Hans Brüggemann

Hans Brüggemann bzw. Johannes Brüggemann (* um 1480; † um 1540 in Husum?) war ein deutscher Bildhauer und Bildschnitzer.

Brüggemann-Altar im Schleswiger Dom

Leben und Wirken

Über seine Herkunft und Lehrzeit ist nichts bekannt. Anhand der Schreinkonstruktion und des -aufbaus sowie des Figurenstils wurde eine Ausbildung am Niederrhein oder sogar in den südlichen Niederlanden diskutiert. Nach seiner Lehrzeit begab er sich nach Norddeutschland und eröffnete eine Werkstatt in Husum, wie Heinrich Rantzaus Schrift von 1597 und die Antiquitates des Martinus Coronaeus von 1637 zu berichten wissen.

Der sogenannte kleine Brüggemann-Altar

Trotz der Prominenz und künstlerischen Qualität der Werke ist zur Person Brüggemanns nahezu nichts bekannt. Keine zeitgenössische Quelle kann eines der diskutierten Kunstwerke mit dem Namen Hans Brüggemanns verbinden.[1] Zu den Brüggemann zugeschriebenen Arbeiten gehören eine Marienfigur und ein Engel vom verlorenen Tabernakel der alten Husumer Marienkirche (um 1520)[2] und die über vier Meter hohe Holzskulptur des Christophorus im Schleswiger Dom[3][4] sowie das heute im Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte befindliche Goschhof-Retabel.[5][6] Auch der Altar der St. Johanniskirche in Brügge (um 1530, heute ebenfalls auf Schloss Gottorf) wird seiner Werkstatt zugeordnet.[7] Er ersetzte wohl nach 1672 für einige Jahrzehnte den großen Brüggemann-Altar in Bordesholm.[8] Nachfolgearbeiten der Werkstatt bzw. eigenständiger Gesellen haben sich in Dänemark (Estvad, Gjøl) und Schweden (Ystad, Ullervad und Utby) erhalten. Ferner wurde Brüggemann durch Heinrich Rantzau der Altar in der Marienkirche von Bad Segeberg zugeschrieben[9]; die gegenwärtige Forschung geht für dieses Retabel jedoch von einer Lübecker Werkstatt aus, die gegen 1515 die Traditionen der Hansestadt des ausgehenden 15. Jahrhunderts mit neuen zeitgenössischen Elementen zu kombinieren wusste.[10][11][12]

Brüggemanns Hauptwerk ist der im Auftrag von Herzog Friedrich († 1533) von 1514 bis 1521 für die Kirche des Augustinerchorherrenstifts in Bordesholm geschaffene dreiflügelige Bordesholmer Passionsaltar, zum Teil inspiriert von Holzschnitten Albrecht Dürers[13] und Zeugnis der Übergangszeit von der Spätgotik zur Renaissance. Das Bildprogramm des Altars und seine Autorschaft werfen noch immer etliche Fragen auf. So sind die genaue Identifikation der beiden retabelexternen Säulenfiguren und ihre Einbindung in das Gesamtprogramm[14][15] wie auch die Frage, ob das Retabel absichtsvoll ungefasst ist[16], bisher nicht abschließend geklärt. Auch das in der zentralen Nische aufgestellte Christuskind (um 1500)[17] und die Mahlsszene rechts davon evozieren in der Forschungsdiskussion bis heute verschiedene Deutungen. Unbekannt ist ferner, ob sich das Bildprogramm nur an die Bordesholmer Chorherren richtete, die sich 1490 der Windesheimer Kongregation angeschlossen hatten[18], oder ob es als Teil der Neuausstattung der Stiftskirche als geplante königliche Grablege für eine herrschaftliche Elite gedacht war.[19] Eine Ansprache an ein Laienpublikum kann ausgeschlossen werden, da der Chor nicht nur abgeschrankt war, sondern die Stiftskirche nachgewiesenermaßen nicht als Pfarrkirche gedient hat; diese Funktion übernahmen die umliegenden Parochien.[20] Als Konzeptor des Retabelprogramms wird einerseits Gottschalk von Ahlefeldt († 1541) angenommen[21], Freund des auftraggebenden Herzogs und in Rostock sowie Bologna ausgebildeter Theologe, seit 1507 Bischof von Schleswig; andererseits wurde eine Konzeption durch die hochgebildeten Chorherren selbst, die vor dem Altar die Messe hielten, diskutiert.

Nach Heinrich Rantzau[22] hat Matthias Pausenius das Werk Brüggemanns mit folgendem Epigramm gewürdigt:

Schenkte doch jüngst diesem Bild sein Augenmerk Phöbus Appollon:
„War's eines Sterblichen Hand,“ fragt' er, „der solches gelang?“
Bin ich auch sonst nicht bereit, die Kunst eines Phidias zu schmälern
oder ein Bild, das Lysipp schuf mit begnadeter Hand -
Könnte mein Auge dies Werk nicht klar über jene erheben,
stumpfer wäre mein Blick selbst als des Midas Gehör.[23]

1523 wurde ein mester hansze Bruggeman mit einem Retabel für den Frühmessenaltar der Kirche in Walsrode beauftragt. „Ob es sich dabei allerdings um den Urheber des Bordesholmer Altars gehandelt hat, läßt sich nicht mehr nachprüfen, da das Walsroder Retabel verschollen ist.“[24] Laut einer von Coronaeus überlieferten Sage blendeten ihn die Bordesholmer Mönche, als er Lübecker Bewunderern seines Werks einen noch schöneren Altar versprach.[25] Nach einer von vielen Legenden, die sich um Brüggemanns Tod ranken, soll er – durch die neuen Bildvorlieben im Zuge der Reformation erfolglos geworden – im Husumer St. Jürgen-Kloster verstorben sein. Eine andere Legende nennt Lüneburg als seinen letzten Wohnort.

Literatur

  • Uwe Albrecht u. a. (Hg.): Der Bordesholmer Altar des Hans Brüggemann. Werk und Wirkung. Dietrich Reimer Verlag, Berlin 1996.
  • Horst Appuhn: Der Bordesholmer Altar. Studien zum Werk Hans Brüggemanns. Dissertation Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Kiel 1952 [unpubliziert].
  • Horst Appuhn: Brüggemann, Hans. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 2, Duncker & Humblot, Berlin 1955, ISBN 3-428-00183-4, S. 658 f. (Digitalisat).
  • Horst Appuhn: Der Bordesholmer Altar und die anderen Werke von Hans Brüggemann. Königstein i. Ts. 1983, 2. Aufl.1987, ISBN 3-7845-0298-9.
  • Oliver Auge, Constanze Köster, Uta Kuhl (Hrsg.): Der Bordesholmer Altar des Hans Brüggemann. Michael Imhof Verlag, Petersberg 2023.
  • Friedrich Wilhelm Bautz: Brüggemann, Hans. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Band 1, Bautz, Hamm 1975. 2., unveränderte Auflage. Hamm 1990, ISBN 3-88309-013-1, Sp. 764.
  • Freerk Haye Hamkens: Der Bordesholmer Altar Meister Brüggemanns. Insel, Leipzig 1936, (Insel-Bücherei. Nr. 495).
  • Ingeborg Kähler: Der Bordesholmer Altar – Zeichen in einer Krise. Ein Kunstwerk zwischen kirchlicher Tradition und humanistischer Gedankenwelt am Ausgang des Mittelalters. Karl Wachholtz Verlag, Neumünster 1981.
  • Uta Lemaitre, Ursula Lins: Der Bordesholmer Altar. In: Hartmut Krohm, Eike Oellermann (Hrsg.): Flügelaltäre des späten Mittelalters, Dietrich Reimer Verlag, Berlin 1992, S. 37–51.
  • Andreas Ludwig, Jakob Michelsen: Brüggemann, Hans. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 3, Duncker & Humblot, Leipzig 1876, S. 404 f.
  • Wolfgang Teuchert: Der Dom in Schleswig. Verlag Langewiesche, Königstein i. Taunus 1991, ISBN 3-7845-1397-2.
  • Ingo Helm, Christoph Weinert: Die Geschichte Norddeutschlands. Hoffmann und Campe, Hamburg 2005, ISBN 3-455-09520-8.
  • Bernd Bünsche: Das Goschhof-Retabel in Schleswig. Ein Werk des Hans Brüggemann (= Bau + Kunst. Schleswig-Holsteinische Schriften zur Kunstgeschichte 8), Verlag Ludwig, Kiel 2005.
  • Jan Friedrich Richter: Hans Brüggemann. Deutscher Verlag für Kunstwissenschaften, Berlin 2011, ISBN 978-3-87157-234-0.
  • Jan Friedrich Richter: Der Bordesholmer Altar (1521) und die anderen Werke von Hans Brüggemann. Verlag Langewiesche, Königstein i. Taunus 2019, ISBN 978-3-7845-0299-1.
  • Jan Friedrich Richter, Ursula Lins, Uta Lemaitre: Kreuzigungsretabel (sog. Bordesholmer Altar). In: Uwe Albrecht (Hrsg.): Die Kirchen im Landesteil Schleswig, Bd. 2: Odenbüll bis Wyk auf Föhr (= Corpus der mittelalterlichen Holzskulptur und Tafelmalerei in Schleswig-Holstein 4.2), Verlag Ludwig, Kiel 2019, S. 741–755.
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Einzelnachweise

  1. Zur Quellenlage vgl. Jan Friedrich Richter: Hans Brüggemann, Berlin 2011, S. 13f., 119–122.
  2. Bodo Buczynski: Der lautenspielende Engel vom ehemaligen Sakramentshaus in Husum von Hans Brüggemann. In: Hartmut Krohm, Eike Oellermann (Hrsg.): Flügelaltäre des späten Mittelalters, Berlin 1992, S. 52–64.
  3. Alexander Markschies: Bemerkungen zum Christophorus des Hans Brüggemann. In: Uwe Albrecht u. a. (Hrsg.): Der Bordesholmer Altar des Hans Brüggemann. Werk und Wirkung, Berlin 1996, S. 197–208.
  4. Jan Friedrich Richter, Ursula Lins, Uta Lemaitre: Hl. Christophorus. In: Uwe Albrecht (Hrsg.): Die Kirchen im Landesteil Schleswig, Bd. 2: Odenbüll bis Wyk auf Föhr (= Corpus der mittelalterlichen Holzskulptur und Tafelmalerei in Schleswig-Holstein 4.2), Verlag Ludwig, Kiel 2019, S. 760–762.
  5. Jan Friedrich Richter: Retabel mit einer symbolischen Darstellung der Sibyllen-Prophezeiung an König Salomon, sog. Goschhof-Retabel. In: Uwe Albrecht (Hrsg.): Schleswig. Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen auf Schloss Gottorf (= Corpus der mittelalterlichen Holzskulptur und Tafelmalerei in Schleswig-Holstein 3), Verlag Ludwig, Kiel 2016, S. 237–243.
  6. Bernd Bünsche: Das Goschhof-Retabel in Schleswig. Ein Werk des Hans Brüggemann (= Bau + Kunst. Schleswig-Holsteinische Schriften zur Kunstgeschichte 8), Verlag Ludwig, Kiel 2005.
  7. Jan Friedrich Richter: Kreuzigungsrelief. In: Uwe Albrecht (Hrsg.): Schleswig. Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen auf Schloss Gottorf (= Corpus der mittelalterlichen Holzskulptur und Tafelmalerei in Schleswig-Holstein 3), Verlag Ludwig, Kiel 2016, S. 244–247.
  8. St. Johannis-Kirche Brügge (Memento des Originals vom 21. Oktober 2014 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.st-johannis-bruegge.de
  9. "Johannes Brugmannus Husensis (qui haud minori artificio tabulam insignem, in templo Segebergensi existentem sculpsit)". Heinrich Rantzau: Cimbricae Chersonesi descriptio nova 1597. Universitätsbibliothek Kiel, Cod. Ms. SH 181 G, Bl. 119v/120.
  10. Anna Quellhorst: Das spätgotische Kreuzigungsretabel in Schleswig-Holstein. Zum Verhältnis von Bildstruktur, Figureninventar und Chronologie. In: Nordelbingen 63 (1994), S. 45, Anm. 58.
  11. Enno Bünz, Yanine Esquivel: Segeberg. Augustiner-Chorherren. In: Oliver Auge, Katja Hillebrand (Hrsg.): Klosterbuch Schleswig-Holstein und Hamburg. Klöster, Stifte und Konvente von den Anfängen bis zur Reformation, Bd. 2, Regensburg 2019, S. 711f., 716.
  12. Jan Friedrich Richter: Claus Berg. Retabelproduktion des ausgehenden Spätmittelalters im Ostseeraum, Berlin 2007, S. 305–321.
  13. Christine Kitzlinger: Die künstlerische Umsetzung graphischer Vorlagen im Passionszyklus des Bordesholmer Retabels. In: Uwe Albrecht u. a. (Hrsg.): Der Bordesholmer Altar des Hans Brüggemann. Werk und Wirkung, Berlin 1996, S. 109–135.
  14. Kerstin Krupcke: Augustus oder Salomon? Zu den Säulenfiguren vor dem Bordesholmer Retabel. In: Uwe Albrecht u. a. (Hrsg.): Der Bordesholmer Altar des Hans Brüggemann. Werk und Wirkung, Berlin 1996, S. 191–196.
  15. Paul Nawrocki: Rätselhafte Säulenfiguren. Die Nebenfiguren des Bordesholmer Altars im Urteil der Zeiten. In: Nordelbingen 86 (2017), S. 7–20.
  16. Jörg Rosenfeld: Die nichtpolychromierte Retabelskulptur als bildreformerisches Phänomen. In: Hartmut Krohm, Eike Oellermann (Hrsg.): Flügelaltäre des späten Mittelalters, Berlin 1992, S. 75.
  17. Jan Friedrich Richter, Ursula Lins: Christkindlein. In: Uwe Albrecht (Hrsg.): Die Kirchen im Landesteil Schleswig, Bd. 2: Odenbüll bis Wyk auf Föhr (= Corpus der mittelalterlichen Holzskulptur und Tafelmalerei in Schleswig-Holstein 4.2), Verlag Ludwig, Kiel 2019, S. 756f.
  18. Horst Appuhn: Der Bordesholmer Altar, 2. Aufl. Königstein i. Ts. 1987, S. 51.
  19. Ingeborg Kähler: Zur Bau- und Ausstattungssituation der Augustiner-Chorherrenkirche Bordesholm 1521. In: Uwe Albrecht u. a. (Hrsg.): Der Bordesholmer Altar des Hans Brüggemann. Werk und Wirkung, Berlin 1996, S. 31–44.
  20. Kerstin Schnabel u. a.: Bordesholm. Augustiner-Chorherren. In: Oliver Auge, Katja Hillebrand (Hrsg.): Klosterbuch Schleswig-Holstein und Hamburg. Klöster, Stifte und Konvente von den Anfängen bis zur Reformation, Bd. 1, Regensburg 2019, S. 199.
  21. Jan Friedrich Richter: Der Bordesholmer Altar (1521), Königstein i. Ts. 2019, S. 54–57.
  22. Heinrich Rantzau: Cimbricae Chersonesi descriptio nova 1597. Universitätsbibliothek Kiel, Cod. Ms. SH 181 G, Bl. 119v/120.
  23. Übersetzung aus dem Lateinischen: Hans Braunschweig
  24. Jan Friedrich Richter: Hans Brüggemann, Berlin 2011, S. 13.
  25. August Sach: Hans Brüggemann. Ein Beitrag zur Geschichte der Herzogthümer. Kiel 1865, S. 7.
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