Scherer (Orgelbauer)

Scherer ist der Nachname einer deutschen Orgelbauerfamilie des 16. und frühen 17. Jahrhunderts. Die Familie hatte ihren Sitz in Hamburg. Sie zählte zu den bedeutendsten Orgelbauern ihrer Zeit und führte den norddeutschen Orgelbau zu einer Blüte. Scherer-Orgel bezeichnet eine Orgel, die von einem dieser Orgelbauer gebaut wurde.

Aus drei Generationen stammen folgende Vertreter:

  • Jacob (Jakob) Scherer († 1574 in Hamburg), Vater von:
  • Hans Scherer der Ältere (um 1535 in Hamburg; † 1611 in Hamburg), Vater von:
  • Hans Scherer der Jüngere (* zwischen 1570 und 1580 in Hamburg; † 1631), Bruder von:
  • Fritz Scherer

Jacob Scherer

Jacob Scherer übernahm von Jakob Iversand die Orgelwerkstatt. 1569 übergab er seine Werkstatt seinem Schwiegersohn Dirk Hoyer, der ihm ab etwa 1556 zur Hand gegangen war. Hoyer hatte 1567 eine Tochter Jacob Scherers geheiratet. Scherer scheint wohlhabend gewesen zu sein und erwarb einige Grundstücke.

In der fünften Spalte bezeichnet die römische Zahl die Anzahl der Manuale, ein großes „P“ ein selbstständiges Pedal, ein kleines „p“ ein nur angehängtes Pedal. Die arabische Zahl gibt die Anzahl der klingenden Register an. Die letzte Spalte bietet Angaben zum Erhaltungszustand oder zu Besonderheiten. Kursivschreibung gibt an, dass die Orgel nicht oder nur noch das historische Gehäuse erhalten ist.

JahrOrtKircheBildManualeRegisterBemerkungen
1546 Wilsnack Wunderblutkirche Neubau, nicht erhalten
1549/1557–1558 Lübeck Marienkirche Erweiterung der Totentanzorgel um ein Rückpositiv; 1942 zerstört → Totentanzorgel
1543–1551 Hamburg St. Jacobi II/P etwa 40 Reparaturen → Orgel der Hauptkirche Sankt Jacobi (Hamburg)
1538–1552 Lüneburg Michaeliskirche III/P 32 Reparaturen; 1551 Erweiterung um ein Rückpositiv; nicht erhalten
1551–1552 Neuruppin St. Marien Neubau, nicht erhalten
1553–1554/1557 Brandenburg an der Havel St. Gotthardt (?) Neubau; nicht erhalten
1555–1558 Mölln St. Nicolai I/P 14 Erweiterung der Orgel aus dem 15. Jahrhundert, der Neubau gleichkam (Hauptwerk mit 7 Registern, Brustwerk Regal 8′ und Pedal mit 6 Registern), möglicherweise zwei Manuale;[1] einige Register erhalten Die Pfeifen von J. Scherer aus Kappeln hat die Kirchengemeinde Mölln 2020 erworben. Sie sind vollständig von Flentrop in Mölln integriert worden. → Scherer-Bünting-Orgel von St. Nicolai (Mölln)
zwischen 1555 und 1569 Kappeln St. Nikolai Pfeifenwerk von J. Scherer und Hoyer in Orgelneubau von 1793 integriert; 8 Register ganz oder teilweise erhalten, die nicht im Neubau von Reinalt Johannes Klein (2013; II/P/40) integriert wurden
1557–1560 Stettin Marienkirche Neubau; nicht erhalten
1560–1561 Lübeck Marienkirche
III/P 32 Erweiterung der Großen Orgel um ein Brustwerk; 1942 zerstört → Hauptorgel
1551–1563 Ratzeburg Ratzeburger Dom I 11 Neubau; nicht erhalten
1564–1566 Stettin Jakobskirche Neubau; nicht erhalten
1568 Magdeburg Sankt-Jakobi-Kirche Neubau, gemeinsam mit Hans Bockelmann; nicht erhalten

Hans Scherer der Ältere

Hans Scherer der Ältere war der bekannteste Vertreter der Orgelbauerfamilie. Er war Schüler des brabantischen Orgelbauers Hendrik Niehoff und vermittelte dessen Errungenschaften in den deutschen Orgelbau. Ab den frühen 1550er Jahren ist er als Gehilfe seines Vaters nachgewiesen (Reparaturen in Hamburg/Jacobi und Lüneburg/Michaelis). Im Jahr 1571 eröffnete er in Bernau bei Berlin eine eigene Orgelwerkstatt. Nach Hamburg kehrte er spätestens 1587 zurück.[2] Bedeutende Schüler Scherers waren Johann Lange, Lehrmeister von Gottfried Fritzsche, und Antonius Wilde, die beide eigene Werkstätten errichteten. Ein Mitarbeiter Scherers war der Orgelbauer Hans Bockelmann († 1602), der auch schon bei Jacob Scherer gearbeitet hatte. Ab 1603 scheint Scherer die Arbeit zunehmend seinen Söhnen Hans und Fritz überlassen zu haben.

JahrOrtKircheBildManualeRegisterBemerkungen
1572–1573 Bernau bei Berlin St.-Marien-Kirche
II/P 29 Neubau; nach mehreren Umbauten 1864 abgerissen; 14 Engelfiguren (darunter 5 bauzeitliche) vom Prospekt und wenige ziselierte Pfeifen erhalten[3]
1580 Stendal St. Marien II/P 29 Neues Rückpositiv; Gehäuse und 270 Pfeifen aus elf Registern von Scherer erhalten; heute III/P/38
1585 Burgdorf St. Pankratius III/P um 30 ursprünglich für Hildesheim, St. Georgen gebaut, 1812 nach Burgdorf verkauft; Prospekt erhalten sowie Angaben alter Mensuren, die bei der Restaurierung berücksichtigt wurden
1587–1590 Stade St. Nicolai
Neubau; später eingreifend verändert; 1835 nach Himmelpforten überführt; einige Register erhalten; Rückpositiv-Gehäuse in Kirchlinteln erhalten (Foto)
1588–1592 Hamburg St. Jacobi III/P 53 Erweiterung um ein Oberwerk gemeinsam mit Hans Bockelmann; einige Register erhalten → Orgel der Hauptkirche Sankt Jacobi (Hamburg)
1587/1604 Hamburg St. Katharinen
III/P Erweiterungsumbau; später mehrfach umgebaut, einige Register erhalten
vor 1593 Husum Marienkirche Änderungen an der Orgel von Johann Gose (1573–1577); nicht erhalten
1593 Hamburg-Bergedorf Kirche St. Petri und Pauli Neubau; nicht erhalten
um 1594 Lüneburg Nicolaikirche Neubau von Scherer oder von Hans Bockelmann; nicht erhalten
1596–1598 Meldorf St. Johannis II/P 30 Neubau oder Umbau; nicht erhalten
1600–1601 Herford Herforder Münster II/P 9 Umbau einer älteren Orgel; nicht erhalten
1600 Brake Schloss Brake II/P 20 Neubau
1602 Marne (Holstein) Maria-Magdalenen-Kirche I/P Neubau von Hans Bockelmann. Prospekt erhalten (Rückpositiv).
1605–1607 Hamburg St. Gertrudskapelle Mitarbeit am Neubau; nicht erhalten
1608 Rotenburg (Wümme) Schlosskapelle Neubau; nur Gehäuserahmen von Ludwig Münstermann im Focke-Museum erhalten

Hans Scherer der Jüngere

Hans Scherer der Jüngere setzte die erfolgreiche Tradition seines Vaters fort. Er erwarb am 23. Mai 1606 das Hamburger Bürgerrecht und heiratete im selben Jahr Agneta Steer. 1607 wurde die Tochter Magdalena geboren. Nach dem Tod seiner ersten Frau heiratete Scherer am 5. Mai 1614 Elisabeth Timme. Aus dieser Ehe gingen Elisabet, Hieronymus, eine weitere Elisabet und Sara hervor. Scherer entwickelte das Konzept der selbstständigen Pedaltürme weiter, was zum Hamburger Prospekt führte. Gottfried Fritzsche wurde sein Nachfolger und wichtiges Bindeglied zum Orgelbauer Arp Schnitger.

JahrOrtKircheBildManualeRegisterBemerkungen
1603–1604 Hamburg St. Petri III/P 48 Reparatur, gemeinsam mit seinem Vater und Bruder; nicht erhalten
1606–1607 Hamburg St. Jacobi III/P 53 Überholung der Orgel, gemeinsam mit seinem Bruder Fritz → Orgel der Hauptkirche Sankt Jacobi (Hamburg)
1610–1611 Immenhausen St. Georg II/P Neubau oder Umbau; 1631 verbrannt
1610–1615 Kassel Schlosskirche II/P 20 Neubau; im 18. Jahrhundert abgebrochen
1610–1612 Kassel Martinskirche
III/P 33 Neubau; nach verschiedenen Umbauten 1896 durch neue Orgel von Friedrich Ladegast ersetzt; Scherer-Prospekt 1943 zerstört
1610–1612 Kassel Brüderkirche II/P 25 Neubau; 1943 zerstört
1619–1620 Freiburg/Elbe St. Wulphardi II/P Reparatur der Orgel eines unbekannten Orgelbauers; 6 Register erhalten
1622 Hamburg-Curslack St. Johannis I/P Neubau; 5 Register erhalten und im Neubau von Rudolf von Beckerath Orgelbau integriert (I/P/7, 1971)
1620–1623 Lübeck Petrikirche III/P 45 Sicherungsmaßnahmen, Bau von 9 Bälgen (20 × 4 Fuß), Reparaturen am Pfeifenwerk der Orgel von Gose/Borchert (1586–1591); 1888 durch Walcker-Orgel ersetzt
1623–1624 Tangermünde St.-Stephanskirche III/P 32 Neubau gemeinsam mit Fritz Scherer; etwa zur Hälfte erhalten → Orgel von St. Stephan (Tangermünde)
1624–1625 Lübeck Aegidienkirche
III/P 36 Neubau; Gehäuse erhalten → Orgel der Aegidienkirche (Lübeck)
1624–1625 Lübeck Lübecker Dom II/P Reparatur der Orgel von Jakob Rabe (1606): Erneuerung der Windladen, die aus der Vorgängerorgel übernommen worden waren; nicht erhalten
1625 Minden Marienkirche Neubau; nicht erhalten
1625–1626 Minden Mindener Dom
II/P 25 Neubau; 1945 zerstört
1627–1628 Hamburg St. Georg (Kirche des St. Georgshospitals) II/P 27 Reparatur; einige Register in Neubau von Arp Schnitger (1708) übernommen; 1747 nach Lenzen (Elbe)/St. Katharinen (Foto) umgesetzt, dort mehrfach umgebaut; 5 Register erhalten[4]
1628–1629 Stade St. Cosmae et Damiani II/P 28 Reparaturen der Orgel von Antonius Wilde (1606–1608); 1659 verbrannt → Orgel von St. Cosmae et Damiani (Stade)
1630 Oberndorf St. Georg Reparaturen; nicht erhalten
1631 Itzehoe St. Laurentii größere Reparatur der Orgel von Matthias Mahn (1562) nach Kriegsschäden; nicht erhalten

Fritz Scherer

Fritz Scherer arbeitete an mehreren Orgelbauten zusammen mit seinem Bruder.

JahrOrtKircheBildManualeRegisterBemerkungen
1603–1604 Hamburg St. Petri III/P 48 Reparatur, gemeinsam mit seinem Vater und Bruder; nicht erhalten
1612–1613 Lemgo St. Marien II/P 20 Von Fritz Scherer in das Gehäuse der Vorgängerorgel der Gebr. Slegel; später mehrfach umgebaut; Reste von Scherer erhalten; 2009/2010 Rekonstruktion durch Rowan WestOrgeln von St. Marien (Lemgo)

Literatur

  • Douglas E. Bush, Richard Kassel (Hrsg.): The Organ. An Encyclopedia. Routledge, New York, London 2006, ISBN 0-415-94174-1, S. 493–494 (teils online).
  • Gustav Fock: Arp Schnitger und seine Schule. Ein Beitrag zur Geschichte des Orgelbaues im Nord- und Ostseeküstengebiet. Bärenreiter, Kassel 1974, ISBN 3-7618-0261-7.
  • Gustav Fock: Scherer (Familie). In: Die Musik in Geschichte und Gegenwart. 1. Auflage. Band 11. Bärenreiter, Kassel 1963, S. 1674–1676 (CD-Rom-Version, Directmedia, Berlin 2001 (Digitale Bibliothek, Band 60)).
  • Gustav Fock: Hamburgs Anteil am Orgelbau im niederdeutschen Kulturgebiet. In: Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte. Nr. 38, 1939, S. 289–373 (307–342) (uni-hamburg.de vgl. die engl., überarb. Fassung Hamburg’s Role, 1995).
  • Gisela Jaacks: Scherer, Hans d. Ä. In: Franklin Kopitzsch, Dirk Brietzke (Hrsg.): Hamburgische Biografie. Band 2. Christians, Hamburg 2003, ISBN 3-7672-1366-4, S. 370–370. (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche)
  • H. Kellinghusen: Die Hamburgischen Orgelbauer Hans Scherer, Vater und Sohn. In: Mitteilungen des Vereins für Hamburgische Geschichte. Band 11, Nr. 31, 1912, S. 72 ff.
  • Christoph Lehmann (Hrsg.): 375 Jahre Scherer-Orgel Tangermünde. Die größte Renaissance-Orgel der Welt. 2. Auflage. Freimut & Selbst, Berlin 2014, ISBN 978-3-8442-8336-5, eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche
  • Ibo Ortgies: Die Praxis der Orgelstimmung in Norddeutschland im 17. und 18. Jahrhundert und ihr Verhältnis zur zeitgenössischen Musikpraxis. Göteborgs universitet, Göteborg 2004 (gbv.de [PDF; 5,4 MB] rev. 2007).
  • Paul Rubardt: Einige Nachrichten über die Orgelbauerfamilie Scherer. In: Musik und Kirche. Band 2, 1930, S. 111–126.
  • Eckhard Trinkaus: Zur Tätigkeit der Orgelbauer Scherer in Hessen. In: Ars Organi. Band 47, 1999, S. 215–217.
  • Maarten A. Vente: Die Brabanter Orgel. Zur Geschichte der Orgelkunst in Belgien und Holland im Zeitalter der Gotik und der Renaissance. H. J. Paris, Amsterdam 1963.
Commons: Scherer – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Hans Klotz: Über die Orgelkunst der Gotik, der Renaissance und des Barock. Musik, Disposition, Mixturen, Mensuren, Registrierung, Gebrauch der Klaviere. 3. Auflage. Bärenreiter, Kassel 1986, ISBN 3-7618-0775-9, S. 228.
  2. Gisela Jaacks: Scherer, Hans d. Ä. In: Franklin Kopitzsch, Dirk Brietzke (Hrsg.): Hamburgische Biografie. Band 2. Christians, Hamburg 2003, ISBN 3-7672-1366-4, S. 370–370. (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche)
  3. Siehe die beiden Beiträge zur Rekonstruktion des Scherer-Prospektes und zur Geschichte der Orgel in: Thomas Drachenberg (Hrsg.): Die Stadt in der Kirche. Die Marienkirche in Bernau und ihre Ausstattung (= Arbeitshefte des Brandenburgischen Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologischen Landsmuseums, Bd. 40). Lukas Verlag, Berlin 2017, ISBN 978-3-86732-260-7, S. 196–243.
  4. Orgel in Lenzen, abgerufen am 7. Januar 2013.
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