Erechtheion

Das Erechtheion[1] ist ein Tempel im ionischen Baustil[2] auf der Akropolis in Athen, der etwa zwischen 420 und 406 v. Chr. erbaut wurde. Die Konzeption geht vielleicht auf Perikles zurück, der aber zu Baubeginn bereits verstorben war. Als Baumeister des Tempels gelten die Architekten (Phi)lokles[3] von Acharnai[4] und Archilochos von Agryle, unter deren Aufsicht der Tempel um 406 v. Chr. vollendet wurde.

Erechtheion von Südwesten
Die Karyatiden
Erechtheion von Nordost
Grundriss des Erechtheions

Das Erechtheion steht dort, wo ursprünglich der Palast des mythischen Königs Erichthonios (Erechtheus I.) gewesen sein soll. Der Tempel fasste in einer komplexen architektonischen Gestalt mehrere alte Kulte für insgesamt 13 Gottheiten und Heroen zusammen. So enthielt er das ξόανον (Xóanon), das hölzerne, angeblich vom Himmel gefallene Kultbild der Stadtgöttin Athene, das jährlich am Fest der Panathenäen neu geschmückt wurde. Ferner umfasste der Bau die Erdspalte, in der eine der Athene heilige Schlange gelebt haben soll, den heiligen Ölbaum der Göttin, die Salzwasserquelle (Ἐρεχθηὶς θάλασσα Erechthēís thálassa[5]), die Poseidon bei einem Wettstreit mit Athene[6] entstehen ließ, und das Grab des mythischen Königs Kekrops I.

Bekannt ist das Erechtheion vor allem durch eine Vorhalle, die anstelle von Säulen von sechs überlebensgroßen Mädchenfiguren (korai) getragen wird. Sie werden auch als Karyatiden bezeichnet (benannt nach der Stadt Karyai in Lakonien auf der Peloponnes[7]); es ist jedoch nicht gesichert, wen sie darstellen.[8] Die Karyatiden gehören stilistisch zum Reichen Stil.

Im Laufe seiner Geschichte wurde das Gebäude zu verschiedenen Zwecken genutzt und dabei oft die ursprüngliche Form beschädigt. Im 7. Jahrhundert wurde es in eine byzantinisch-christliche Kirche umgewandelt.[9] Im Jahr 1463 diente es als Harem eines Offiziers der osmanischen Armee. Eine der sechs Koren[10] wurde 1811 von Lord Elgin nach Großbritannien gebracht und befindet sich heute im British Museum. Die verbliebenen fünf wurden Ende des 20. Jahrhunderts[11] durch Nachbildungen ersetzt, um weitere Beschädigungen durch Witterungseinflüsse zu verhindern. Die Originale sind im Akropolis-Museum ausgestellt.

Literatur

  • Wilhelm Dörpfeld: Erechtheion. Zeichnungen und Bearbeitung von Hans Schleif. Mittler, Berlin 1942 (online).
  • Hans Lauter: Die Koren des Erechtheion (= Antike Plastik. Lieferung 16). Mann, Berlin 1976, ISBN 3-7861-2228-8.
  • James Morton Paton (Hrsg.), Gorham Phillips Stevens (Messungen und Zeichnungen), Lacey Davis Caskey (Text): The Erechtheum. Text- und Tafelband. Harvard University Press, Cambridge Mass. 1927.
  • Jan Zacharias van Rookhuijzen: The Erechtheion on the Acropolis of Athens. In: Kernos. Revue internationale et pluridisciplinaire de religion grecque antique. Band 34, 2021, S. 69–121.
  • Andreas Scholl: Die Korenhalle des Erechtheion auf der Akropolis. Frauen für den Staat. Fischer Taschenbuch-Verlag, Frankfurt am Main 1998, ISBN 3-596-12640-1.
  • Richard Speich: Südgriechenland I. Athen, Attika, Böotien, Phokis, Phthiotis und Euböa. Kohlhammer, Stuttgart u. a. 1978, ISBN 3-17-004690-X, S. 96–99.
  • John Travlos: Bildlexikon zur Topographie des antiken Athen. Ernst Wasmuth, Tübingen 1971, S. 213–227.
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Anmerkungen

  1. Dieser Name erscheint in antiken Quellen nur zweimal: Pausanias 1,16,5 und Pseudo-Plutarch, Decem Oratorum Vitae 843 E; vorher hieß das Gebäude „Tempel der Polias“ (Pausanias 1,27,1 und Strabon 9,396). Vgl. Travlos, Bildlexikon zur Topographie des antiken Athen, S. 213
  2. John Travlos: Bildlexikon zur Topographie des antiken Athen, S. 213
  3. Richard Speich: Südgriechenland I, S. 97
  4. Andreas Scholl: Die Korenhalle des Erechtheion auf der Akropolis, S. 10
  5. Bibliotheke des Apollodor 3,14,1
  6. Herodot 8,55; Bibliotheke des Apollodor 3,14,1; Pausanias 1,24,3; Hyginus, Fabulae 164
  7. Nach Vitruv, De architectura 1,1,5
  8. Man vermutete lasttragende Sklavinnen (vgl. Vitruv, De architectura 1,1,5); Tänzerinnen im Artemis-Kult (vgl. Pausanias 3,10,7); „Dienerinnen eines Kultes oder Wächterinnen am Grab der Urkönige“ (Hans Rupprecht Goette: Athen - Attika - Megaris. Reiseführer zu den Kunstschätzen und Kulturdenkmälern im Zentrum Griechenlands. Böhlau, Köln u. a. 1993, S. 25); „junge athenische Frauen beim Grabopfer, als Choephóroi“ (Andreas Scholl: Die Korenhalle des Erechtheion auf der Akropolis, S. 40); „Dienerinnen des Kekrops-Kultes“ (Hans Rupprecht Goette & Jürgen Hammerstaedt: Das antike Athen. Ein literarischer Stadtführer. C. H. Beck, München 2004, S. 52) oder „Choephoren (Trankspenderinnen am Grab eines Toten)“ (Armin Müller: Was die Säulen nicht mehr selber sagen. Ein Kultur-Reiseführer für Anspruchsvolle. Aschendorff, Münster 2004, S. 45).
  9. John Travlos: Bildlexikon zur Topographie des antiken Athen, S. 214; angeblich „in eine Kirche der Panagia Theotokos (›Gottesgebärerin‹)“ (Sabine und Stefan Brenne: Athen, Attika. Artemis, München und Zürich 1993, S. 45)
  10. „Die zweite Figur von links“ (Richard Speich: Südgriechenland I, S. 99); „Die zweite Kore von Westen“ (Sabine und Stefan Brenne: Athen, Attika. Artemis, München und Zürich 1993, S. 46); „die 2. Kore von Westen“ (Andreas Scholl: Die Korenhalle des Erechtheion auf der Akropolis, S. 14)
  11. „zwischen 1977 und 1988“ (Hans Rupprecht Goette: Athen – Attika – Megaris. Reiseführer zu den Kunstschätzen und Kulturdenkmälern im Zentrum Griechenlands. Böhlau, Köln u. a. 1993, S. 27); „Im Januar 1979“ (Andreas Scholl: Die Korenhalle des Erechtheion auf der Akropolis, S. 14)

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