Edith Gerson-Kiwi

Edith (Esther) Gerson-Kiwi (geboren am 13. Mai 1908 in Berlin, gestorben am 15. Juli 1992 in Jerusalem) war eine israelische Musikwissenschaftlerin. Sie gilt als eine der Begründerinnen dieses Fachs in Israel. In ihrer Forschungsarbeit beschäftigte sie sich mit den Musiktraditionen der nach Israel eingewanderten orientalischen Juden und der Musikethnologie.

Leben

Edith Kiwi kam in Berlin als Tochter einer assimilierten jüdischen Familie in Berlin zur Welt. Ihr Vater Rudolph Kiwi war Arzt. Ihr musikalisches Talent wurde früh gefördert. Von 1918 bis 1925 studierte sie am Stern‘schen Konservatorium Klavier bei Elizabeth Dounias-Sindermann und Komposition bei Hans Mersmann. In Leipzig setzte sie ihr Studium an der Musikhochschule fort und schloss 1930 die Ausbildung zur Konzertpianistin ab. Anschließend studierte sie Musikwissenschaften in Freiburg bei Wilibald Gurlitt, später an der Universität Leipzig bei Theodore Kroyer. In Leipzig studierte sie auch Cembalo bei Gunter Ramin, 1931 in Paris bei Wanda Landowska. 1933 wurde sie an der Universität Heidelberg bei Heinrich Besseler promoviert. Der Titel ihrer Doktorarbeit war Studien zur Geschichte des italienische Liedmadrigals im 16. Jh., Satzlehre u. Genealogie der Kanzonetten. Wegen der antisemitischen Gesetzgebung im Nationalsozialismus konnte sie ihre Doktorarbeit, die fünf Jahre später doch in Nürnberg erschien, nicht veröffentlichen. Ihr nicht-jüdischer Verlobter und Kommilitone Fritz Dietrich (1905–1945) entschied sich gegen eine gemeinsame Zukunft mit ihr.

Edith Kiwi floh nach Italien. An der Universität von Bologna studierte sie Bibliothekswissenschaft und Paläografie, schloss 1934 mit einem Diplom ab. Am Liceo Musicale Conte Viatelli arbeitete sie als Lehrerin und Bibliothekarin. 1935 emigrierte sie nach Palästina. Für ein Jahr ließ sie sich in Tel Aviv nieder, wo sie als Pianistin in einer Bar für britische Soldaten auftrat. Dann zog sie nach Jerusalem und heiratete Kurt Gerson, einen ebenfalls aus Deutschland eingewanderten Hydrologen. Die Familie lebte mit dem 1937 geborenen Sohn in Rehavia, einem gehobenen Vorort von Jerusalem, in dem viele aus Deutschland eingewanderte Juden wohnten, die weiterhin einen „deutschen“ Lebensstil pflegten.

Von 1936 bis 1939 war sie Forschungsassistentin bei dem Musikwissenschaftler Robert Lachmann (1892–1939) an den Phonographic Archives for Oriental Music. Seitdem galt ihr gesamtes Forschungsinteresse der liturgischen und nicht-liturgischen Musik der orientalisch-stämmigen Juden in Israel. 1942 wurde sie Dozentin für Musikgeschichte am Palestine Conservatory in Jerusalem. Nach Ermutigung durch den Leiter des Instituts, Emil Hauser, erstellte Gerson-Kiwi eine Sammlung von Aufnahmen ethnologischer Musik, The Phonograph Archives of the Palestine Institute of Folklore and Ethnology. Während des Unabhängigkeitskrieges wurde das Projekt eingestellt, 1950 wurde die Sammlung unter dem Namen Archives for Oriental and Jewish Music an der Hebräischen Universität reetabliert. Trotz wirtschaftlicher und administrativer Schwierigkeiten bestand das Archiv bis 1982.

Besonders aktiv war Gerson-Kiwi in ihrer musikethnologischen Forschung in den 1950er Jahren, als viele Juden aus orientalischen Ländern nach Israel einwanderten. Sie besuchte mit einem Aufnahmegerät zahlreiche Lager der Einwanderer, die u. a. aus Jemen, Marokko und Persien gekommen waren. Sie nahm besonders die Musik der älteren Generation auf, um deren Tradition festzuhalten. In den späten 1980er Jahren ging ihre Sammlung an die National Sound Archives der Jewish National and University Library.

Gerson-Kiwi sammelte traditionelle Musikinstrumente und baute die Instrumentensammlung der Rubin Academy of Music in Jerusalem auf.

1965, als die ersten musikwissenschaftlichen Abteilungen in Israel entstanden, wurde sie Senior Lecturer an der Hebräischen Universität in Jerusalem und dann an der Universität Tel Aviv. 1969 wurde sie in Tel Aviv zur Professorin berufen, sie lehrte dort bis zu ihrem Ruhestand im Jahr 1976. Edith Gerson-Kiwi starb am 15. Juli 1992 in Jerusalem.

Bedeutung

Gerson-Kiwi war Mitbegründerin der israelischen Musikwissenschaft. Sie vertrat Israel bei der International Musicological Society und dem International Folk Music Council und war Vorsitzende der Israeli Musicological Society. Sie veröffentlichte auf Deutsch, Hebräisch, Englisch und Italienisch zahlreiche Artikel über die Musik der Juden aus dem Nahen Osten bis hin zu pan-asiatischen Musikkonzepten.[1] Sie hinterließ rund 10.000 Tonaufnahmen.[2] Auch ein Beitrag zur Entwicklung der Musikwissenschaften in Deutschland wird ihr zugeschrieben, da sie zeit ihres Lebens Briefe mit Kolleginnen und Kollegen in Deutschland austauschte.

Auszeichnung

  • 1970: Engel Prize der Tel Aviv Municipality für ihre wissenschaftliche Arbeit zur jüdischen Musik

Nachlass

Der Nachlass Edith Gerson-Kiwis besteht aus ihrer privaten Forschungsbibliothek mit ungefähr 1.400 Büchern und Sonderdrucken von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen, mit denen sie in Kontakt stand, und einem großen Bestand an Zeitungsbänden. Am Europäischen Zentrum für jüdische Musik (EZJM) in Hannover wird ihr Nachlass erforscht, zu dem auch 4000 Briefe aus den Jahren 1927 bis 1990 gehören.[3][4]

Veröffentlichungen (Auswahl)

  • Mehkarim ethnomusikologim al edot Yisrael, herausgegeben von Ofer Turiel. Tel Aviv: 1972.
  • Migrations and Mutations of the Music in East and West: Selected Writings. Tel Aviv: Faculty of Visual and Performing Arts, Dept. of Musicology, 1980.
  • “Robert Lachmann: His Achievement and His Legacy.” Yuval: Studies of the Jewish Music Research Centre 3 (1974): 100–108.

Einzelnachweise

  1. Eliyahu Schleifer: Edith Gerson-Kiwi. In: Jewish Women’s Archive. Abgerufen am 29. Januar 2022 (englisch).
  2. Jerusalem's "Prussian Island in an Oriental Sea". In: The Librarians. 6. Mai 2021, abgerufen am 29. Januar 2022 (amerikanisches Englisch).
  3. Nachlass von Edith Gerson-Kiwi - "Spannendes Zeitdokument des 20. Jahrhunderts". In: Deutschlandfunk. 8. April 2016, abgerufen am 29. Januar 2022.
  4. EZJM Hannover: Edith Gerson-Kiwi – Briefe. Abgerufen am 29. Januar 2022.
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