Eva von Buttlar

Eva Margaretha von Buttlar (* 22. Juni 1670 in Barchfeld, Thüringen; † 27. April 1721 in Altona) war eine mystisch-libertinistische Sektiererin und Namensgeberin der unter dem Namen Buttlarsche Rotte bekannt gewordenen Gruppe.

Leben

Ursprünglich Hoffräulein in Eisenach, trennte sie sich 1697 nach ihrer Bekehrung von ihrem Ehemann, dem Hofmeister Jean de Vésias, mit dem sie seit 1687 verheiratet war, um sich separatistischen Kreisen anzuschließen. Mit dem Theologiestudenten Justus Gottfried Winter und dem Medizinstudenten Johann Georg Appenfeller gründete sie am 2. Oktober 1702 in Allendorf eine philadelphische Gemeinschaft mit später etwa 70 Mitgliedern, die „Christliche und Philadelphische Sozietät“, die den baldigen Anbruch des Tausendjährigen Reiches verkündete. Nach dem Pietistenedikt des hessischen Landgrafen Karl von Hessen-Kassel, das separatistische Privatversammlungen verbot, verließ die Gruppe 1702 Allendorf und ließ sich in der Grafschaft Wittgenstein nieder, zunächst in Glashütte in der Nähe der Lahnquelle, dann auf einem gräflichen Hof in Saßmannshausen bei Laasphe.

Die Gruppe wurde von Pietisten wie Spener, Francke, aber auch von zahlreichen im Wittgensteinischen lebenden Separatisten wie Hochmann von Hochenau abgelehnt und argwöhnisch beobachtet. Im November 1704 wurden die Gruppenmitglieder unter dem Vorwurf der Unzucht, Blasphemie, Abtreibung und des zweifachen Säuglingsmordes arrestiert und 1705 angeklagt. Im März 1705 gelang ihnen die Flucht aus der Haft in Schloss Wittgenstein.[1]

Am 3. November 1705 erklärte Winter Eva zur Verlobten des Heiligen Geistes und Appenfeller zum göttlichen Sohn. 1706 erreichte das Treiben der Gruppe in Lügde bei Pyrmont seinen letzten Höhepunkt. Von dort durch Gerichtsspruch erneut vertrieben, zog von Buttlar, inzwischen mit Appenfeller verheiratet, nach Altona, wo sie und ihr Mann sich Brachfeld nannten und keinen Anstoß mehr erregten. 1713 gebar sie hier ihr einziges Kind, einen Sohn, angeblich 13 Monate nach dem Tod ihres Mannes. Er wurde als „Messias“ bezeichnet. Die Sozietät bestand auch nach ihrem Tod im April 1721 noch fort, doch verliert sich nun ihre Spur.

Angebliche Anschauungen

Mit den philadelphischen Gruppierungen dieser Zeit teilte von Buttlar die entschiedene Ablehnung des verfassten Kirchentums und jeder konfessionellen Beschränkung, mit separatistischen Gruppierungen die Verachtung von Gottesdienst und Sakrament.

Nahezu alles, was darüber hinausging, wird zumindest in seinen Auswirkungen unter dem Oberbegriff des sektiererisch-sexualistischen Libertinismus zusammengefasst, insbesondere die Ausdeutung der Sophia-Spekulationen und des Mythos vom androgynen Urmenschen. Mit Winter als dem „Gottvater“ und Appenfeller als „Sohn“ sollte Butlar die sichtbare „himmlische Trinität“ dargestellt haben, sich selbst als „himmlische Sophia“. Unter praktischer Anwendung des bereits bei Jakob Böhme und vor allem von Johann Georg Gichtel entwickelten mystischen Gedankens der Ehe des geistlichen Menschen mit der himmlischen Sophia sei die körperliche Einigung mit ihr, der „Mutter Eva“ als dem „Teich Bethesda“, vollzogen und der androgyne „Schöpfungszustand“ wiederhergestellt, die „fleischliche Vermischung als etwas heiliges“ (Winter) angesehen und so auch für die Mitglieder der „Rotte“ zur Glaubenspraxis verbindlich gemacht worden.

Eva von Buttlar gilt in der Radikalität ihres Libertinismus als einzigartig und als Inbegriff eines libertinären Pietismus. Selbstdarstellungen fehlen jedoch, das der Nachwelt überlieferte Bild von Eva von Buttlar und ihrer Gruppe beruht vorwiegend auf den sogenannten Lehr-Punkten Winters und der Hoff Meisterin, die von dem kurzzeitigen Gruppenmitglied Johann Reuter verfasst und später widerrufen wurden, sowie den darauf aufbauenden 1705 im Laaspher Gerichtsverfahren erhobenen Vorwürfen. Thomas Hoeren vermutete in seiner Arbeit Pietismus vor Gericht - Der Prozeß gegen die Buttlarsche Rotte (1705), dass die Anklage ungerechtfertigt war und die Buttlarsche Rotte auch historisch einen Freispruch verdient gehabt hätte. Er wies darauf hin, dass die Sekundärliteratur nie die Vernehmungsprotokolle gewürdigt habe. Aus diesen gehe hervor, dass alle Mitglieder der Buttlarschen Rotte die wichtigsten der gegen sie erhobenen Vorwürfe scharf zurückgewiesen hätten. Insbesondere wehrte sich Buttlar gegen den Vorwurf der Unzucht und Hurerei. Sie habe ausschließlich eine Beziehung zu Winter gehabt, die sie auch nie leugnete. Doch unter ihren Zeitgenossen wähnte allein Christian Thomasius, die meisten Vorwürfe seien „von ihren offenbahren Feinden fälschlich erdichtet“ worden. Thomas Hoeren sah die enge Beziehung von Winter und der (noch verheirateten) Eva von Buttlar als eigentlichen Kern des Anstoßes, der mit immer neuen Schaudergeschichten ausgebaut worden sei.

Siehe auch

Literatur (chronologisch geordnet)

  • Ausführl. Beschreibung des neuen Unfugs, welchen die Pietisten vor weniger Zeit als im Jahre 1705 und 1706 wider alle obrigkeitlichen Edicta ferner verübet und gestiftet haben […] 1707 (online)
  • E. F. Keller, Die B. R. (ZHTh 19, 1845, 591–612)
  • Max Goebel, Geschichte des christlichen Lebens in der rheinisch-westfälischen Kirche II, Coblenz 1852 [ND Giessen / Basel 1994]
  • Ludwig Christiany, E. v. B., die Messaline u. Muckerin als Prototyp der »Seelenbräute«. Ein Beitrag zur Kenntnis der Mysterien des Pietismus, 1870
  • Heinrich Heppe: Buttlar, Eva von. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 3, Duncker & Humblot, Leipzig 1876, S. 654 f.
  • Ernst Benz: Der vollkommene Mensch nach J. Böhme. 1937 (zur mystisch-theologischen Grundlage).
  • Rüdiger Mack, Libertinärer Pietismus: Die Wanderungen der Pfarrerswitwe Wetzel. In: Pietismus und Frühaufklärung, 1984
  • Fritz Tanner, Die Ehe im Pietismus, Zürich 1952
  • Heinrich Laag: Buttlar, Eva Margaretha von. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 3, Duncker & Humblot, Berlin 1957, ISBN 3-428-00184-2, S. 80 f. (Digitalisat).
  • Karl-Egbert Schultze: Die Buttlar'sche Rotte – ein genealogisches Problem. In: Genealogie (Familie und Volk), 12. Jg. (1962/63), Heft 1, S. 312–321.
  • Karl-Egbert Schultze: Der „Messias“ der Buttlar'schen Rotte – ein medizinisches Wunderkind? In: Genealogie (Familie und Volk), 12. Jg. (1962/63), Heft 4, S. 481–482.
  • Thomas Hoeren: Pietismus vor Gericht – Der Prozeß gegen die Buttlarsche Rotte (1705), in: Jahrbuch für Westfälische Kirchengeschichte 89 (1995), 27–44 (online als PDF)
  • Barbara Hoffmann: Radikalpietismus um 1700. Der Streit um das Recht auf eine neue Gesellschaft, Frankfurt 1996 (Umfassendste neue Darstellung)
  • Willi Temme: Krise der Leiblichkeit. Die Sozietät der Mutter Eva (Buttlarsche Rotte) und der radikale Pietismus um 1700, Göttingen 1998 [= Arbeiten zur Geschichte des Pietismus Bd. 38]. (online als pdf)
  • Ulf Lückel: Eva von Buttlar (1670–1721), in: Andreas Kroh / Ulf Lückel (Hg.): Wittgensteiner Pietismus in Portraits, Bruchsal 2003.
  • Barbara Hoffmann: BUTTLAR, Eva von. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Band N.N., Bautz, , Sp. N.N..
  • Inge Grolle: Buttlar, Eva von. In: Franklin Kopitzsch, Dirk Brietzke (Hrsg.): Hamburgische Biografie. Band 5. Wallstein, Göttingen 2010, ISBN 978-3-8353-0640-0, S. 73–75. (2010)
  • Ulf Lückel: Adel und Frömmigkeit. Die Berleburger Grafen und der Pietismus in ihren Territorien.Verlag Vorländer, Siegen 2016.

Historischer Roman zu Eva von Buttlar:

  • Roland Adloff: Evens Buch, Kreuztal 1995 – Taschenbuchausgabe im Blanvalet-Verlag München in mehreren Auflagen ab 2000.

Die Buttlarsche Rotte wird in folgendem Roman ausführlich erwähnt:

Einzelnachweise

  1. Ulf Lückel: Adel und Frömmigkeit. Die Berleburger Grafen und der Pietismus in ihren Territorien.Verlag Vorländer, Siegen 2016, S. 20, 49, 56, 61–64.
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