Hamburgische Schiffbau-Versuchsanstalt

Die HSVA Hamburgische Schiffbau-Versuchsanstalt GmbH in Hamburg-Barmbek-Nord ist eine Schiffbau-Versuchsanstalt, in der für Werften aus aller Welt Schiffe (Schiffsrümpfe) bzw. Modelle davon erprobt werden.

Hamburgische Schiffbau-Versuchsanstalt GmbH
Rechtsform GmbH
Gründung 1913[1]
Sitz Hamburg
Leitung Janou Hennig
Mitarbeiterzahl rund 100[1]
Branche Schiffbau
Website www.hsva.de

1913 wurde vom hamburgischen Staat beschlossen, die Hamburgische Schiffbau-Versuchsanstalt auf Staatskosten und auf Staatsgrund mit Unterstützung von deutschen Werften und Reedereien zu bauen. Zunächst am Schlicksweg residierend, bezog die HSVA nach ihrer Wiedergründung nach dem Zweiten Weltkrieg 1953 neue Gebäude auf dem Gelände des früheren Neuen Schützenhofes in der Bramfelder Straße in Barmbek-Nord. Die HSVA beschäftigt knapp 100 Mitarbeiter, die in den Büros, Werkstätten, Lagern und Versuchseinrichtungen tätig sind.

Geschichte

Gründung und Betrieb bis 1921

Friedrich Ahlborn, Lehrer am Realgymnasium in Hamburg, baute mit Unterstützung von Blohm & Voss einen kleinen Versuchstank für strömungstechnische Versuche. 1904 berichtete er vor der Schiffbautechnischen Gesellschaft (STG) darüber und stellte seine Ergebnisse vor, die er mit einfachsten Mitteln erzielt hatte. Angeregt vom Zuspruch durch den STG-Vorsitzenden Carl Busley und mit finanzieller Unterstützung des STG-Stipendienfonds setzte er seine Arbeiten fort. Er beantragte vom Hamburger Senat 85.000 Reichsmark für ein Gebäude, um seine Versuche unter besseren Bedingungen weiterführen zu können. Sowohl Otto Schlick als auch Hermann Blohm unterstützen ihn 1908, als er einen Antrag zur Fortsetzung seiner Versuche stellte. Darauf reagierte Hamburg und ließ von Schiffbauexperten eine Denkschrift erstellen, um zu prüfen, ob eine schiffbauliche Versuchsanstalt in Hamburg benötigt wird. Aufgrund der Ergebnisse dieser Denkschrift wurde 1913 beschlossen, die Anstalt zu errichten. Sie wurde mit Hilfe einer Spende von 300.000 Mark vom Ehepaar Schlick für insgesamt 1,3 Mio. Mark in Barmbek nach Plänen Ernst Foersters gebaut[2] und bestand aus mehreren Schlepptanks für Seeschiffe, Flussschiffe und Seeflugzeuge. Die große Rinne für Seeschiffe war 350 Meter lang und 16 Meter breit, der Schleppwagen hatte eine Geschwindigkeit von 8 m/s, später 10 m/s und wurde von einem Leonhard-Aggregat angetrieben. Das zur Widerstandsmessung verwendete Dynamometer kam von der 1914 aufgrund der Hafenerweiterung geschlossenen Schleppversuchsstation Bremerhaven des Norddeutschen Lloyds.

Die Leitung des Betriebs hatte von 1915 bis 1922 Carl Bruckhoff inne, der ab 1922 von Günther Kempf abgelöst wurde. Kempf verfügte über große Erfahrungen von Modellversuchen, die er als Leiter der in der ersten deutschen Versuchsstation in Übigau gesammelt hatte.

1922 bis 1945

Zum Weiterbetrieb der Hamburgischen Schiffbau-Versuchsanstalt gründete Ernst Foerster, der 20 Jahre lang dem Aufsichtsrat der HSVA angehörte, 1922 die Gesellschaft der Freunde und Förderer der Hamburgischen Schiffbau-Versuchsanstalt.[2] Unter Kempff wurden derweil die Messmethoden verbessert und Methoden untersucht, um den Eigenantrieb der Modelle zu ermöglichen. Wichtige Arbeitsgebiete waren grundlegende Versuche zum Reibungswiderstand, die im Modell und Großausführung mit Unterstützung von Reedereien durchgeführt wurden. Die bei der Versuchsanstalt für Wasserbau und Schiffbau in Berlin durchgeführten Propulsionsversuche für Seeschiffe wurden für flach gehende Flussschiffe ergänzt. Da die Untersuchungen für Flussschiffe zunahmen, wurde ein dafür ein spezieller Flachwasserkanal errichtet.

Der Untergang des Feuerschiffs Elbe 1 im Orkan war Anlass, Versuche mit Wellen durchzuführen. Die dafür notwendigen Ideen und Konstruktionsunterlagen der Anlage zur Wellenerzeugung kamen von Hans Hoppe. Mit diesen neuartigen Versuchseinrichtungen wurden danach erfolgreich Versuche mit Schiffsmodellen im Seegang und der konstruktiven Gestaltung von Schlingerkielen durchgeführt. Die Untersuchungen der Kavitationschäden an den Propellern der Bremen führte 1929 zum Bau eines ringförmigen Kavitationstunneltanks, der von dem Wasser ringförmig durchströmt wurde. Ein Schnellschleppkanal entstand um 1930 zur Untersuchung von Flugzeugschwimmern. Der erfolgreiche Ausbau und Modellversuche für in- und ausländische Reeder zeigte sich auch daran, dass in den 1930er Jahren vergleichbare Anlagen in die Sowjetunion und nach Japan geliefert wurden. Die Sowjetunion erhielt einen Kavitationstunnel und Japans Marine die Konstruktionsunterlagen und Messeinrichtungen zum Bau eines Kavitationstunnels. Auch die Niederlande und Schweden erhielten später Kavitationstanks nach den technischen Unterlagen der HSVA.

Bestand die Auslastung der HSVA zu 40 bis 50 % im Bereich der Seeschiffe und deren Propeller, zu 15 bis 25 % im Bereich der Flussschiffe und zu 35 bis 45 % im Bereich der Marine und Sonstiges, so änderte sich das ab Mitte der 1930er Jahre. Die Arbeiten für die Marine nahm auf über 70 % zu, anfangs für Großschiffe wie z. B. „Schlachtschiff H“ und später für Schnellboote, U-Boote und Kleinst-U-Boote. Dafür wurde 1943 der große Schleppkanal auf 450 Meter verlängert, der neue vergrößerte Schleppwagen wurde jedoch nicht mehr rechtzeitig geliefert. Ab 1943 waren die Arbeiten kriegsbedingt stark eingeschränkt, mehrere Bombenangriffe führten zu starken Beschädigungen.

Nachkriegsjahre

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Versuchsbecken gesprengt, mit Trümmern und Beton zugeschüttet, die Versuchswagen zerstört und die große Versuchshalle diente der Besatzungsmacht als Depot. Die Kavitationstanks wurden zerstört bzw. nach Großbritannien gebracht. Da die HSVA verboten wurde, entstand in den Räumen von Maihak eine Nachfolgeeinrichtung unter dem Namen Hanseatische Ingenieurvereinigung (HIV). Technische Betätigungen theoretischer und praktischer Natur erfolgten im Rahmen von schiffstechnischen Vorlesungen und Laborversuchen an der Ingenieurschule am Berliner Tor.

1952: Entstehung der neuen HSVA

Im März 1952 wurde die Gesellschaft der Freunde und Förderer der Hamburgischen Schiffbau-Versuchsanstalt erneut gegründet und Kaempf und Foerster warben bei ihren vorherigen Mitgliedern um deren Wiederbeitritt.[3] Auf dem Gelände des Barmbeker Schützenhofes entstand ab 1952 die neue HSVA mit einem anfangs 80 Meter langen Schleppkanal nach dem Wellenkamp-Prinzip, statt des Schleppwagens wurde das Modell bei diesem Prinzip von einer Winde gezogen. Diese Methode wurde erfolgreich in der 1906 errichteten Marineversuchsanstalt Berlin-Lichtenrade angewendet. Später wurde die Winde jedoch durch einen Schleppwagen ersetzt. Außerdem wurde ein Flachwasserkanal, ein Manöverteich und ein offener Umlauftank errichtet.

1955 ging Kempf in den Ruhestand und Hermann Lerbs wurde bis 1967 der neue Leiter der HSVA. Er wurde von dem kommissarischen Leiter Herbert Rader abgelöst. Von 1969 bis 1975 übernahm Otto Grim die Leitung, der sich durch das Grim’sche Leitrad einen Namen machte. Beim weiteren Ausbau kam ein Kavitationstunnel dazu, es erfolgte eine Vergrößerung des Schleppkanals auf 200 Meter (später auf 300 Meter) und der Einbau eines Wellenerzeugers. Der 1952 bei der Hitzler Werft durchgeführte Bau des Eisbrechers „Wisent“ war die Ursache für die intensive Beschäftigung mit der Eisbrechtechnik, die besonders von Heinrich Waas vorangetrieben wurde. Nach ihm wurde der Thyssen-Waas-Bug benannt, dessen Anwendung eine schollenfreie Eisrinne hinter Eisbrechern ermöglicht. 1958 entstand für einfache erste Widerstandsversuche ein kleiner Eistank mit 8 Metern Länge und 1,8 Metern Breite. Von Odo Krappinger, dem Nachfolger von Grim wurde, konnte in seiner Amtszeit eine rechnerunterstützte Messeinrichtung zur Messung der hydrodynamischen Kräfte und Momente eines fahrenden Schiffmodells realisiert werden. Diese in der Fachwelt als Computerized Planar Motion Carriage (CPMC) bezeichnete Anlage ermöglicht umfassende und sehr exakte Messungen und Bestimmungen der Manövriereigenschaften eines Schiffsmodells.

Als europäische Forschungseinrichtung entstand 1984 der auf 78 Meter verlängerte Eistank mit 10 Metern Breite und 5 Metern Tiefe, der Ingenieuren aus EU-Ländern kostenfrei zur Verfügung steht. Auch die Betriebskosten werden von der EU getragen. Der 1988 eingeweihte Hydrodynamik- und Kavitationstunnel, der abgekürzt als HYKAT bezeichnet wird, dient zur Untersuchung und Vorhersage von Kavitation an Propellern und Druckschwankungen am Hinterschiff, die vom Propeller verursacht werden.

2013: 100 Jahre HSVA

Im Jahr 2013 feierte die HSVA mit verschiedenen Veranstaltungen, einem Tag der offenen Tür und der Ausgabe eines Jubiläumsbuches ihr 100. Jubiläum. Zum Jubiläum schleppte die HSVA mit dem Modellrumpf für die Titanic 2 der von Clive Palmer 2012 gegründeten Reederei Blue Star Line das 5000. Schiffsmodell. Damit sollte der Schiffswiderstand und weitere hydrodynamische Eigenschaften des Modells vom Nachbau der 1912 gesunkenen Titanic im großen Schlepptank untersucht werden.

Versuchseinrichtungen

Holzwerkstatt und Modellfräse

Die Schiffsmodelle entstehen nach den Daten und dem Linienriss der zu untersuchenden Schiffe in grober Form in der Holzwerkstatt aus verleimten Holzlatten als Rohling. In ein bis zwei Tagen wird daraus anschließend von der Modellfräse mit einem in fünf Achsen beweglichen Fräskopf die millimetergenaue Schiffsform hergestellt. Die dazu notwendigen digitalen Daten wurden aus den Schiffslinien erstellt, die von der Werft, Schiffbaubüros oder auch der HSVA entworfen wurden.

Modellvorbereitungswerkstatt

Blick in das Schiffsmodell mit dem E-Motor als Modellantrieb

Nach der Lackierung und weiteren Endbearbeitung wird das Holzmodell je nach geplanter Untersuchung mit den notwendigen Antriebs- und Messgeräten versehen. Der Modellpropeller und die Propellerwelle werden in das Modell eingebaut, sie werden von einem Elektromotor angetrieben. Zur Messung der Propellerdrehzahl, des Schubs und der Antriebsleistung dient der Dynamometer. Außerdem können je nach Auftrag noch eine Rudermaschine, Flossenstabilisatoren oder Strahler dazukommen.

Großer Schlepptank

Großer 300-m-Schlepptank der HSVA

Die somit ausgestatteten Schiffsmodelle werden in dem 300 Meter langen Schlepptank mit Hilfe des Versuchswagens geschleppt, der sich auf den Schienen der Seitenwände über der Wasseroberfläche bewegt. Die Messdaten werden mit den Messrechnern auf dem Messwagen aufgenommen und werden bereits hier vorausgewertet, um erste Aussagen zu treffen. Mit entsprechenden Zusatzeinrichtungen können auch frei fahrende Modelle untersucht werden, um Aussagen über das Manövrierverhalten zu ermöglichen. Mit den seitlichen Wellenerzeugern können außerdem Schiffe oder Offshore-Plattformen im Seegang untersucht werden.

Eistank

Freifahrendes Modell im Eistank der HSVA

Besonders aufwendige Untersuchungen erfolgen im Eistank der HSVA, der als eine der weltweit größten eistechnischen Versuchseinrichtungen zählt. Das Modelleis kann mit Lufttemperaturen bis −25 °C als geschlossene Eisdecke bis zu Dicken von 8 cm erzeugt werden. Dabei werden Versuche zum Brechen der geschlossenen Eisdecke sowie Fahren in Eisrinnen mit Scholleneis durchgeführt.

Hydrodynamik- und Kavitationstunnel (HYKAT)

In einer elf Meter langen Messstrecke des Ringkanals vom Hydrodynamik- und Kavitationstunnel können Wassergeschwindigkeiten bis 45 km/h eingestellt werden. Das Schiffsmodell ist im Gegensatz zum fahrenden naturgroßem Schiff gefesselt und ermöglicht damit die gute Beobachtung der Hinterschiffsumströmung und der Kavitationsvorgänge am Modellpropeller. Die Kavitation bezeichnet die zwei dynamischen Vorgänge der Verdampfung und anschließenden Kondensation im Wasser. Die durch örtliche Unterdruckverdampfung (vor dem Propeller) entstehenden Dampfblasen wandern mit der Strömung durch den Propeller. Auf der Druckseite der Propellerflügel kondensieren sie und der Kondensationsvorgang kann mit hohen Druckspitzen (Implosion) einhergehen. Erfolgt die Implosion direkt am Flügel, können kleinste Materialabtragung bei jeder Umdrehung bald zu großen Schäden führen.

Literatur

  • S. D. Sharma: Möglichkeiten der CPMC-Anlage der HSVA für Manövrierversuche. Jahrbuch der Schiffbautechnischen Gesellschaft 1986
  • A. Kracht: Kavitation an Rudern. Jahrbuch der Schiffbautechnischen Gesellschaft 1987
  • J. Friesch, E.-A. Weitendorf: Der HYCAT, die neue Versuchsanlage der HSVA – Einsatzmöglichkeiten und erste Ergebnisse. Jahrbuch der Schiffbautechnischen Gesellschaft 1990
  • J. Friesch: Die Nutzung des Hydrodynamik- und Kavitationstunnels HYKAT im Bereich der Wehrtechnik See. Jahrbuch der Schiffbautechnischen Gesellschaft 1994
  • E.-A. Weitendorf, J. Friesch: Kavitation im Schiffbau. Jahrbuch der Schiffbautechnischen Gesellschaft 1999
  • J. Michel: Generation von Eis unter kontrollierten Bedingungen – Neuronale Netze zur Vorhersage der Dicke und Biegefestigkeit von Modelleis. Jahrbuch der Schiffbautechnischen Gesellschaft 2010
  • H. Streckwall, H.-U. Schnoor, M. Mathies: Profiluntersuchungen für Ruder und 2-Schrauber Anhänge. Jahrbuch der Schiffbautechnischen Gesellschaft 2010
  • Hamburg investiert in Schiffbau-Forschung. In: Täglicher Hafenbericht. 28. Juni 2011, S. 3.
  • Katja Jacobsen: New side wave generator in HSVA’s towing tank. In: Hansa, Heft 10/2011, S. 16–18, Schiffahrts-Verlag Hansa, Hamburg 2011, ISSN 0017-7504
  • Michael Meyer: 100 Jahre Forschung für die Schifffahrt. In: Täglicher Hafenbericht. 10. September 2013, S. 14.
  • Jürgen Friesch, Uwe Hollenbach, Peter Neumann, Christian Oestersehlte: 100 years HSVA. In: Hansa, Heft 9/2013, S. 52–59, ISSN 0017-7504 (Text in Englischer Sprache, mit interessanten Photographien aus der Mitte des 20. Jahrhunderts)
  • 100 Jahre HSVA Hamburgische Schiffbau-Versuchsanstalt. Schiff & Hafen Spezial in: Schiff & Hafen, Heft 10/2013, S. 53–71, DVV Media Group, Hamburg 2013, ISSN 0938-1643
  • Petra Scheidt: Versuch macht klug. In: Deutsche Seeschifffahrt. Heft 11/2013, S. 23–29, Verband Deutscher Reeder e.V. (Herausg.), Hamburg 2013
Commons: Hamburgische Schiffbau-Versuchsanstalt – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Hamburgische Schiffbau-Versuchsanstalt GmbH (Memento des Originals vom 24. Juni 2013 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.maritimes-cluster.de, Maritimes Cluster Norddeutschland. Abgerufen am 15. September 2013.
  2. Nachruf. In: Schiff und Hafen. Jahrgang 7, Heft 4. C. D. C. Heydorns, Hamburg April 1955, S. 339.
  3. Alte und neue Freunde der HSVA. In: Hamburger Abendblatt. 12. April 1952.

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