Gottesfriede

Der Gottesfriede (lateinisch Pax Dei) in Verbindung mit der Waffenruhe Gottes (Treuga Dei) ist das Ergebnis der Zusammenarbeit von weltlicher und geistlicher Macht im Mittelalter und stellt die Anfänge einer europäischen Friedensbewegung dar.

Geschichte

Die Kirche fühlte sich im Mittelalter zunehmend durch die Privatkriege des Adels und seine Übergriffe auf das Kirchengut bedroht und versuchte, durch Anteilnahme an der Friedenswahrung Einfluss auf das politische Leben der damaligen Zeit zu gewinnen, auch im Interesse des weltlichen Wohls der Gläubigen. Die Kirche strebte allerdings damit keine Veränderung der bestehenden Herrschaftsverhältnisse an. Der Gottesfriede bestand aus Beschlüssen, die von den Bischöfen in Gemeinschaft mit weltlichen Herrschaftsträgern getroffen und durch Eid bekräftigt wurden. Abgesichert wurde er durch die Androhung von Kirchenstrafen (Exkommunikation) sowie die Bereitschaft der Schwurgemeinschaft, Übertretungen notfalls auch gewaltsam zu ahnden. Verhindert werden sollte, dass Fehdehandlungen gegen wehrlose Personen (Geistliche, Bauern, Arme, Frauen, Kaufleute), Lokalitäten (Kirchen, Friedhöfe, öffentliche Plätze und Straßen) und Objekte (Vieh, Ernte, Brücken) stattfanden. Die später hinzugekommene Treuga Dei verbot die Kriegsführung an verschiedenen Wochentagen (z. B. donnerstags bis sonntags) oder zu Festzeiten des Kirchenjahres (z. B. Fastenzeiten, Advent bis Epiphaniasoktav, Feste der örtlichen Kirchenpatrone) gegenüber der gesamten Bevölkerung (auch Gebundene Tage genannt[1]).

Die Wiege des Gottesfriedens war die Auvergne in Frankreich im 10. Jahrhundert. Die alten (vor allem weltlichen) Institutionen konnten im 10. und vor allem 11. Jahrhundert die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung nicht mehr garantieren, deshalb war die Bildung von neuen Exekutivorganen für die Kirche notwendig, die diese Aufgabe übernahmen, die so genannten Pax-Milizen. Bekämpft werden sollte der mittlere und niedere Adel, während die Kirche mit dem Hochadel Solidarität übte, da sie bei ihren Friedensbemühungen auf sein Einvernehmen angewiesen war. Der geistliche Friede ist dadurch wiederum zu einem Machtinstrument in der Hand des gesamten Hochadels geworden, der dadurch seine Territorien sicher beherrschen konnte.

Durch die Diözesanmilizen bekam der Gottesfriede in der 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts noch eine weitere Funktion: Er diente nicht mehr nur der Beschränkung der Privilegien des Adels, sondern die Heere wurden auch gegen die Störung der innerchristlichen Ordnung eingesetzt und wurden somit zu einem umfassenden Machtinstrument der Landesherren. Ob dies immer mit dem Kirchenrecht zu vereinbaren war, bleibt strittig.

Mit dem Regierungsantritt Ludwigs VI. im Jahre 1108 ging die alte Friedensbewegung im französischen Raum allmählich zu Ende. Das Gleichgewicht der Gewalten, welches die Entstehung des Gottesfriedens begünstigt hatte, wurde vom König zerstört. Dazu stellte das Bürgertum von unten her gegen den Willen des Adels und der Geistlichkeit seine Machtansprüche. Diese Entwicklung endete damit, dass die Zentralgewalt die Oberhand gewann und sich zum Schieds- und Friedensrichter machte. Die Kirchen genossen immer mehr den Königsschutz und bedurften nicht mehr des Gottesfriedens. Zusammengefasst war der Gottesfriede eine Rechtsausübung, die aus verschiedenen lokalen Bedingungen hervorging und im Belieben jedes einzelnen Bischofs stand.

In Deutschland fungierte der Gottesfriede als Vorbild für die späteren deutschen Landfrieden, die auf Provinzialebene von den Landesfürsten und auf Reichsebene vom deutschen König geschlossen wurden. Obwohl die Träger der Frieden formell weltliche Fürsten waren, arbeiteten Geistlichkeit und Weltlichkeit weiter bei den Friedensschlüssen zusammen.

Die Interpretation dieser Entwicklung im Hochmittelalter ist unter Historikern umstritten. Dominique Barthélemy meinte, die „Gottesfriedensbewegung“ sei ein Mythos, der von E. Sémichon[2] erfunden worden sei und ab 1857 der katholischen Apologetik diente. Bis dahin habe man richtiger entsprechend den Ansichten des 11. Jahrhunderts die treuga Dei hervorgehoben.[3]

Literatur

  • Uta-Renate Blumenthal: Charroux, Konzil v. In: Lexikon des Mittelalters (LexMA). Band 2. Artemis & Winkler, München/Zürich 1983, ISBN 3-7608-8902-6, Sp. 1736.
  • Thomas Gergen: Pratique juridique de la Paix et Trêve de Dieu à partir du concile de Charroux (989–1250). Lang, 2004 (Rechtshistorische Reihe Band 285).
  • Thomas Gergen: Gottesfrieden. in: Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte II, Berlin 2012, Sp. 470–473.
  • Hans-Werner Goetz: Die Gottesfriedensbewegung im Licht neuerer Forschungen. In: Arno Buschmann, Elmar Wadle (Hrsg.): Landfrieden – Anspruch und Wirklichkeit. Paderborn 2002, S. 31–54.
  • Hartmut Hoffmann: Gottesfriede und Treuga Dei. Hiersemann, Stuttgart 1964 (Monumenta Germaniae Historica; 20).
  • Reinhold Kaiser: Gottesfrieden. In: Lexikon des Mittelalters (LexMA). Band 4. Artemis & Winkler, München/Zürich 1989, ISBN 3-7608-8904-2, Sp. 1587–1592.
  • Bernhard Töpfer: Volk und Kirche zur Zeit der beginnenden Gottesfriedensbewegung in Frankreich. Berlin 1957.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Heiner Lück, Gebundene Tage. In: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, 2. Auflage, Band I, Lieferung 8, Sp. 1974–1975.
  2. E. Sémichon: La paix et la trêve de Dieu. Paris 1857
  3. Dominique Barthélemy: Der Herrschaftsmythos der französischen Historiker. In: Gerhard Dilcher, Cinzio Violante (Hg.): Strukturen und Wandlungen der ländlichen Herrschaften vom 10. zum 13. Jahrhundert. Berlin 2000 S. 67; siehe auch F. E. de Mézeray: Histoire de France und A. Kluckhorn: Geschichte des Gottesfriedens. Leipzig 1857
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