(III)-chlorid in rauchender Salzsäure (Obermayer-Reagenz) zum Harn.[4] Nachdem der Erfinder der „künstlichen Niere“ für nierenkranke Menschen, Georg Haas, sich 1916 in Gießen mit seiner Arbeit Der Indikangehalt des menschlichen Blutes unter normalen und pathologischen Zuständen für Innere Medizin habilitiert hatte, wurde die Haas-Jollesche Reagenzglasprobe entwickelt, eine kolorimetrische Methode zur quantitativen Bestimmung von Indikan im Blutserum von an Nierenentzündung leidenden Patienten.[5]

Biosynthese

Das Harn-Indikan entsteht durch mikrobiellen Abbau der essentiellen Aminosäure Tryptophan im Verdauungskanal des Menschen,[2] dabei entsteht unter anderem Indol. Dieses wird anschließend in der Leber zu Indoxyl oxidiert, zur Entgiftung mit Sulfat verestert und als Harn-Indikan über den Urin ausgeschieden.

Medizinische Bedeutung

Erhöhte Indikanwerte im Blut (> 0,2 mg pro 100 ml im Serum) bezeichnet man als Indikanämie, diese findet sich beim Hartnup-Syndrom, Urämie, Ileus, Niereninsuffizienz, Darmfäulnis. Kommt es infolge der Indikanämie zu einer Ausscheidung von Indikan über den Urin, wird dies als Indikanurie bezeichnet. Dieser kann sich bei Kontakt mit Sauerstoff grünlich-bläulich verfärben, was zum Beispiel bei dem Blaue-Windeln-Syndrom (blue diaper syndrome), einer meist angeborene Tryptophanmalabsorption der Fall ist. Bei sehr hohen Indikan-Werten im Blut kann es sogar zur Indigurie kommen, der Ausscheidung von Indigo über den Urin. Die Indikanausscheidung ist abhängig von der Zufuhr von Eiweißen,[6] und ist bei einigen Erkrankungen erhöht. Die physiologische Indikanausscheidung über die Nieren liegt bei 5 bis 20 mg pro Tag. Vermehrte Ausscheidung von Indikan liegt vor, wenn über den Urin mehr als 20 mg Indikan in 24 Stunden ausgeschieden wird.

Der Naturheilkundler Peter J. D’Adamo versucht über den Harn-Indikan Rückschlüsse auf die Verdauung des Patienten zu ziehen und daraus pseudowissenschaftliche Empfehlungen für eine von ihm entwickelte Blutgruppendiät abzuleiten.[7]

Eigenschaften

Harn-Indikan ist ein weißer bis beiger Feststoff, der löslich in Wasser ist.[1]

Literatur

  • N. Greenberger, S. Saegh, R Ruppert: Urine Indican excretion in malabsorption disorders. In: Gastroenterol. 55, 1968, S. 204–211.
  • G. Curzon: Urinary excretion of indoxyl sulphate (indican) and the interpretation of aromatic excretion patterns. In: Clin Chim Acta., 8, März 1963, S. 255–259.
  • W. N. Arnold: King George III's urine and indigo blue. In: The Lancet, 347, 1996, S. 1811–1813.
  • J. Olovet: Hat die Indicanbestimmung im Urin diagnostischen Wert? In: Klinische Wochenschrift. Band 7, Nr. 51, 1928, S. 2439–2440, doi:10.1007/BF01740013.

Einzelnachweise

  1. Datenblatt Indoxyl sulfate potassium salt, bei Sigma-Aldrich, abgerufen am 29. Juni 2017 (PDF).
  2. Eckard Amelingmeier, Michael Berger, Uwe Bergsträßer, Henning Bockhorn, Peter Botschwina: RÖMPP Lexikon Chemie, 10. Auflage, 1996-1999 Band 3: H - L. Georg Thieme Verlag, 1996, ISBN 3-13-200011-6, S. 2042 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  3. E. F. J. Hoppe-Seyler: Über Indican als constanten Harnbestandtheil. In: Virchows Arch. 27, 1863, S. 388–393.
  4. W. Hood: A–Z of Clinical Chemistry A Guide for the Trainee. Springer Science & Business Media, 2012, ISBN 978-94-011-6660-7, S. 259 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  5. Jost Benedum: Die Frühgeschichte der künstlichen Niere. In: AINS. Anästhesiologie Intensivmedizin Notfallmedizin Schmerztherapie. Band 38, Nr. 11, November 2003, S. 681–688, hier: S. 683.
  6. S. Oldenhage: Einfluss der Proteinversorgung auf einige mikrobielle Metaboliten im Darmlumen und Harn sowie die Histologie des Kolons bei Katzen. (PDF; 1,9 MB) Inaugural-Dissertation. Tierärztliche Hochschule Hannover, 2003, S. 66 und 85.
  7. Peter J. D’Adamo, Erica Mertens-Feldbausch: 4 Blutgruppen – Richtig leben: Das individuelle Konzept für körperliches und seelisches Wohlbefinden. Verlag Piper, E-Book Ausgabe 2015.
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