Dayuan

Die Dayuan (chinesisch 大宛, Pinyin Dàyuān, wörtlich: Große Yuan, Wade-Giles: Ta-Yüan) waren ein altes Volk im Ferghanatal in Zentralasien. Mutmaßlich handelte es sich um Nachfahren griechisch-makedonischer Siedler. Sie werden in den Shiji des chinesischen Historikers Sima Qian in der frühen Han-Dynastie und im Han Shu, im Zusammenhang mit den Reisen des Zhang Qian um 130 v. Chr. und dessen Begegnungen mit diesem Volk, beschrieben. Im Krieg der Himmlischen Pferde kam es zu einer militärischen Auseinandersetzung mit der Han-Dynastie.

Lage der Dayuan (im Ferghanatal) und der Nachbarvölker

Die Geschichte der Dayuan

Das hellenistische Erbe

Ein wahrscheinlich griechischer Soldat, darüber ein Kentaur. Wandteppich, Sampul, 2.–3. Jahrhundert, heute im Xinjiang-Museum in Ürümqi

Die Region um Ferghana wurde um 329 v. Chr. von Alexander dem Großen erobert und zu seiner Basis in Zentralasien ausgebaut. Er gründete die befestigte Stadt Alexandria Eschate (griechisch Αλεξανδρία Έσχατη, „Alexandria die Äußerste“) im Südwesten des Ferghana-Tals, am Südufer des Flusses Syrdarja (im Altertum: Jaxartes), an der Stelle der heutigen Stadt Khujand in Tadschikistan. Alexander ließ diese Polis von einer sechs Kilometer langen Ziegelsteinmauer umgeben und hinterließ eine Garnison von Veteranen und Verwundeten. Es wird angenommen, dass es sich bei den Dayuan um Nachfahren dieser Griechen und Makedonen handelte.

Das vollständige Gebiet von Baktrien, Transoxanien und Ferghana blieb bis etwa 250 v. Chr. unter der Kontrolle der makedonischen Seleukiden. Die Region erklärte sich dann unter ihrem Statthalter Diodotos I. für unabhängig und bildete fortan das Gräko-Baktrische Reich; die Dayuan bildeten offenbar den nördlichen Teil dieses Reiches in Ferghana.

Das Griechisch-Baktrische Königreich

Die Gräko-Baktrer hielten ihr Territorium und konnten es sogar erweitern. Laut dem griechischen Historiker Strabon konnten sie ihr Reich bis zu den Grenzen von Seres (China) und zu den Phryni ausdehnen. Es gibt sogar Anhaltspunkte dafür, dass sie ihre Expeditionen bis nach Kaschgar in Xinjiang ausdehnten, was zum ersten Kontakt der chinesischen und der westlichen Kultur um 200 v. Chr. führte. Für diese These sprechen mehrere archäologische Funde von Statuetten und anderen Darstellungen griechischer Soldaten nördlich des Tian Shan; diese Funde sind heute im Museum von Ürümqi ausgestellt.

Herrschaft der Saken

Sakischer (skythischer) Reiter, Filz ca. 300 v. Chr.

Um 160 v. Chr. fielen Stämme der Saken, im Osten verbliebener Skythen, die von den Chinesen die Sai-Wang genannt wurden, in das Ferghana-Tal ein. Ursprünglich siedelten die Saken wohl im Ili-Tal in der Nähe des Issyk-Kul-Sees. Nachdem die Yuezhi, ein indogermanisches Nomaden-Volk, das von den Griechen Tocharer genannt wurde, von den Xiongnu aus ihrem angestammten Gebiet vertrieben worden waren, fielen diese in das Gebiet um Ili ein und vertrieben die Saken, die wiederum in das Gebiet der Dayuan einfielen. Im Han Shu findet sich dazu die folgende Passage:

Die Yüe-tschi griffen den König der Dai-Wang an, der sich beträchtlich weit nach Süden zurückzog, dann besetzten sie sein Land.

Wenn der chinesische Gesandte Zhang Qian die Dayuan um 128 v. Chr. beschreibt, erwähnt er neben der urbanen Bevölkerung auch Krieger, die „Pfeile von Pferderücken verschießen“, eventuell eine Beschreibung der Saken. In diesem Fall lebten die sesshaften Dayuan unter der Hegemonie der nomadischen Saken weiter, vermutlich als tributpflichtige Abhängige.

Für diese Hypothese spricht ebenfalls, dass in einem Bericht über den Krieg gegen China von 106–101 v. Chr. (Krieg der Himmlischen Pferde), in dem die Dayuan sich mit den Sogdern (Sogdien) verbündet hatten, sich der sakische Name Mu-Kua für den König der Dayuan in den Chroniken findet. Der Name könnte auf Maues, einen indo-skythischen König, zurückgehen.

Der Einfall der Yuezhi

Das Han Shu beschreibt, dass die Yuezhi im Jahr 155 v. Chr. erneut vernichtend durch die Wu-sun geschlagen wurden, und daraufhin Ili verließen. Dabei fielen sie in das Gebiet der Dayuan ein, durchquerten es und ließen sich schließlich nördlich des Amudarja (im Altertum: Oxus) im heutigen Kasachstan beziehungsweise Usbekistan nieder. Dabei schnitten sie die Dayuan definitiv von den Gräko-Baktrern ab.

Die Dayuan blieben zunächst eine starke Nation, die sich ab 130 v. Chr. auch durch den Einfluss der Yuezhi stärker an das Kaiserreich China anlehnte und eine Vielzahl von Kontakten und auch Handelsbeziehungen nach dort pflegte. Die Yuezhi hingegen adaptierten Teile der hellenistischen Lebensart und vor allem wohl auch die griechische Schrift von den Dayuan, bis das Reich der Yuezhi schließlich um 125 v. Chr. weiter nach Süden expandierte und später ab dem 1. Jahrhundert Kuschana in Indien gründete.

Die Dayuan in chinesischen Chroniken

Um 130 v. Chr., zur Zeit der Reisen des Zhang Qian, werden die Dayuan als Einwohner einer Region westlich des Kaiserreich Chinas, im Ferghana-Tal beschrieben. Im Han Shu heißt es:

Die Hauptstadt des Königreichs der Dayuan ist die Stadt Kui-shan (Khujand), 12.550 li von Chang’an entfernt. Das Königreich besteht aus 60.000 Familien, insgesamt einer Population von 300.000 Menschen, mit einer 60.000 Mann starken ausgebildeten Armee. Es gibt einen Vizekönig und einen Fürsten. Die Generalität liegt in einer Distanz von 4.030 li Richtung Osten.

Im Shiji findet sich folgende Stelle, die die Lage der Yuezhi hinter dem Oxus beschreibt:

Die großen Yuezhi finden sich etwa 2000 oder 3000 li westlich der Dayuan, sie siedeln nördlich des Flusses Kuei (Oxus). Südlich von ihnen siedeln die Daxia (Baktrer), westlich die Anxi (Parther) und nördlich die Kangju (Sogdien).

Das Shiji beschreibt dann weiter, dass die Yuezhi zunächst östlich der Dayuan, im Tarimbecken, siedelten und dann durch die Xiongnu unter ihrem Heerführer Mao-tun Khan im Jahr 176 v. Chr. geschlagen wurden und durch das Gebiet der Dayuan nach Westen flohen.

Sesshafte Stadtbewohner

Die Lebensart der Dayuan war der der weiter südlich lebenden Baktrer sehr ähnlich, schreibt Zhang Qian. Im Shiji findet sich folgende Passage:

Ihre (die der Gräkobaktrer) Lebensart ist dieselbe wie der Dayuan. Die Menschen haben feste Aufenthaltsorte und leben in von Mauern umschlossenen Städte in gewöhnlichen Häusern, genau wie das Volk der Dayuan. Sie haben keine großen Könige oder Herrscher, aber in jeder ihrer Städte und Siedlungen gibt es kleine Könige.

Im Han Shu findet sich dazu weiter:

Sie (die Dayuan) haben Stadtmauern und Häuser; große und kleine Städte gehören zu ihrem Reich, insgesamt 70 an der Zahl, alle zusammengenommen leben dort mehrere hunderttausend Menschen … Auch gibt es mehr als 70 andere Städte im Land.

Die Dayuan waren also im Gegensatz zu den Yuezhi, den Wu-sun oder den Xiongnu Stadtbewohner.

Indogermanische Züge

Das Volk der Dayuan hat große eingesunkene Augen, buschige Bärte und Backenbärte. Sie sind geschickte Händler, und streiten sich um die Aufteilung eines Viertelpfennigs. Frauen werden von ihnen mit großer Ehrerbietung behandelt, und sie beeinflussen ihre Ehemänner in deren Entscheidungen.

Weiter wird ihr handwerkliches Geschick und ihre Liebe zum Wein beschrieben:

Die Dayuan keltern Wein aus Trauben. Reiche Leute lagern 10.000 Gefäße und mehr in ihren Kellern, und bewahren sie mehrere Jahre, ohne dass der Wein verdirbt. Das ganze Volk ist dem Wein sehr zugetan.

Angeblich wurde der Wein sogar durch die Reisen des Zhang Qian von den Dayuan in das Kaiserreich China eingeführt. So heißt es im Shiji:

Die Abgesandten der Han brachten schwarze Trauben und Alfalfa-Samen nach China, und der Kaiser ließ versuchen, die Pflanzen auf reichem Boden anzubauen.

Interaktionen mit dem Kaiserreich China

Die Berichte von Zhang Qian, der eigentlich vergeblich ausgesandt worden war, um eine Allianz mit den Yuezhi gegen die Xiongnu zu schließen, erregten beim chinesischen Kaiser Han Wudi das Interesse daran kommerzielle Kontakte zu den Bewohnern von Baktrien, Parthien und des Ferghana-Tals aufzubauen. So berichtete Sima Qian:

Der Sohn des Himmels schloss, nachdem er diese Berichte gehört hatte, dass Ferghana (Dayuan) und die Besitztümer Baktrien und Parthien bedeutende Ländereien sind, reich an seltenen Gütern, mit einer sesshaften Bevölkerung und einer Lebensart ähnlich derer der Chinesen, aber mit schwachen Armeen, und die Völker scheinen der reichen Produktion Chinas einen großen Wert beizumessen.

Die Chinesen begannen daraufhin, eine große Anzahl von Botschaftern, etwa zehn pro Jahr, in diese Länder zu schicken. Dabei erreichten sie sogar das seleukidische Syrien.

Botschaften wurden in An-Si (Parther), An-ts'ai (Aorsen oder Alanen), Li-kan (Syrer unter den Seleukiden), T'iau-chi (Chaldäer) und Shon-tu (Inder) eingerichtet […]. Als Leitfaden starteten mehr als zehn Missionen pro Jahr in diese Länder, nie jedoch weniger als fünf oder sechs.
Abbildung eines Pferdes, späte Han-Dynastie, 1.–2. Jahrhundert

Die Chinesen waren sehr an den starken und hochgewachsenen Pferden der Dayuan interessiert, die sie „Himmelspferde“ nannten. Diese Tiere waren von großer Bedeutung im Kampf gegen die Xiongnu. Nachdem die Dayuan es ablehnten, diese Pferde in großer Zahl an China zu liefern, schickten die Chinesen im Jahr 104 v. Chr. eine Armee unter General Li Guangli nach Ferghana. Diese Armee wurde jedoch geschlagen, da sie nur schlecht vorbereitet war und ihre Gegner unterschätzte. So beschreibt das Shiji den Plan mit:

Die Armee der Dayuan ist schwach; wenn wir sie mit mindestens 3.000 chinesischen Soldaten, die mit Armbrüsten bewaffnet sind, angreifen, können wir sicher sein, sie zu überwinden.

Nach dieser Niederlage schickte China eine 100.000 Mann starke Armee, die nach Verhandlungen 3.000 Pferde zugesprochen bekam. In den vorangehenden Kämpfen, die man den Krieg der Himmelspferde nennt, behielten die Chinesen die Oberhand, es gelang ihnen aber nicht, die Hauptstadt der Dayuan (möglicherweise Alexandria Eschate) einzunehmen.

Bei der Ankunft in Ferghana bestand die chinesische Armee aus 30.000 Mann. Die Armee der Yuan lieferte sich eine Schlacht mit dieser. Ausschlaggebend für den Sieg war schließlich die Effizienz der chinesischen Bogenschützen. Nach der Niederlage verschanzten sich die Yuan in den Städten und besetzten die Stadtmauern […] Trotz aller Versuche gelang es den Chinesen nicht in das Innere der Stadt vorzudringen, und so zogen sie sich zurück.

Wenn es sich bei den Dayuan tatsächlich um eine griechische Zivilisation handelte, so war dies der einzige bezeugte Krieg zwischen einem hellenistischen Reich und China. Infolge dieser Niederlage wurden die Dayuan den Chinesen jedenfalls tributpflichtig und zunächst kurzfristig unter die Oberhoheit der Suoche (chinesisch: 莎車) aus Yarkant gestellt. Es ist belegt, dass das Königreich der Dayuan noch in der Zeit der Zeit der drei Reiche und während der Jin-Dynastie existierte, zu dieser Zeit gab es allerdings keinen diplomatischen Kontakt zum Kaiserreich China mehr.

Nach diesem Raubzug war das Kaiserreich China bemüht, das Verhältnis zum Westen wieder zu normalisieren. Ein Friedensvertrag zwischen China und den Dayuan wurde geschlossen und die Botschaft wieder eingerichtet. Auch verkehrten nun regelmäßig Karawanen zwischen China und Baktrien.

Eine Ära des Ost-West-Handels und kultureller Austausch

Schließlich wurde im 1. Jahrhundert nach Christus die Seidenstraße eingerichtet, sie diente nicht nur als Tor Chinas zum Westen, sondern verstärkte auch den Kontakt zu den Völkern des Tarimbeckens, sowie den Dayuan, Parthern und Baktrern.

Der Handel weitete sich bald aus und wurde, vor allem durch den Hunger Roms nach Seide, sehr stark. Der Zustand spitze sich so zu, dass der römische Senat ebenfalls im 1. Jahrhundert mehrere Edikte erließ, die das Tragen von Seide verboten, was unabhängig voneinander von mindestens drei zeitgenössischen, römischen Autoren (Strabon, Seneca und Plinius dem Älteren) berichtet wurde.

Dies war auch die Zeit, in der der Buddhismus und Graeco-Buddhismus sich entlang der Seidenstraße ausbreiteten und gegen Ende des 1. Jahrhunderts China erreichten.

Literatur

  • Ban Biao, Ban Gu: Han Shu. In: Journal of the Anthropological Institute of Great Britain and Ireland. III/1874, V/1876, X/1881 XI/1882. Royal Anthropological Institute of Great Britain and Ireland, ISSN 0959-5295, III S. 401–452, V S. 41–80, X, S. 20–73, XI S. 83–115.
  • Friedrich Hirth: Zhang Qian's Mission to the West. In: Journal of the American Oriental Society. 37/2/1917, American Oriental Society, ISSN 0003-0279, S. 93–116.
  • Sima Qian: Records of the Grand Historian of China. Translated from the Shih Chi of Sima Quian by Burton Watson. Vol. II, Columbia University Press, New York 1961, ISBN 0-231-08167-7.
  • Strabon: Geographika. Buch IX-XIII. 1. Auflage. Vandenhoeck & Ruprecht Verlag, Göttingen 2005, ISBN 3-525-25952-2.

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