Enterostomatherapie

Die Enterostomatherapie (kurz: Stomatherapie, Stomapflege, umgangssprachlich fälschlicherweise oft Stomaberatung) befasst sich mit Beratung, Pflege und Rehabilitation von Menschen, die vor dem Hintergrund unterschiedlicher Krankheitsbilder ein Entero- oder Urostoma erhalten haben oder erhalten sollen, die an Stuhl- oder Harninkontinenz leiden oder von einer Wundheilungsstörung oder einer chronischen Wunde betroffen sind. Dem Bereich der Enterostomatherapie wurde darüber hinausgehend in neuerer Zeit der Schwerpunkt spezieller Ernährungsprobleme angegliedert, die aus den Grunderkrankungen resultieren.

Die Enterostomatherapie ist ein bislang rechtlich nicht geschütztes Berufsbild. Die Qualifikation erfolgt im Rahmen einer Weiterbildung. Zugangsvoraussetzung ist in jedem Fall die staatlich anerkannte Ausbildung in einem Pflegeberuf sowie bei einigen Weiterbildungsträgern eine zweijährige Berufspraxis.

Der Begriff der Stomaberatung bezeichnet demgegenüber das Umfeld der vertriebsorientierten Fachkraft eines Sanitätshauses oder eines Herstellers von Stomaversorgungen, was eine fachliche Qualifikation nicht ausschließt.

Weiterbildung

Je nach Weiterbildungsträger sind unterschiedliche Bezeichnungen für den Berufsausübenden üblich.

Die Berufsbezeichnung Enterostomatherapeut (ET) mit weltweiter Anerkennung WCET (World Council of Enterostomal Therapists)[1] kann zusätzlich zur bisherigen Ausbildungsbezeichnung aber auch alleine geführt werden. Träger für diese zumeist vollzeitliche Weiterbildung ist in Deutschland im Allgemeinen die Deutsche Angestellten Akademie (DAA)[2].

Die meist nebenberuflich erworbene Qualifikation zum/zur Stomatherapeut/-in und Kontinenzberater/-in (DBfK[3] und DVET[4]) wird der Ausbildungsbezeichnung nachgestellt geführt als mit Weiterbildung (mW) Pflegeexperte Stoma, Inkontinenz, Wunde. Dieses Weiterbildungskonzept basiert auf der Grundlage des gemeinsamen Berufsbildes aller Pflegeberufe (Gesundheits- und Krankenpfleger/-in, Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger/-in, Altenpfleger/-in) Berufsbild DBfK (Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe), 1997 und auf dem ICN-Codex 2001[5] (International Council of Nurses). Bezeichnungen wie beispielsweise Pflegefachkraft für Stoma und Inkontinenz kennzeichnen ältere Weiterbildungskonzepte.

Tätigkeitsfelder der Enterostomatherapie

Stomapflege

Die Arbeit mit dem Stomapatienten beginnt bereits vor der Operation. Ein präoperatives Gespräch sollte dem Patienten Raum für Fragen und Gedanken bieten und geeignet sein, Ängste und Vorbehalte zu vermindern, um durch eine positive Teilnahme an der Therapie eine schnellere Erholung von der Operation zu begünstigen. Im nächsten Schritt wird die optimale Position des Stomas im Sitzen, Liegen und Stehen auf dem Bauch des Patienten angezeichnet, um Komplikationen vorzubeugen, die sich beispielsweise bei einer Stomaanlage in Hautfalten ergeben könnten. Ziel ist es, die Lebensqualität des Patienten so umfangreich wie möglich zu erhalten.

Die Begleitung des Stomapatienten wird während des gesamten Krankenhausaufenthaltes fortgeführt. Neben der fortlaufenden Beurteilung des frisch angelegten Stomas und der ordnungsgemäßen Funktion desselben soll der Patient in diesem Rahmen psychisch stabilisiert und an die Selbstversorgung seiner Ausscheidungsöffnung herangeführt werden. Bei Entlassung aus dem Krankenhaus soll der Patient im Umgang mit seinem Stoma ganz oder zumindest teilweise selbstständig agieren können.

Wurde die Stomapflege im Krankenhaus durch eine dort tätige Pflegekraft übernommen, erfolgt mit der Entlassung zumeist der Wechsel in die Betreuung einer niedergelassenen Fachkraft, die der Patient sich zumeist selbst suchen muss. Ist es im Krankenhaus noch nicht geschehen, beginnt zunächst die Suche nach einem optimalen Versorgungssystem für den Patienten. Daneben gibt die enterostomatherapeutische Fachkraft dem Patienten alle erforderlichen Auskünfte zum Schutz der Haut um das Stoma, zur Vorbeugung gegen Komplikationen, zur Ernährung, zur Wiederaufnahme der Arbeit, zu Freizeitbeschäftigung und Sport sowie zu Intimsphäre und Sexualität. Daneben können auch psychische Probleme sowie Gespräche mit den Angehörigen in den Vordergrund rücken. Die ordnungsgemäße Funktion und das Aussehen des Stomas sollten in der Anfangszeit noch regelmäßig begutachtet werden. Besondere Erfordernisse der persönlichen Begleitung können bei Auftreten von Komplikationen, im Rahmen spezieller Erkrankungen oder beispielsweise auch als Folge einer Radio- und Chemotherapie notwendig werden.

Inkontinenz

Harn- und Stuhlinkontinenz sind Leiden, die oft vor der Umgebung verborgen werden, die die Lebensqualität aber schwerwiegend belasten können. In diesem Bereich ist die Enterostomatherapie zuständig für Hilfe bei der Bestimmung der Art der Inkontinenz, für die Beratung des Patienten über mögliche Behandlungsmethoden sowie für die Vermittlung an andere Behandlungsinstanzen wie beispielsweise Urologen, Chirurgen oder auch Physiotherapeuten für eine eventuell notwendige Beckenbodengymnastik. Daneben stellt die enterostomatherapeutische Fachkraft entsprechende Hilfsmittel vor. Die Patientenbetreuung im Rahmen einer Inkontinenz kann sowohl in ambulanten Zentren als auch zu Hause erfolgen.

Wundversorgung

Enterostomatherapeutische Fachkräfte können die Wundbehandlung und/oder Beratung im Falle von Ulcus cruris, Dekubitus, diabetisch bedingten Wunden, Nahtinsuffizienzen, onkologischen Wunden, Steissbeinfisteln, bei Verbrennungen 1. und 2. Grades und für alle weiteren Wundarten, die eine Überwachung der Heilung erfordern, anbieten. Die Betreuung der Wunden durch die Enterostomatherapie erfolgt mit Einverständnis und gegebenenfalls nach Weisung des Arztes. Enterostomatherapeuten sind auch dafür zuständig, andere Pflegekräfte oder Begleit- und Bezugspersonen über die Anwendung moderner Methoden der Wundbehandlung zu unterrichten. Sie fungieren so unter anderem als Sachverständige im klinischen Bereich. Die Betreuung von Wundpatienten kann sowohl stationär als auch ambulant oder zu Hause erfolgen.

Künstliche Ernährung

Die Weiterbildung im Bereich der künstlichen Ernährung wird noch nicht von allen Weiterbildungsträgern angeboten. Sie ermöglicht Enterostomatherapeuten die professionelle Beratung und Versorgung von Ernährungssonden sowie die Beratung und Betreuung vor dem Hintergrund von Verdauungsstörungen, die gegebenenfalls eine parenterale Ernährung mittels Spritze, Infusion oder Diät notwendig machen.

In allen Bereichen der Enterostomatherapie ist die Fachkraft neben der unmittelbaren Versorgung des Patienten mit der persönlichen Begleitung, Unterstützung und Anleitung von Patienten, Angehörigen und anderen Bezugspersonen befasst. Thematisch kann die persönliche Begleitung mit der Krankheit, der Krankheitsprognose, mit Behinderung oder auch dem Sterben in Zusammenhang stehen.

Forschung und Lehre

Im Rahmen von Forschung und Lehre können Enterostomatherapeuten mit der Ausbildung von Pflegepersonal und Pflegeschülern sowie der fachlichen Beratung und Anleitung von Pflegefachkräften und anderen Berufsgruppen des Gesundheitswesens betraut sein. Auch eine Tätigkeit im Rahmen pflegewissenschaftlicher und medizinischer Studien ist möglich.

Weitere Tätigkeitsfelder

Enterostomatherapeutisches Fachpersonal hat zudem die Qualifikation an der Planung, Durchführung, Überwachung und Dokumentation von pflegerischen Maßnahmen beteiligt zu sein sowie bei der Erstellung von Pflegekonzepten, Pflegestandards, Behandlungs- und Pflegerichtlinien mitzuwirken. Zu den allgemeinen Grundkenntnissen gehören Einleitung situationsgerechter Sofortmaßnahmen und pflegerisches Handeln in Notfallsituationen, des Weiteren die Planung und Organisation des pflegerischen Ablaufes einschließlich Überleitungspflege und Entlassungsmanagement sowie die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit dem Hausarzt, Selbsthilfegruppen, Altenheimen und ambulanten Pflegediensten.

Geschichte der Enterostomatherapie

Die Geschichte der Enterostomatherapie beginnt im Jahr 1958. Robert B. Turnbull, Chirurg an der Cleveland Clinic in Ohio, USA, und Norma N. Gill, Stomaträgerin, tauschten damals ihr Wissen und ihre Erfahrungen aus und erkannten den Mangel in der Ausbildung der Krankenschwestern in der speziellen Versorgung von Stomapatienten. Turnbull stellte daraufhin Norma Gill zur Betreuung der Stomaträger in seiner Klinik ein und kreierte die Berufsbezeichnung Enterostomatherapeut. 1961 gründeten sie in Cleveland die erste Schule zur Ausbildung von Krankenpflegefachkräften für Enterostomatherapie, an der auch Anneliese Eidner, Krankenschwester der Chirurgischen Universitätsklinik Erlangen, zur Enterostomatherapeutin ausgebildet wurde. Sie war 1976 die erste Enteromatherapeutin in Deutschland. In den 1970ern breitete sich die Enterostomatherapie als Zusatzqualifikation im Rahmen der Krankenpflege schnell weltweit aus. Australien, Kanada, Großbritannien, Neuseeland and Südafrika waren die ersten Länder, die sich mit diesem neuen Bereich befassten. Als sich der World Council of Enteromal Therapists (WCET) 1978 gründete, repräsentierten die 30 anwesenden Enterostomatherapeuten bereits 15 Länder. Norma N. Gill wurde zur ersten Präsidentin des WCET gewählt.

Bereits 1968 war in den USA die North American Association of Enterostomal Therapists gegründet worden, die später in International Association for Enterostomal Therapy umbenannt wurde und seit 1992 Wound, Ostomy and Continence Nurses Society (WOCN)[6] heißt. Auch hier gehörte Norma N. Gill zu den Gründungsmitgliedern. Die Gründung der ersten deutschen Schule für Enterostomatherapie erfolgte erst 1978. 1979 wurde die Deutsche Vereinigung der Enterostomatherapeuten (DVET)[4] ins Leben gerufen.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. World Council of Enterostomal Therapists (WCET)
  2. Deutsche Angestellten Akademie (DAA)
  3. Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK)
  4. http://www.dvet.de/ DVET Fachverband Stoma und Inkontinenz e. V.
  5. ICN-Codex 2001 (Memento des Originals vom 15. Juli 2007 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.icn.ch
  6. Wound, Ostomy and Continence Nurses Society (WOCN)

Literatur

  • Henriette Feil-Peter, Elisabeth Hornburg, Christel Ravenschlag: Stomapflege – Enterostomatherapie. Schlütersche Verlagsanstalt, Hannover, 7. Aufl., 2001. ISBN 3-87706-660-7
  • Thomas Bölker, Wolfgang Webelhut, Tabea Noreiks, Franz Raulf von Schmücker: Durch dick und dünn. Das Buch für Stomapflege und Harnableitung. Schmücker, Mai 2003. ISBN 3-9805493-2-1
  • Magazin Stoma + Inkontinenz + Wunde, Zeitschrift für Pflege, Fortbildung und Berufspolitik
  • Thomas Boelker, Dietmar Hegeholz, Wolfgang Webelhuth: Ausser Kontrolle. Pflege bei Harn- und Stuhlinkontinenz. Noreiks, Tabea; Auflage: 1 (April 2006). ISBN 3-00-017179-7
  • Helle Gotved: Erfolgreiche Hilfen gegen Harninkontinenz. Trias; Auflage: 1. A. (März 2003). ISBN 3-8304-3014-0
  • Susanne Danzer: Chronische Wunden. Beurteilung und Behandlung. Kohlhammer (April 2006). ISBN 3-17-018833-X
  • Michaela Brandstätter: Parenterale Ernährung. Indikationen, Techniken, Organisation. Urban & Fischer Bei Elsevier (Juli 2002). ISBN 3-437-26750-7
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