Geschichte der Juden in Odessa
Die Geschichte der Juden in Odessa ist die Beschreibung einer reichhaltigen jüdischen Kultur und vieler tragischer Ereignisse. In Odessa fand 1821 das erste Pogrom der jüngeren europäischen Geschichte statt. Odessa war eines der wichtigsten Zentren jiddischer Kultur in Russland, der Gründungsort der zionistischen Bewegung und ein Zentrum der frühen jüdischen Arbeiterbewegung. Isaak Babel setzte der Stadt mit seinen Geschichten aus Odessa ein bleibendes Denkmal.
Geschichte
Anfänge
1794 wurde Odessa auf Erlass von Katharina II. als strategisch wichtige Hafenstadt am Schwarzen Meer gegründet. Die Stadt wurde mit Personen der verschiedensten Nationalitäten wie Russen, Ukrainern, Juden, Griechen und anderen besiedelt. Die Juden waren in Odessa vor allem als Geschäftsleute und Händler tätig. 1798 wurde die erste jüdische Gemeinde in Odessa gegründet und die erste Synagoge erbaut.[1]
Ausschreitungen 1821
Bei der Beerdigung von Patriarch Gregor V. von Konstantinopel kam es 1821 zu ersten Ausschreitungen gegen Juden in Odessa, bei denen 14 Juden getötet wurden. Akteure waren Griechen und andere Nationalitäten. Die Hintergründe lagen in ethnischen und ökonomischen Rivalitäten zwischen beiden Gruppen. Griechen dominierten in dieser Zeit den Handel und die Verwaltung der Hafenstadt. Sie beschuldigten die jüdische Bevölkerung auch, im griechischen Unabhängigkeitskampf auf der Seite der osmanischen Herrschaft zu stehen.
Entwicklung
1826 wurde eine jüdische Schule eröffnet. Um 1840 ist ein jiddisches Theater in Odessa erwähnt, eines der ersten überhaupt. Zwischen 1850 und 1855 bekam Odessa mit der Errichtung der Or-Sameach-Synagoge eine Hauptsynagoge.[1] 1859 kam es erneut zu einem Pogrom gegen Juden.
Literatur und Theater
Odessa wurde eines der wichtigsten Zentren der jüdischen Publizistik, Literatur und Theater. 1860 erschien Ha-Meliz, die erste hebräischsprachige Zeitung in Russland. Herausgeber war Alexander Zederbaum. 1862 erschien Kol mevaser als Beilage als erste jiddische Zeitung in Russland. Abraham Goldfaden arbeitete nach 1866 als Lehrer in der Stadt und veröffentlichte frühe Prosa.
1878 kamen verschiedene Akteure des jiddischen Theaters aus Rumänien nach Odessa wie Nachum Schaikewitsch, Israel Grodner, Israel Rosenberg, Moses Horowitz, Ossip Lerner. Jakob Adler. Auch Autoren wie Mendele Moicher Sforim lebten und publizierten hier.
1881
Nach den Massakern von 1881 begann eine Auswanderungswelle nach Westeuropa und in die USA. 1883 wurden Theateraufführungen im Russischen Reich verboten. Fast alle jiddischen Schauspieler gingen nach London und in die USA.
Zionistische Bewegung
Nach den Pogromen entstand die zionistische Bewegung in Ostmitteleuropa. Sie strebte eine Auswanderung der Juden nach Palästina an. 1884 wurde Odessa Sitz von Chibbat Zion in Russland. Wichtige Akteure waren Leo Pinsker und Mosche Leib Lilienblum. 1890 wurde die „Gesellschaft zur Unterstützung jüdischer Bauern und Handwerker in Syrien und Palästina“ (Odessa-Komitee) gegründet. 1892 kam Scholem Alejchem nach Odessa. Er unterstützte auch die zionistische Bewegung. 1902 wurde in Odessa einer der ersten Ortsverbände der zionistisch-sozialistischen Bewegung Poale Zion gegründet. 1904 entstand aus deren Mitgliedern die Zionistische Sozialistische Arbeiterpartei.
1905 bis 1917
Der russische Zensus 1897 ergab einen jüdischen Bevölkerungsanteil von 30,83 % in Odessa, was rund 125.000 Personen entsprach.[2] Juden waren damit die zweitgrößte Bevölkerungsgruppe der Stadt, nach den Russen mit 49,09 % und deutlich zahlreicher als die Ukrainer in Odessa (9,39 %). 1905 kam es erneut zu schweren Ausschreitungen gegen Juden.
Nach 1919 schuf die sowjetische Macht neue Möglichkeiten für jüdisches Leben. Isaak Babel veröffentlichte 1931 die Geschichten aus Odessa und prägte damit das Bild der Stadt für viele Jahre. 1939 lebten in Odessa rund 200.000 Juden, 33,3 % der Bevölkerung.[3]
Ermordung der Juden 1941–1944
1941 eroberte die deutsche Wehrmacht die Stadt. Beim Massaker von Odessa wurden viele Juden getötet.
Sowjetunion
Nach dem Zweiten Weltkrieg erholte sich die jüdische Gemeinde Odessas wieder. 1959 waren wieder 16,2 % der Odessiten Juden.[4] Ab den 1970er-Jahren begann eine starke jüdische Auswanderung aus der Sowjetunion in Richtung Israel, USA und Westeuropa. Trotz teils restriktiver Maßnahmen, mit denen die Sowjetunion versuchte, die Migrationsbewegungen zu verhindern, sank der Anteil der jüdischen Bevölkerung über die Jahre konstant. 1989 lebten in Odessa noch knapp 66.000 Juden, was 5,9 % der Stadtbevölkerung ausmachte.
Ukraine
Nach der Unabhängigkeit der Ukraine wanderten die Mehrheit der verbliebenen Juden Odessas aus, wozu auch die schwierige wirtschaftliche Situation der nun unabhängigen Ukraine beitrug.
2001 lebten rund 12.000 Juden in Odessa (1,2 % der Bevölkerung).[5][6] 2018 lebten nur noch 5.000 Juden in Odessa. Rund 300 von ihnen gehörten damals der Gemeinde Imanu-El mit der Rabbinerin Julia Gris an.[7] Noch immer gibt es in der Stadt mehrere Synagogen, koschere Restaurants und jüdische Geschäfte.
Literatur
- Steven Zipperstein: The Jews of Odessa: A Cultural History, 1794–1881. 1991, ISBN 0-8047-1962-4
Einzelnachweise
- Webseite der jüdischen Gemeinde „Tikva – Or Sameach“, Odessa; abgerufen am 8. August 2015
- Statistik empire 1897 cities (Memento vom 13. August 2015 im Internet Archive)
- Demoskop Weekly, Zeile „Евреи“, abgerufen am 6. Januar 2022.
- Кабузан В. М. Украинцы в мире динамика численности и расселения. 20-е годы XVIII века — 1989 год Форм. этн. и политических границ укр. этноса. Ин-т рос. истории РАН.. — Наука, 2006. — 658 с.
- Zensus 2001
- Paul Berger: Odessa Still Throbs With Jewish Life. In: The Forward, 21. Mai 2012, abgerufen am 28. Januar 2023.
- Sabine Adler: Jüdisches Leben im Postsozialismus – Rabbinerin in Odessa, Deutschlandfunk, 2. November 2018, abgerufen am 28. Januar 2023.