Giralda

Die Giralda ist das ehemalige Minarett der Hauptmoschee und heutiger Glockenturm der Kathedrale von Sevilla in Andalusien.

Die Giralda
Die Abbildung zeigt drei Baustadien der Giralda: Links der Turm im Almohaden-Stil, rechts ein Zwischenstadium nach der Reconquista, mittig die heutige Ansicht mit der Aufstockung im Renaissance-Stil
Detailansicht

Die Moschee wurde nach der christlichen Rückeroberung (Reconquista) der Stadt im Jahre 1248 zunächst als Kirche Santa Maria la Mayor weitergenutzt, bevor sie im 15. Jahrhundert niedergerissen und als spätgotische Kathedrale neu erbaut wurde. Das zur Gänze aus Backstein gemauerte ehemalige Minarett blieb jedoch stehen, wurde in Teilen umgearbeitet und dient seitdem als Glockenturm der Kathedrale. Die Giralda ist bis heute das bedeutendste Wahrzeichen der Stadt.

Baugeschichte

Nach der Einnahme der Stadt durch die Almohaden im Jahre 1147 begann in Sevilla eine rege Bautätigkeit, von der noch heute die Reste der Stadtmauern, die Giralda und der Torre del Oro Zeugnis ablegen. Das Minarett der Großen Moschee wurde im Jahre 1196 von Abu Iussuf Iakub, Ahmed ibn-Basso und Ali al-Gomara aus Backsteinen mit einer Höhe von 82 m erbaut. Dabei wurde ein römischer Sockel sowie Säulenkapitelle aus einem Palast als Spolien wiederverwendet.

Ein 32 m hoher Aufsatz in durchbrochener Arbeit im Stile der Renaissance vom Architekten Hernán Ruiz wurde im Jahr 1568 fertiggestellt; er hat den ursprünglichen Laternenaufsatz mitsamt den darüber aufragenden vier vergoldeten Kugeln ersetzt. Der neue Aufsatz mit Glockenhaus wurde in Backstein ausgeführt und teilweise mit weißem und schwarzem Marmor verkleidet bzw. inkrustiert.

Der gesamte Turm war während der Almohadenzeit wie auch in der Renaissanceepoche rot angestrichen. Der Anstrich wurde mehrfach erneuert, und sichtbare Farbreste waren noch im 19. Jahrhundert vorhanden.[1]

Architektur

Die allesamt in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts errichteten Großminarette der Almohaden (Große Moschee von Taza, Koutoubia-Moschee in Marrakech, Hassan-Turm in Rabat – alle in Marokko) bestehen eigentlich aus zwei Türmen – einem inneren mit mehreren übereinander liegenden kleinen Räumen und einem abschließenden Aufsatz (Laterne) sowie einem äußeren, der die Schaufassade bildet. Dazwischen befindet sich eine 2,50 m breite Rampe, die zu einer sich auf ca. 70 m Höhe befindenden Galerie führt. Es wurde eine Rampe und keine Treppen gebaut, weil während der Bauzeit das Baumaterial (Steine, Mörtel, Holz, Wasser etc.) mit Hilfe von Pferden und Maultieren nach oben geschafft wurde. Außerdem existiert die – allerdings nicht durch Quellen belegte – Auffassung, dass auch der Muezzin auf einem Pferd nach oben ritt, um die Gläubigen zum Gebet zu rufen oder um wichtige Nachrichten zu verkünden.

Vorgängerbauten

Wichtigster architektonischer Vorläufer aller almohadischen Minarette war zweifellos der – nach vorhergehenden Bauschäden und Reparaturen im 14. Jahrhundert eingestürzte – antike Pharos von Alexandria. Für die – in der almohadischen Architektur ansonsten unbekannte – dreibahnige Fassadengestaltung der Giralda war mit großer Wahrscheinlichkeit das Minarett der Qal'a der Beni Hammad (Algerien) von maßgeblichem Einfluss.

Bauornamentik

Der mittlere Teil des auf allen vier Seiten gleich gestalteten Minaretts ist von mehreren Fensteröffnungen durchbrochen, die die innenliegenden Rampen und Räume belichten; die Marmorbalustraden wurden im 16. Jahrhundert hinzugefügt. Die oberen Zwillings-Fenster (ajimez) werden von Vielpassbögen überfangen und von rechteckigen Einfassungen (alfiz) gerahmt. Die Seitenpaneele beinhalten jeweils ein – potentiell unendliches – Rautenornament, welches sich oberhalb kleiner Säulchen aus sich – potentiell endlos – überschneidenden Bögen entwickelt. Den oberen Abschluss des Turmschafts bildet – anders als beim Koutoubia-Minarett mit seinem Kachelmosaik – ein Fries mit Blendarkaden.

Bedeutung

Justa und Rufina mit der Giralda im Hintergrund (um 1555)

Neben dem Minarett der Koutoubia-Moschee in Marrakesch gehört die Giralda zu den monumentalen Zeugnissen almohadischer Architektur. Der Turm überragte bei weitem und für lange Zeit sämtliche Kirchtürme Spaniens und auch alle Minarette Andalusiens und zeigt somit weithin sichtbar den (Groß)Machtanspruch der Almohaden in ihrer Blütezeit.

Justa und Rufina, die beiden Schutzheiligen der Stadt und der Kathedrale, wurden oft mit der Giralda in ihrer Mitte dargestellt, die sie bei mehreren Erdbeben vor dem Einsturz bewahrt haben sollen.

Im Jahre 1987 wurde das aus der Giralda und aus der benachbarten Kathedrale Maria de la Sede bestehende Ensemble von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt.

Das Wrigley Building in Chicago wurde teilweise der Giralda nachempfunden.

Giraldillo

El Giraldillo

Auf der Spitze des Turms steht eine etwa 3,5 m hohe Bronze-Statue, die inklusive ihres 4 m hohen Sockels auf ein Gewicht von ca. 1.300 kg kommt. Geschaffen wurde sie zwischen 1566 und 1568 von Bartolomé Morel nach einem Modell von Juan Bautista Vázquez. 1997 wurde das Original zwecks Restaurierung vorübergehend durch eine etwas leichtere Kopie ersetzt. Diese Kopie befindet sich heute vor der Puerta del Príncipe der Kathedrale.

Bei der Statue, die als Giraldillo bezeichnet wird, handelt es sich um eine Frauengestalt in einer Tunika, die in einer Hand einen Palmenzweig hält, in der anderen Hand eine Fahnenstange mit Kreuz-Abschluss, an der eine Kriegsflagge weht. Es wird angenommen, dass der Entwurf durch Statuen der Göttinnen Pallas Athene oder Minerva inspiriert wurde. Sie wird verstanden als Inkarnation des triumphierenden christlichen Glaubens (Hl. Fides, span. Santa Fe) nach der Wiedereroberung Andalusiens (Reconquista) und der Vertreibung der Mauren.

Der Name Giraldillo leitet sich ab von dem spanischen Wort girar (drehen, kreisen), da die Statue mit Wetterfahne sich mit dem Wind dreht. Von daher leitet sich auch der Name Giralda als Bezeichnung für den Gesamtturm ab.

Glocken

In der Giralda befinden sich insgesamt 27 Glocken sowie eine große hölzerne Ratsche.

Glockenkammer

In der Glockenkammer (sala de campanas) unterhalb der Turmlaterne hängen die 24 Glocken des liturgischen Geläuts, von denen sich 18 Glocken (esquilas) in den vorderen Arkaden befinden: jeweils fünf Glocken nach Ost und West sowie je vier nach Nord und Süd. Sie werden meist um die Achse ihrer hohen Holzjoche gedreht (de volteo), manchmal auch nur bis in die Waagerechte gependelt (medio pino). Sieben Glocken aus dem 20. Jahrhundert ersetzen zu Schaden gekommene ältere Glocken.

Die sechs übrigen Glocken (campanas) sind unbeweglich aufgehängt und werden mit ihrem Klöppel angeschlagen (de golpe). Nach Norden und Süden, jeweils hinter der mittleren Arkade, hängen die beiden größten Glocken, Santa Maria von 1588 und San Miguel aus dem Jahre 1792. Vier weitere Glocken aus den Jahren 1438, 1500, 1599 und 1764 sind auf die Ecken des inneren Umgangs verteilt. Eine jede dieser vier Glocken wird mit jeweils vier benachbarten Glocken in den äußeren Arkaden zu einem fünfstimmigen Chor (coro) zusammengefasst: Der Chor Santa Cruz besteht aus den Glocken Nr. 13–17, der Todos Santos aus 7–11, der Santa Catalina aus 1–5 und der Santiago aus 19–23.[2]

Nr.[3]NameGussjahrGießerDurchmesserGewicht (ca.)[4]OrtAufhängung
1San Juan Bautista1908Alfredo Villanueva122 cm1.051 kgNorddrehbar
2Santa Lucía1998Glockengießerei Eijsbouts78 cm275 kgNorddrehbar
3Santa Catalina1599anonym133 cm 1.362 kgNordostunbeweglich
4San José1998Glockengießerei Eijsbouts83 cm331 kgOstdrehbar
5San Laureano1962Fa. Murua94 cm481 kgOstdrehbar
6San Pedro1773Miguel Guerrero115 cm881 kgOstdrehbar
7San Juan Evangelista1793Zacarias Ditrich110 cm771 kgOstdrehbar
8Santa Inés1872Juan Japón89 cm408 kgOstdrehbar
9Todos Santos (Ominum Sanctorum)1764José de la Riva142 cm1.658 kgSüdostunbeweglich
10Santa Bárbara1998Glockengießerei Eijsbouts88 cm395 kgSüddrehbar
11San Isidoro1788Zacarias Ditrich107 cm709 kgSüddrehbar
12San Miguel1792Manuel Luís Rodríguez183 cm3.548 kgSüdunbeweglich
13San Pablo1998Glockengießerei Eijsbouts111 cm753 kgSüddrehbar
14Santa Cecilia1992Fa. Hijo de Manuel Rosas62 cm138 kgSüddrehbar
15Santa Cruz, de los cuartos1500Francisco Fernandes118 cm 951 kgSüdwestunbeweglich
16Santa Florentina1763José de la Riva88 cm395 kgWestdrehbar
17San Sebastián1851Francisco Japón87 cm381 kgWestdrehbar
18San Cristóbal1998Glockengießerei Eijsbouts139 cm1.555 kgWestdrehbar
19San Fernando1763José de la Riva118 cm951 kgWestdrehbar
20Santa Justa1851Francisco Japón63 cm145 kgWestdrehbar
21Santiago1438Juan Aubri132 cm1.332 kgNordwestunbeweglich
22Santa Rufina1714Matías Solano74 cm235 kgNorddrehbar
23San Hermenegildo1814Francisco Fernández108 cm729 kgNorddrehbar
24Santa María, la Mayor, la Gorda1588Juan de Balabarca210 cm5.362 kgNordunbeweglich

Laterne

In der Turmlaterne oberhalb der Glockenstube hängt die Campana de las horas del reloj (A) für den Stundenschlag. Sie wurde im Jahre 1400 von Alfonso Domínguez gegossen. Ihr Gewicht beträgt etwa 1.439 kg bei einem Durchmesser von rund 156 cm.

Eine Besonderheit stellt die große hölzerne Ratsche (spanisch matraca, in Sevilla auch carracaña genannt) dar, die in der südlichen Arkade der Laterne aufgehängt ist. Während die Glocken zwischen dem Gloria am Gründonnerstag und dem Gloria in der Osternacht schweigen, wird stattdessen die Ratsche wie ein Rad gedreht, wobei die hölzernen Hämmer nacheinander auf die vier Holzflügel schlagen.[5]

Sonstige

Im Turmraum sind zwei Glocken ausgestellt: die Altarglocke Campana del altar mayor (0) von Cristóbal Cabrera aus dem Jahre 1509 mit einem Durchmesser von 35 cm und einem Gewicht von etwa 25 kg sowie die ehemalige Glocke Santa Lucía (*2) von Antonio Márquez aus dem Jahr 1914 mit 275 kg bei einem Durchmesser von 78 cm.

Ansichten

Siehe auch

Literatur

  • Hermann Thiersch: Pharos. Antike, Islam und Occident. Ein Beitrag zur Architekturgeschichte. Teubner-Verlag, Leipzig und Berlin, 1909
  • Marianne Barrucand, Achim Bednorz: Maurische Architektur in Andalusien. Taschen-Verlag, Köln o. J. ISBN 3-8228-0424-X (S. 192f)
  • Baedeker-Reiseführer: Andalusien, 2004, Karl Baedeker GmbH, Ostfildern; ISBN 3-87504-543-2 (S. 275–276)

Einzelnachweise

  1. La Giralda era roja. In: El País, 5. April 2018, abgerufen am gleichen Tage.
  2. Genaue campanologische Angaben und Fotos
  3. Die Nummerierung der Glocken geschieht gemäß folgender Abbildung:
  4. Das ungefähre Gewicht wurde nach folgender Formel berechnet: (Durchmesser in Metern)3 x 579
  5. Informationen zur Matraca (Memento des Originals vom 22. August 2011 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.galeon.com
Commons: Giralda – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

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