Codex Eyckensis

Der Codex Eyckensis (8. Jahrhundert) ist ein zusammengestelltes Evangeliar auf der Basis von zwei Handschriften, die vermutlich ab dem 12. Jahrhundert bis 1988 ein Konvolut bildeten. Der Codex Eyckensis ist das älteste Buch Belgiens.[1] Es wird bereits seit dem achten Jahrhundert innerhalb der Grenzen der heutigen Stadtgemeinde Maaseik verwahrt. Aller Wahrscheinlichkeit nach wurde das Buch in der Abtei von Echternach angefertigt.

Beschreibung der Handschriften A und B

Vollständigen Blattspiegel Abbildung eines Evangelisten und Kanontafeln, Codex A

Der Codex Eyckensis umfasst 2 Evangeliarien, die insgesamt aus 133 Blatt Pergament in einem Format von 24,4 × 18,3 cm bestehen.

Die erste Handschrift ist unvollständig (Codex A). Sie besteht aus nur fünf Folien, mit einer Abbildung eines Evangelisten (vermutlich Matthäus) auf einem vollständigen Blattspiegel sowie einer unvollständigen Reihe von acht Kanontafeln. Die Darstellung des Evangelisten ist italienisch-byzantinischen Stils, und zeigt deutliche Verwandtschaft mit dem Barberini-Evangelium in der Vatikanischen Bibliothek (Barberini Lat. 570). Die Umrandung der Figur besteht aus angelsächsischen Flechtwerk-Ornamenten, ähnlich dem im Lindisfarne-Evangeliar.

Die Kanontafeln bieten eine Übersicht übereinstimmender Passagen in den vier Evangelien. Sie dienen als Inhaltsverzeichnis und Register und erschließen die Texte. Die Kanontafeln der Handschrift A sind mit Säulen und Bögen verziert, den Symbolen der vier Evangelisten sowie mit Abbildungen von Heiligen.

Die zweite Handschrift (Codex B) enthält eine vollständige Reihe von zwölf Kanontafeln und die Texte aller vier Evangelien. Die Kanontafeln sind verziert mit Säulen und Bögen, Abbildungen von Aposteln und den Symbolen der Evangelisten. Die Texte der Evangelien wurden in der runden insularen Minuskel verfasst, einer Schriftart, die typisch ist für die englischen und irischen Manuskripte aus dem siebten und achten Jahrhundert, jedoch auch auf dem Festland verwendet wurde. Jeder Absatz beginnt mit einer mit roten und gelben Punkten umgebenen Initiale. Der Text wurde von einem einzigen Skribenten kopiert.

Bei den Evangelientexten handelt es sich um eine Version der Vulgata des hl. Hieronymus von Stridon (347–420), mit einigen Zusätzen und Versetzungen. Vergleichbare Varianten finden sich im Book of Kells (Dublin, Trinity College, ms 58), dem Buch von Armagh (Dublin, Trinity College, ms 52) und dem Echternach-Evangeliar (Paris, Bnf, ms Lat.9389).

Geschichte (Entstehung bis zum 20. Jh.)

Codex Eyckensis ausgestellt In der Sankt-Katharinenkirche In Maaseik

Der Codex ist im 8. Jh. verfasst worden und stammt aus der ehemaligen Benediktinerabtei von Aldeneik, die im Jahre 728 geweiht wurde. Die merowingischen Adligen Adalhard, Herr von Denain, und seine Frau Grinuara, gründeten diese Abtei für ihre Töchter Harlinde und Relinde in “einem kleinen und nutzlosen Wald”[2] bei der Maas. Man nannte die Abtei Eike, nach den dortigen Bäumen. Erst später, als die Nachbargemeinde Neu-Eike (jetzt: Maaseik) an Bedeutung zunahm, bekam der Ort den heutigen Namen Aldeneik. Der heilige Willibrord weihte Harlinde zur ersten Äbtissin der Glaubensgemeinschaft, und nach ihrem Tod weihte der heilige Bonifatius Relinde zu ihrer Nachfolgerin.

Der Codex Eyckensis diente dazu, das Wort Christi zu studieren und zu verbreiten. Vermutet wird, dass der heilige Willibrord beide Evangelien des Codex Eyckensis aus der Abtei von Echternach nach Aldeneik überbracht hat.

Die beiden Bücher wurden wahrscheinlich im 12. Jahrhundert zusammen eingebunden.

Im Jahre 1571 wurde die Abtei von Aldeneik wegen der damaligen Konfessionskriege verlassen. Bereits seit Mitte des 10. Jahrhunderts lebte dort keine religiöse Frauengemeinschaft mehr, sondern ein Kapitel Kanoniker. Die Kanoniker suchten Schutz hinter den Stadtmauern von Maaseik. Die Kirchenschätze aus Aldeneik, wozu auch der Codex Eyckensis gehörte, wurden fortan in der Sankt-Katharinenkirche (Sint Catharinakerk) verwahrt.

Urheberschaft

Text-Folio im Codex B

Lange hat man geglaubt, der Codex Eyckensis sei von Harlinde und Relinde, den ersten Äbtissinnen der Abtei von Aldeneik, die später beide heiliggesprochen wurden, selbst geschrieben worden. Ihre Hagiografie wurde im 9. Jahrhundert von einem Geistlichen aus der Umgebung aufgezeichnet.[3] Darin lesen wir, dass Harlinde und Relinde unter anderem ein Evangeliar angefertigt haben. Im 9. Jahrhundert kam der Kult um die Reliquien der beiden heiligen Frauen auf und der Codex Eyckensis wurde in diesem Zusammenhang verehrt, als sei es die eigenständige Arbeit von Harlinde und Relinde selbst[2].

Die letzten Zeilen der zweiten Handschrift widersprechen dieser Sichtweise jedoch, mit dem Text: Finito volumine deposco ut quicumque ista legerint pro laboratore huius operis depraecentur (Mit Abschluss dieses Buches bitte ich jeden, der dies liest, für den Ersteller dieses Werkes zu beten), wobei die männliche Form laborator klarmacht, dass der Schreiber ein Mann gewesen sein muss.

Im Jahre 1994 durchgeführte vergleichende Untersuchungen durch Albert Derolez (Universität Gent) und Nancy Netzer (Boston College) haben ausgewiesen, dass Handschrift A und Handschrift B aus der gleichen Periode stammen, und höchstwahrscheinlich im Skriptorium der Abtei von Echternach hergestellt wurden, möglich sogar von derselben Person.[4]

Restaurierung 1957

1957 wurde der Codex Eyckensis in einer denkbar unglücklichen Weise von Karl Sievers restauriert, einem Restaurator aus Düsseldorf. Er entfernte den samtenen roten Einband aus dem 18. Jahrhundert, wobei er diesen zerstörte. Auf alle Folien der Handschrift wurde anschließend Mipofolie geklebt. Hierbei handelt es sich um einen Film aus Polyvinylchlorid, der extern mit Dioctylphthalat plastifiziert ist. Mit der Zeit bildete die Folie Salzsäure, die das Pergament angetastet hat. Außerdem vergilbte auch die Folie selbst im Laufe der Zeit. Die Transparenz und Farbe des Pergaments veränderte sich somit, wodurch zudem die in der Folie gelösten Polymere in das Pergament migrieren konnten und dieses verspröden ließen. Zuletzt band Sievers den Codex neu ein. Hierzu schnitt er die Ränder der Folien zu, wobei Fragmente der Illuminierung verloren gingen.

Zwischen 1987 und 1993 wurde die Mipofolie entfernt und der Codex von einem Team des Königlichen Instituts für Kunsterbe (Koninklijk Instituut voor het Kunstpatrimonium, KIK) unter Führung des Chemikers Jan Wouters restauriert. Hierzu wurde eine Technik des Anfaserns mit Pergamentpappe entwickelt. Bei dieser Restauration sind die Handschriften A und B jeweils separat eingebunden worden.[5]

Detail vom Codex B

Dokumentation und Digitalisierung

Die älteste fotografische Dokumentation des Codex Eyckensis datiert von ca. 1916.[6] Anlässlich der Restaurierung wurde das Manuskript 1990 im KIK-IRPA fotografiert. 1994 erschien ein Faksimiledruck.[7]

Der Codex Eyckensis wurde im Jahre 2015 in der Maaseiker Sint-Catharinakerk digitalisiert durch ein Team des Imaging Lab der katholischen Universität Leuven und Illuminare Leuven, dem Studienzentrum für mittelalterliche Kunst der KU Leuven, unter Leitung der Frau Prof. Lieve Watteeuw. Aufgrund der Zusammenarbeit mit LIBIS (KU Leuven) sind die hochaufgelösten Bilder nun auch online abrufbar.[8]

Der Codex Eyckensis wurde im Jahre 1986 als immaterielles Erbgut eingestuft und wird seitdem als solches geschützt. 2003 wurde der Codex Eyckensis als Spitzen-Exponat der Flämischen Gemeinschaft anerkannt.[9]

Aktuelle Forschungsprojekte

2016–2017 untersuchte ein Team der KU Leuven, Illuminare, Studienzentrum für mittelalterliche Kunst (Leitung: Lieve Watteeuw) und des Königlichen Instituts für Kunsterbe (Leitung Marina Van Bos) den Codex Eyckensis erneut.[10][11]

Commons: Codex Eyckensis – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Literatur

  • Coenen, J. (1921) Het oudste boek van België, Het Boek 10, S. 189–194.
  • Coppens, C., A. Derolez en H. Heymans (1994) Codex Eyckensis: an insular gospel book from the abbey of Aldeneik, Antwerpen/Maaseik, facsimile.
  • De Bruyne, D. (1908) L'évangéliaire du 8e siècle, conservé à Maeseyck, Bulletin de la Société d'Art et d'Histoire du Diocèse de Liège 17, S. 385–392.
  • Dierkens, A. (1979) Evangéliaires et tissus de l’abbaye d’Aldeneik. Aspect historiographique, Miscellanea codicologica F. Masai Dicata (Les publications de Scriptorium 8), Gent, S. 31–40.
  • Falmagne, T. (2009) Die Echternacher Handschriften bis zum Jahr 1628 in den Beständen der Bibliothèque nationale de Luxembourg sowie Archives diocésaines de Luxembourg, der Archives nationale, der Section historique de l' Institut grand-ducal und des Grand Séminaire de Luxembourg, Wiesbaden, Harrassowitz Verlag, 2 Bände: S. 311f. + [64] ill., S. 792f.
  • Gielen J. (1880) Le plus vieux manuscrit Belge, Journal des Beaux-Arts et de la Littérature 22, nr. 15, S. 114–115.
  • Gielen, J. (1891) Evangélaire d'Eyck du VIIIe siècle, Bulletin Koninklijke Commissie voor Kunst en Oudheden 30, S. 19–28.
  • Hendrickx, M. en W. Sangers (1963) De kerkschat der Sint-Catharinakerk te Maaseik. Beschrijvende Inventaris, Limburgs Kunstpatrimonium I, Averbode, S. 33–35.
  • Mersch, B. (1982) Het evangeliarium van Aldeneik, Maaslandse Sprokkelingen 6, S. 55–79.
  • Netzer, N. (1994) Cultural Interplay in the 8th century and the making of a scriptorium, Cambridge, Cambridge University Press, S. 258ff.
  • Nordenfalk, C. (1932) On the age of the earliest Echternach manuscripts, Acta Archeologica, vol. 3, fasc. 1, Kopenhagen: Levin & Munksgaard, S. 57–62.
  • Schumacher, R. (1958) L’enluminure d’Echternach: art européen, Les Cahiers luxembourgeois, vol. 30, nr. 6, S. 181–195.
  • Spang, P. (1958) La bibliothèque de l’abbaye d’Echternach, Les Cahiers luxembourgeois, vol. 30, nr. 6, S. 139–163.
  • Talbot, C.H. (1954) The Anglo-Saxon Missionaries in Germany. Being the Lives of SS. Willibrord, Boniface, Sturm, Leoba and Lebuin, together with the Hodoeporicon of St. Willibald and a selection of the Correspondence of Boniface, [vertaald en geannoteerd], Londen-New York, 1954, S. 234ff.
  • Verlinden, C. (1928) Het evangelieboek van Maaseik, Limburg, vol. 11, S. 34.
  • Vriens, H. (2016) De Codex Eyckensis, een kerkschat. De waardestelling van een 8ste eeuws Evangeliarium in Maaseik, onuitgegeven master scriptie Kunstwetenschappen, KU Leuven.
  • Wouters, J., G. Gancedo, A. Peckstadt, en L. Watteeuw, L. (1990) The Codex Eyckensis: an illuminated manuscript on parchment from the 8th century: Laboratory investigation and removal of a 30 year old PVC lamination, ICOM triennial meeting. ICOM triennial meeting. Dresden, 26–31. August 1990, Preprints: S. 495–499.
  • Wouters, J., G. Gancedo, A. Peckstadt en L. Watteeuw (1992) The conservation of the Codex Eyckensis: the evolution of the project and the assessment of materials and adhesives for the repair of parchment, The Paper Conservator 16, S. 67–77.
  • Wouters, J., A. Peckstadt en L. Watteeuw (1995) Leafcasting with dermal tissue preparations: a new method for repairing fragile parchment and its application to the Codex Eyckensis, The Paper Conservator 19, S. 5–22.
  • Wouters, J., Watteeuw, L., Peckstadt, A. (1996) The conservation of parchment manuscripts: two case studies, ICOM triennial meeting, ICOM triennial meeting. Edinburgh, 1-6 September 1996, London, James & James, S. 529–544.
  • Wouters, J., B. Rigoli, A. Peckstadt en L. Watteeuw, L. (1997) Un matériel nouveau pour le traitement de parchemins fragiles, Techné: Journal of the Society for Philosophy and Technology, 5, S. 89–96.
  • Zimmerman, E.H. (1916) Vorkarolingische Miniaturen. Deutscher Verein für Kunstwissenschaft, III. Sektion, Malerei, I. Abteilung, Berlin, S. 66–67; 128; 142–143, 303–304.

Einzelnachweise

  1. Coenen, J., Het oudste boek van België, Het Boek 10, 1921, S. 189–194.
  2. Acta Sanctorum, Martii, unter Leitung von J. Carnandet, 3. Teil, Paris-Rom, 1865, S. 383–390, Abs. 7.
  3. Abbaye d’Aldeneik, à Maaseik, in Monasticon belge, 6, Province de Limbourg, Lüttich, 1976, S. 87.
  4. Netzer, N. (1994) Cultural Interplay in the Eighth Century. The Trier Gospels and the Making of a Scriptorium at Echternach, Cambridge-New York.
  5. Wouters, J., Gancedo, G., Peckstadt, A., Watteeuw, L. (1992). The conservation of the Codex Eyckensis: the evolution of the project and the assessment of materials and adhesives for the repair of parchment. In: The Paper Conservator 16, S. 67–77. doi:10.1080/03094227.1992.9638578
  6. Codex Eyckensis — Kanontafel – Europeana Collections In: europeana.eu, abgerufen am 11. Oktober 2017.
  7. Coppens, C. , A. Derolez und H. Heymans (1994) Codex Eyckensis: an insular gospel book from the abbey of Aldeneik. Maaseik: Museactron.
  8. The 8th-century Codex Eyckensis made available online – Faculty of Arts In: arts.kuleuven.be, abgerufen am 11. Oktober 2017.
  9. Topstukken | Kunsten en Erfgoed (Memento des Originals vom 5. Februar 2017 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.kunstenenerfgoed.be In: kunstenenerfgoed.b, abgerufen am 11. Oktober 2017.
  10. Codex Eyckensis In: codexeyckensis.be, abgerufen am 11. Oktober 2017.
  11. Kick-off Codex Eyckensis Research Project | Book Heritage Lab – KU Leuven In: kuleuven.be, 22. September 2016, abgerufen am 11. Oktober 2017.
This article is issued from Wikipedia. The text is licensed under Creative Commons - Attribution - Sharealike. Additional terms may apply for the media files.