Essaouira

Essaouira (arabisch الصويرة, DMG aṣ-Ṣawīra ‚Die Eingeschlossene‘, Taschelhit ⵎⵓⴳⴰⴹⵓⵔ Mugaḍur) ist eine Hafenstadt mit etwa 85.000 Einwohnern an der marokkanischen Atlantikküste und ist Hauptstadt der Provinz Essaouira in der Region Marrakesch-Safi. Vor der Unabhängigkeit Marokkos wurde die Stadt auch Mogador genannt. Dieser Name geht vermutlich auf die Portugiesen zurück und wird heute nur noch für die vorgelagerte Insel verwendet. Die gesamte Altstadt (Medina) von Essaouira wurde im Jahr 2001 von der UNESCO als Weltkulturerbe anerkannt.[2]

Essaouira
الصويرة
ⵎⵓⴳⴰⴹⵓⵔ
Wappen fehlt
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Essaouira (Marokko)
Essaouira (Marokko)
Essaouira
Basisdaten
Staat: Marokko Marokko
Region:Marrakesch-Safi
Provinz:Essaouira
Koordinaten 31° 31′ N,  46′ W
Einwohner:77.966 (2014[1])
Fläche:90 km²
Bevölkerungsdichte:866 Einwohner je km²
Höhe:10 m
Blick auf die Medina
Blick auf die Medina
Blick auf die Medina

Lage

Mit dem südlich gelegenen Agadir ist Essaouira über die kurvenreiche N 1 verbunden (Entfernung etwa 175 km) und mit dem östlich gelegenen Marrakesch über die N 8 und die R 207 (Entfernung ebenfalls etwa 175 km).

Verkehr

Der Flughafen Essaouira liegt etwa 15 Kilometer südöstlich des Stadtzentrums und ist mit einem Linienbus zu erreichen. Vom Busbahnhof aus gibt es zahlreiche Verbindungen zu allen Großstädten des Landes.

Bevölkerung und Wirtschaft

Die größtenteils aus den Berberdörfern Südmarokkos zugewanderte Bevölkerung spricht Marokkanisches Arabisch und die heimatlichen Berberdialekte des Taschelhit. Haupterwerbszweige der Stadt sind Fischfang (hauptsächlich Sardinen und Seeaal) und der Fremdenverkehr. Bedingt durch sein mildes Winter- bis heißes Sommer-Klima wird Essaouira vor allem von Touristen aus den marokkanischen Großstädten besucht, verzeichnet aber auch steigende Besucherzahlen aus Europa, wobei die Franzosen in der Überzahl sind.

Geschichte

Der Ort war eine phönizische Gründung unter dem Namen Migdol, die später von den Puniern (unter Hanno dem Großen) und den Römern beherrscht wurde. Ausgrabungen seit den 1950er Jahren belegen eine frühphönizische Niederlassung aus dem 7. Jahrhundert v. Chr. Es besteht die Möglichkeit, dass es sich hierbei um die bei dem römischen Universalgelehrten Plinius dem Älteren erwähnte „Purpurinsel“ handelt.[3]

Stadt und Insel Mogador sind ein Forschungsschwerpunkt des Deutschen Archäologischen Instituts in Madrid. Zusammen mit der Erforschung der spanischen und portugiesischen Westküste untersucht man das Gebiet auf die Aktivitäten der Phönizier, die hier bereits den Handel mit West- und Südafrika kontrollierten. Neueste Grabungen lassen vermuten, dass die in der Bucht von Essaouira gelegenen Islas de Mogador (auch Islas Purpurinas), einen phönizischen Außenposten der antiken Welt darstellten.[4] Die Phönizier sollen hier Purpurschnecken gezüchtet haben. Aber auch die Hinterlassenschaften der Jungsteinzeit werden untersucht, so fanden sich eine große Zahl sogenannter Escargotières – Abfallhaufen, die aus Muschelresten, Schneckengehäusen, Holzkohle und anderen Zeugnissen dafür bestehen, dass die Menschen der Jungsteinzeit von Meeresfrüchten lebten.

Die westmarokkanische Küste gehörte zur römischen Provinz Mauretania Tingitana mit der Hauptstadt Volubilis. Im Jahr 429 n. Chr. eroberten die Vandalen den Norden der Provinz, den dann im Jahre 533 der oströmische General Belisar einnahm. Zwischen dem 7. und 10. Jahrhundert schlossen sich mehrere regionale Berberstämme der Herrschaft der arabischen Umayyaden an, die auch den Süden Spaniens beherrschten. Im 11. Jahrhundert, der Zeit der Almoraviden, integrierte Yusuf ibn Taschfin (regierte 1070–1106), der Gründer von Marrakesch, die Region um Essaouira in sein Reich.

Im 15. und 16. Jahrhundert eroberten die Portugiesen einige Gebiete an der marokkanischen Atlantikküste. Im Jahr 1506 besetzten die Portugiesen die vorgelagerte Insel und begannen umgehend mit dem Bau der heute noch sichtbaren Befestigungen und der Hafenanlagen. Den Namen der Festung, Mogador, sollen die Portugiesen mit Respekt für den heute noch als Schutzpatron der Stadt verehrten islamischen Heiligen Sidi Mogdul gewählt haben. Dieser soll nach der Legende ursprünglich ein Schotte namens Mac Donald gewesen sein, der sich einst hierher abgesetzt hatte, zu Lebzeiten verehrt und posthum zu einem Marabout erhöht wurde.[5]

Bereits im Jahr 1510 gaben die Portugiesen den exponierten Stützpunkt wieder auf und räumten die Festung. Während des 16. Jahrhunderts versuchten verschiedene Mächte wie Spanien, England, die Niederlande und Frankreich vergeblich, Essaouira zu erobern. Ab 1628 setzte Sultan Mulai Abdelmalek aus der Dynastie der Saadier den Ausbau der Festungsanlagen fort. Im Jahr 1765 begann der Alawiden-Sultan Sidi Mohamed Ben Abdallah mit dem Ausbau Essaouiras zum – zu seiner Zeit – größten Seehafen Marokkos. Der französische Gefangene Théodore Cornut wurde mit der Planung der Festungsbauwerke und einzelner Stadtteile beauftragt.

Im 18. und 19. Jahrhundert baute Essaouira seine wichtige Position als Knotenpunkt im Karawanenhandel weiter aus und gelangte zu erheblichem Wohlstand. Ab 1837 ließen sich die Brüder Joseph,[6] Abraham und Jacob Afriat[6] aus Ifrane in der Stadt nieder, die als Kaufleute des Sultans den Titel Tajir al-Sultan[6] trugen. Die jüdische Familie handelte in Tee nach London und führte blaue Indigo-Stoffe aus Manchester nach Südmarokko und in die Sahara aus. Der Kaufmann Moïse Benislah[6] (1788–1851) zog von Essaouira nach Marseille und später nach Lissabon. Auch die Solal[6] betrieben Handel im Mittelmeerraum. Die Mehrheit der Juden lebte jedoch in meist großer Armut in der Mellah. Im Hungerjahr 1877 waren darin 12.000[7] Menschen zusammengepfercht. Seit 1860[7] setzte sich die Alliance Israélite Universelle für die Vergrößerung des Viertels ein. 1892[7] konnte zwar der Sultan für das Anliegen gewonnen werden, doch unternahm seine Verwaltung zunächst nichts zu dessen Umsetzung. Im März 1891[7] hatte der Kaid in bislang unbekannter Weise 200[7] Familien zum Verlassen der Stadt innerhalb einer Woche gezwungen, was der AIU-Direktor Joseph Elmaleh[7] mit der Politik in Russland verglich. Um 1910 waren 48 %[7] der Stadtbevölkerung Juden, da noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts 80 %[7] der muslimischen Bevölkerung auf dem Land lebten.

Nach der französischen Besetzung Timbuktus 1893 verlor die Stadt im Laufe des 20. Jahrhunderts zunehmend an Bedeutung, da ihre wichtigsten Handelsverbindungen unterbrochen wurden. Mit der Unabhängigkeit im Jahr 1957 wurde der Name Essaouira endgültig angenommen. Zwei mögliche Interpretationen zur Etymologie dieses arabischen Namen stehen sich gegenüber. Die erste geht auf das Phönizische zurück, wonach souira eine kleine, von Mauern umgebene Festung bezeichnet, wobei souira die Verkleinerungsform von sour ist, was auf Arabisch „Mauer“ oder „Wand“ bedeutet. Nach der zweiten würde sich der Name Essaouira von Tasaouira und seinen Varianten (atassouira, at'souira, sawira, saouira) ableiten, was soviel wie „eingerahmtes Bild“ bedeutet, was an den Grundriss der Stadt erinnert: die „wohl Gezeichnete“, das „wohl Gestaltete“.

In der Zeit nach 1967 war die Stadt das Ziel vieler Hippies; auch Jimi Hendrix hielt sich einige Tage in der Umgebung auf.[8]

Sehenswürdigkeiten

Scala de la Kasbah

Die im 18. Jahrhundert angelegte Medina von Essaouira mit ihrem – für Marokko völlig untypischen – weitgehend symmetrischen Grundriss, geradlinig verlaufenden Straßen und zwei Stadttoren wurde im Jahre 2001 in die UNESCO-Liste des Weltkulturerbes aufgenommen. Eine Kollektion von Kanonen (Bronze und Eisen) aus dem 17. und 18. Jahrhundert steht auf der dem Meer zugewandten Scala de la Kasbah. Im Fischereihafen werden noch Schiffe in traditioneller Manier aus Holz gefertigt, Netze geflickt und Angelschnüre mit Ködern bestückt.

Das Museum Sidi Mohamed Ben Abdallah beinhaltet eine Sammlung von Waffen, Münzen, Kleidung, Musikinstrumenten, Schmuck und Kunsthandwerk (u. a. Teppiche und Gegenstände aus „Thuya“-Holz). Es informiert über die Geschichte der Stadt und ihrer Umgebung sowie über Flora und Fauna der Region (z. B. über den Arganbaum). Eine Spezialität des örtlichen Kunsthandwerks ist die Herstellung von Kunst-, Gebrauchs- und Ziergegenständen aus dem Holz des Sandarakbaumes, der auf Französisch auch „Thuya de Barbarie“ genannt wird. Die Stadt beherbergt mehrere Kunstgalerien – überwiegend mit Werken marokkanischer Künstler.

Der im 11. Jahrhundert lebende muslimische Marabout Sidi Mogdoul wird in einem Mausoleum verehrt. Ein nach ihm benannter Leuchtturm wurde 1916 in Betrieb genommen.[9] In der katholischen Kirche Notre-Dame-de-l’Assomption findet ein Sonntagsgottesdienst statt.

Die Insel Mogador ist ein Vogelschutzgebiet, in dem von April bis Oktober die seltenen Eleonorenfalken brüten. Sie darf ganzjährig nicht betreten werden.

Kultur

Musik

In Essaouira findet seit 1998 jährlich im Juni das Musik-Festival der Gnawa statt. In ihrer traditionellen Musik, die außerhalb des Festivals eine therapeutische Funktion im nächtlichen Derdeba-Tanzritual besitzt, und für Straßenprozessionen spielen die Gnawa-Musiker und Tänzer die Zupflaute Gimbri, die Trommel T'bol und die Eisenklappern Qarqaba.[10]

Film

Orson Welles drehte im Jahr 1952 seine filmische Adaption des Othello-Stoffes in Essaouira.[11] Ridley Scott rekonstruierte hier 2004 das mittelalterliche Jerusalem für seinen Film Königreich der Himmel („Kingdom of Heaven“). 2013, also für die dritte Staffel, war Essaouira einer der Drehorte der Fantasyserie Game of Thrones. Teile der Dreharbeiten für den Film John Wick: Kapitel 3 fanden in Essaouira statt.[12]

Freizeit

In der näheren Umgebung der Stadt gibt es mehrere Strände, die auch Möglichkeiten zum Wellenreiten bieten.

Städtepartnerschaften

Essaouira hat partnerschaftliche Beziehungen zu folgenden Städten:

Persönlichkeiten

Literatur

  • Arnold Betten: Marokko. Antike, Berbertraditionen und Islam – Geschichte, Kunst und Kultur im Maghreb. DuMont, Ostfildern 2012, ISBN 978-3-7701-3935-4, S. 317 f.
  • Cornelia Becker: Phönizische und römische Aktivitäten vor der Küste Marokkos: Die Tierreste aus Mogador In: Stefan Flohr: Beiträge zur Archäozoologie und Prähistorischen Anthropologie Band IX Beier & Beran. Langenweißbach 2013
  • Ingeborg Lehmann, Rita Henss: Marokko. Karl Baedeker, Ostfildern 2009, ISBN 978-3-8297-1251-4, S. 237–245.
  • Doris Byer: Essaouira, endlich. Literaturverlag Droschl, Graz 2004, ISBN 978-3-85420-651-4.
  • Martin Mosebach: Mogador. (Roman) Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2016, ISBN 978-3-498-04290-5
Commons: Essaouira – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
  • Christoph Braendle: Altstadt am Atlantik: Essaouira – Erfahrungsbericht. In: welt.de. 19. Dezember 2009;.
  • The history of Essaouira. In: essaouira.nu. (englisch).
  • Essaouira: Aperçu historique. In: iessaouira.com. Archiviert vom Original am 14. Februar 2015; (französisch, alte Fotos, Geschichte).
  • Pétition: Halte à la destruction du patrimoine historique de la ville d’Essaouira (Mogador). In: essaouira.nu. Dezember 2001; (französisch).
  • Dunja Sadaqi: Essaouira – Marokkos jüdische Stadt. (mp3-Audio; 5,5 MB; 6:02 Minuten) In: Deutschlandfunk-Sendung „Tag für Tag“. 11. März 2021;.

Einzelnachweise

  1. Morocco population statistics. In: GeoHive. Archiviert vom Original am 1. Juli 2016; abgerufen am 12. März 2021 (englisch).
  2. Eintrag auf der Website des Welterbezentrums der UNESCO (englisch und französisch).
  3. Plinius der Ältere, Naturalis historia 6,203. Zur Identifikation siehe etwa den Kommentar bei C. Plinius Secundus d. Ä.: Naturkunde Lateinisch–Deutsch. Buch VI: Geographie: Asien. Herausgegeben und übersetzt von Kai Brodersen (Sammlung Tusculum). Artemis & Winkler, Zürich/Düsseldorf 1996, S. 249.
  4. Dirce Marzoli, Abdelaziz El Khayari: Mogador (Essaouira), Marokko. Ein phönizischer Außenposten an der marokkanischen Atlantikküste. Die Arbeiten der Jahre bis 2018. In: Elektronische Publikationen des Deutschen Archäologischen Instituts. Nr. 1, 2018, S. 72–75, abgerufen am 12. März 2021.
  5. Hubert Lang: Der Heiligenkult in Marokko. Formen und Funktionen der Wallfahrten (= Passauer Mittelmeerstudien, Sonderreihe 3). Passavia Universitätsverlag, Passau 1992, S. 71.
  6. Michel Abitbol: Histoire des juifs. In: Marguerite de Marcillac (Hrsg.): Collection tempus. 2. Auflage. Nr. 663. Éditions Perrin, Paris 2016, ISBN 978-2-262-06807-3, S. 533 f.
  7. Georges Bensoussan: Juifs en pays arabes – Le grand déracinement, 1850–1975. In: Denis Maraval (Hrsg.): Collection Texto. 2. Auflage. Éditions Tallandier, Paris 2021, ISBN 979-1-02105090-7, S. 74, 83, 85 f., 118 f. (der Vergleich mit der Lage in Russland wird zitiert in Archivbestand Alliance Israélite Universelle, Maroc III. C. 10, Elmaleh, siehe Fußnote 327, S. 933).
  8. Brigitte Tast, Hans-Juergen Tast: And the wind cries Jimi. Hendrix in Marokko. Kulleraugen – Visuelle Kommunikation Nr. 40, Schellerten 2012, ISBN 978-3-88842-040-5.
  9. Jan Kalserud: The tomb of Sidi Magdoul. In: essaouira.nu. 29. September 2020, abgerufen am 12. März 2021.
    The lighthouse of Sidi Mogdoul. In: essaouira.nu. 2. Oktober 2019, abgerufen am 12. März 2021.
  10. Festival d’Essaouira Gnaoua. Abgerufen am 12. März 2021 (französisch, englisch, arabisch).
  11. Brigitte Tast, Hans-Jürgen Tast: Orson Welles – Othello – Mogador. Aufenthalte in Essaouira. Kulleraugen Vis.Komm. Nr. 42, Schellerten 2013, ISBN 978-3-88842-042-9.
  12. Christian Fußy: „John Wick 3“: Tausende rebellische Katzen suchten die Dreharbeiten heim. In: filmstarts.de. 13. Mai 2019, abgerufen am 12. März 2021.
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