Claudia Dathe

Claudia Dathe (* 1971 bei Leipzig[1]) ist eine deutsche Übersetzerin. Sie überträgt Gegenwartsliteratur der Ukraine, sowohl aus dem Ukrainischen als auch aus dem Russischen.

Werdegang

Claudia Dathe studierte am Institut für Angewandte Linguistik und Translatologie (IALT) der Universität Leipzig, Auslandssemester führten sie nach Pjatigorsk und nach Krakau, wo sie ihre Kenntnisse des Russischen und des Polnischen vertiefte. Anschließend absolvierte sie ein Fernstudium der Betriebswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Internationales Management an der AKAD-Fachhochschule. Von 1997 bis 2004 war sie als Lektorin für den Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) tätig, zuerst in Kasachstan, ab 2000 gemeinsam mit ihrem Partner Uwe Dathe in der Ukraine.[2]

In Kiew lehrte sie an der dortigen Technischen Universität Übersetzen.[3] Zu Beginn arbeitete sie in ihren Lehrveranstaltungen ausschließlich mit dem Sprachenpaar Russisch-Deutsch. Ab dem zweiten Jahr ihres Aufenthalts nahm Dathe, angeregt durch einen vom Goethe-Institut organisierten Workshop zur Dramen-Übersetzung, Privatunterricht in Ukrainisch. Durch den Übersetzer Mark Bjelorussez fand sie Zugang zur Dissidenten- und Literaturszene. Dort wurde laut Dathe eine unideologische Zweisprachigkeit gepflegt, die an die Mehrsprachigkeit der Region im frühen 20. Jahrhundert erinnerte. In Kiew begann sie mit eigenen literarischen Übersetzungen.

Seit ihrer Rückkehr nach Deutschland arbeitete sie kontinuierlich als Übersetzerin für Ukrainisch und Russisch. Auch Seminare für deutsche und ukrainische Übersetzende betreute sie. Beschäftigt war Dathe zudem am Slavischen Seminar der Universität Tübingen – ab 2009 koordinierte sie dort Projekte wie Europäische Kulturvermittler in Krisenzeiten, und sie war Künstlerische Leiterin des Festivals Übersetzungswürfel. Sechs Seiten europäischer Literatur und Übersetzung. Von 2016 bis 2021 leitete sie die Kulturberatungsstelle der Bürgerstiftung Jena. In deren Rahmen führte sie 2017 die 3. Deutsch-Ukrainische Übersetzerwerkstatt durch und brachte den Schriftsteller Ostap Slawynskyj mit seiner Lyrik nach Jena.[4]

2010 und 2012 war Dathe Teilnehmerin am Poesiefestival Meridian Czernowitz.[5] Angesichts ihrer literarischen Übersetzungsarbeit wurde 2021 in der NZZ ihr „rhythmisches Gespür“ hervorgehoben.[6] „Exzellent übersetzt“ sei das mit dem Internationalen Literaturpreis ausgezeichnete Buch von Jewhenija Belorussez, hatte die Jury 2020 geurteilt.[7] Auch die Schriftstellerin und Kritikerin Ilma Rakusa befand in der Neuen Zürcher Zeitung, dass Dathe Belorussez „prägnant ins Deutsche übertragen“ habe.[8] Ulrike Almut Sandig arbeitet bei Nachdichtungen ukrainischer Lyrik mit Dathe zusammen: Sie fertige ihr Interlinearversionen an und stehe „für Rückfragen, etwa über Tonhöhe und genaue Wortbedeutung, zur Verfügung“.[9]

2014 gab Claudia Dathe gemeinsam mit Andreas Rostek den Sammelband Majdan! Ukraine, Europa heraus.[10] Versammelt waren Stimmen von Schriftstellern und Intellektuellen aus der Ukraine, ergänzt durch Beiträge von u. a. Martin Pollack, Konrad Schuller, Timothy Snyder oder Timothy Garton Ash. In diesem Jahr berichtete sie auch vom Book Forum Lviv.[11]

Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine 2022 übernahm sie die Koordination der Initiative #artistsinshelter.[12] Auf der Pop-Up-Buchmesse in Leipzig 2022 war Dathe Teilnehmerin einer Gesprächsrunde, in welcher – der auch in der Kulturszene aufgeladenen Stimmung entgegenhaltend – von den „drei slawischen Schwestern“ Russisch, Ukrainisch und Belarussisch die Rede war. „Die ukrainische Nation verteidigt sich, egal ob ukrainisch- oder russischsprachig“, wurde die Diskutantin im Tagesspiegel zitiert.[13] Während ihrer eigenen Zeit in der Ukraine habe sie dort eine „unaufgeregte Mehrsprachigkeit“ kennengelernt, bekräftigte die Landeskundige in einem Beitrag des Bayerischen Rundfunks.[14][15] Mehrfach appellierte sie daran, der Westen möge sich „der Kultur und der Gesellschaft der Ukraine künftig ausdauernder als bisher zuwenden“. Neben der Literatur wies sie in diesem Rahmen auch auf Musik von Mariana Sadowska hin, auf die Kunstwerke von Nikita Kadan und auf Performances von Rozdilovi.

Aus Anlass der Verleihung des Wilhelm-Merton-Preises für Europäische Übersetzungen wurde Claudia Dathe in der F. A. Z. als „unverzichtbare Vermittlerin der ukrainischen Stimmen in diesem Krieg“ bezeichnet, ihr Übersetzen wurde charakterisiert als „melodiös, mitreißend, genau“.

Für zwei Bücher – Antenne von Serhij Schadan und Märchen aus meinem Luftschutzkeller von Oleksij Tschupa – wurde ihr in Kiew am Welttag des Buches 2021 der Drahomán-Preis verliehen.[16] Claudia Dathe ist die erste Trägerin dieser Auszeichnung.[17] Der Wilhelm-Merton-Preis für Europäische Übersetzungen wurde ihr im Folgejahr in Deutschland zugesprochen.[18] Neben Belletristik übersetzte Dathe auch Zeitdokumente wie die Berichte aus dem Donbas (2020) von Stanislaw Assjejew oder das Hafttagebuch von Oleh Senzow (2021).[19][20]

Dathe koordiniert das Forschungsverbundprojekt European Times an der Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder.[21]

Übersetzungen

Agrafka

(= Romana Romanyschyn und Andrij Lessiw)

  • Sehen. Gerstenberg, Hildesheim, 2021.
  • Hören. Gerstenberg, Hildesheim, 2021.
  • Als der Krieg nach Rondo kam. Gerstenberg, Hildesheim, 2022.
  • Hierhin, dahin. Immer in Bewegung. Gerstenberg, Hildesheim, 2023.

Yevgenia Belorusets

  • Glückliche Fälle. Matthes & Seitz, Berlin, 2019.

Markijan Kamysch

  • Die Zone oder Tschernobyls Söhne. Matthes & Seitz, Berlin, 2022.

Andrij Kurkow

  • Die Kugel auf dem Weg zum Helden. Haymon, Innsbruck, 2015.
  • Die Welt des Herrn Bickford. Haymon, Innsbruck, 2017.
  • Kartografie der Freiheit. Haymon, Innsbruck, 2018.

Tanja Maljartschuk

  • Neunprozentiger Haushaltsessig. Residenz, St. Pölten, 2009.
  • Von Hasen und anderen Europäern. edition.fotoTapeta, Berlin, 2014.

Marija Matios

  • Darina, die Süße. Roman. Haymon, Innsbruck, 2013.

Oleg Senzow

  • Haft. Notizen und Geschichten. Voland & Quist, Berlin, 2021.

Haska Schyjan

  • Hinter dem Rücken. Edition.fotoTapeta, Berlin, 2023.

Serhij Zhadan

  • Geschichte der Kultur zu Anfang des Jahrhunderts. Gedichte. Suhrkamp, Frankfurt am Main, 2006.
  • Anarchy in the UKR. Suhrkamp, Frankfurt am Main, 2007.
  • Die Selbstmordrate bei Clowns. edition.fotoTapeta, Berlin / Warschau, 2009.
  • Big Mac. Suhrkamp, Frankfurt am Main, 2011.
  • Mesopotamien (gemeinsam mit Sabine Stöhr und Juri Durkot). Suhrkamp, Frankfurt am Main, 2015.
  • Warum ich nicht im Netz bin. Suhrkamp, Frankfurt am Main, 2016.
  • Antenne. Gedichte. Suhrkamp, Frankfurt am Main, 2020.

Sofia Yablonska

  • Der Charme von Marokko. Kupido, Köln, 2020.
  • China, das Land von Reis und Opium. Kupido, Köln, 2022.

Weitere Veröffentlichungen (Auswahl)

  • Kulturelle Faktoren im ukrainischen Transformationsprozess (gemeinsam mit Uwe Dathe), in: Die Interaktion der ökonomischen Kulturen und Institutionen im erweiterten Europa. LIT-Verlag, Hamburg, 2006, S. 153–169.
  • Der russisch-ukrainische Sprachkontakt im 20. Jahrhundert: Probleme der Übersetzung ukrainischer Literatur ins Deutsche, in: Christine Engel und Birgit Menzel (Hrsg.): Kultur und/als Übersetzung. Russisch-deutsche Beziehungen im 20. und 21. Jahrhundert. Frank & Timme, Berlin, 2011, S. 299–318.
  • Bedeutung und Bedeutsamkeit von Übersetzung, in: Zwischentexte. Literarisches Übersetzen in Theorie und Praxis (gemeinsam mit Renata Makarska und Schamma Schahadat). Frank & Timme, Berlin, 2013, S. 7–15.
  • Zwischentexte. Literarisches Übersetzen in Theorie und Praxis (gemeinsam mit Renata Makarska und Schamma Schahadat). Frank & Timme, Berlin, 2013.
  • Das deutsch-ukrainische literarische Feld: Akteure und Asymmetrien, in: Zwischentexte. Literarisches Übersetzen in Theorie und Praxis (gemeinsam mit Renata Makarska und Schamma Schahadat). Frank & Timme, Berlin, 2013, S. 255–286.
  • Deutschsprachiger Raum, in: Schamma Schahadat und Štěpán Zbytovský (Hrsg.): Übersetzungslandschaften. Themen und Akteure der Literaturübersetzung in Ost- und Mitteleuropa. transcript, Bielefeld, 2016 (= Interkulturalität. Studien zu Sprache, Literatur und Gesellschaft).
  • Haska Shyyan: „Nein“ bedeutet nicht „vielleicht doch“, in: Kateryna Stetsevych und Kateryna Mishchenko (Hrsg.): Metamorphosen. #MeToo und Feminismus in Ost und West. Aus dem Ukrainischen von Claudia Dathe. Bundeszentrale für Politische Bildung, Berlin, 2020, S. 75–95.

Auszeichnungen

Einzelnachweise

  1. TOLEDO — TALKS — „Diese Stimmen müssen zu Gehör kommen…“ Abgerufen am 22. Februar 2024.
  2. Claudia Dathe und Uwe Dathe: Dauergespräch. Europa sollte hinter der Visa-Affäre die Ukraine nicht vergessen. Deutsches Kulturforum östliches Europa, 2. März 2005, abgerufen am 2. April 2022.
  3. Aussagen in der folgenden Passage zitiert nach Claudia Dathe: Große kleine Sprache Ukrainisch. Momentan in aller Munde und doch eine weitgehend unbekannte Größe: die Ukraine mit ihrer höchst lebendigen und eigenwilligen Kultur- und Literaturszene, TraLaLit. Magazin für übersetzte Literatur, 28. Februar 2022.
  4. Übersetzerwerkstatt tagt vom 3. bis 7. Juli in Jena. Lesungen mit Dirk von Petersdorff (Jena) und Ostap Slyvynsky (Lemberg). Bürgerstiftung Jena Saale-Holzland, Juli 2017, ehemals im Original (nicht mehr online verfügbar); abgerufen am 5. April 2022.@1@2Vorlage:Toter Link/www.buergerstiftung-jena.de (Seite nicht mehr abrufbar. Suche in Webarchiven)
  5. Claudia Dathe. International Poetry Festival Meridian Czernowitz, abgerufen am 2. April 2022 (englisch).
  6. Ilma Rakusa: Das 20. Jahrhundert verfolgt Osteuropäer, auch wenn sie seinen Schrecken nicht am eigenen Leib erlebt haben. Es ist ein Irrtum zu meinen, die von der Geschichte Verschonten seien heil davongekommen. In ihrer Lyrik arbeiten sich Schriftstellerinnen und Schriftsteller am Grauen ihrer Heimat ab. In: Neue Zürcher Zeitung. 26. Januar 2021, abgerufen am 3. April 2022.
  7. Glückliche Fälle. Yevgenia Belorusets, Claudia Dathe. Haus der Kulturen der Welt (HKW), 2020, abgerufen am 4. April 2022.
  8. Ilma Rakusa: Alltag im Ausnahmezustand – vom Trauma der ukrainischen Gesellschaft. In: Neue Zürcher Zeitung. 5. November 2019, abgerufen am 22. April 2022.
  9. Dear, are you safe? Grigory Semenchuk im Gespräch mit Ulrike Almut Sandig. Goethe Institut, 2022, abgerufen am 27. Juli 2022 (deutsch, englisch).
  10. Rezensionsnotizen zu Maijdan! Ukraine, Europa. Edition FotoTapeta, Berlin, 2014 auf Perlentaucher.
  11. Claudia Dathe: Und in Donezk ist Krieg: Während im Donbass momentan die Waffen schweigen, diskutiert die ukrainische Öffentlichkeit darüber, wie es weitergehen soll. Die internationale Buchmesse Lemberg setzte markante Zeichen. In: Neue Zürcher Zeitung. 18. September 2014, abgerufen am 5. April 2022.
  12. Für ukrainische Künstler in Not. Die Initiative #artistsinshelter sammelt Geld für ukrainische Künstler. Schriftsteller wie Nino Haratischwili und Juri Andruchowytsch haben einen Aufruf unterzeichnet, der deutsche Kulturinstitutionen um ihre Unterstützung bittet. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 7. März 2022, abgerufen am 2. April 2022.
  13. Katrin Hillgruber: Das schmerzliche Eingeständnis der eigenen Ignoranz. Der Westen hat weggeschaut: Auf der Pop-up-Buchmesse knisterte es, als Autorinnen aus der Ukraine und Russland aufeinandertrafen. In: Der Tagesspiegel. 20. März 2022, abgerufen am 2. April 2022.
  14. Tobias Stosiek: Kiew oder Kyiv? Bemerkungen zur ukrainischen Sprache. Bayerischer Rundfunk, 18. März 2022, abgerufen am 2. April 2022.
  15. Siehe dazu auch Kateryna Botanova: Wieviel Russisch darf’s denn sein? – In der Ukraine wird Sprache zur Waffe gemacht. Die Sprachenfrage ist in der Ukraine ein heikles und kompliziertes Feld. An ihr hing der Kreml den von ihm gesteuerten hybriden Krieg im Donbass auf. Viele Politiker in Kiew sehen das Ukrainische als identitätsstiftend für den neuen postsowjetischen Staat, gleichzeitig spricht eine Mehrheit der Ukrainer noch immer vorrangig russisch (NZZ, 19. Januar 2019).
  16. Claudia Dathe is the first laureate of the Drahomán Prize. PEN Ukraine, 23. April 2021, abgerufen am 2. April 2022 (englisch).
  17. Oxana Matiychuk: Die Symbole des Feindes. Ukrainisches Tagebuch (XVIII). In: Süddeutsche Zeitung. 31. März 2022, abgerufen am 2. April 2022.
  18. Tobias Rüther: Die deutsche Stimme der ukrainischen Kriegserfahrung. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 10. November 2022, abgerufen am 12. November 2022.
  19. Rezensionsnotizen zu Stanislaw Assjejew: In Isolation. Texte aus dem Donbass. Berlin, Edition FotoTapeta, 2020, auf Perlentaucher.
  20. Jens Uthoff: Rammstein in voller Lautstärke. Das Buch „Haft. Notizen und Geschichten“ ist ein Dokument des russischen Lagervollzugs. Aber es zeigt auch die ambivalenten Seiten des Autors. In: Die Tageszeitung. 2. Februar 2022, abgerufen am 2. April 2022.
  21. Claudia Dathe. Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder), 2021, abgerufen am 2. April 2022.
  22. 12. Internationaler Literaturpreis – Haus der Kulturen der Welt 2020. In: Volltext. 4. Juni 2020, abgerufen am 2. April 2022.
  23. Richard Schneider: Literaturübersetzerin Claudia Dathe in Kiew mit Drahomán-Preis ausgezeichnet. In: UEPO Das Übersetzerportal. 23. April 2021, abgerufen am 2. April 2022.
  24. Europäischer Übersetzerpreis für Claudia Dathe, wdr.de, veröffentlicht und abgerufen am 26. September 2022.
  25. Ordensverleihung zum Tag der Deutschen Einheit. Bundespräsidialamt, 30. September 2022, abgerufen am 30. September 2022.
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