Natriumthiosulfat

Natriumthiosulfat (Na2S2O3) ist das stabile Natriumsalz der in freiem Zustand instabilen Thioschwefelsäure.

Strukturformel
Strukturformel von Natriumthiosulfat
Allgemeines
Name Natriumthiosulfat
Andere Namen

Natriumhyposulfit (veraltet)

  • Natrium hyposulfurosum
  • SODIUM THIOSULFATE (INCI)[1]
Summenformel Na2S2O3
Kurzbeschreibung

farb- und geruchlose, salzig-bitter schmeckende Kristalle[2]

Externe Identifikatoren/Datenbanken
CAS-Nummer
PubChem 24477
Wikidata Q339866
Arzneistoffangaben
ATC-Code

V03AB06

Eigenschaften
Molare Masse
  • 158,11 g·mol−1 (wasserfrei)
  • 248,18 g·mol−1 (Pentahydrat)
Aggregatzustand

fest

Dichte
  • 1,729 g·cm−3 (Pentahydrat)[2]
  • 2,372 g·cm−3 (α–Polymorph)[3]
  • 2,336 g·cm−3 (α'–Polymorph)[3]
  • 2,180 g·cm−3 (β–Polymorph)[3]
  • 2,176 g·cm−3 (γ–Polymorph)[3]
Schmelzpunkt

45–50 °C (Pentahydrat)[2]

Siedepunkt

Zersetzung ab 300 °C[4]

Löslichkeit

gut in Wasser (701 g·l−1 bei 20 °C)[4]

Sicherheitshinweise
Bitte die Befreiung von der Kennzeichnungspflicht für Arzneimittel, Medizinprodukte, Kosmetika, Lebensmittel und Futtermittel beachten
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung[4]
keine GHS-Piktogramme

H- und P-Sätze H: keine H-Sätze
P: keine P-Sätze[4]
Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen.

Gewinnung und Darstellung

Natriumthiosulfat wird durch Erhitzen von fein verteiltem Schwefel in einer Natriumsulfitlösung unter Druck hergestellt:[2]

Alternativ kann das Natriumsulfit auch mit Natriumdisulfid umgesetzt[2]

oder durch Oxidation von Sulfiden und Polysulfiden synthetisiert werden.

Durch die Reaktion von schwefliger Säure mit Natronlauge, Schwefelwasserstoff und Schwefeldioxid entsteht ebenfalls Natriumthiosulfat:[5]

Eigenschaften

Natriumthiosulfat

Natriumthiosulfat bildet unter Normalbedingungen mit fünf Äquivalenten Kristallwasser farblose Natriumthiosulfat-Pentahydrat-Kristalle (Na2S2O3·5H2O), welche gut wasserlöslich sind. Beim Lösungsvorgang kühlt sich die Flüssigkeit stark ab, da die Hydratationsenthalpie kleiner ist als die Gitterenergie und die fehlende Wärmemenge dem System entzogen wird.

Die Pentahydrat-Kristalle haben einen Schmelzpunkt von 48,5 °C, die Schmelze kann unterkühlt werden und gibt beim Erstarren eine große Menge von Kristallisationsenthalpie ab.

Wasserfreies Natriumthiosulfat tritt in vier polymorphen Kristallformen auf.[3] Die bei Raumtemperatur stabile α–Form kristalliert in einem monoklinen Kristallgitter. Bei 330 °C wandelt sie sich in die trikline β–Form um. Diese bildet beim weiteren Erhitzen bei 388 °C eine kubische γ–Form. Alle Phasenübergänge sind reversibel und die Formen stehen enantiotrop zueinander. Eine metastabile orthorhombische α'–Form kann durch die Dehydratisierung des Pentahydrats oder Abkühlung der β–Form erhalten werden. Diese wandelt sich um 155 °C exotherm in die α–Form um und steht somit monotrop zu dieser. Die γ–Form zersetzt sich ab 444 °C in einer exothermen Reaktion zu Natriumsulfat und Natriumpentasulfid.[3]

Wird zur wässrigen Natriumthiosulfat-Lösung Säure hinzugefügt, so scheidet sich nach kurzer Zeit Schwefel in Form einer gelblichen Trübung aus. Die freigesetzte, instabile Thioschwefelsäure (H2S2O3) zerfällt nämlich rasch zu Schwefel und Schwefeldioxid:

Natriumthiosulfat ist ein Reduktionsmittel und reagiert daher leicht mit dem Oxidationsmittel Kaliumpermanganat.

Verwendung

Technisch

Natriumthiosulfat dient in der Analogfotografie als Fixiersalz. Die wasserunlöslichen Silberhalogenide (AgCl, AgBr) werden durch eine Fixiersalzlösung aufgelöst. Durch die Bildung des wasserlöslichen Natriumdithiosulfatoargentat(I)-Komplexes wird der entwickelte Film lichtunempfindlich:

Im Bergbau dient dieselbe Reaktion zur Extraktion von Silberchlorid aus Silbererzen. In der Galvanotechnik wird Natriunthiosulfat zur Herstellung von Gold- und Silberbädern verwendet.

Natriumthiosulfat dient als Antichlor zum Beenden von Bleich- oder Desinfektionsprozessen mit Chlor. Dabei wird das Chlor zu Chlorid (bzw. Salzsäure) reduziert, und es entsteht Hydrogensulfat:[6]

Im Chemielabor muss bei der Handhabung von Brom ausreichend Thiosulfatlösung bereitgehalten werden, um eventuelle Kontaminationen zu beseitigen.[7] Die Reaktion verläuft analog zum Chlor.

In der Analytischen Chemie wird es in der Iodometrie z. B. zur Bestimmung der Iodzahl verwendet. Dabei wird Thiosulfat zu Tetrathionat oxidiert:[6][8]

.

Natriumthiosulfat-Pentahydrat wird in sogenannten Wärmekissen eingesetzt. Durch das Biegen eines Metallplättchens entsteht ein Kristallisationskeim, der die exotherme Kristallisation auslöst. Die Regeneration des Kissens erfolgt durch Erwärmen in kochendem Wasser, wobei die Kristalle wieder geschmolzen (gelöst) werden.

Medizinisch

Eine Verwendung von Natriumthiosulfat in der Medizin ist die Therapie von Cyanidvergiftungen. Dazu wird das Natriumthiosulfat intravenös injiziert.[9] Aus dem Cyanid wird weniger gefährliches Thiocyanat gebildet.

Im Rahmen von Studien erfolgt die Anwendung von Thiosulfat zur Verhinderung von Hörverlusten, die im Rahmen einer cisplatinhaltigen Chemotherapie speziell bei Kindern auftreten können.[10] Im März 2023 empfahl die europäische Arzneimittelagentur die Zulassung eines Natriumthiosulfat-Präparates zur Vorbeugung der durch eine Cisplatin-Chemotherapie ausgelösten Ototoxizität bei Kindern mit soliden Tumoren.[11]

Einzelnachweise

  1. Eintrag zu SODIUM THIOSULFATE in der CosIng-Datenbank der EU-Kommission, abgerufen am 28. Dezember 2020.
  2. Eintrag zu Natriumthiosulfat. In: Römpp Online. Georg Thieme Verlag, abgerufen am 15. März 2021.
  3. Heike von Benda, Klaus von Benda: Zur Polymorphie des Na2S2O3 in Z. Naturforsch. 34B (1979) 957–968, pdf.
  4. Eintrag zu Natriumthiosulfat in der GESTIS-Stoffdatenbank des IFA, abgerufen am 20. Dezember 2019. (JavaScript erforderlich)
  5. Wolfram Felber, Claus Räthe: Laborpraxis für Chemieberufe. 1. Auflage. VEB Deutscher Verlag für Grundstoffindustrie, Leipzig 1987, ISBN 3-342-00163-1, S. 317 f.
  6. A. F. Holleman, E. Wiberg, N. Wiberg: Lehrbuch der Anorganischen Chemie. 101. Auflage. Walter de Gruyter, Berlin 1995, ISBN 3-11-012641-9, S. 594.
  7. Eintrag zu Brom in der GESTIS-Stoffdatenbank des IFA, abgerufen am 12. Februar 2024. (JavaScript erforderlich)
  8. A. F. Holleman, N. Wiberg: Anorganische Chemie. 103. Auflage. 1. Band: Grundlagen und Hauptgruppenelemente. Walter de Gruyter, Berlin / Boston 2016, ISBN 978-3-11-049585-0, S. 670 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  9. Natriumthiosulfat. In: Fachinformation. Dr. Franz Köhler Chemie, Alsbach 2006.
  10. Penelope R. Brock, Rudolf Maibach, Margaret Childs, Kaukab Rajput, Derek Roebuck: Sodium Thiosulfate for Protection from Cisplatin-Induced Hearing Loss. In: New England Journal of Medicine. Band 378, Nr. 25, 21. Juni 2018, S. 2376–2385, doi:10.1056/nejmoa1801109.
  11. Pedmarqsi: Pending EC decision – European Medicines Agency. In: ema.europa.eu. 30. März 2023, abgerufen am 6. April 2023 (englisch).
This article is issued from Wikipedia. The text is licensed under Creative Commons - Attribution - Sharealike. Additional terms may apply for the media files.