Geburtenrate
Die Geburtenrate (auch Geburtenziffer und in der Biologie Fortpflanzungsrate) ist in der Demografie eine Kennzahl, die in einem Staat die Anzahl der Lebendgeborenen pro Jahr bezogen auf 1000 Einwohner angibt. Im Gegensatz zur Geburtenrate wird die Fertilitätsrate pro Frau angegeben.
Berechnung
In der Bevölkerungsstatistik wird mit der Geburtenrate die Anzahl der Lebendgeborenen pro Jahr () und pro 1000 Einwohner () angegeben:
Die in der Weltstatistik führenden Staaten Niger und Mali weisen je 44 Lebendgeburten pro Jahr und pro 1000 Einwohner auf, so dass die Geburtenrate 44 ‰ oder 4,4 % bezogen auf die Einwohnerzahl beträgt.
Bedeutung
Die Geburtenrate zeigt, welchen Beitrag die Lebendgeburten auf die Bevölkerungsentwicklung eines Landes ausüben. Die Bevölkerungsentwicklung wird beeinflusst von der Geburtenrate, der Mortalität, der Lebenserwartung sowie der Zahl der Auswanderungen und Einwanderungen.
Die Geburtenrate und die Mortalität sind kurz- und langfristigen Veränderungen unterworfen. Im Modell des demografischen Übergangs (vor allem seit den 1970er Jahren) wird angenommen, dass es eine einheitliche Tendenz von hohen hin zu niedrigen Geburtenraten und Mortalität gibt. Diese Entwicklung hat den Abhängigenquotienten steigen lassen (der Anteil Älterer an der Bevölkerung hat zugenommen). Hohe Geburtenraten und Mortalität würden zu einem Steigen des Jugendquotienten führen.
Die deutliche Verringerung der Geburtenrate in vielen Ländern seit der zweiten Hälfte der 1960er Jahre hatte diverse Ursachen. Sie wurde von vielen einseitig der Einführung der Antibabypille zugeschrieben (siehe Pillenknick).
Unterscheidung
Die Fertilitätsrate als weitere Kennzahl gibt an, wie viele Kinder eine Frau durchschnittlich im Laufe ihres Lebens hätte, wenn die zu einem einheitlichen Zeitpunkt ermittelte altersspezifische Fertilitätsrate für den gesamten Zeitraum ihrer fruchtbaren Lebensphase gelten würden. Sie beruht auf der Geburtenrate und ist im Gegensatz zu dieser eine rein hypothetische Kennzahl.
Von der Geburtenrate abzugrenzen ist die durchschnittliche Anzahl von Kindern pro Frau im Verlauf des Lebens; in Deutschland steigt diese seit 2012 nach langer Abnahme wieder an und lag 2015 bei 1,5.[1]
Die Natalität ist ein Synonym zur Geburtenrate, der in der Demografie, Medizin und Philosophie hierfür verwendet wird.
Die Mortalität ist das Gegenstück zur Geburtenrate.
Wirtschaftliche Aspekte
Bereits Thomas Robert Malthus prognostizierte 1798 in seinem Bevölkerungsgesetz, dass die vom Menschen erzeugten Nahrungsmittel einem linearen Wachstum folgten, die Nahrungsmittelmenge erhöhe sich somit in gleichen Zeitabständen um den gleichen absoluten Betrag. Dagegen entwickele sich die Bevölkerungszahl mit geometrischem Wachstum (Zinseszinsformel), sie erhöhe sich mithin in gleichen Zeitabständen um gleichbleibende prozentuale Zuwächse. Mathematisch könne der Bodenertrag nur in arithmetischer Progression exponentiell ( usw.) wachsen, die Bevölkerung jedoch in geometrischer Progression ( usw.), mit der Folge von Hunger und Armut.[2] Er sah eine Malthusianische Katastrophe voraus, ein durch die Bevölkerungsexplosion ausgelöstes Hemmnis für das Wirtschaftswachstum.
Es wird geschätzt, dass um das Jahr 1650 die Weltbevölkerung bei etwa 500 Millionen Menschen lag, die Verdopplungszeit betrug damals 180 Jahre,[3] denn 1830 gab es 1 Milliarde Menschen weltweit. Im Jahre 1900 belief sich die Weltbevölkerung auf 1,6 Mrd. Personen bei einer Verdopplungszeit von 140 Jahren, 1970 war die Weltbevölkerung auf 3,6 Mrd. überexponentiell angewachsen, die Verdopplungszeit betrug lediglich noch 33 Jahre.[4] Eine Verdoppelung tritt mathematisch bei einer konstant bleibenden Geburtenrate von 1 % jährlich ceteris paribus alle 69,6 Jahre, bei 2 % alle 35 Jahre, bei 4 % alle 17,6 Jahre ein.[5] Niger und Mali verdoppeln somit ihre Einwohnerzahl alle 17,6 Jahre. Bei einem Rückgang auf 2,1 Geburten je Frau stabilisierte sich die Weltbevölkerung erst nach einer Verdoppelung im Jahr 2150.[6]
Das rasante Bevölkerungswachstum veranlasste die Volksrepublik China im Jahre 1980 zur nationalen Einführung der Ein-Kind-Politik, die zu einem drastischen Geburten- und auch einem Bevölkerungsrückgang beitrug. Von drei Kindern je Frau im Jahr 1980 fiel die Geburtenrate auf etwa 1,7 in 2008.[7] Andere bevölkerungsreiche Staaten ergriffen keine Maßnahmen und leiden weiterhin an Überbevölkerung. Hohe Geburtenraten korrelieren mit Armut, insbesondere Kinderarmut (demografisch-ökonomisches Paradoxon). Da gleichzeitig die Nahrungsmittelproduktion und die Wasservorräte nicht mit dem Bevölkerungswachstum vor allem in Entwicklungs- und Schwellenländern schritthalten können, nahmen und nehmen Hungerkatastrophen und Wasserknappheit weiter zu.
Statistik
Allgemein gilt weiterhin, dass die Geburtenraten in Entwicklungs- und Schwellenländern deutlich höher sind als in Industriestaaten.
Die folgende Statistik (Länder sortiert nach Kontinent) gibt einen Überblick über die Fertilitäts- und Geburtenraten im Jahre 2018:[8][9]
Land | Fertilitätsrate 2018 (Geburten pro Frau) | Geburtenrate 2017/2018 (Geburten pro 1000 Einwohner) |
---|---|---|
Niger | 7,15 | 44 |
Somalia | 6,12 | 40 |
Demokratische Republik Kongo | 5,96 | 34 |
Mali | 5,92 | 44 |
Tschad | 5,80 | 36 |
Angola | 5,55 | 44 |
Burundi | 5,45 | 41 |
Tunesien | 2,15 | 18 |
Osttimor | 5,34 | 33 |
Afghanistan | 4,56 | 38 |
Pakistan | 3,55 | 22 |
Israel | 3,04 | 18 |
Saudi-Arabien | 2,34 | 18 |
Indien | 2,24 | 19 |
China | 1,69 | 12 |
Taiwan | 1,15 | 8 |
Hongkong | 1,33 | 9 |
Südkorea | 1,11 | 8 |
Türkei | 2,08 | 16 |
Portugal | 1,24 | 9 |
Irland | 1,84 | 14 |
Frankreich | 1,85 | 12 |
Belgien | 1,72 | 11 |
Norwegen | 1,68 | 12 |
Niederlande | 1,66 | 11 |
Deutschland | 1,59 | 8,5 |
Schweiz | 1,54 | 11 |
Österreich | 1,53 | 10 |
USA | 1,78 | 13 |
Mexiko | 2,16 | 18 |
Honduras | 2,49 | 22 |
Guatemala | 2,83 | 24 |
Bolivien | 2,75 | 22 |
Paraguay | 2,45 | 17 |
Ecuador | 2,44 | 18 |
Brasilien | 1,74 | 14 |
Welt | 2,47 | 19,6 |
Die höchsten Geburtenraten gibt es weiterhin in Afrika, die niedrigsten weisen Taiwan und Südkorea auf. China rangiert mit einer niedrigen Geburtenrate auf Rang 156 (von 200 Ländern), Indien auf Rang 102. Deutschland liegt auf europäischem Durchschnitt (EU-28).
Die höchsten Geburtenraten in der EU wiesen 2017 Irland (12,9 Lebendgeburten/1000 Einwohner), Schweden (11,5), Vereinigtes Königreich und Frankreich (je 11,4) Tschechien (10,8 %), Slowakei/Lettland/Zypern (je 10,7), Dänemark/Polen (je 10,6) auf; im EU-Durchschnitt liegen Österreich (10,0) oder Deutschland (9,5). Am niedrigsten waren die Zahlen in Kroatien (8,9), Spanien/Portugal (je 8,4), Griechenland (8,2) und Italien (7,6).[10]
Literatur
- Literatur über Geburtenrate im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Geburtenentwicklung nach der Wende: Protokoll einer Tagung der Johann-Peter-Süßmilch-Gesellschaft für Demographie, herausgegeben von Sozialwissenschaftlichen Forschungszentrum Berlin-Brandenburg SFZ, durch Ingrid Kurz-Scherf und G. Winkler (= Umbruch, Band 14). am Turm, Berlin 1998, DNB 958073929.
- Johannes Kopp: Geburtenentwicklung und Fertilitätsverhalten, theoretische Modellierungen und empirische Erklärungsansätze, UVK, Konstanz 2002, ISBN 3-89669-969-5 (Habilitationsschrift Universität Mannheim 1999, 238 Seiten, Wissenschaftliche Abhandlung, die auch eine Erläuterung demographischer Größen enthält).
- Norbert Schuett: Endogenes Wachstum und Bevölkerungsentwicklung, Bielefeld 2005, DNB 978135245 Dissertation Uni Bielefeld Juli 2005, 175 Seiten, Betreuer: Alfred Greiner und Willi Semmler, online (PDF; 588 kB; 175 Seiten; kostenfrei)
- Mirjam Mohr: Die Mär von den aussterbenden Deutschen. In: Der Spiegel vom 23. August 2006
- Michael Blume, Carsten Ramsel, Sven Graupner: Religiosität als demographischer Faktor - Ein unterschätzter Zusammenhang? (PDF; 514 kB) – In: Marburg Journal of Religion (zum Zusammenhang von Kinderzahl und Bildung, Einkommen, Religiosität in Deutschland).
Weblinks
Einzelnachweise
- Statistisches Bundesamt: Pressemitteilung Nr. 373 vom 17. Oktober 2016
- Thomas Robert Malthus, An Essay on the Principle of Population, 1798/1924, S. 18
- Günter Fellenberg, Umweltbelastungen: Eine Einführung, 1999, S. 209
- Dennis Meadows/Donella Meadows/Erich Zahn/Peter Milling, Die Grenzen des Wachstums, 1972, S. 26
- Meyers Konversations-Lexikon: eine Encyklopädie des allgemeinen Wissens, Band 3, 1874, S. 107
- Bundeszentrale für Heimatdienst (Hrsg.): Aus Politik und Zeitgeschichte, 1994, S. 36
- Joachim Rau, Shanghai mit Suzhou & Hangzhou, 2010, S. 16
- World Population Review, Fertility Rate By Country, 2019 (Memento des vom 20. September 2019 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- CIA World Fact Book, January 2018 (Memento des vom 12. September 2009 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- Statista, Europäische Union: Geburtenraten in den Mitgliedsstaaten im Jahr 2017, August 2018 Abgerufen am 12. Mai 2019