Dankmar Alrutz

Dankmar Alrutz (* 29. Juni 1950 in Hann. Münden; † 7. März 2024) war ein deutscher Verkehrswissenschaftler, Bauingenieur, Verkehrsplaner und Gutachter in Hannover. Er war einer der führenden deutschen Forscher und Planer im Bereich Rad- und Fußverkehr.

Leben

Alrutz studierte 1971 bis 1978 an der damaligen Technischen Universität Hannover Bauingenieurwesen mit Vertiefung Verkehrsplanung. Nach vier Jahren von 1978 bis 1982 als Mitarbeiter bei der Beratungsstelle für Schadenverhütung des HUK-Verbandes (jetzt: Unfallforschung der Versicherer im Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV)) absolvierte er ein Referendariat in Niedersachsen, das er erfolgreich als Bauassessor abschloss. Er war von 1984 bis 1986 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Verkehrswirtschaft, Straßenwesen und Städtebau der Universität Hannover bei Professor Robert Schnüll. 1986 gründete er als einer von drei Geschäftsführern das Ingenieurbüro Planungsgemeinschaft Verkehr (PGV) in Hannover. Im Jahr 2012 entstanden aus der PGV zwei eigenständige Büros, darunter die PGV-Alrutz, deren Geschäfte er bis zu seinem Tod gemeinsam mit zwei Partnern führte. Alrutz verstarb im März 2024, er hinterlässt seine Frau und drei erwachsene Kinder.

Werk

Alrutz hatte sich bereits in der Zeit beim HUK-Verband (seit 1978) mit der Sicherheit des Radverkehrs beschäftigt, dem seitdem ein wesentlicher Teil seiner Arbeit gewidmet war. Er war einer der Autoren der Empfehlungen für Radverkehrsanlagen (ERA) in der Ausgabe 1982 (damals noch Empfehlungen für Bau, Betrieb und Unterhaltung von Radverkehrsanlagen). Er war wesentlich an deren Neufassungen beteiligt, an den ERA 95 (1995) und den aktuell gültigen ERA 2010. Diese Werke, besonders die Ausgaben der ERA 95 und ERA 2010, die von der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV) herausgegeben werden, haben (bei konsequenter Anwendung) wesentlich zu einer deutlichen Steigerung des Radverkehrs in zahlreichen deutschen Kommunen beigetragen. Alrutz war auch an einigen Kapiteln der Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen (RASt 06) maßgeblich beteiligt. Die RASt 06 sind heute das bedeutsamste Regelwerk für die Gestaltung von Straßen innerorts in Deutschland.

In zahlreichen Forschungsprojekten sammelte Alrutz Erkenntnisse zur Verkehrssicherheit, dem Verhalten und den Präferenzen von Radfahrern sowie, in geringerem Maß, zu Fußgängern. Er gewann unter anderem Erkenntnisse zu Radverkehrsführungen und Gestaltungsmöglichkeiten an Knotenpunkten mit oder ohne Lichtsignalanlagen und an Kreisverkehren, in Erschließungsstraßen, in für den Radverkehr in Gegenrichtung geöffneten wie auch nicht geöffneten Einbahnstraßen, in Fahrradstraßen, auf Radfahrstreifen und Schutzstreifen in Hauptverkehrsstraßen, auch außerorts. Diese Ergebnisse aus zahlreichen Forschungsarbeiten unter der Leitung von Alrutz führten zur Weiterentwicklung der Regelwerke der FGSV, zur Anpassung von rechtlichen Rahmenbedingungen (z. B. der Öffnung von Einbahnstraßen für den gegengerichteten Radverkehr in der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO)) und zur Weiterentwicklung von Radverkehrsführungen in der Praxis.

1986 veröffentlichte er mit zwei Co-Autoren die 2. Auflage des Handbuch für Radverkehrsanlagen im Otto Elsner Verlag, lange Zeit ein Standardwerk zum Thema (die erste Auflage von Heinrich Richard stammt von 1981). Als weitere Publikationen hervorzuheben sind die umfangreiche Dokumentation zur Sicherung des Fahrradverkehrs von 1989 (mit Hans W. Fechtel und Juliane Krause), vereinzelt scherzhaft wegen ihres Umfangs „Die Bibel“ genannt (557 A-4-Seiten Text, 43 Seiten Literaturverzeichnis). Obwohl die Logik dazu nicht ganz stimmt, wird Alrutz seit den frühen 1990er Jahren vereinzelt „Fahrrad-Papst“ oder auch „ERA-Papst“ genannt.

Zu erwähnen sind die Gutachten zum ersten (1999)[1] und zweiten Fahrradbericht (2007)[2] nebst Anhang[3] der Bundesregierung, in deren Folge der (erste) Nationale Radverkehrsplan (NRVP) 2002-2012[4] und der zweite Nationale Radverkehrsplan 2020[5] erarbeitet und vom Kabinett verabschiedet wurden. Diese sind Grundlage der gestiegenen Investitionsbereitschaft wie auch der inzwischen erhöhten politischen Aufmerksamkeit von Bundesregierung und Bundestag beim Radverkehr.

Für mehrere Bundesländer erarbeitete Alrutz gutachterlich und moderierend strategische Empfehlungen, so 2007 für Hamburg die Radverkehrsstrategie, deren (zeitweise schleppende) Umsetzung alle zwei Jahre in Fortschrittsberichten dokumentiert wird, 2014 eine Wirkungskontrolle Radverkehr in Baden-Württemberg[6] und seit 2017 das Fahrradmobilitätskonzept für Niedersachsen.[7]

Alrutz brachte seit 2010 das Thema Radschnellverbindungen in Deutschland thematisch voran. Er war Leiter des Arbeitskreises 2.5.4 der FGSV zu diesem Thema.[8] Seit 2017 besteht nach einer Änderung am Bundesfernstraßengesetz die Möglichkeit, den Bau von Radschnellverbindungen durch den Bund fördern zu lassen, wie schon zuvor in mehreren Bundesländern.

Alrutz war von 2001 bis 2015 Mitglied der Jury beim Landespreis Fahrradfreundliche Kommune Niedersachsen. Dies war ein mit bis zu 25.000 Euro dotierter Preis des Landes Niedersachsen für besonders aktive Kommunen oder herausragende Einzelprojekte. Andere Jurymitglieder waren Vertreter der Fraktionen im Niedersächsischen Landtag, der kommunalen Spitzenverbände und des ADFC.[9] Die Ergebnisse des jährlichen Wettbewerbs wurden jeweils in Broschüren „Fahrradland Niedersachsen“ veröffentlicht.[10] Der Landespreis hat einen wichtigen Grundstein gelegt für die Gründung der Arbeitsgemeinschaft fahrradfreundlicher Kommunen Niedersachsen/ Bremen (AGFK).

Zu vielen Erkenntnissen aus Forschungsprojekten und Planungspraxis verfasste Alrutz Artikel in Fachzeitschriften, im Handbuch für kommunale Verkehrsplanung und anderen Veröffentlichungen, teils mit Co-Autoren. Alrutz war mit 47 Veröffentlichungen seit 1980 in der Literaturdatenbank zum Nationalen Radverkehrsplan auf dem damaligen Fahrradportal nrvp.de vertreten, die auch graue Literatur enthält.

Alrutz hielt bei zahlreichen Veranstaltungen unterschiedlicher Institutionen Vorträge und Präsentationen, u. a. beim Allgemeinen Deutschen Automobil-Club, dem Deutschen Verkehrssicherheitsrat (DVR), dem deutschen Straßen- und Verkehrskongress, der Fahrradakademie, beim Nationalen Radverkehrskongress sowie u. a. den AGFKs in Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen/Bremen.

Tätigkeit in Verbänden

Alrutz war lange Zeit Vorsitzender des damaligen Arbeitsausschusses 2.8 Anlagen des Fußgänger- und Radverkehrs der FGSV. Er war im Ausschuss, der mittlerweile nur noch für Radverkehr zuständig ist, weiterhin Mitglied. Alrutz war seit dessen Gründung bis 2019 Mitglied des Arbeitskreises 2.5.1 Aktuelle Fragen des Radverkehrs, inzwischen Fortschreibung der ERA. In diesem wurden unter anderem die Fassungen der Empfehlungen für Radverkehrsanlagen (ERA 95 und ERA 2010) erarbeitet. Im Arbeitskreis 2.5.1 und mit Alrutz’ wesentlicher Mitwirkung wurde auch das Merkblatt zur wegweisenden Beschilderung für den Radverkehr 1998 veröffentlicht. Danach hat sich in zahlreichen Regionen Deutschlands eine mehr oder weniger flächendeckende, relativ einheitliche Fahrrad-Wegweisung etabliert. Die Beachtung des Merkblatts mit landesspezifischen Abwandlungen ist in den meisten Bundesländern inzwischen eine Fördervoraussetzung.

Alrutz war darüber hinaus Leiter des Ad-hoc-Arbeitskreises (inzwischen Arbeitskreis 2.5.4) der FGSV, in dem das 2014 veröffentlichte Arbeitspapier Einsatz und Gestaltung von Radschnellverbindungen entwickelt wurde, das seitdem wesentlich die Planungen zu Radschnellwegen beeinflusst. An dessen Überarbeitung und Weiterentwicklung zur H RSV 21, Hinweise für Radschnellverbindungen und Radvorrangrouten war er als Leiter des Arbeitskreises 2.5.4 federführend beteiligt. Auch die in diesen Papieren zusammengestellten Anforderungen und Vorgaben haben wesentlichen Anteil an der aktuellen Fördermittelvergabe und somit der Umsetzung von Radschnellwegen in Deutschland.

Weitere Mitgliedschaften bestanden in der Vereinigung der Straßenbau- und Verkehrsingenieure in Niedersachsen (VSVI), wo er in fast allen Landesverbänden zahlreiche Vorträge bei deren Seminaren hielt, sowie im Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) und dem Verkehrsclub Deutschland (VCD).

Auszeichnungen

Alrutz wurde 2008 auf dem Deutschen Straßen- und Verkehrskongress die FGSV-Ehrennadel verliehen. Diese Auszeichnung wird alle zwei Jahre an meist nicht mehr als sieben Personen verliehen.[11] Er wurde dort als „Vater der ERA 95“ bezeichnet.[12]

Zitate

  • „Besser kein Radweg als ein schlechter.“[13]
  • „Kritisch muss die Praxis vieler Kommunen bewertet werden, Radwege auf schnelle und kostengünstige Art, insbesondere durch Abmarkieren von Gehwegen anzulegen. Die Erfahrung zeigt, dass derartige Radwege sehr häufig nicht den gewünschten Sicherheitsgewinn bringen. Unter diesem Gesichtspunkt kommt auch der Mängelbeseitigung auf bestehenden Radwegen ein sehr hoher Stellenwert zu.“ (Hervorhebungen im Original)[14]
  • „Die Gefahr kommt von rechts!“ Bonmot von Alrutz bei einem Vortrag über Schutzstreifen, dass Gefährdungen für Radfahrer eher durch unerwartet geöffnete Autotüren entstehen als durch nachfolgende und überholende Autos

Veröffentlichungen

Auswahl, teilweise mit (weiteren) Co-Autoren

Einzelnachweise

  1. Erster Bericht der Bundesregierung über die Situation des Fahrradverkehrs in der Bundesrepublik Deutschland 1998. (PDF) Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, März 1999, abgerufen am 28. Januar 2020.
  2. Zweiter Fahrradbericht der Bundesregierung – Schlussbericht. (PDF) Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Mai 2007, abgerufen am 28. Januar 2020.
  3. Zweiter Fahrradbericht der Bundesregierung – Schlussbericht – Anhang. (PDF) Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Mai 2007, abgerufen am 28. Januar 2020.
  4. Nationaler Radverkehrsplan für Deutschland 2002 bis 2012 – FahrRad! Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, archiviert vom Original am 5. Juni 2012; abgerufen am 5. Januar 2012.
  5. Nationaler Radverkehrsplan 2020. In: Fahrradportal. Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI), archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 13. Dezember 2019; abgerufen am 28. Januar 2020.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/nationaler-radverkehrsplan.de
  6. 1. Wirkungskontrolle 2014 auf fahrradland.de
  7. Dankmar Alrutz: Das landesweite Fahrradmobilitätskonzept für Niedersachsen. (PDF, 1,5 MB) Fachtagung Fahrradland Niedersachsen am 30. November 2017 in Oldenburg. In: Fachtagung der AGFK Nds. 2017. Arbeitsgemeinschaft fahrradfreundliche Kommunen in Niedersachsen/Bremen, 30. November 2017, abgerufen am 28. Januar 2020.
  8. 2.5.4 Radschnellverbindungen. Leitung Dipl.-Ing. Dankmar Alrutz. Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen, 29. August 2016, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 28. Januar 2020; abgerufen am 28. Januar 2020 (Gremium: AG 2 (Straßenentwurf), Arbeitsausschuss 2.5 (Radverkehr), Arbeitskreis 2.5.4 (Radschnellverbindungen)).  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.fgsv.de
  9. Presseerklärung des nds. Wirtschaftsministeriums
  10. beispielhaft Broschüre Fahrradland Niedersachsen 2015
  11. Ehrungen / Stiftungen. In: FGSV.de. Archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 30. Juli 2021; abgerufen am 12. März 2024.
  12. FGSV-Ehrennadel für Dankmar Alrutz. Archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 25. Juni 2016; abgerufen am 12. März 2024.
  13. Konrad Pfundt, Dankmar Alrutz: Radverkehr. Bemerkungen zum aktuellen Stand. In: Forschungsdienst Fahrrad 174. 29. August 1992, abgerufen am 12. März 2024.
  14. Dankmar Alrutz, Hans W. Fechtel, Juliane Krause: Dokumentation zur Sicherung des Fahrradverkehrs (= Bundesanstalt für Straßenwesen [Hrsg.]: Unfall- und Sicherheitsforschung Straßenverkehr. Nr. 74). 1989, ISBN 978-3-88314-892-2 (Zusammenfassung auf difu.de [abgerufen am 12. März 2024]).
This article is issued from Wikipedia. The text is licensed under Creative Commons - Attribution - Sharealike. Additional terms may apply for the media files.