Derveni-Papyrus

Der Derveni-Papyrus ist eine antike griechische Schriftrolle und eine der ältesten bekannten literarischen Schriften Europas. Ihr Alter wird auf etwa 2500 Jahre geschätzt. Der Text ist nach Ansicht von Philologen und Historikern bedeutsam für die Kenntnis der religiösen Vorstellungswelt im antiken Griechenland.

Fotografische Reproduktion von Teilen des Derveni-Papyrus
Fragmente des Derveni-Papyrus (Archäologisches Museum Thessaloniki)
Fragmente des Derveni-Papyrus (Archäologisches Museum Thessaloniki)

Beschreibung und Bedeutung

Gefunden wurde der verkohlte Papyrus 1962 in einem Aschehaufen – vermutlich den Überresten der Leichenverbrennungsstätte – auf der Abdeckung von Grab A der Derveni-Gräber nahe dem gleichnamigen Gebirgspass in Makedonien. Die Schriftrolle stammt vermutlich aus der zweiten Hälfte des 5. vorchristlichen Jahrhunderts.[1] Das Feuer hat große Teile der Rolle zerstört. Es handelt sich um insgesamt 266 Fragmente. Erhalten haben sich auf diesen nur etwa 18 % des ursprünglichen Textes, wobei vermutet wird, dass die Abhandlung ursprünglich mehr als eine Papyrusrolle umfasst haben wird.[2] Sie enthält im ersten Teil die Reste einer Beschreibung religiöser Rituale, die vom unbekannten Verfasser kommentiert werden, und im zweiten Teil die Interpretation einer orphischen Theogonie (Entstehung der Götterwelt) durch dieselbe Person. Inhaltlich finden sich viele Überschneidungen mit den Lehren der Philosophen Anaxagoras und Diogenes von Apollonia.[3] Eine genaue Zuweisung der Schrift zu einem der bekannten antiken Gelehrten ist bislang nicht möglich.

Der Derveni-Papyrus wird im Archäologischen Museum Thessaloniki aufbewahrt. Seit 2015 gehört er als ältestes erhaltenes „Buch“ Europas zum UNESCO-Weltdokumentenerbe.[4]

Forschungsgeschichte

Eine Publikation des wichtigen Textes wurde nach seiner Auffindung über viele Jahre immer wieder angekündigt, ohne tatsächlich zu erfolgen. Es kursierte in wissenschaftlichen Kreisen aber eine Textfassung, die der klassische Philologe Reinhold Merkelbach anonym und ohne Erlaubnis der griechischen Fachleute in Thessaloniki 1982 in der Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik herausgab.[5] Es erfolgte umgehend ein Protest in der Fachzeitschrift Gnomon durch Kyriakos Tsantsanoglou, George M. Parássoglou sowie Eric G. Turner, die eine vollständige Ausgabe für 1984 ankündigten.[6]

Erst 22 Jahre später, 2006, erfolgte diese dann durch Theokritos Kouremenos, George M. Parássoglou und Kyriakos Tsantsanoglou. Letztgenannter, Professor für Klassische Philologie von der Aristoteles-Universität Thessaloniki, gab bekannt, dass die vollständige Entschlüsselung des Dokumentes gelungen sei. Zwischen 2014 und 2015 hat Richard Janko die Fragmente mit Hilfe von Mikroskopie erneut untersucht und verschiedene Textverbesserungen erzielen können.[7]

Textausgaben, Übersetzungen, Kommentare

  • Mirjam E. Kotwick (Übers.), Richard Janko (Hrsg.): Der Papyrus von Derveni. De Gruyter, Berlin/Boston 2017, ISBN 978-3-11-041473-8 (griechischer Text mit deutscher Übersetzung, Einleitung und ausführlichem Kommentar).
  • Theokritos Kouremenos, George M. Parássoglou, Kyriakos Tsantsanoglou (Hrsg.): The Derveni papyrus. Olschki, Firenze 2006, ISBN 88-222-5567-4 (kritische Edition mit englischer Übersetzung und Kommentar).

Literatur

  • Gábor Betegh: The Derveni Papyrus. Cosmology, Theology and Interpretation. Cambridge University Press, Cambridge 2004, ISBN 0-521-80108-7.
  • Walter Burkert: How to Learn about Souls. The Derveni Papyrus and Democritus. In: Ioanna Papadopoulou, Leonard Muellner (Hrsg.): Poetry as Initiation. The Center for Hellenic Studies symposium on the Derveni papyrus. Harvard Center for Hellenic Studies, Washington D.C., ISBN 978-0-674-72676-5, S. 107–114.
  • André Laks, Glenn W. Most (Hrsg.): Studies on the Derveni Papyrus. Clarendon Press, Oxford 1997, ISBN 0-19-815032-6 (Google-Buchvorschau).
  • Glenn W. Most (Hrsg.): Studies on the Derveni Papyrus. Vol. 2. Oxford University Press, Oxford 2022, ISBN 9780192855954.
  • Kyriakos Tsantsanoglou: Der Papyrus von Derveni. In: Bernhard Zimmermann, Antonios Rengakos (Hrsg.): Handbuch der griechischen Literatur der Antike. Band 2: Die Literatur der klassischen und hellenistischen Zeit. C. H. Beck, München 2014, ISBN 978-3-406-61818-5, S. 446–452.
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Einzelnachweise

  1. Mirjam E. Kotwick (Übers.), Richard Janko (Hrsg.): Der Papyrus von Derveni. De Gruyter, Berlin/Boston 2017, S. 15.
  2. Mirjam E. Kotwick (Übers.), Richard Janko (Hrsg.): Der Papyrus von Derveni. De Gruyter, Berlin/Boston 2017, S. 14.
  3. Mirjam E. Kotwick (Übers.), Richard Janko (Hrsg.): Der Papyrus von Derveni. De Gruyter, Berlin/Boston 2017, S. 32.
  4. The Derveni Papyrus: The oldest 'book' of Europe | United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization. Abgerufen am 28. August 2017 (englisch).
  5. In Band 47, 1982, auf die Seite 300 folgend mit eigener Paginierung (S. 1–12). Walter Burkert hat 2014 offengelegt, wer für die Publikation verantwortlich war; siehe Walter Burkert: How to Learn about Souls. The Derveni Papyrus and Democritus. In: Ioanna Papadopoulou, Leonard Muellner (Hrsg.): Poetry as Initiation. The Center for Hellenic Studies symposium on the Derveni papyrus. Harvard Center for Hellenic Studies, Washington D.C., S. 113 f.
  6. Kyriakos Tsantsanoglou, George M. Parássoglou, Eric G. Turner: On the Derveni-Papyrus. In: Gnomon 54, 1982, 855f.
  7. Mirjam E. Kotwick (Übers.), Richard Janko (Hrsg.): Der Papyrus von Derveni. De Gruyter, Berlin/Boston 2017, S. 13.
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