Fettecke

Die Fettecke war ab 1963[1] ein gestalterisches Element im Schaffen des deutschen Künstlers Joseph Beuys. In besonderer Weise erregte der Prozess um eine 1986 aus Beuys’ Atelier entfernte Fettecke öffentliches Aufsehen und machte diese zu einer der bekanntesten Arbeiten des Künstlers.

Fettecke
Joseph Beuys, 1982

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Fett und Fettecken im Werk von Joseph Beuys

Fettstuhl
Joseph Beuys, 1963
Holz, Wachs und Metall
Hessisches Landesmuseum, Darmstadt

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Joseph Beuys setzte ab 1958 Fett in seiner Kunst ein.[2] Der Stuhl mit Fett, 1963[3] ist eines von Beuys’ prominenten Werken.[4] Dazu erklärte er später: „Das Fett nimmt den Weg von einer chaotisch zerstreuten, energieungerichteten Form zu einer Form. Dann tritt es auf in der berühmten Fettecke.“[1] Als Fotografie erhalten ist eine Fettecke mit Filter, 1963 in seiner Atelierwohnung am Drakeplatz.[3] In Der Chef THE CHIEF (1964) und EURASIENSTAB (1967) präparierte Beuys Ecken der Räume, in denen die Aktionen stattfinden sollten, vorab mit Fett.[5] Den ansonsten leeren Luzerner Fettraum 1969 versah er mit acht Fettecken.[3]

Fett war wichtiges Element auch in den Aktionen und in uns… unter uns … landunter (1965), MANRESA (1966), Vakuum ↔ Masse (1968) und Honigpumpe am Arbeitsplatz (1977).[5] Die monumentale Skulptur Unschlitt/Tallow (1977) wurde aus großen Blöcken in flüssigem Zustand gegossenen Fetts geschnitten. Für Beuys hatte Fett Bedeutung als Wärme speicherndes Material, das „den Wärmecharakter [der Plastik] am besten demonstriere.“[1]

1982 erklärte Beuys: „(…) die Sachen mit Fett erheben einen großen Anspruch auf Theorie. Und diese Theorie ist natürlich vielleicht nicht immer da, wenn Menschen im Museum so eine experimentelle Anordnung sehen.“[6]

Skandal um eine entfernte Fettecke

Ereignisse 1982/1986

Joseph Beuys hatte am 28. April 1982 in einer Ecke seines Ateliers Raum 3 im Hauptgebäude der Düsseldorfer Kunstakademie ca. zwei Meter unterhalb der Decke fünf Kilogramm Butter[7] angebracht. Anlass der Installation waren der für den darauffolgenden Tag vorgesehene Empfang von Lama Sogyal Rinpoche, dem Bevollmächtigten des Dalai Lamas in Europa, und ein Seminar der von ihm mitgegründeten Free International University.[8][9] In der Folgezeit diente die Plastik „als ständiges Demonstrationsobjekt“.[10]

Der Hausmeister der Kunstakademie Düsseldorf[11] entfernte 1986 das Fett, etwa neun Monate nach Beuys’ Tod.[12] Johannes Stüttgen entdeckte am 9. Oktober 1986 „die völlig zerstörte Fettecke“ in einem großen Abfalleimer der Kunstakademie und konservierte sie unter der Bezeichnung „Reste einer staatlich zerstörten Fettecke“. Er beanspruchte das Eigentum an dem Werk, da Beuys seine Kunstaktion mit den Worten „Johannes, jetzt mache ich dir endlich deine Fettecke“ begonnen habe. Es kam zu einem Prozess, bei dem insbesondere sachenrechtliche Fragen der Übereignung, der Verbindung mit einem Grundstück und der Verarbeitung (§§ 929 ff., §§ 946 ff. und § 950 BGB) eine Rolle spielten.[13] Das Land Nordrhein-Westfalen zahlte an Stüttgen in einem Vergleich in zweiter Instanz 40.000 DM Schadensersatz.

Es war der zweite Fall, in dem ein Kunstwerk von Beuys nicht als solches erkannt und zerstört wurde. Bereits am 3. November 1973 war bei einem geselligen Abend im SPD-Ortsverein Leverkusen-Alkenrath eine mit Heftpflaster und Mullbinden versehene Badewanne gereinigt und zum Gläserspülen verwendet worden („Joseph Beuys’ Badewanne“). Auch in diesem Fall wurde ein Schadensersatz (58.000 DM)[14] gezahlt. Dieses Ereignis war Vorlage einer Fernsehwerbung für das Putzmittel Ata und wird häufig mit der Zerstörung der Fettecke verwechselt.[15][16]

Die Ereignisse um die Fettecke machte dieses Werk zu einer der bekanntesten Arbeiten des Künstlers. Die Arbeit wirkte provozierend auf einen großen Teil der Gesellschaft und führte zu Kontroversen über die Frage, was als Kunst angesehen werden könne.

Destillation der Überreste 2014

Die etwa 2 kg schweren Überreste der Fettecke aus dem Besitz von Johannes Stüttgen wurden am 19. Juli 2014 im Rahmen der Performance Geist durch eine „Transformation“ endgültig zerstört: Das Bremer Künstlerduo Korpys/Löffler und Dieter Schmal brannten die Überreste mittels einer Apothekerdestille zu einem hochprozentigen Schnaps. Anschließend verkosteten sie das geistige Getränk, das geschmacklich an Parmesan erinnern soll. Die Kunstaktion fand parallel zu der Ausstellung Kunst und Alchemie im Museum Kunstpalast in Düsseldorf statt.[17][18][19][20]

Durch die Verwandlung in ein „liquides Dokument“ wurde nach Ansicht der Kuratorin der „entwurzelte, konfliktbehaftete Beuys’sche Eingriff auf seine Essenz“ verdichtet. Darin sei auch ein „spezifischer Umgang“ mit den „Geistern der Vergangenheit“ zu sehen. Die Destille selbst liefere hierbei ein „bestechendes Bild“ von Beuys’ Theorie der Plastik.[21] Das Destillat wird als weiteres Kunstwerk ausgestellt.

Beuys’ Witwe Eva verurteilte die Aktion als „unglaubliche Unverschämtheit“ und beauftragte den Anwalt Peter Raue mit der Prüfung, ob Urheberpersönlichkeitsrechte ihres verstorbenen Gatten verletzt wurden.[22] Heiner Bastian, früher Privatsekretär von Beuys, ließ aus Protest gegen die Aktion seinen „Beuys-Ofen“ aus der laufenden Ausstellung entfernen.[23] Der Streit zwischen Eva Beuys und dem Kunstmuseum wurde dadurch beigelegt, dass das Etikett auf dem ausgestellten Glasgefäß, das das Schnaps-Destillat enthält, geändert wurde: statt „Joseph Beuys, Reste einer staatlich zerstörten Fettecke“ nunmehr „Geist. Reste der zerstörten Fettecke von Joseph Beuys (1982, Raum 3, Staatliche Kunstakademie Düsseldorf. Edition 1–16, Korpys/Löffler/Schmal 2014, 50 Vol)“.[24]

Rezeption

Literatur

  • Johannes AmEnde, Joseph Beuys: Joseph Beuys und die Fettecke: eine Dokumentation zur Zerstörung der Fettecke in der Kunstakademie Düsseldorf, Edition Staeck, Heidelberg 1987, ISBN 3882430893
  • Richard, Junker: Die zerstörte Fettecke, LG Düsseldorf, NJW 1988, 345, JuS 1988, 686
  • Schäfer: Noch einmal: Die zerstörte Fettecke, LG Düsseldorf, NJW 1988, 345, JuS 1989, 443
  • Louwrien Wijers: Schreiben als Plastik. 1978–1987. Ernst & Sohn /Academy Editions, Berlin/London 1992, ISBN 3-433-02900-8
  • Barbara Kahlert, Rolf Spilker, Margret Baumann: Die Putzfrau. Vom Dienstmädchen zur Raumpflegerin. Ausstellungskatalog, Museum Industriekultur Osnabrück, Rasch Verlag, Bramsche 2008, ISBN 978-3-89946-112-1, S. 104

Einzelnachweise

  1. Heiner Stachelhaus: Joseph Beuys. Heyne, München 1993, ISBN 3-453-03399-X, S. 91–94
  2. Susanne Willisch, Bruno Heimberg (Hrsg.): Joseph Beuys. Das Ende des 20. Jahrhunderts. Die Umsetzung vom Haus der Kunst in der Pinakothek der Moderne München. Schirmer/Mosel, München 2007 (Doerner Institut; Bayerische Staatsgemäldesammlungen), S. 359.
  3. Lothar Schirmer (Hrsg.), Alain Bohrer (Einf.): Joseph Beuys. Eine Werkübersicht, 1945–1985. Schirmer/Mosel, München/Paris/London 1996, ISBN 3-88814-810-3, darin Abb. 83 - Stuhl mit Fett, Abb. 103 - Luzerner Fettraum, Abb. 68 - Fettecke mit Filter.
  4. Johannes Stüttgen in einem Interiew: „Ja, ist das bekannteste, so ähnlich, wie die Mona Lisa bei Leonardo.“ (Archivierte Kopie (Memento des Originals vom 9. Januar 2016 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.omnibus.org, S. 109)
  5. Uwe M. Schneede: Joseph Beuys. Die Aktionen, Kommentiertes Werkverzeichnis mit fotografischen Dokumentationen. Verlag Gerd Hatje, Ostfildern-Ruit 1994, ISBN 3-7757-0450-7
  6. Interview mit dem Südwestfunk (SWF1) am 25. Juli 1982
  7. Ein Gutachten des Restaurierungszentrums der Landeshauptstadt Düsseldorf ergab, dass es sich bei der Butter um sogenannte Winterbutter handelte. – Vgl. Heftiger Streit über Fettecken-Schnaps (Memento vom 5. April 2016 im Internet Archive). Artikel vom 23. Juli 2014 im Portal wz-net.de, abgerufen am 5. April 2016
  8. Susanne Anna (Hrsg.): Joseph Beuys, Düsseldorf, Hatje Cantz, Stadtmuseum Düsseldorf, 29. September bis 30. Dezember 2007, Ostfildern 2008, S. 180
  9. Johannes Stüttgen: DIE FETTECKE. In: Louwrien Wijers: Schreiben als Plastik. 1978–1987. Ernst & Sohn /Academy Editions, Berlin/London 1992, S. 163
  10. Roland Kirbach: Kunst im Eimer. Artikel vom 6. November 1987 im Portal zeit.de, abgerufen am 22. Juli 2014
  11. Beuys' zerstörte Fettecke (LG / OLG Düsseldorf) (Memento vom 14. April 2010 im Internet Archive) von RA Prof. Dr. Klaus Sakowski
  12. Ein Artikel der TAZ vom 28. Juni 2006 datiert die Zerstörung der Fettecke noch etwas genauer auf „neun Monate nach dem Tod des Künstlers“.
  13. Jan Wilhelm: Sachenrecht. De Gruyter Handbuch. Walter de Gruyter, Berlin/New York 2010, ISBN 978-3-89949-708-3, S. 455, Randnummer 1077 (online)
  14. Helmut Friedel, Lothar Schirmer (Hrsg.): Joseph Beuys im Lenbachhaus und Schenkung Lothar Schirmer. S. 43.
  15. Harald Keller: Wenn Putzfrauen im Museum wüten. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 18. März 2008, Nr. 66, S. 40
  16. Video der Werbung für ATA
  17. Künstler brennen Reste von Beuys-Fettecke zu Schnaps (Memento vom 29. Juli 2014 im Internet Archive). Artikel vom 22. Juli 2014 im Portal monopol-magazin.de, abgerufen am 24. Juli 2014
  18. Aus einer Beuys-Fettecke wird Schnaps, welt.de, 23. Juli 2014, abgerufen am 24. Juli 2014
  19. Kunstaktion in Düsseldorf: Künstler brennen Fettecke von Joseph Beuys zu Schnaps, spiegel.de, abgerufen am 22. Juli 2014
  20. Thomas Hag: Kunstvolles Mandala aus Obst und Bier. Artikel vom 21. Juli 2014 im Portal rp-online.de, abgerufen am 24. Juli 2014
  21. Stefanie Böttcher: Geist – Korpys/Löffler & Dieter Schmal: Destillation und Degustation der Reste einer staatlich zerstörten Fettecke von Joseph Beuys (19. Juli 2014) (Memento vom 6. Oktober 2014 im Internet Archive), PDF im Portal smkp.de (Stiftung Museum Kunstpalast), abgerufen am 24. Juli 2014
  22. Streit über Fettecken-Schnaps landet beim Anwalt. Artikel vom 24. Juli 2014 im Portal rp-online.de, abgerufen am 24. Juli 2014
  23. Annette Bosetti: Der Beuys-Raum ist nicht mehr komplett. Artikel vom 26. Juli 2014 im Portal rp-online.de, abgerufen am 28. Juli 2014
  24. Fettecken-Schnaps-Streit beendet: Etikett geändert. Artikel vom 1. August 2014 im Portal rp-online.de, abgerufen am 1. August 2014
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