Estellakolibri

Der Estellakolibri (Oreotrochilus estella), Estella-Andenkolibri, oder manchmal auch Andenkolibri genannt, ist eine Vogelart aus der Familie der Kolibris (Trochilidae). Die Art hat ein großes Verbreitungsgebiet, das die südamerikanischen Länder Argentinien, Chile, Bolivien, Peru und Ecuador umfasst. Der Bestand wird von der IUCN als „nicht gefährdet“ (least concern) eingeschätzt.

Estellakolibri

Estellakolibri

Systematik
Klasse: Vögel (Aves)
Ordnung: Seglervögel (Apodiformes)
Familie: Kolibris (Trochilidae)
Gattung: Bergnymphen (Oreotrochilus)
Art: Estellakolibri
Wissenschaftlicher Name
Oreotrochilus estella
(d’Orbigny, 1839)

Merkmale

Estellakolibri (Oreotrochilus estella), Gemälde von John Gould

Der Estellakolibri erreicht eine Körperlänge von etwa 11 bis 12 Zentimetern. Der leicht gebogene Schnabel wird ca. 20 Millimeter lang. Die Oberseite des Männchens ist graubraun. Die glänzende smaragdgrüne Kehle wird unterhalb durch eine schwarze Linie abgegrenzt. Der Rest der Unterseite ist weiß mit einem auffälligen rötlichbraunen Mittelstreifen. Der Schwanz ist weiß mit schwarzbronzenen zentralen Steuerfedern. Das Weibchen ist durchweg graubraun, aber deutlich heller auf der Unterseite. Der Schwanz ist grünschwarz, wobei die 3 bis 4 äußeren Steuerfedern an der Basis und an den äußeren Rändern weiße Elemente zeigen.

Verbreitung und Lebensraum

Verbreitungsgebiet des Estellakolibris

Man kann Estellakolibris in typischem Puna-Grasland in Höhen zwischen 3500 und 4500 Metern beobachten, wobei sie im Winter auf 2400 Meter migrieren. Die Vegetation, in der sie sich bewegen, ist geprägt von Puya und Polylepis, die auf steinigem Untergrund wachsen. Meist sind sie in Gegenden mit Wasser und entsprechenden Futterpflanzen unterwegs. Außerhalb der Brutzeit sieht man sie in den Gebüschen und offenen Waldgebieten der Andentäler. Die Nominatform O. e. estella kommt im zentralen Peru, dem Westen Ayacuchos, über den Nordwesten Boliviens bis in die Region Tarapacá in Chile vor. Die Unterart O. e. bolivianus findet sich im bolivianischen Altiplano mit kleineren Populationen im Süden des Landes. Des Weiteren erstreckt sich ihr Verbreitungsgebiet bis in den Nordwesten Argentiniens in die Provinzen Jujuy und Tucumán. Die Subspezies O. e. stolzmanni wurde bisher nur selten in Ecuador im Südosten der Provinz Loja beobachtet. In Peru kommt sie in der Region Cajamarca über die Cordillera Blanca, die Region Ancash bis an den Junín-See vor.

Verhalten

Estellakolibris sind extrem aggressiv und attackieren andere Arten wie den Rotflankenkolibri (Oreotrochilus adela) oder sogar den Riesenkolibri (Patagona gigas), wobei die Männchen weniger aggressiv auftreten als die Weibchen. Meist sitzen sie bewegungslos über längere Zeiträume auf einem Zweig im Gebüsch. Diese Torpidität wird in der Wissenschaft mit einer Anpassung an die oft sehr niedrigen Temperaturen in diesen Höhen begründet. Sie gilt als Strategie, um Energie in Form von Fettpolstern zu sparen.[1] Ebenfalls als Maßnahme gegen die Nachtkälte suchen Estellakolibris gern Höhlen auf, auch Minen und Tunnel, besonders zum Brüten. Die Nester werden überwiegend am Dach der Höhle angeklebt und mit weichem Material wie Moos, Flechten und Federn häufig anderer Vögel ausgepolstert.[2] Auf der Suche nach Nahrung fliegen Estellakolibris meist schnell und knapp über dem Boden. Im Schwebeflug spreizen sie ihren Schwanz, den sie auch zum Ausbalancieren benutzen, während sie sich an den Klippen festhalten. Im Winter ernähren sie sich vorzugsweise von Eukalypten. Sonst sieht man sie an den Blüten von Caiophora, Bomarien, Berberitzen, Sommerflieder, Centropogon, Johannisbeeren oder Gebüschen wie Barnadesia.

Unterarten

Es sind drei Unterarten beschrieben worden, die sich vor allem in ihrer Färbung unterscheiden:[3]

  • Oreotrochilus estella estella (d’Orbigny & Lafresnaye, 1838)[4] – Die Nominatform kommt im Südwesten Perus über den Nordwesten Boliviens, den Norden Chiles bis in den Nordwesten Argentiniens vor.
  • Oreotrochilus estella bolivianus Boucard, 1893[5] – Die Kehle des Männchens ist im Gegensatz zur Nominatform eher blaugrün. Der Mittelstreifen ist etwas breiter und kastanienbraun mit schwarzen Flecken. Diese Unterart kommt im Departamento Cochabamba in Zentralbolivien vor.
  • Oreotrochilus estella stolzmanni Salvin, 1895[6] – Der Bauchstreifen des Männchens ist schwarz. Das Weibchen ist überwiegend bronzefarben und nicht graubraun. Im Durchschnitt scheint die Unterart etwas kleiner.[7] Diese Unterart ist vom südlichen Teil Ecuadors über das nördliche und zentrale Peru verbreitet.

Manche Autoren betrachten stolzmanni als eigene Art. So findet sich in der Literatur der Name Grünkopfkolibri (Oreotrochilus stolzmanni). Das South American Classification Committee scheint sich noch nicht sicher, ob ein Antrag zur Verifizierung dieser Klassifizierung gestellt werden soll.[8] Wiederum andere Autoren klassifizieren den Purpurkopfkolibri (Oreotrochilus estella chimborazo) als weitere Unterart. Allerdings sprechen morphologische Überlegungen gegen diese Klassifizierung. Neueste Untersuchungen sehen stolzmanni in einer Schwestergruppe mit dem Schwarzbrustkolibri (Oreotrochilus melanogaster).[9]

Etymologie und Forschungsgeschichte

Alcide Dessalines d’Orbigny beschrieb den Estellakolibri unter dem Namen Trochilus Estella. Die Typusexemplare stammten aus La Paz und Potosí in Bolivien.[10][A 1] Erst 1847 führte John Gould die Gattung Oreotrochilus u. a. für den Estellakolibri ein.[11][A 2] Der Name leitet sich aus den griechischen Wörtern ὄρος, ὄρεος óros, óreos für „Berg“ und τροχίλος trochílos für „Kiebitz, Zaunkönig, (neugriechisch: Kolibri)“ ab.[12][13] Der Begriff Trochilus, den Linnaeus 1758 für eine neue Gattung verwendete,[14] ist historisch etwas problematisch. Dieser Begriff wurde bereits von Aristoteles für einen Vogel, der den Mund eines Krokodils aufsucht, ohne von diesem verletzt oder gar gefressen zu werden verwendet. Étienne Geoffroy Saint-Hilaire vermutete, dass Aristoteles damit den Krokodilwächter (Pluvianus aegyptius) beschrieb.[15] Trotzdem hat sich unter den Wissenschaftlern eingebürgert, diesen Begriff im Zusammenhang mit Kolibris zu verwenden. Das Artepitheton estella widmete d’Orbigny seiner älteren Schwester Estelle Marie Dessalines d’Orbigny (1800–1893).[16] Bolivianus steht für das Land Bolivien.[17] Stolzmanni ist eine Würdigung des Sammlers und Ornithologen Jan Sztolcman.[6]

Literatur

  • Peter H. Barthel, Christine Barthel, Einhard Bezzel, Pascal Eckhoff, Renate van den Elzen, Christoph Hinkelmann, Frank Dieter Steinheimer: Die Vögel der Erde – Arten, Unterarten, Verbreitung und deutsche Namen. 3. Auflage. Deutsche Ornithologen-Gesellschaft, Radolfzell 2002 (do-g.de [PDF]).
  • Jon Fjeldså, Niels Krabbe: Birds of the High Andes: A Manual to the Birds of the Temperate Zone of the Andes and Patagonia, South America, Zoological Museum and Apollo Books, S. 253f, ISBN 978-87-88757-16-3
  • Thomas Schulenberg, Douglas F. Stotz, Daniel F. Lane: Birds of Peru. Princeton University Press, 2007, S. 234, ISBN 978-0-691-04915-1.
  • Robert S. Ridgely, Paul J. Greenfield: Birds of Ecuador Field Guide, Vol. 1, Cornell University Press, 2001, S. 365f, ISBN 978-0-8014-8720-0
  • Robert S. Ridgely, Paul J. Greenfield: Birds of Ecuador Field Guide, Vol. 2, Cornell University Press, 2001, S. 272, ISBN 978-0-8014-8721-7
  • F. Lynn Carpenter: Ecology and evolution of an Andean hummingbird (Oreotrochilus estella), University of California Press, Berkeley, 106, S. 1–74, 1976
  • Osbert Salvin: On birds collected in Peru by Mr. O. T. Baron. In: Novitates Zoologicae. Band 2, Nr. 1, 1895, S. 122 (online [abgerufen am 12. Juli 2015]).
  • Alcide Dessalines d’Orbigny, Frédéric de Lafresnaye: Synopsis Avium ab Alcide d’Orbigny, in ejus per Americam meridionalem itinere, collectarum et ab ipso viatore necnon a de Lafresnaye in ordine redactarum. In: Magasin de zoologie, Journal destiné a établir une correspondance entre les zoologistes de tous les pays, at a leur faciliter les moyens de publier les espèces nouvelles ou peu connues qu'ils possèdent. Band 8, Classe II, 1838, S. 134 (online [abgerufen am 12. Juli 2015]).
  • Adolphe Boucard: Description of several supposed new Species of Humming-Birds. In: The Humming Bird. A quarterly Scientific, Artistic and Industrial Review. Band 3, Nr. 1, 1893, S. 6–10 (online [abgerufen am 12. Juli 2015]).
  • John Todd Zimmer: Studies of Peruvian birds. No 60. The genera Heliodoxa, Phlogophilus, Urosticte, Polyplancta, Adelomyia, Coeligena, Ensifera, Oreotrochilus and Topaza. In: American Museum novitates. Nr. 1531, 1951, S. 1–55 (online [PDF; 4,1 MB; abgerufen am 12. Juli 2015]).
  • Jimmy A. McGuire, Christopher C. Witt, J.V. Remsen, Jr., Ammon Corl, Daniel L. Rabosky, Douglas L. Altshuler, Robert Dudley: Molecular Phylogenetics and the Diversification of Hummingbirds. In: Current Biology. Band 24, Nr. 9, 2014, S. 910–916, doi:10.1016/j.cub.2014.03.016 (online [PDF; 31,5 MB; abgerufen am 12. Juli 2015]).
  • James A. Jobling: Helm Dictionary of Scientific Bird Names. Christopher Helm, London 2010, ISBN 978-1-4081-2501-4.
  • John Gould: Drafts for an arrangement of the Trochilidae, with descriptions of some species. In: Proceedings of the Zoological Society of London. Band 15, Nr. 168, 1847, S. 711 (online [abgerufen am 17. Juli 2015]).
  • Étienne Geoffroy Saint-Hilaire: Mémoire sur deux espèces d'animaux nommés Trochilus et Bdella par Hérodote, leur guerre, et la part qu'y prend le Crocodile. In: Mémoires du Muséum d'histoire naturelle. Band 15, 1827, S. 459474 (online [abgerufen am 17. Juli 2015]).
  • Edward Clive Dickinson, Alain Lebossé: A study of d’Orbigny’s “Voyage dans l’Amérique Méridionale”. IV. New avian names deriving from d’Orbigny’s expedition with evidence for their first introduction and necessary corrections to authorship, dates and citations. In: Zoological Bibliography. Band 5, Nr. 4, 9. März 2018, S. 49–274 (avespress.com [PDF; 8,9 MB] a).
  • Edward Clive Dickinson, Alain Lebossé: A study of d’Orbigny’s “Voyage dans l’Amérique Méridionale”. V. Necessary corrections to data from the “Index Animalium”. Pp. 275-292. Also includes Errata. In: Zoological Bibliography. Band 5, Nr. 5, 1. August 2018, S. 275–292 (avespress.com [PDF; 731 kB] b).
  • Edward Clive Dickinson, Martin Schneider: Authorship with in the Synopsis Avium: a correction. In: Zoological Bibliography. Band 5, Nr. 11, 26. Februar 2020, S. 413–415 (avespress.com [PDF; 591 kB]).
Commons: Estellakolibri (Oreotrochilus estella) – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. The Condor 90:373-378 A new function for torpor: Fat conservation in a wild migrant hummingbird (englisch; PDF-Datei; 498 kB)
  2. Oliver P. Pearson: Use of caves by hummingbirds and other species at high atitudes in Peru. In: The Condor, Band 55, Nr. 1, Jan.-Feb. 1953, S. 17–20, doi:10.2307/1364918.
  3. IOC World Bird List Hummingbirds
  4. Alcide Dessalines d’Orbigny, S. 32.
  5. Adolphe Boucard, S. 7.
  6. Osbert Salvin, S. 17.
  7. John Todd Zimmer, S. 37.
  8. SACC 51. Peters (1945) and Schuchmann (1999) treated stolzmanni of northern Peru as a separate species from Oreotrochilus estella, but this has not been followed by most authors, including Ridgely & Greenfield (2001). proposal needed? (Memento vom 10. April 2013 im Internet Archive) (englisch)
  9. Jimmy A. McGuire u. a., S. 910ff.
  10. Alcide Dessalines d’Orbigny, S. 33.
  11. John Gould, S. 9.
  12. James A. Jobling S. 283
  13. Karl-Heinz Schäfer, Bernhard Zimmermann: Langenscheidts Taschenwörterbuch der griechischen und deutschen Sprache. Hrsg.: Langenscheidt. Berlin / München / Wien / Zürich / New York 1993, ISBN 3-468-11032-4, S. 425.
  14. Carl von Linné, S. 119.
  15. Étienne Geoffroy Saint-Hilaire, S. 466
  16. James A. Jobling, S. 151.
  17. James A. Jobling, S. 74.

Anmerkungen

  1. Zur Publikationsgeschichte siehe Edward Clive Dickinson u. a. (2018a) S. 52–53, S. 195–196, Tabelle A S. 17, Edward Clive Dickinson u. a. (2018b) S. 285 und Edward Clive Dickinson (2020) u. a. S. 413–415
  2. Neben dem Estellakolibri ordnete er auch den Weißflankenkolibri (Oreotrochilus leucopleurus), den Purpurkopfkolibri (Oreotrochilus chimborazo), den Rotflankenkolibri (Oreotrochilus adela) und den Schwarzbrustkolibri (Oreotrochilus melanogaster) der Gattung zu.
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