De Stijl
De Stijl (Aussprache [[1]), holländisch für „Formgebung“, war eine niederländische Gruppe von Malern, Architekten und Designern, die 1917 in Leiden eine Künstlervereinigung und eine Kunstzeitschrift gleichen Namens gründete.
]Gründungsmitglieder waren der Maler und Kunsttheoretiker Theo van Doesburg, die Maler Piet Mondrian und Georges Vantongerloo, die Architekten Robert van ’t Hoff, J. J. P. Oud und Jan Wils, die Maler Vilmos Huszár und Bart van der Leck sowie der Dichter Antony Kok. Bis 1922 verließen acht der anfänglich zehn Mitglieder die Gruppe, dafür kamen neue hinzu, unter anderem die Architekten Gerrit Rietveld (1918), Cornelis van Eesteren (1922) und der Maler Friedrich Vordemberge-Gildewart (1924).
Kunsttheorien
De Stijl verstand sich weniger als Gruppierung, sondern mehr als Forum für Künstler, die ähnliche Ideen und Ziele in der Kunst verfolgten sowie gemeinsam Ausstellungen und Veröffentlichungen anstrebten. Die Vertreter von De Stijl bekannten sich zu einer geometrisch-abstrakten, „asketischen“ Darstellungsform in Kunst und Architektur und einem auf Funktionalität beschränkten Purismus, der ähnlich wie das deutsche Bauhaus, zu dem ideen- und kunstgeschichtlich eine enge Beziehung besteht, Grundsätze für eine auf alle Gestaltungsbereiche anwendbare Ästhetik aufstellte. Ihre Vorstellungen standen unter dem Einfluss des Kubismus und der kunsttheoretischen Publikationen Wassily Kandinskys.
Im Jahr 1916 machte Piet Mondrian Bekanntschaft mit dem Mathematiker und Theosophen M. H. J. Schoenmaekers (1875–1944), der den Begriff des Stils „Das Allgemeine trotz des Besonderen“ definierte, und dessen vulgärphilosophische Werke Het Geloof van den nieuwen mensch (Der Glaube an den neuen Menschen) und Het nieuwe wereldbeeld (Das neue Weltbild) Mondrian während seiner Theosophiestudien las. Mondrian entlehnte einen großen Teil von Schoenmaekers äußerst klarer Terminologie für seine in „De Stijl“ veröffentlichten Aufsätze und verdankte ihm den Hauptterminus „nieuwe beelding“, der in Deutschland nur sehr schlecht mit „neue Plastik“ oder „Neo-Plastizismus“ anstatt mit „neue Gestaltung“ übersetzt wird.[2]
Das Anliegen der Gruppe war es, sich vollständig von den Darstellungsgrundsätzen der traditionellen Kunst abzuwenden und eine neue, völlig abstrakte Formensprache zu erarbeiten, die auf der Variation von wenigen elementaren Prinzipien der bildnerischen Gestaltung (waagerecht/senkrecht, groß/klein, hell/dunkel und den Grundfarben) beruhte. Das bedeutete die Reduktion der Farben auf die drei Primärfarben Rot, Gelb und Blau sowie die Nichtfarben Schwarz, Grau und Weiß. Die Konzepte De Stijls wirkten nicht nur in bildender Kunst und Architektur, sondern auch im Design von Möbeln und anderen Gebrauchsgegenständen. Als architektonisches Meisterwerk der De Stijl-Bewegung gilt das 1924 erbaute Rietveld-Schröder-Haus in Utrecht.
- Rot-Blauer Stuhl, Design von Gerrit Rietveld, 1917
- Theo van Doesburg, Compositie XXII, 1922
- Das Rietveld-Schröder-Haus in Utrecht
Manifest
Doesburg und Mondrian verwendeten in ihren Theorien zur Kunst Elemente verschiedener Philosophen, insbesondere Platon und Hegel, die sie in ihren grundlegenden Prinzipien des Dualismus – zwischen Objektivem und Subjektivem, Abstraktion und Natur, Asymmetrie und Symmetrie, Vierdimensionalität und Dreidimensionalität, Farbe und Nicht-Farbe, festlegten. Dementsprechend lautete ihr Manifest I von 1918:[3]
1. Es gibt ein altes und ein neues Zeitbewusstsein. Das alte richtet sich auf das Individuelle. Das neue richtet sich auf das Universelle. Der Streit des Individuellen gegen das Universelle zeigt sich sowohl in dem Weltkriege wie in der heutigen Kunst.
2. Der Krieg destruktiviert die alte Welt mit ihrem Inhalt: die individuelle Vorherrschaft auf jedem Gebiet.
3. Die neue Kunst hat das, was das neue Zeitbewusstsein enthält ans Licht gebracht: gleichmäßiges Verhältnis des Universellen und des Individuellen.
4. Das neue Zeitbewusstsein ist bereit, sich in allem, auch im äußerlichen Leben, zu realisieren.
5. Tradition, Dogmen und die Vorherrschaft des Individuellen (des Natürlichen) stehen dieser Realisierung im Wege.
6. Deshalb rufen die Begründer der neuen Bildung alle, die an die Reform der Kunst und der Kultur glauben, auf, diese Hindernisse der Entwicklung zu vernichten, so wie sie in der neuen bildenden Kunst – indem sie die natürliche Form aufhoben – dasjenige ausgeschaltet haben, das dem reinen Kunstausdruck, der äußersten Konsequenz jeden Kunstbegriffs, im Wege steht.
7. Die Künstler der Gegenwart haben, getrieben durch ein und dasselbe Bewusstsein in der ganzen Welt, auf geistlichem [geistigem] Gebiet teilgenommen an dem Weltkrieg gegen die Vorherrschaft des Individualismus, der Willkür. Sie sympathisieren deshalb mit allen, die geistig oder materiell, streiten für die Bildung einer internationalen Einheit in Leben, Kunst, Kultur.
8. Das Organ „Der Stil“, zu diesem Zweck gegründet, trachtet dazu beizutragen, die neue Lebensauffassung in ein reines Licht zu stellen.
9. Mitwirkung aller ist möglich durch:
I. Als Beweis von Zustimmung, Einsendung (an die Redaktion) von Namen (genau), Adresse, Beruf.
II. Beiträge im weitesten Sinne (kritische, philosophische, architektonische, wissenschaftliche, literarische, musikalische usw. sowie reproduktive) für die Monatsschrift ›Der Stil‹.
III. Übersetzung in andere Sprachen und Verbreitung der Ansichten, die in ›Der Stil‹ veröffentlicht werden.
Unterschrift der Mitarbeiter:
Antony Kok, Dichter
Theo van Doesburg, Maler
Piet Mondriaan, Maler
Robt. van ’t Hoff; Architekt
G. Vantongerloo, Bildhauer
Vilmos Huszar, Maler
Jan Wils, Architekt
Kunstzeitschrift
Die Kunstzeitschrift De Stijl, herausgegeben von Theo van Doesburg, erschien seit dem 16. Juni 1917 monatlich mit gelegentlichen Unterbrechungen bis 1928. Schon Jahre vor Einstellung der Zeitschrift begann sich die Gruppe aufzulösen. 1925 schied Mondrian, wie Jahre zuvor Jan Wils, wegen Meinungsverschiedenheiten mit van Doesburg aus, da van Doesburg 1923 begonnen hatte, diagonale Elemente in seinem Werk anzuwenden, was Mondrian ablehnte.[5] Auch andere Künstler gingen neue Wege und trugen so dazu bei, die „De Stijl“-Theorie zu verbreiten und weiterzuentwickeln. Nach dem Tod van Doesburgs 1931 erschien zu seinen Ehren noch eine Sonderausgabe der Zeitschrift.
Architektur
Obwohl die De Stijl-Bewegung im Gegensatz zur Amsterdamer Schule zunächst von einer künstlerischen Auseinandersetzung ausgeht, bringt sie durch die Übertragung ihrer künstlerischen Grundsätze in das Gebiet der Architektur schon bald vergleichbar bedeutende Beispiele modernen Bauens hervor. Eine der ersten architektonischen Äußerungen der Bewegung ist Robert van ’t Hoffs Villa Henny in Huis ter Heide bei Utrecht (1914–1916), die hinsichtlich der Verwendung des Stahlbetons für den Bau von Wohnhäusern ähnlich wegweisend ist, wie Charles-Édouard Jeannerets Maison Dom-ino. Mit ihren streng kubisch-linearen, schmucklosen Formen und ihrer markanten Betonung der Horizontalen ist sie ein wichtiger Wegbereiter der funktionalistischen modernen Architektur.
Der Einfluss von De Stijl auf die moderne Architektur war bis weit nach 1931 groß. Rietveld baute zwischen 1923 und 1924 in Utrecht das Rietveld-Schröder-Haus, das einzige Gebäude, das vollständig nach den Prinzipien von De Stijl errichtet wurde. Zwei schöne Beispiele von J.J.P. Oud findet man in Rotterdam: im Café De Unie am Mauritsweg und im Büro der Geschäftsleitung im Witte Dorp. Auch Ludwig Mies van der Rohe war ein Anhänger der De Stijl-Prinzipien.
Trivia
Die US-amerikanische Band The White Stripes nahm mit ihrem Album De Stijl Bezug auf die Künstlervereinigung. Die Band widmete das Album dem Blues-Musiker Blind Willie McTell und Gerrit Rietveld.
Siehe auch
Literatur
- Hans Ludwig C. Jaffé: De Stijl 1917–1931. Der niederländische Beitrag zur modernen Kunst. In: Bauwelt Fundamente. Band 7. Ullstein, Berlin / Frankfurt am Main / Wien 1965. Neuausgabe 1982: ISBN 3528086076
- Carsten-Peter Warncke: Das Ideal als Kunst. De Stijl 1917–1931. Taschen, Köln 1990, 216 Seiten, ISBN 3822804169.
- Michael White: De Stijl and Dutch Modernism (Critical Perspectives in Art History). Manchester University Press, 176 Seiten, ISBN 0719061628 (engl.)
Weblinks
Einzelnachweise
- Aussprache
- Michel Seuphor: Piet Mondrian. Leben und Werk, Verlag M. DuMont Schauberg, Köln 1957, S. 134
- Wolfgang Asholt, Walter Fähnders: Manifeste und Proklamationen der europäischen Avantgarde (1909–1938), Seite 156/157, Springer-Verlag, 2016
- Die englische Fassung weicht in der Formulierung in gewisser Weise von der deutschen ab. Die Übersetzung lautet etwa so: 1. Es gibt ein altes und ein neues Bewusstsein der Zeit. Das alte ist verbunden mit dem Individuum. Das neue ist verbunden mit dem Universellen. Das Kampf des Individuums gegen das Universelle offenbart sich im Weltkrieg ebenso wie in der Kunst der heutigen Zeit. 2. Der Krieg zerstört die alte Welt mit ihrem Inhalt: Die Dominanz des Individuums in jedem Staat. 3. Die neue Kunst hat vorangebracht, was das neue Bewusstsein der Zeit enthält: eine Balance zwischen dem Universellen und dem Individuum. 4. Das neue Bewusstsein ist bereit, das innere Leben ebenso wie das äußere Leben umzusetzen. 5. Tradition, Dogmen und die Vorherrschaft des Individuellen stehen der Umsetzung entgegen. 6. Die Urheber der neuen plastischen Kunst rufen darum alle auf, die an die Reform von Kunst und Kultur glauben, diese Hindernisse der Entwicklung zu beseitigen, ebenso wie sie in der neuen bildenden Kunst beseitigten (die natürliche Form abschaffend), was den reinen Ausdruck der Kunst, als der entschiedensten Konsequenz jeden Kunstgedankens, behinderte. 7. Die Künstler der Gegenwart wurden auf der ganzen Welt vom selben Bewusstsein angetrieben, und haben sich darum – von einem intellektuellen Standpunkt – am Krieg gegen die Dominanz des individuellen Despotismus beteiligt. Sie sympathisieren darum mit allen, welche die Bildung einer internationalen Einheit von Leben, Kunst und Kultur anstreben, sowohl intellektuell wie materiell. 8. Die monatliche Publikation „Der Stil“ wurde zu diesem Zweck gegründet und bemüht sich, auf getreue Weise zu einer neuen Weisheit des Lebens zu gelangen. 9. Mitwirkung aller ist möglich durch: I. Einsendung mit vollständiger Zustimmung, Name, Adresse und Beruf an die Redaktion "Der Stil". II. Einsendung von kritischen, philosophischen, architektonischen, wissenschaftlichen, literarischen, musikalischen Artikeln oder Reproduktionen. III. Übersetzung von Artikeln in andere Sprachen und Verbreitung der Gedanken, die in ›Der Stil‹ veröffentlicht werden.
- De Stijl (Memento vom 4. September 2004 im Internet Archive), www.tate.org.uk, abgerufen am 13. Februar 2013