Wunderhirsch

Der Wunderhirsch ist ein Fabeltier im hunnischen und ungarischen Sagenkreis.

Abbildung in der Ungarischen Bilderchronik
Hunor und Magor. Gemälde von Mór Than, 1868
Hunor und Magor. Springbrunnen in Százhalombatta, Ungarn
Funde aus Törtel und Oberplankenstein mit dem Wunderhirsch

In der Forschung konnten Parallelen der weit verbreiteten Motivgruppe im Osten und Westen nachgewiesen werden. Der Wunderhirsch ist auch seit alten Zeiten ein Himmelszeichen bei vielen eurasischen Völkern und einigen nordamerikanischen Stämmen.

Er kommt auch im ungarischen Neuheidentum bzw. in der (ggf. völkisch missbrauchten) Folklore als csodaszarvas vor und gilt als nationales Symbol. Die Geschichte vom Wunderhirsch ist eigentlich ein jahrhundertealtes "Gute-Nacht-Märchen" für Kinder über die Herkunft ihres Volkes. Es ist zu vermuten, dass die Ungarn zur Zeit der Landnahme die aus östlichen Kulturen stammende Sage mit sich brachten. Später vermischte sie sich mit den christlichen Legenden von Eustachius und Hubertus.

Hunnisch-ungarischer Sagenkreis

Im Werk Gesta Hunnorum et Hungarorum des mittelalterlichen Chronisten Simon Kézai blieb die Sage erhalten. Die Söhne von Ménrót und Eneth, Hunor und Magor, von denen der Legende nach die Hunnen und Magyaren abstammen, wurden in der Sage vom Wunderhirsch in ein neues Siedlungsgebiet geführt.

Originalzitat:

S minthogy Hunor és Magor első szülöttek valának, atyjoktól megválva kölön sátrakba szállnak vala. Történt pedig, hogy a mint egyszer vadászni kimentek, a pusztán egy szarvas ünőre bukkanának, mellyet, a mint előttök futott, a Meotis ingoványaiba kergetének. S midőn az ott szemök elől tökéletesen eltűnt, sokáig keresék, de semmi módon nem találhatták. Végre is az említett ingoványokat bejárván, azon földet baromtartásra alkalmasnak szemlélték.

Freie Übersetzung:

»Und da Hunor und Magor Erstgeborene waren, nächtigten sie in von ihrem Vater getrennten Zelten. Als sie einmal zum Jagen weggingen, ereignete es sich, dass sie in einer Steppe eine Hirschkuh angriffen, der sie, wie sie vor ihnen herlief, in das Sumpfgebiet Meotis nachjagten. Und nachdem er dort vor ihren Augen völlig verschwand, suchten sie lange, doch gelang es ihnen nicht, sie zu finden. Schließlich fanden sie am Eingang des erwähnten Sumpfgebietes für Rinderhaltung geeignetes Land vor.«

Auch in der Ungarischen Bilderchronik ist die Sage vom Wunderhirsch zu finden.

Mittelalter

Der Wunderhirsch spielt auch in den Gesta Hungarorum im Kapitel über den Stammesführer Bars und der Gründung seiner Burg eine Rolle als den Weg weisendes Tier.

Originalzitat:

Közös elhatározással evégre Böngér fia Borsot küldötték ki vitézeivel. Mikor a Garam folyó mellett lovagoltak, egy szarvas futásnak eredt előttük, és nekivágott a hegytetőknek. Bors nagy sebesen űzőbe fogta, és a hegyormon lenyilazta. Majd midőn azokat a hegyeket ott körös-körül szemügyre vette, az a gondolata támadt, hogy várat épít ott. Azonnal össze is gyűjtött sok-sok várnépet, és egy magasabb hegy ormán igen erős várat emelt; egyszersmind a maga tulajdon nevét ruházta rá, úgyhogy Bors várának hívják.

Freie Übersetzung:

»Schließlich sandte man nach einem gemeinsamen Beschluss Böngérs Sohn Bors mit seinen Kriegern aus. Als sie neben dem Fluss Garam herritten, erschien ein laufender Hirsch vor ihnen und kreuzte die Berggipfel. Bors nahm eine schnelle Verfolgung auf und schoss ihn an der Bergflanke mit einem Pfeil nieder. Als er die Berge im Umkreis in Augenschein nahm, kam ihm der Gedanke, dort eine Burg zu bauen. Sofort sammelte er viel Burgvolk zusammen und an der Flanke eines höheren Berges herhob sich eine starke Burg; dann stattete er sie mit seinem eigenen Namen aus, so dass sie die Burg von Bors genannt wurde.«

In ungarischen und polnischen Chroniken des Mittelalters ist es ein mehrmals wiederkehrendes Motiv, dass der Wunderhirsch zeigt, wo Kirchen und Kloster gebaut werden sollen. So wies er dem heiligen Gellért den Ort des Klosters Bakonybél an, und in der Gründungslegende der Kirche von Vác zeigte er Ladislaus dem Heiligen, wo er den Dom errichten soll. Polnischen Chroniken zufolge gab der Hirsch dem heiligen Emmerich kund, wo die Polen Kloster bauen sollten.

Ungarische Volkstradition

Der in den alten Balladen vorkommende Hirsch ist immer ein männliches Tier, er wird auch csodafiúszarvas genannt (fiú bedeutet „Junge“, „Knabe“, „Sohn“). In einer Variante aus Bucsu im Komitat Vas aus der Zeit der Jahrtausendwende hat er tausend Hörner mit tausend brennenden Kerzen an deren Spitzen. Bei den Nieren befinden sich zwei goldene Kreuze. In einer anderen Variante aus Dozmat trägt der Hirsch eine helle aufsteigende Sonne an der Stirn, an der Seite den Mond und Sterne an der rechten Niere. In einer wieder anderen Version aus Transdanubien hat sein Geweih tausend Verästelungen und trägt tausend Messkerzen: „sie brennen unangezündet, schlafen ungelöscht“ („gyújtatlan gyulladék, oltatlan aludék“).

Der Wunderhirsch grast auf einer kleinen runden Weide oder erscheint auf einer schwarzen Wolke.

Moderne Kultur

  • Eine der berühmtesten Aufarbeitungen der Sage vom Wunderhirsch ist János Aranys Rege a csodaszarvasról, das sechste Lied in seinem Werk Buda halála („Der Tod Budas“).
  • Der Wunderhirsch war im Jahr 1933 Logo des 4. Cserkész Világdzsembori („4th World Scout Jamboree“) in Gödöllő.
  • The White Stag. Kinderbuch über den Wunderhirsch geschrieben und illustriert von Kate Seredy, USA, 1937.
  • Er erschien in Marcell Jankovics’ Zeichentrickfilm Ének a csodaszarvasról („Lied vom Wunderhirsch“) aus dem Jahr 2002.

Quellen

  • Bukta, Susanne: Die Urreligion und Mythologie der Ungarn. 18. September 2002, abgerufen am 4. Dezember 2008 (deutsch).
  • „Wunderhirsch“ (ungarisch: Csodaszarvas). Das andere Ungarn, ehemals im Original (nicht mehr online verfügbar); abgerufen am 4. Dezember 2008 (deutsch).@1@2Vorlage:Toter Link/www.das-andere-ungarn.de (Seite nicht mehr abrufbar. Suche in Webarchiven)
  • Mussak, Sigurd: Von den Magyaren. (pdf) 5. Mai 2008, archiviert vom Original am 30. September 2007; abgerufen am 4. Dezember 2008 (deutsch).
  • Die Legende des Zauberhirsches Teil II. Abgerufen am 4. Dezember 2008 (deutsch).
  • Arany, János: Hatodik ének. Magyar elektronikus könyvtár, abgerufen am 4. Dezember 2008 (ungarisch, „Ungarische elektronische Bibliothek“).
  • Csodaszarvas. Magyar elektronikus könyvtár, abgerufen am 4. Dezember 2008 (ungarisch, „Ungarische elektronische Bibliothek“).
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