Gewehrgranate

Eine Gewehrgranate ist eine spezielle Art von Granate, die mit einem Aufsatz auf dem Gewehrlauf verschossen werden. Damit kann ein Ziel aus größerer Entfernung bekämpft werden als mit einer Handgranate. Gewehrgranaten sind überkalibrige Geschosse.

Schiessbecher und Gewehrgranaten

Technik

Gewehrgranaten werden entweder mittels einer am Gewehr befestigten oder einer an der Granate selbst befestigten Vorrichtung verschossen.

Zu den am Gewehr befestigten Vorrichtungen gehören der auf die Mündung aufgesetzte Schießbecher und das röhrenförmige Granatgerät. Schießbecher nehmen entweder die gesamte Granate oder den verjüngten hinteren Teil der Granate auf (siehe oberes Bild). Manche Schießbecher sind gezogen, um die Treffsicherheit der aus ihnen verschossenen Granaten zu erhöhen; in diesem Fall verfügen die Granaten meist über entsprechend vorgekerbte Führungsbänder.

Das Granatgerät ist meist ein hohler Metallzylinder (siehe Bild Mitte); die dazugehörenden Gewehrgranaten verfügen über einen hohlen Leitwerksschaft, der über das Granatgerät gestülpt wird. Bei manchen Gewehren ist auch der Mündungsfeuerdämpfer als Granatgerät ausgebildet.

Manche Gewehrgranaten sind mit einem langen Metallstift versehen, der in den Lauf des Gewehrs eingeführt wird (siehe unteres Bild). In diesem Fall kann die Granate ohne weitere Zusatzgeräte verschossen werden. Angetrieben wird die Gewehrgranate meist von einer speziellen Treibpatrone, die einer Platzpatrone ähnelt, aber eine stärkere Treibladung enthält. Bestimmte Gewehrgranaten können aber auch mit normaler Munition verwendet werden; bei diesen Granaten ist entweder in der Granate eine Bohrung vorhanden, durch die das Geschoss schadlos die Granate passieren kann, oder die Granate besitzt einen integrierten Geschossfang, der das Geschoss aufhält (z. B. Simon (Gewehrgranate)).

Üblicherweise wird für das Zielen mit der Gewehrgranate ein spezielles Visier verwendet. Dies kann als separates Gerät am Gewehr befestigt, interner Bestandteil des Gewehrs, der Abschussvorrichtung oder der Granate sein.

v. l. n. r.:
Mk 2-Handgranate in einem M1-Adapter
M22-Rauch-Gewehrgranate
M17-Gewehrgranate
AN/M8-Rauchgranate in einem M2-Adapter

Ursprünglich wurden Spreng- und Splittergranaten verwendet, später kamen auch Gewehrgranaten ohne Gefechtsladung, z. B. Rauch-, Gas-, Leucht- und Signalgranaten, dazu. Zur Panzerabwehr werden Hohlladungsgranaten verwendet. Einige Gewehrgranaten sind auch als Handgranate zu verwenden, andere wiederum sind Handgranaten (beispielsweise die Mills-Granate), die mit Adaptern auch als Gewehrgranate zu verwenden sind.

Im Normalfall verfügen Gewehrgranaten über einen Aufschlagzünder; die als Gewehrgranaten verwendbaren Handgranaten haben meist einen Zeitzünder. Die japanische Typ 06 Gewehrgranate hat neben dem Aufschlagzünder zusätzlich einen Zeitzünder, damit sie sich im Falle eines Blindgängers selbst zerstört.

Moderne Gewehrgranaten können bis auf Entfernungen von rund 400 Metern im indirekten Richten verschossen werden; allerdings gilt dies nur für Granaten mit Flächenwirkung. Im direkten Richten können Entfernungen bis etwa 150 Meter erreicht werden. Bei Panzerabwehrgewehrgranaten ist die effektive Reichweite noch kürzer (etwa 50 bis 100 Meter), da sie ihr Ziel direkt treffen müssen, um Wirkung zu erzielen.

Geschichte

Obwohl es bereits im 17. Jahrhundert Schießbecher für Gewehrgranaten gab, aus denen die damals üblichen Kugelhandgranaten mit Brennzünder verschossen werden konnten, fand die Gewehrgranate erst im Grabenkrieg des Ersten Weltkriegs größere Verwendung. Hier wurden Gewehrgranaten mit Stiel bzw. Schießbecher verwendet. So wurde bei der französischen Gewehrgranate VB 1916 der sogenannte „Schießbecher“ direkt auf den Lauf aufgesetzt. Da die Granate in der Längsachse durchgebohrt war, konnte zum Verschießen der 8 × 50 mm R Lebel-Munition mit Geschoss verwendet werden. Sie wurde mit den Lebel Modell 1886-Gewehren und dem Berthier-Gewehr eingesetzt.[1] Häufig wurden die Gewehre, mit denen Gewehrgranaten verschossen wurden, in Schießgestelle eingesetzt und dienten so als behelfsmäßige Granatwerfer.

Im Zweiten Weltkrieg ging die Entwicklung dann endgültig weg von der Gewehrgranate mit Stiel. Das separate Granatgerät fand jetzt größere Verwendung, insbesondere für Granaten zur Panzerabwehr. So konnte z. B. der auch als Gewehrgranatgerät Kaliber 30 mm bezeichnete Schießbecher der Wehrmacht auf den Karabiner 98k aufgesetzt werden und konnte Munition wie Gewehrblendgranaten, Gewehrsprenggranaten mit Aufschlags- und/oder Verzögerungszünder und Gewehr-Panzergranaten (als Hohlladungsgeschoss zur Panzerabwehr) verschießen. Das Gewehrgranatgerät nutzte eine entsprechende Treibpatrone mit einem Projektil aus Holz, dessen Gasdruck die Granate herausschleuderte.[2]

Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen auch Selbstladegewehre zum Einsatz (beispielsweise HK G3), bei denen der Mündungsfeuerdämpfer als Granatgerät dienen konnte. Die Bedeutung der Gewehrgranate nahm jedoch stetig ab, da Granatgewehre und schultergestützte Panzerabwehrwaffen verfügbar waren.

In heutiger Zeit finden Gewehrgranaten noch im polizeilichen Einsatz Verwendung, um Reizgasgranaten über größere Distanzen gegen Menschenansammlungen zu verschießen.

Nachteile

Zastava M72AB2 mit ausgeklapptem Granatvisier: in dieser Stellung ist der Gaskanal gesperrt

Eine von einem Gewehr abgeschossene Gewehrgranate verursacht einen starken Rückstoß. Manche Gewehre, die vorwiegend zum Abschuss von Gewehrgranaten genutzt werden, sind daher mit einem Rückstoßpolster aus Gummi an der Kolbenkappe versehen.

Der Rückstoß ist bei einigen Gewehrgranaten so stark, dass ein Abschuss im normalen Schulteranschlag kaum möglich ist. Bei diesen Granaten wird aus dem Hüftanschlag geschossen oder der Gewehrkolben unter den Arm geklemmt und der Abzug mit dem Daumen betätigt.

Für weite Schüsse mit Gewehrgranaten wird der Kolben des Gewehrs meist auf dem Boden aufgesetzt; bei hartem Untergrund kann hierbei allerdings durch den Rückstoß der hölzerne Kolben eines Gewehrs splittern.

Der Selbstlademechanismus einer Waffe kann sich auf die Reichweite einer Gewehrgranate nachteilig auswirken, da ein Teil der Wirkung der Treibladung verloren geht. Andererseits kann die stärkere Belastung den Mechanismus beschädigen. Bei einigen Gewehren, die zum Nachladen den Gasdruck verwenden, kann dieser Mechanismus daher abgeschaltet werden; dies geschieht häufig durch das Aufklappen des integrierten Granatvisiers.

Die Treffsicherheit der meisten Gewehrgranaten ist aufgrund der kurzen Führung im Schießbecher oder auf dem Granatgerät eingeschränkt, was ihre Verwendung insbesondere bei der Panzerabwehr schwierig macht.

Bei vielen Granatwerfern muss die Granate mit einer speziellen Treibpatrone verschossen werden. Werden dabei irrtümlich normale Patronen verwendet, besteht die Gefahr, dass der Schütze entweder schwer verwundet, oder gar getötet wird.

Siehe auch

Commons: Gewehrgranate – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wiktionary: Gewehrgranate – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Literatur

  • Thomas Enke: Grundlagen der Waffen- und Munitionstechnik. Walhalla Fachverlag, 4., aktualisierte Auflage, Regensburg, 2023, ISBN 978-3-8029-6198-4, S. 313 ff.
  • Ilya Shaydurov: Russische Nahkampfmittel: Typen, Technik. 1. Auflage. Motorbuch, 2017, ISBN 978-3-613-03974-2, S. 68 ff.
  • Fritz Hahn: Waffen und Geheimwaffen des deutschen Heeres 1933–1945. Bernard & Graefe Verlag, Bonn 1992, ISBN 3-7637-5915-8.
  • Michael Heidler: Deutsche Gewehrgranaten und ihre Abschussgeräte bis 1945. Band 9 von Aufsätze zu Geschichte + Technik, Verlag Sünkel, 2003, ISBN 978-3-930060-09-2.
  • Michael Heidler: Deutsche Gewehrgranaten und Gewehrgranatgeräte bis 1945. Verlag VDM Heinz Nickel, 2010, ISBN 978-3-86619-051-1.

Einzelnachweise

  1. Patrice Delhomme: Les grenades françaises de la Grande guerre, Paris, Hégide, 1984, 128–129, ISBN 978-2-904098-02-4. (franz.)
  2. Der Schießbecher (Gewehrgranatgerät). Archiviert vom Original am 22. August 2010; abgerufen am 29. September 2020.
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