Gesellschaft für bedrohte Völker
Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) ist eine international tätige Nichtregierungsorganisation (NRO), die sich für den Schutz von Minderheiten weltweit einsetzt, insbesondere für die Rechte von religiösen, sprachlichen und ethnischen Minderheiten. Der Verein wendet sich gegen jeden Versuch, ein Volk, eine ethnische oder religiöse Gemeinschaft oder Minderheit, ihre Sicherheit, ihr Leben, ihr Recht auf Eigentum und Entwicklung, Religion sowie ihre sprachliche und kulturelle Identität zu zerstören. Die GfbV tritt für die Menschenrechte ein, indem sie Völkern, ethnischen und religiösen Gemeinschaften und Minderheiten hilft, die in dieser Art, insbesondere von Genozid, Ethnozid und Vertreibung, bedroht sind. Sie beschafft und verbreitet zu diesem Zweck zuverlässige Informationen, leistet Lobbyarbeit, organisiert politische Kampagnen, ergreift konfliktpräventive Initiativen und setzt sich für Flüchtlinge bedrohter Völker ein.
Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) | |
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Rechtsform | eingetragener Verein |
Gründung | 1970 |
Gründer | Tilman Zülch |
Sitz | Göttingen |
Zweck | Menschenrechtsorganisation[1][2] |
Vorsitz | Burkhard Gauly |
Umsatz | 1.295.756 Euro (2021) |
Beschäftigte | 22 (2019) |
Freiwillige | 125 (2019) |
Mitglieder | 4592 (2021) |
Website | gfbv.de |
Die ursprünglich rein bundesdeutsche Organisation ist heute mit unabhängigen Sektionen in Österreich, der Schweiz, Südtirol/Italien, Bosnien-Herzegowina sowie im Irak vertreten und hat jeweils einen Repräsentanten in London und in Luxemburg. Alle Sektionen und Vertretungen sind in der GfbV International mit Sitz in Berlin zusammengeschlossen.[3]
Geschichte
Die GfbV ging 1970 aus der Hamburger „Aktion Biafra-Hilfe“ hervor, die im Juni 1968 während des Biafra-Krieges von Tilman Zülch und Klaus Guercke gegründet wurde, um die Weltöffentlichkeit auf die Geschehnisse in Biafra aufmerksam zu machen und dem dortigen Völkermord Einhalt zu gebieten. In dieser Initiative wirkten unter anderem der spätere französische Außenminister Bernard Kouchner und der spätere Menschenrechtsbeauftragte des Europarates Thomas Hammarberg mit. 1978 wurde die Zentrale von Hamburg nach Göttingen verlegt. Bis März 2017 war Tilman Zülch Generalsekretär der GfbV; danach leitete bis in das Jahr 2021 der langjährige Afrika- und Asienexperte Ulrich Delius die politische Arbeit der GfbV.[4]
Seit 1993 hat die GfbV Beraterstatus beim Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen. Die GfbV ist gleichzeitig Mitgliedsorganisation des Komitees für eine demokratische UNO. Seit Januar 2005 hat sie mitwirkenden Status beim Europarat.
Zu den prominenten Unterstützern, die teilweise auch ihrem Beirat angehörten, zählten der Philosoph Ernst Bloch, der Zukunftsforscher Robert Jungk, der Theologe Helmut Gollwitzer, der Schriftsteller Günter Grass, die Schriftstellerin Luise Rinser, der Schriftsteller Carl Amery sowie der Menschenrechtler Rupert Neudeck, der Philosoph Ernst Tugendhat und der Politiker Freimut Duve.
Auch der Jurist und Journalist Claus Peter Volkmann alias Peter Grubbe gehörte dem Beirat an, bis seine NS-Vergangenheit 1995 publik wurde.[5]
Die GfbV Deutschland nutzt seit 2007 das vom Deutschen Zentralinstitut für soziale Fragen erteilte Spendensiegel.[6]
Organisation und Arbeitsgebiete
Die GfbV ist eine Minderheitenrechtsorganisation. Die Gesellschaft hatte laut dem Deutschen Zentralinstitut für soziale Fragen im Jahr 2019 knapp 4700 Mitglieder.[6] Nach eigenen Angaben hatte die GfbV im Januar 2023 rund 4500 Mitglieder, 44 Ehrenmitglieder und 650 Förderer und Förderinnen sowie rund 20 Angestellte in ihren Büros in Göttingen und Berlin.[7] Die Aktivitäten der deutschen Organisation werden im Wesentlichen vom Bundesbüro in Göttingen aus koordiniert. Regionalgruppen in den deutschen Städten Berlin, Hamburg, München, Münster und Nürnberg unterstützen die Arbeit. Die GfbV veröffentlicht Presseerklärungen, organisiert Demonstrationen und Kundgebungen und führt u. a. Spendenaufrufe durch Postkarten-Kampagnen durch.
Ein Schwerpunkt der Menschenrechtsarbeit liegt seit der Gründung der Menschenrechtsorganisation auf dem afrikanischen Kontinent, wo diese jedoch nicht mit einer Sektion vertreten ist. Seit den Jugoslawien-Kriegen ist die GfbV in Bosnien-Herzegowina sowie im Kosovo überproportional aktiv. Im Kosovo bezahlt sie ein Team, das sich dort unter der Leitung des Menschenrechtlers Paul Polansky für die Belange der Minderheit der Roma einsetzt. In Bosnien und Herzegowina werden insbesondere die Überlebenden des Massakers von Srebrenica unterstützt. Einen weiteren Schwerpunkt bilden indigene Völker. So organisierte die ehrenamtliche GfbV-Menschenrechtlerin Renate Domnick 1977/78 die erste große Europarundreise indigener Delegierter aus 16 amerikanischen Staaten. Im Nahen Osten spielen für die GfbV insbesondere die Kurden eine wichtige Rolle; dies drückt sich in der 2010 gegründeten GfbV-Sektion im kurdischen nördlichen Teil des Irak aus.
Die seit 1970 zweimonatlich erscheinende Zeitschrift der GfbV Pogrom wurde im Sommer 2020 umbenannt in Für Vielfalt. Sitz der Redaktion ist Göttingen.[8]
Im Jahr 2008 hielt sich die Präsidentin des Nationalen Widerstandsrats des Iran, der als politischer Arm der iranischen Volksmudschahedin gilt[9], Maryam Radjavi, auf Einladung eines deutschen Solidaritätskomitees sowie der GfbV in Berlin auf und kam mit Mitgliedern des Deutschen Bundestages sowie des Berliner Abgeordnetenhauses zusammen. Die GfbV distanzierte sich aber sofort nach dem Bekanntwerden von dieser Einladung und wies darauf hin, dass ihr für die Einladung verantwortliches Berliner Büro über Ideologie, Methoden und Struktur der iranischen Volksmudschahedin, die sich hinter diesem Rat verbergen, nicht informiert war[10][11].
Politische Ziele und Strategien
Im Mittelpunkt stehen die Themen Völkermord,[12] Vertreibung,[13] Rassismus und alle Arten der Unterdrückung von Minderheiten wie auch die Abschiebung von Flüchtlingen in ihre Herkunftsländer.[14] Neben kulturellen und religiösen Gruppierungen wie Falun Gong in China oder christliche Minoritäten im Iran setzt sich die GfbV im engeren Sinne für Ethnien wie Roma oder Tschetschenen ein.
Die Organisation trat oft dafür ein, die Vertreibung von Menschen auch dann als Unrecht zu verurteilen, wenn die Opfer dem Volk angehören, von dem ein Krieg oder ein anderer schwerer Verstoß gegen das Völkerrecht ausgegangen ist. In diesem Zusammenhang propagiert der Verein ein „Recht auf Heimat“ und forderte im Jahre 2000 dessen Aufnahme in die Charta der Grundrechte der Europäischen Union.[15] Ebenso trat die GfbV für ein Zentrum gegen Vertreibungen ein.[16][17] Dafür wurde sie 2005 von Teilen der politischen Linken scharf kritisiert.[18]
Gegenpositionen
Der GfbV wurde von Mira Beham/Martin Löffelholz 1996 vorgeworfen, während des Bosnienkrieges ähnlich wie die amerikanische PR-Firma Ruder-Finn eine antiserbische Perspektive vertreten und „die politischen und militärischen Propagandaziele der Regierung in Sarajewo unterstützt“ zu haben.[19] Beham wurden in ihrem Buch aber zahlreiche Fälschungen und Erfindungen von Quellen, die Verdrehung von Sachverhalten ins Gegenteil und einseitige Zitierungen nachgewiesen.[20]
Literatur
- 40 Jahre Gesellschaft für bedrohte Völker. Sonderheft der Zeitschrift „bedrohte Völker (ehemals pogrom)“, Nr. 251, 6/2008, ISSN 0720-5058 (Selbstdarstellung der GfbV)
- Tilman Zülch: „Wir wollen keine ideologischen Scheuklappen“ Die Gesellschaft für bedrohte Völker – durch den Geist der Jugendbewegung geprägt. in: Der Ring wird geschlossen der Abendwind weht. vvb, Berlin 2010, ISBN 978-3-942476-07-2.
Siehe auch
Weblinks
- Website der GfbV Deutschland und International – Sektionen Österreich, Schweiz und Italien/Südtirol
Einzelnachweise
- Die „Gesellschaft für bedrohte Völker“. GfbV, abgerufen am 28. März 2024.
- Gesellschaft für bedrohte Völker e. V. DZI – Deutsches Zentralinstitut für soziale Fragen, archiviert vom (nicht mehr online verfügbar) am 7. November 2017; abgerufen am 28. März 2024.
- Archivierte Kopie. (Memento vom 22. Dezember 2015 im Internet Archive) In: gfbv.de
- Andreas Fuhrmann: GfbV-Generalsekretär Tilman Zülch hört auf. (Memento vom 25. April 2017 im Internet Archive) In: Göttinger Tageblatt vom 27. März 2017
- Thomas Kleine-Brockhoff: Der Verwalter des Schlachthauses Deutsches Doppelleben: Wie ein Mann sich selbst und seine Umwelt 50 Jahre lang betrog, in: Die Zeit vom 13. Oktober 1995, abgerufen am 15. Juli 2014
- Gesellschaft für bedrohte Völker e. V. auf der Webseite des DZI
- Angaben aus: Salome Müller: 55 Jahre Gesellschaft für bedrohte Völker - Eine Erfolgsstory in: Für Vielfalt -Zeitschrift für Menschen- und Minderheitenrechte [ehemals Pogrom], Nr.334, Heft 1/2023,54.Jg., ISSN 0720-5058, S. 48
- Angaben im Impressum von Nr.334, Heft 1/2023,54.Jg. S. 4
- Verfassungsschutzbericht 2008. (Memento vom 16. Februar 2015 im Internet Archive; PDF) bmi.bund.de, S. 296–299.
- Pressemitteilung der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) (Memento vom 3. Februar 2014 im Internet Archive)
- Verfassungsschutzbericht 2008. (PDF; 8,0 MB) In: mi.niedersachsen.de. Niedersächsisches Ministerium für Inneres, Sport und Integration, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, 2008, S. 55–57, abgerufen am 28. September 2023.
- Matthias Brunner, Einmischung für Minderheiten in der ganzen Welt (Memento vom 25. Juni 2010 im Internet Archive), Lausitzer Rundschau vom 6. Dezember 2008
- Beispiele: Die wirklich Vergessenen, Die Zeit, 18/1995 (Nuba in Nordsudan), Magazin für Kirche und Kultur, 28. November 2008 (christliche Assyrer in Syrien und Jordanien)
- Beispiel: Göttinger Tageblatt vom 1. Juli 2009. Göttingen: Familie mit vier Kindern soll nach 17 Jahren in den Kosovo abgeschoben werden (Memento vom 18. Januar 2012 im Internet Archive)
- Gesellschaft für bedrohte Völker: Für Minderheitenschutz in der EU-Grundrechtecharta. Bozen, 21. April 2000.
- Von Eck: Steinbach: Zentrum gegen Vertreibungen bis 2007. Die Welt, 6. August 2002.
- Gesellschaft für bedrohte Völker unterstützt Zentrum gegen Vertreibungen in Berlin (mit Presseerklärung der GfbV) (Memento vom 12. Januar 2012 im Internet Archive) In: z-g-v.de
- Beispiel: Ralf Fischer: Deutsche Opfer – Die Gesellschaft für bedrohte Völker setzt auf völkische Ideologie. Informationszentrum 3. welt – iz3w, Nr. 274 (Memento vom 1. Dezember 2005 im Internet Archive)
- Mira Beham: Kriegstrommeln. Medien, Krieg und Politik. S. 183ff., Deutscher Taschenbuchverlag, München 1996, zitiert nach: Martin Löffelholz: Krieg als Medienereignis II: Krisenkommunikation im 21. Jahrhundert, S. 94f., VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2004 Google Books
- Granaten, Gerüchte und Geschichtsklitterungen, Markus Pucnik, Die Welt, 5. Juli 1996