Eigenmode
Eigenmoden oder Normalmoden sind spezielle Bewegungen eines schwingungsfähigen Systems. Es handelt sich – neben der gleichförmigen Bewegung des ganzen Systems – um diejenigen periodischen Bewegungen, bei denen alle Komponenten des Systems die gleiche Frequenz zeigen, wenn das System nach einer Anregung sich selbst überlassen bleibt. Eine solche Frequenz wird als Eigenfrequenz des Systems bezeichnet, die entsprechende Eigenmode auch als Eigenschwingung, denn bei kleinen Amplituden sind es ungedämpfte harmonische Schwingungen. Jede Bewegung des Systems kann als eine Überlagerung von verschiedenen Eigenmoden dargestellt werden. Die Anzahl verschiedener Eigenmoden ist gleich der Anzahl der Freiheitsgrade des Systems.
Die Eigenmoden und -frequenzen eines Systems hängen davon ab, aus welchen Bestandteilen das System aufgebaut ist und wie diese aufeinander einwirken. Die Eigenfrequenzen der Saite eines Musikinstruments werden beispielsweise durch ihre Länge, ihr Material und ihre mechanische Spannung bestimmt. Ähnliches gilt für alle schwingungsfähigen Systeme.
Das Wort Eigenmode leitet sich ab vom englischen Mode oder lateinischen Modus, was in beiden Fällen etwa „Art und Weise“ bedeutet, und von Eigenwert, einem Begriff aus der Algebra. In der Sichtweise der theoretischen Physik bilden die Eigenmoden nämlich eine diskrete Basis, mit der alle dem System möglichen Bewegungen dargestellt werden können. Die Eigenmoden und Eigenfrequenzen ergeben sich aus den Bewegungsgleichungen des Systems als Eigenvektoren bzw. Eigenwerte dieses Gleichungssystems. Die gleichförmige Bewegung wird als eine Eigenmode mit der Frequenz Null dargestellt.
Theorie
Die Lagrangefunktion eines Systems mit Freiheitsgraden sei
wobei die Massenmatrix und das Potential ist. Bei der Näherung der Lagrangefunktion bis in zweiter Ordnung um die Gleichgewichtskoordinaten und der Vernachlässigung des konstanten Terms wird dies zu
respektive mit der Koordinatentransformation und den Abkürzungen sowie kurz
Aus den Lagrangegleichungen ergeben sich die Bewegungsgleichungen des Systems
wobei sowohl als auch -Matrizen und ein -dimensionaler Vektor ist. Da die kinetische Energie immer größer als Null ist, ist positiv definit. Damit sich das System in einem stabilen oder indifferenten Gleichgewicht befindet, muss positiv semidefinit sein. Insbesondere sind daher alle Eigenwerte von und nichtnegativ.
Der Lösungsansatz der Gleichung lautet:
Dies führt auf das verallgemeinerte Eigenwertproblem
- .
Um dieses nichttrivial zu lösen, muss die Determinante verschwinden. Diese ist das charakteristische Polynom vom Grad in und besitzt daher Nullstellen. Die Symmetrie von und sorgt dafür, dass die Eigenwerte alle reell sind, siehe Spektralzerlegung (Mathematik), und diese sind zudem nichtnegativ, wegen der positiven (Semi-)Definitheit der beteiligten Matrizen. Physikalisch kann dies wie folgt interpretiert werden: Angenommen, es gäbe eine Nullstelle im Negativen oder Komplexen, dann würde einen Imaginärteil besitzen und die Lösung divergieren. Dies steht im Widerspruch zur Annahme des stabilen Gleichgewichts.
Die (positiven) Wurzeln der Nullstellen des Polynoms
sind die Eigenfrequenzen des Systems, das durch und beschrieben wird. Ein System mit Freiheitsgraden besitzt daher maximal Eigenfrequenzen.
Die Eigenschwingungen des Systems sind die Eigenvektoren des Eigenwertproblems, die die Gleichung
erfüllen. Insbesondere ist jedes Vielfache eines Eigenvektors auch ein Eigenvektor. Das bedeutet, diese können normiert und mit einer komplexen Konstanten multipliziert werden.
Fallen mehrere Eigenfrequenzen zusammen, dann hat die Gleichung nicht vollen Rang und einige Komponenten der zugehörigen können frei gewählt werden. Hat die Matrix einen Eigenwert Null, liegt ein indifferentes Gleichgewicht vor. Dann ist auch eine Eigenfrequenz des Systems Null. In diesem Fall lautet die Eigenwertgleichung , sodass die Lösung eine gleichförmige Bewegung des Systems ist.
Die allgemeine Lösung des Gleichungssystems für die Schwingung des Systems ist eine Superposition seiner Eigenschwingungen und gegebenenfalls einer gleichförmigen Bewegung
Für jeden Freiheitsgrad existieren daher entweder 2 reelle oder 1 komplexer freier Parameter. Es ergeben sich somit Konstanten, die durch Anfangsbedingungen festgelegt werden müssen.
Normalkoordinaten
Die Normalkoordinaten des Systems sind definiert als
wobei
ist, also die Matrix der Eigenvektoren. Diese Matrix der Eigenvektoren diagonalisiert sowohl als auch , denn aus der Symmetrie von folgt
sodass für alle nicht entarteten Eigenwerte alle Nichtdiagonalelemente von verschwinden müssen. Eine entsprechende Normierung der Eigenvektoren führt auf die Orthonormalitätsrelation
Für entartete Eigenwerte können die Eigenvektoren ebenfalls so gewählt werden, dass diese Matrix diagonal wird. Ebenfalls kann gezeigt werden, dass auch diagonalisiert. Mit kann die Bewegungsgleichung als
geschrieben werden, sodass die Behauptung durch Multiplikation mit von links direkt folgt.
Somit entkoppelt eine Koordinatentransformation von den Auslenkungen aus der Gleichgewichtslage in die Normalkoordinaten mittels das Gleichungssystem, denn es gilt:
Insbesondere ist
Beispiele
Federpendel
Ein Federpendel ist ein System, an dem eine Masse an einer Feder aufgehängt ist und das sich nur in eine Dimension bewegen kann. Es besitzt also nur einen einzigen Freiheitsgrad, die Auslenkung aus der Ruhelage. Für das Federpendel gilt und , wobei die Federkonstante und die Masse ist. Daher vereinfacht sich die Matrixgleichung auf eine skalare Gleichung
mit einem Polynom ersten Grades in
und einem Eigenvektor
- .
Die Lösung ist also
CO2-Molekül
In erster Näherung kann ein Kohlendioxid-Molekül als drei Massen angesehen werden, von denen die äußeren beiden identischen Massen mit der mittleren Masse durch Federn verbunden sind. Da die Bindungen beide gleichartig sind, sind die Federkonstanten beide . Die Indizes seien so gewählt, dass die Atome von links nach rechts durchnummeriert seien und es sei ferner angenommen, dass sich das Molekül nur entlang der Molekülachse bewegen könne, das heißt, es werden nur Valenz-, aber keine Deformationsschwingungen berücksichtigt. Daher existieren drei Freiheitsgrade des Systems: Die Entfernungen der drei Massen von ihrer Gleichgewichtslage. Dann gilt mit
für die Determinante des Systems
- .
Dessen drei Nullstellen liegen bei
und die Eigenvektoren sind
- .
Dadurch ergibt sich die allgemeine Lösung zu
- .
Die erste Eigenschwingung ist die Translation des gesamten Moleküls, die zweite beschreibt die gegenläufige Schwingung der beiden äußeren Sauerstoffatome, während das Kohlenstoffatom in Ruhe bleibt, und die dritte die gleichförmige Schwingung der beiden äußeren, wobei das mittlere Atom gegenläufig schwingt.
Schwingende Saite
Eine schwingende Saite besitzt unendlich viele Freiheitsgrade und entsprechend auch unendlich viele Eigenfrequenzen. Diese müssen jedoch den Randbedingungen des Problems genügen. Die Wellengleichung lautet
wobei die Auslenkung der Saite und die Phasengeschwindigkeit der Welle ist. Die Lösung der Wellengleichung für ein festes ist
mit . Den Zusammenhang zwischen und nennt man die Dispersionsrelation des Systems. Für eine Saite ist eine Konstante, die von der Spannung und der linearen Massendichte der Saite abhängt.[1]
Die Randbedingungen an die schwingende Saite ist, dass die Enden fest eingespannt sind und sich daher für eine Saite der Länge für alle
sein muss. Dies führt zu der Randbedingung
mit einem beliebigen und somit abzählbar unendlich vielen verschiedenen und entsprechend vielen . Die Eigenfrequenzen der Saite sind daher
und die allgemeine Lösung der Wellengleichung ist eine Superposition über alle Eigenschwingungen:
Normalschwingungen von Molekülen
Ein -atomiges Molekül hat Freiheitsgrade. Davon sind 3 Translationsfreiheitsgrade und im Fall eines linearen Moleküls 2 bzw. im Fall eines gewinkelten Moleküls 3 Rotationsfreiheitsgrade. Somit verbleiben bzw. Vibrationsfreiheitsgrade, die zu Eigenfrequenzen ungleich Null korrespondieren. Die Symmetrien dieser Molekülschwingungen können durch die gruppentheoretischen Charaktertafeln beschrieben werden. Die Normalschwingungen einer entarteten, von Null verschiedenen Eigenfrequenz stellen eine Basis für eine irreduzible Darstellung der Punktgruppe des schwingenden Moleküls dar.
Beim obigen Beispiel sind die anderen beiden Normalschwingungen die vernachlässigten transversalen Schwingungen der Atome in den beiden übrigen Raumrichtungen, die sich nicht in der Linie der Atome befinden.
Quantenmechanik
In der Quantenmechanik wird der Zustand eines Systems durch einen Zustandsvektor dargestellt, der eine Lösung der Schrödingergleichung
ist. Wenn der Hamiltonoperator nicht zeitabhängig ist, ist eine formale Lösung der Schrödingergleichung
Da der Hamiltonoperator ein vollständiges System von Eigenzuständen, den Energieeigenzuständen, besitzt, kann in diesen entwickelt werden. Mit folgt
Dabei beschreiben die quantenmechanischen Eigenfrequenzen keine Schwingung im Ortsraum, sondern eine Rotation im Hilbertraum, auf dem der Zustandsvektor definiert ist.
Technische Beispiele
- Eine Glocke, die angeschlagen wird, schwingt anschließend mit den Eigenfrequenzen. Durch Dämpfung klingt die Schwingung über die Zeit ab. Dabei werden höhere Frequenzen schneller abgedämpft als tiefere.
- Eine Stimmgabel ist so konstruiert, dass außer der tiefsten Eigenfrequenz kaum weitere Eigenschwingungen angeregt werden.
- In Gebäuden können Eigenfrequenzen angeregt werden. Wenn beim Nachbarn Musik läuft, kann es vorkommen, dass die Frequenz eines Basstons mit einer Eigenfrequenz des Raum zwischen der gemeinsamen Wand und einer parallelen Gebäudewand des eigenen Raums zusammenpasst (Raummoden). Die von der Musik angeregten Schwingungen der Wand sind dann mitunter sogar dann hörbar, wenn die Musik anhand ihrer vielen entscheidenden höherfrequenten Tönen im Wesentlichen nicht wahrnehmbar wäre.
- Trommeln haben wie die meisten Musikinstrumente mehrere Eigenfrequenzen.
- Bei Lautsprechern verschlechtern die Partialschwingungen der Membranen die Wiedergabequalität.
Siehe auch
Einzelnachweise
- Harro Heuser: Gewöhnliche Differentialgleichungen. 6. Auflage. Vieweg+Teubner, 2009, ISBN 978-3-8348-0705-2, S. 293.
Literatur
- Robert Gasch, Klaus Knothe, Robert Liebich: Strukturdynamik: Diskrete Systeme und Kontinua. 2. Auflage. Springer, Berlin/Heidelberg 2012, ISBN 978-3-540-88976-2.
- Dieter Meschede: Gerthsen Physik. 23. Auflage. Springer, Berlin/Heidelberg/New York 2006, ISBN 3-540-25421-8.
- Hans-Ulrich Harten: Physik für Mediziner. 6. Auflage. Springer, Berlin/Heidelberg/New York 1993, ISBN 3-540-56759-3.
- Torsten Fließbach: Mechanik. 6. Auflage. Springer, Heidelberg 2009, ISBN 978-3-8274-2148-7.
- Julius Wess: Theoretische Mechanik. 2. Auflage. Springer, Berlin/Heidelberg 2009, ISBN 978-3-540-88574-0.
- R. Zurmühl, S. Falk: Matrizen und ihre Anwendungen 1. Grundlagen, Für Ingenieure, Physiker und Angewandte Mathematiker. Springer, Berlin u. a. 1997, ISBN 3-540-61436-2.