Expertenrat für Klimafragen
Der Expertenrat für Klimafragen, kurz ERK, auch Klimarat, ist ein auf Basis des deutschen Bundes-Klimaschutzgesetzes (KSG) im August 2020 eingerichtetes Gremium mit Sitz in Berlin.[1] Es prüft die vom Umweltbundesamt vorgelegten Emissionsdaten und legt der Bundesregierung und dem Deutschen Bundestag eine Risikobewertung der veröffentlichten Daten vor.
Vorbilder für den deutschen Klimarat auf Bundesebene sind Beratungsgremien im Rahmen der Klimaschutzgesetze auf Ebene der Bundesländer und das Committee on Climate Change in Großbritannien. Das britische Gremium hat jedoch eine herausgehobene Rolle im dortigen Klimaschutzrecht: Es erstellt zentrale Fortschrittsberichte zur Evaluierung der CO2-Budgets und zur Erreichung der Klimaschutzziele. Der Expertenrat in Deutschland hat diese Kompetenzen nicht.[2][3]
Aufgaben
Der Expertenrat soll insbesondere die jährlichen Ziele der Bundesregierung zum Klimaschutz auf Ebene einzelner Wirtschaftssektoren prüfen. Die Aufgaben des Expertenrats sind in § 12 KSG festgelegt. Demnach:
- prüft das Gremium die vom Umweltbundesamt vorgelegten Emissionsdaten und legt der Bundesregierung und dem Bundestag eine Bewertung der veröffentlichten Daten vor,
- prüft der Expertenrat Annahmen zur Treibhausgasreduktion, die den von der Bundesregierung geplanten Sofortmaßnahmen zugrunde liegen, mit denen sie nach § 8 KSG auf Überschreitungen der Jahresemissionsmengen reagieren will,
- nimmt er Stellung zu Annahmen über die Minderung von Treibhausgasemissionen, die von der Bundesregierung geplanten Änderungen der Jahresemissionsmengen der Sektoren, Fortschreibungen des Klimaschutzplans und Beschlüssen von Klimaschutzprogrammen zugrunde liegen,
- legt er, beginnend 2022, alle zwei Jahre Bundestag und -regierung ein Gutachten vor, das sogenannte Zweijahresgutachten; das Gutachten berichtet, wie sich die deutschen Treibhausgasemissionen entwickelt haben und inwiefern sich die deutsche Klimapolitik eignet, die im KSG festgeschriebenen Klimaziele zu erreichen,
- kann er von Bundesregierung oder Bundestag mit der Erstellung von Sondergutachten beauftragt werden.
Weiter reichende Befugnisse, etwa die Prüfung des Klimaschutzberichtes der Bundesregierung, die im Referentenentwurf des KSG noch vorgesehen war, wurden vom Klimakabinett der Regierung nicht in die Endfassung des KSG aufgenommen.[5] Damit bleiben die Befugnisse des Klimarates hinter denen ähnlicher Gremien zurück, wie etwa denen des britischen Committee on Climate Change, das laut Begründung des KSG Vorbild für den Expertenrat sein sollte.[3] Wesentliche Aufgabe des Rates bleibt damit, so die Umweltjuristin Juliane Albrecht, die Prüfung der Emissionsdaten nach § 12 Abs. 1 KSG.[5] Die Daten werden vom Umweltbundesamt nach § 5 Abs. 1 und 2 KSG jährlich bis spätestens Mitte März erstellt und dem Rat übersandt, der Expertenrat legt der Bundesregierung und dem Deutschen Bundestag dann innerhalb eines Monats eine Bewertung der Daten vor. Zu diesen Emissionsdaten gehören die Treibhausgase, die § 2 KSG als Kohlendioxid (CO2), Methan (CH4), Distickstoffoxid (N2O), Schwefelhexafluorid (SF6), Stickstofftrifluorid (NF3) sowie teilfluorierte Kohlenwasserstoffe (HFKW) und perfluorierte Kohlenwasserstoffe (PFKW) definiert.
Anlässlich der erstmaligen Einberufung des Gremiums im August 2020 sagte die in den Expertenrat berufene Brigitte Knopf: „Es reicht nicht, beim Kampf gegen die Erderwärmung nur Ziele zu beschließen. Ziele müssen auch mit Maßnahmen unterlegt werden. Der Expertenrat wird jährlich schauen, ob sie ausreichen.“[6]
Laut Brigitte Knopf sei es Ziel des Rats, eine Grundlage für die Debatte anzubieten.[7]
Zusammensetzung
Die Zusammensetzung ergibt sich aus § 11 Abs. 1 KSG: „Es wird ein Expertenrat für Klimafragen aus fünf sachverständigen Personen verschiedener Disziplinen eingerichtet. Die Bundesregierung benennt für die Dauer von fünf Jahren die Mitglieder, davon jeweils mindestens ein Mitglied mit hervorragenden wissenschaftlichen Kenntnissen und Erfahrungen aus einem der Bereiche Klimawissenschaften, Wirtschaftswissenschaften, Umweltwissenschaften sowie soziale Fragen.“ Der Expertenrat als Ganzes soll Fachkenntnis für die von Minderungszielen des KSG erfassten Sektoren „abbilden“, also für Energiewirtschaft, Industrie, Verkehr, Gebäude, Landwirtschaft sowie Abfallwirtschaft und Sonstiges. Frauen und Männer sollen gleichberechtigt vertreten sein, Mitglieder können einmal wiederbenannt werden.
Im August 2020 wurden folgende Wissenschaftler in den Expertenrat berufen:[8]
- Hans-Martin Henning, Co-Leitung des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme (ISE); Professor für Solare Energiesysteme im Institut für Nachhaltige Technische Systeme der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg; Mitglied des wissenschaftlichen Beirats „Roadmap Effizienzstrategie 2050“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie
- Brigitte Knopf, Generalsekretärin am Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC), Berlin
- Marc Oliver Bettzüge, Professor für Volkswirtschaftslehre, speziell Energiewirtschaft, und geschäftsführender Direktor des Energiewirtschaftlichen Instituts (EWI), Universität zu Köln
- Thomas Heimer, Professor für Innovationsmanagement und Projektmanagement, Hochschule RheinMain in Rüsselsheim; Honorarprofessor, Frankfurt School of Finance & Management in Frankfurt am Main; wissenschaftlicher Leiter der Technopolis Deutschland GmbH
- Barbara Schlomann, Leiterin des Geschäftsfelds Energiepolitik im Competence Center Energiepolitik und Energiemärkte am Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI), Karlsruhe
Berichte
Prüfbericht 2021
Am 15. April 2021 legte der Klimarat erstmals einen Bericht zu der vom Umweltbundesamt erstellten Vorjahresschätzung der deutschen Treibhausgasemissionen vor. Der Klimarat fand keine Anhaltspunkte, dass das Umweltbundesamt zu anderen als den vorgelegten Schätzungen hätte kommen müssen. Die Emissionen in den betrachteten Sektoren lagen – außer im Gebäudesektor – unter den gemäß dem KSG vorgesehenen Höchstwerten. Laut Klimarat war mehr als die Hälfte des Emissionsrückgangs auf einen Rückgang der Wirtschaftsleistung vor allem infolge der COVID-19-Pandemie zurückzuführen. Ohne diese Sondereffekte hätten insbesondere die Emissionen im Verkehrssektor deutlich über dem Höchstwert gelegen.[9] Die Bundesregierung legte ein Sofortprogramm für den Gebäudesektor vor, dessen Annahmen der Klimarat prüfte. Der Expertenrat konstatierte, dass eine konsistente, isolierte Rechnung, die die Wirkung des Programms quantifiziert, nicht vorgelegt worden sei. Die für einen abweichenden Zeitraum und ein abweichendes Fördervolumen vorgelegte Schätzung der Minderungswirkung ist nach Ansicht des Rats tendenziell zu hoch. Ein Nachweis, dass die Jahresemissionsmengen in den Folgejahren eingehalten werden, sei nicht geliefert worden.[10]
Prüfbericht 2022
Im Jahr 2021 überschritten laut Emissionsbericht 2022 des Umweltbundesamtes der Gebäude- und Verkehrssektor ihre zulässigen Emissionshöchstmengen. Die vom Umweltbundesamt vorgelegten Zahlen wurden vom Expertenrat bestätigt. Bau- und Verkehrsministerium legten Sofortprogramme zur Behebung der Klimaschutzlücke vor, die der Rat im Sommer prüfte. Beim Bauministerium unter Leitung von Klara Geywitz (SPD) kam das Gremium in seinem Bericht[11] zum Ergebnis, dass der gut 60 Seiten umfassende Plan mit 137 Mio. Tonnen Emissionsreduktion bei Kohlenstoffdioxid gerade so ausreichend sei. Der Rat befürchtete aber, dass ein Großteil dieser Emissionseinsparung erst gegen Ende der 2020er Jahre zu erwarten sei, und hielt die konkrete Umsetzung für nur „teilweise wahrscheinlich“. Den von Verkehrsminister Volker Wissing vorgelegten Plan wies der Rat hingegen als völlig unzureichend zurück. Der gerade einmal vier Seiten umfassende Plan sei „schon im Ansatz ohne hinreichenden Anspruch“ und würde bis 2030 gerade einmal 13,66 Mio. Tonnen Kohlenstoffdioxideinsparung bewirken, womit der Verkehrssektor 261 Mio. Tonnen CO2 mehr ausstoße als zulässig. Bereits im ersten von drei Prüfungsschritten habe man festgestellt, dass der Plan „nicht die Anforderungen an ein Sofortprogramm erfüllt“, sodass man die beiden weiteren Prüfschritte, nämlich ob die Maßnahmen sich für die Zielerreichung eignen und realistisch sind, gar nicht erst durchgeführt habe. Klimaratsmitglied Brigitte Knopf erklärte, beim Verkehrsministerium bestehe „gar nicht der Anspruch, auf den Klimapfad zurückzukommen“.[12]
Zweijahresgutachten 2022
Im November 2022 legte der Expertenrat seinen ersten Zweijahresbericht vor.[13] Er stellt darin fest, dass die bislang beschlossenen Maßnahmen bei weitem nicht ausreichen, um das gesetzlich festgeschriebene Ziel einer 65-prozentigen Reduktion des Treibhausgas-Ausstoßes bis 2030 gegenüber dem Jahr 1990 zu erreichen. Die Höhe der jährlichen CO2-Reduktion müsse insgesamt auf das Doppelte gesteigert werden. In der Industrie wäre eine Verzehnfachung nötig, im Verkehrssektor sogar eine Steigerung um den Faktor 14.[14][15][16]
Prüfberichte 2023
In seinem am 17. April 2023 veröffentlichten Prüfbericht zur Berechnung der deutschen Treibhausgasemissionen für das Jahr 2022 sieht der Expertenrat die Klimaziele nur teilweise erreicht. Insgesamt seien die Emissionen gegenüber 2021 von 760 auf 746 Megatonnen CO2-Äquivalent um 1,9 % gesunken. In den Bereichen Verkehr und Gebäude stellt der Rat die erneute Zielverfehlung fest, im Gebäudesektor bereits im dritten Jahr in Folge.
Die Emissionsminderungen seien zudem teilweise krisenbedingt und möglicherweise nicht von Dauer. Ohne das in Folge des Krieges in der Ukraine geringere Wachstum der Wirtschaftsleistung wären die Treibhausgasemissionen um rund 9 Mt CO2-Äq. höher gewesen. Insbesondere die deutliche Zielunterschreitung im Industriesektor sei im Wesentlichen auf energiepreisbedingte Produktionsrückgänge in der energieintensiven Industrie zurückzuführen.
Die aktuell vorgeschlagene Aufweichung der Ressortverantwortung sowie Überlegungen zur Änderung des Steuerungsmechanismus im Klimaschutzgesetz würden das Risiko für zukünftige Zielverfehlungen erhöhen.[17]
In einer Stellungnahme zum Entwurf des Klimaschutzprogramms 2023 der Bundesregierung kritisiert der Klimarat die inkonsistente Datenlage in den einzelnen Ministerien, mahnt ein schlüssiges Gesamtkonzept an und schlägt die Einführung einer Obergrenze für die Treibhausgasemissionen vor. Da die Eigenverantwortung der Ressorts zugunsten einer Gesamtverantwortung des Kabinetts entfallen soll, schlägt der Rat als Ausgleich die Einführung wirksamen Erfolgskontrollen vor.[18]
Siehe auch
- Hoher Rat für das Klima, vergleichbares Gremium in Frankreich
- Wissenschaftsplattform Klimaschutz, Beratungsgremium der Bundesregierung für die Weiterentwicklung ihrer Klimaschutzpläne und -programme
Weblinks
- Website des Expertenrats
- Stefan Römermann im Gespräch mit Brigitte Knopf: „Weniger Autoverkehr hat am meisten gebracht“, Deutschlandfunk-Website. 13. August 2020.
Einzelnachweise
- § 1 der Expertenrat-Verordnung vom 9. November 2020
- Art. 36 CCA (Climate Change Act)
- Johannes Saurer: Grundstrukturen des Bundes-Klimaschutzgesetzes. In: Natur und Recht. Band 42, 2020, S. 436, doi:10.1007/s10357-020-3703-4 (open access).
- Nach Abbildung Z-1 in: Bericht zur Vorjahresschätzung der deutschen Treibhausgasemissionen für das Jahr 2020. 14. April 2021.
- Juliane Albrecht: Das Klimaschutzgesetz des Bundes – Hintergrund, Regelungsstruktur und wesentliche Inhalte. In: Natur und Recht. Band 42, 2020, S. 377–378, doi:10.1007/s10357-020-3692-3 (open access).
- MCC-Generalsekretärin Brigitte Knopf in den Expertenrat für Klimafragen berufen. Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change vom 20. August 2020, 12. August 2020, abgerufen am 14. August 2020.
- Stefan Römermann im Gespräch mit Brigitte Knopf: „Weniger Autoverkehr hat am meisten gebracht“, Deutschlandfunk-Website. 13. August 2020. Abgerufen am 14. August 2020.
- Bundesregierung beruft Expertenrat für Klimafragen. Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit, 12. August 2020, abgerufen am 14. August 2020.
- Bericht zur Vorjahresschätzung der deutschen Treibhausgasemissionen für das Jahr 2020 – Prüfung und Bewertung der Emissionsdaten gemäß § 12 Abs. 1 Bundes-Klimaschutzgesetz. 14. April 2021 (expertenrat-klima.de [PDF; 3,0 MB]).
- Expertenrat für Klimafragen (Hrsg.): Bericht zum Sofortprogramm 2020 für den Gebäudesektor – Prüfung der Annahmen des Sofortprogramms gemäß § 12 Abs. 2 Bundes-Klimaschutzgesetz. August 2021, Nr. 28 (expertenrat-klima.de [PDF; 759 kB]).
- Prüfbericht zu den Sofortprogrammen 2022 für den GebäudeGebäude- und Verkehrssektor. Website des Expertenrats für Klimafragen. Abgerufen am 28. August 2022.
- Vernichtendes Urteil des Klima-Expertenrats. Wissings Klimaprogramm »schon im Ansatz ohne Anspruch« . In: Spiegel Online, 26. August 2022. Abgerufen am 28. August 2022.
- Zweijahresgutachten 2022: Gutachten zur Entwicklung der Treibhausgasemissionen, Trends der Jahresemissionsmengen und zur Wirksamkeit von Maßnahmen (gemäß § 12 Abs. 4 Bundes-Klimaschutzgesetz), Expertenrat für Klimafragen, 4. November 2022
- Expertenrat für Klimafragen: Fortschritte in Deutschland reichen lange nicht, heise online, 4. November 2022
- Expertenrat für Klimafragen: Maßnahmen in Deutschland „reichen bei weitem nicht aus“, Deutschlandfunk, 4. November 2022
- siehe auch Alexandra Endres: Keine Zeit mehr für Klimaspielchen (zeit.de 4. November 2022, Kommentar)
- Prüfbericht zur Berechnung der deutschen Treibhausgasemissionenfür das Jahr 2022, Expertenrat für Klimafragen, 17. April 2023
- Stellungnahme zum Entwurf des Klimaschutzprogramms 2023, Expertenrat für Klimafragen, 22. August 2023