Factory Berlin
Factory Berlin ist ein Bürocampus auf dem Gelände der ehemaligen Oswald Berliner Brauerei in der Rheinsberger Straße 76/77 im Berliner Ortsteil Mitte. Er wurde um den historischen Gebäudekomplex einer Weizenbier-Brauerei aus dem 19. Jahrhundert entwickelt. Der Entwurf stammt von dem Berliner Architekten Julian Breinersdorfer, Schüler von Zaha Hadid.
Factory Berlin | |
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Factory Berlin, Ostfassade | |
Daten | |
Ort | Berlin |
Baumeister | unbekannt (19. Jh.) Julian Breinersdorfer (21. Jh.) |
Baujahr | 1869 Totalerneuerung 2012–2014 |
Grundfläche | 10.000 m² |
Koordinaten | 52° 32′ 12,5″ N, 13° 23′ 41,5″ O |
Die Gebäude wurden nach langzeitigem Leerstand im 21. Jahrhundert komplett saniert und unter neuem Namen 2014 wieder eröffnet. Seitdem sind bekannte Start-up-Unternehmen und Konzerne dort Mieter. Die Firmen kooperieren als Inkubatoren für andere, kleinere Start-ups. Das Angebot umfasst Arbeitsplätze, Netzwerke, Beratungen und andere Unterstützung auf dem Factory Campus. Factory nennt dieses Modell Organic acceleration.[1]
Geschichte der Gebäude
Die (Erste) Oswald-Berliner-Weizenbier-Brauerei wurde um 1869 von dem jüdischen Unternehmer Oswald Berliner aus dem heute polnischen Breslau in der Brunnenstraße 112–114 eröffnet; er selbst wohnte im Nachbarhaus Brunnenstraße 111.[2]
Die Gebäude sind ein Beispiel für den Berliner Backsteinexpressionismus und eines der ersten Stahlbetonbauten in der Stadt. Der Namenszusatz Erste zeigt an, dass in dieser Einrichtung wahrscheinlich das erste Weizenbier Berlins gebraut wurde.
Zum Beginn waren für die Wärmeerzeugung, möglicherweise auch zum Antrieb von Generatoren, Dampfmaschinen im Einsatz.[3] Ein im Internet aufgefundenes Emailleschild zeigt das Logo der Brauerei.[4]
Im Jahr 1896 warb der Brauer auf der Berliner Gewerbeausstellung mit dem hier gezeigten Schild. Der Brauereibesitzer starb im Jahr 1900 und wurde auf dem Jüdischen Friedhof in Weißensee beigesetzt.[5][6]
Zu Beginn der 1940er Jahre war die Schlesische Malzfabrik AG Eigentümerin des Brauereiensembles. Im Haus Nummer 140 wohnte ein Verwalter und es beherbergte eine Gastwirtschaft.[7]
Die Brunnenstraße führt in Südost-Nordwest-Richtung vom Rosenthaler Platz bis zum Gesundbrunnen, wo sie sich als Badstraße fortsetzt. Der Brauereistandort befand sich kurz vor der Kreuzung mit der Bernauer Straße und lag zur Zeit der Berliner Teilung (1949–1989) im Grenzstreifen, auf dem im Jahr 1961 die Berliner Mauer errichtet wurde.
Die Kellergewölbe dienten während des Zweiten Weltkriegs als Luftschutzräume. Diese wurden im April 1946 von den Sowjetischen Truppen gesprengt, übrig blieben beschädigte Fabrikräumlichkeiten. Nach dem Abriss in der Nähe stehender Wohnhäuser infolge des Mauerbaus an der Bernauer Straße ließ die DDR die vorhandenen oder entstandenen Hohlräume mit der Abbruchmasse verfüllen. Dies sollte vor allem das Untergraben des Mauerstreifens an dieser Stelle verhindern, denn zwei Tunnel unter der Bernauer Straße waren schon erfolgreich gegraben und zur Flucht genutzt worden (Tunnel 29 und Tunnel 57).[8] Die beschädigten Fabrikgebäude blieben stehen, wurden allerdings auch nicht genutzt.
Nach dem Abriss der Berliner Mauer wurden ihre baulichen Reste und Standorte zur Gedenkstätte Berliner Mauer zusammengefasst. So sind die Braukellergewölbe unter dem Grundstück erhalten geblieben und gehören zum Ensemble der Gedenkstätte. In den 1990er Jahren zogen einige Kleingewerbetreibende in die Räume. Doch bald ließ der Berliner Senat die Gebäude richtig instand setzen, die Standsicherheit verbessern und stellte sie unter Denkmalschutz. Bei diesen Arbeiten wurden viele historische Elemente beseitigt oder überdeckt.
Um eine effektivere Nutzung zu erreichen, wurde eine denkmalgerechte Sanierung vorgenommen. Dabei wurden zusätzliche Etagen aufgesetzt, die sich baulich deutlich von den historischen Bauteilen absetzen sollten. Bei den dreijährigen Baumaßnahmen (2011–2014) wurden die historischen Fassaden wieder freigelegt und aufgefrischt.[9] Im Ergebnis erhielt das Bauensemble den neuen Namen Factory Berlin, gegründet von Udo Schloemer und Simon Schäfer,[1][10][11] und erinnert damit auch an die Anfänge der Bauten als Fabrik.
Als Kuriosum wurde im freigelegten Keller der Brauerei durch den Verein Berliner Unterwelten ein Fluchttunnel in Originalgröße nachgebaut: er ist zwölf Meter lang und Teil der Gedenkstätte Berliner Mauer.[12][13] Die Factory Berlin ist Teil des Kulturdenkmals Berliner Mauer.[14]
Die Factory eröffnete am 11. Juni 2014.[15] Eric Schmidt, der Executive Chairman von Google und der Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit waren die Redner bei der Eröffnungsfeier. Beide hoben die Relevanz der Factory für die Ansiedlung neuer Industrien in Berlin hervor.[16]
Bei der Sanierung wurden auf freigelegten Ziegelstein-Oberflächen eingeschlagene Zeichen (Ziegelzeichen oder Ziegelstempel) gefunden: C. F. G. Rathenow und Sänger Bergzow bei Rathenow. Sie weisen auf den Herstellungsort der Backsteine hin.[17]
Nutzung
Die Mischung von großen Unternehmen wie Twitter und Google mit kleinen Start-ups in einem Gebäude war bei Eröffnung ein neuartiges Konzept. Durch die Nutzung gemeinsamer Flächen und Veranstaltungen sollen kleine Unternehmen durch Wissenstransfer und Netzwerkbildung unterstützt werden.[18] Darüber hinaus entstehen vielfältige Formen der Zusammenarbeit mit anderen Start-ups in Berlin und in Europa. Im Februar 2019 wird die Kooperation mit 3000 Unternehmen aus 70 Ländern auf der Website der Factory berichtet.[1]
Mieter
- (alphabetisch, Stand: Anfang 2019)
Ambivation, CareerFoundry, dataArtisans, easybooking.at, Edition F, Freeletics.com, GoButler, Google, JMES Investments, Kenkou, Limemakers, Lufthansa Innovation Hub, Merisier, NBT, Ohlala.com, Pfleglisoft, Proacda, Teamleader, TheNewMotion, phonedeck, relayr, SoundCloud, Uber, unu motors, versus.com, welobby, Zendesk
Zu den ehemaligen Mietern zählen das Humboldt Institute for Internet and Society, Iconpeak, KPMG, Mentor, Mozilla, MyFitnessPal, One Spark, Refined Invest, Run a Shop, Silicon Allee, TapTalk, Toast, Twitter, Urlist, Views, Wunderlist, Tim Raue und verschiedene Künstler.
Standorte
Mitgründer der Factory Berlin ist Simon Schaefer, der sich besonders um die Gründung bzw. Ansiedlung weiterer Factorys nach dem Mischnutzungskonzept in anderen Ländern bemüht.[19] Das erste Projekt wird seit 2017 in Lissabon im Stadtteil Beato realisiert.[20][21]
Die umgekehrte Zielstellung, weitere Firmen an die Factory Berlin zu holen (Expansion in Berlin) wird von Mitgründer Udo Schloemer wahrgenommen.
Seit 2017 hat die Factory Berlin eine Niederlassung in Berlin-Kreuzberg am Görlitzer Park eröffnet.[22] Seit 2021 gibt es eine Factory in Hamburg.[23]
Weblinks
- Website Factory Berlin
- Website
- Auf Brauschau. Bei: Tagesspiegel Online, 1. April 2012. Beschreibt ein Buch über die Standorte aller Berliner Brauereien zum Anfang des 20. Jahrhunderts und zeigt z. B. auch ein Gruppenfoto von Mitarbeitern der Oswald-Berliner-Brauerei. Abgerufen am 7. Februar 2022.
Einzelnachweise
- Website der Factory Berlin: A brief history, abgerufen am 4. März 2019.
- Breslauer (Erste) Weizenbierbrauerei > Brunnenstraße. In: Berliner Adreßbuch, 1876, I, S. 106.
- Datenblatt der früheren Mannheimer Firma Kraft- und Dampfmaschinen Albert Gieselher aus dem Jahr 1900, die die Brauerei mit dem Erzeugnis einer Augsburger Firma 1889 beliefert hat. Hier ist die Adresse bereits Brunnenstraße 141–143; abgerufen am 4. März 2019.
- Oswald-Berliner Biere, Firmenschild; schwarz/gelb. Abgerufen am 4. März 2019.
- Förderverein Jüdischer Friedhof Berlin Weissensee I Grabstätten (Plan-Nr. 33–47). Archiviert vom (nicht mehr online verfügbar) am 24. Mai 2020; abgerufen am 19. Februar 2021. Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- Wie das Bauhaus nach Berlin kam. In: Berliner Morgenpost. 27. Januar 2019, abgerufen am 19. Februar 2021.
- Brunnenstraße 140–143 > Schlesische Malzfabrik AG. In: Berliner Adreßbuch, 1943, IV, S. 118 (Nr. 140 Verwalter (A. Rost), Gastw. (E. Hanka)).
- Berliner Unterwelten: Geschichte. Abgerufen am 1. März 2019.
- The Factory Berlin / Julian Breinersdorfer Architecture. 13. August 2014, abgerufen am 1. März 2019 (amerikanisches Englisch).
- Die schönsten Co-Working-Spaces. In: Berliner Akzente. 30. November 2017, ehemals im (nicht mehr online verfügbar); abgerufen am 19. Februar 2021. (Seite nicht mehr abrufbar. Suche in Webarchiven)
- Daniel Krüger: Factory: Berliner Start-up-Campus bekommt Konkurrenz. In: Die Welt. 8. Februar 2016 (welt.de [abgerufen am 19. Februar 2021]).
- Hier wird eine touristische Tour im Berliner Untergrund beschrieben, (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im April 2023. Suche in Webarchiven) Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. auf handelsblatt.com; abgerufen am 4. März 2019.
- Foto des nachgebauten Tunnels im ehemaligen Brauereikeller.
- Kulturdenkmal Berliner Mauer; hier: Brunnenstraße 138, 139, 140
- Mozilla And SoundCloud In Berlin Startup Hub, 2012.
- Gründerszene
- Ziegelzeichen, Fundort ehemalige Oswald-Berliner-Brauerei, abgerufen am 4. März 2019.
- Jonas Rest: Internet-Campus Factory. Berlin hat nun eine Internet-Fabrik in Mitte. 10. Juni 2014, abgerufen am 1. März 2019 (deutsch).
- Factory-Aufteilung
- Der Entwurf stammt wieder von dem Berliner Architekten Julian Breinersdorfer. Das Start up Hub Builder Factory plant einen gigantischen neuen Campus in Lissabon.
- Mike Butcher: Startup hub builder Factory plans gargantuan new campus in Lisbon. In: TechCrunch. 25. Juli 2017, abgerufen am 16. Dezember 2022 (amerikanisches Englisch).
- So sieht die neue Factory in Kreuzberg aus (Memento des vom 6. März 2019 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- Zukunftsort für Innovation: Factory Hammerbrooklyn eröffnet, Hamburg-News, abgerufen am 2. September 2021.