Christiane Mudra

Christiane Mudra (* 6. Dezember 1978 in München) ist eine deutsche Regisseurin, Autorin, Journalistin und Schauspielerin. Sie ist Gründerin von Investigative Theater, einem Projekt Theaterschaffender, das auf journalistischen Langzeit- und Hintergrundrecherchen beruht und in Abgrenzung zum dokumentarischen Theater auch Originalquellen erschließt und unbekannte Fakten öffentlich macht.[1] Ihre Arbeiten entstehen auch jenseits klassischer Bühnenräume, etwa in Privatwohnungen oder im öffentlichen Raum. Sie nutzt dazu digitale Medien und interaktive Formate.

Sie setzt sich mit den Themen Rechtsextremismus, Überwachung, Verschwörungsideologien, Misogynie und mentale Gesundheit auseinander.

Leben

Christiane Mudra studierte zunächst Politikwissenschaften. Nach einem Schauspielstudium ist sie seit 2002 als Schauspielerin, Regisseurin, Autorin und Produzentin überwiegend im deutschsprachigen Raum tätig.[2] Unterstützt durch das Goethe-Institut adaptierte sie ihr Stück yoUturn 2017 in Brasilien neu.[3]

Für die Jahre 2022–2024 erhielt sie die Optionsförderung für freie Theaterschaffende der Landeshauptstadt München.[4]

An der Hochschule für bildende Künste Hamburg studierte sie im Studienschwerpunkt Theorie und Geschichte bei Hanne Loreck und Robert Bramkamp. 2023 schloss sie ihr Studium mit dem Abschluss Master of Fine Arts ab.[5]

Bei den 73. Internationalen Filmfestspielen Berlin im Jahr 2023 wirkte sie in der Jury für den Friedensfilmpreis mit.[6] Beim 15. New York City Independant Film Festival wurde im Juni 2023 ihre filmische Dokumentation The Holy Bitch Project aufgeführt.

Sie lebt in Berlin und München.

Beruflicher Werdegang

Christiane Mudras Arbeiten gehen intensive Recherchen, Expertenbefragungen und Interviews voraus. Die Inszenierungen werden von Programmheften mit ergänzenden Materialien und Diskussions-Panels begleitet.

Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit ist die Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus und rechtem Terror. Sie war Beobachterin des NSU-Prozesses in München, über den sie in diversen Zeitungen und Publikationen berichtete.[7] Bei der re:publica 2017 trat sie als Speakerin zum Thema V-Mann-Praxis im NSU-Komplex auf.[8] Mit dem Politikwissenschaftler Hajo Funke besteht eine regelmäßige Zusammenarbeit, die u. a. 2018 zur Veröffentlichung von Gäriger Haufen: Die AfD: Ressentiments, Regimewechsel und völkische Radikale. Handreichung zum demokratischen Widerstand führte.[9] Für die Bundeszentrale für politische Bildung erarbeitete sie Podcasts zum Terrorismus in der Bundesrepublik in den Achtziger Jahren[10] und den Zehnerjahren.[11] 2022 erschien ihr Beitrag „438 Tage. Der NSU-Prozess am Münchner Oberlandesgericht“ im von Kerstin Wilhelms und Stefan Arnold herausgegebenen Sammelband Schauprozesse: Gericht und Theater als Bühnen des Politischen.[12]

Ihre künstlerische Arbeit fusst auf diesen Recherchen und findet eine performative Umsetzung, die das Publikum immersiv einbezieht. Mudras NSU-Trilogie besteht aus Wir waren nie weg: Die Blaupause, Off the Record und Kein Kläger.

Der „heimattreue Western“ Wir waren nie weg aus dem Jahr 2015[13] führt an verschiedene Schauplätze rechten Terrors in München: vom Ladengeschäft, in dem Theodoros Boulgarides vom NSU 2005 ermordet wurde bis zum Gedenkort für das Oktoberfestattentat 1980 auf der Theresienwiese.[14] Im ein Jahr später aufgeführten zweiten Teil der Trilogie, Off the Record – Die Mauer des Schweigens,[15] der neben der theatralen Fassung auch als Hörspiel[16] realisiert wurde, steht nach den Tätern und Opfer nun das System aus Ermittlungsbehörden, Verfassungsschutz und Untersuchungsausschüssen im Mittelpunkt.[17] Der abschließende dritte Teil hatte 2019 Premiere und fokussiert auf das Justizwesen. Kein Kläger: NS-Juristen und ihre Nachkriegskarrieren[18] startet am Parkplatz des Olympia-Einkaufszentrum, dem Schauplatz des rechtsextremistischen Anschlags in München 2016. Der weitere Weg führte u. a. zum Gebäude des Strafjustizzentrums in der Nymphenburger Straße, in dem der NSU-Prozess tagte sowie zum Justizpalast (München), dem Schauplatz der Prozesse gegen die Mitglieder der Widerstandsgruppe Weiße Rose. Für Kein Kläger führte Christiane Mudra zahlreiche Interviews mit Holocaust-Überlebenden[19], mit Angehörigen von Hingerichteten der Widerstandsgruppen Weiße Rose[20] und Rote Kapelle[21] sowie mit Anklägern der Eichmann-[22] sowie der Auschwitzprozesse.[23]

Das Zusammenspiel von häuslicher, sexualisierter und digitaler Gewalt gegen Frauen thematisiert The Holy Bitch Project. Hierzu führte Christiane Mudra Interviews mit Betroffenen sowie Expertinnen und Experten.[24] Die parallel entstandene filmische Dokumentation wurde in Kinos und auf Festivals gezeigt.

Der Schlüssel behandelt das Thema Verschwörungserzählungen und deren Mechanismen populistischer Verführung.[25]

Selbstoptimierung und psychische Erkrankungen wie Alkoholismus, Burnout, Essstörungen und Paranoia sowie damit verflochten die deutsche Psychiatriegeschichte von 1939 bis 1984 sind Gegenstand von Selfie & Ich, das in München-Haidhausen[26] und in Berlin-Neukölln[27] in jeweils vier Privatwohnungen aufgeführt wurde.[28]

Die Mühlen der Bürokratie, die den Alltag von Migranten und Geflüchteten bestimmen, sind Gegenstand von Hotel Utopia, das ebenfalls in München[29] und Berlin[30] in Treppenhäusern und langen Bürofluren gezeigt wurde. Das Publikum wird vor Betreten der Spielstätte mit einem Pass und damit mit neuer Identität und Nationalität ausgestattet und dann in eine Transitzone entlassen, in der die Bewertung des Menschen anhand von Pass und Abstammung vorgenommen wird.[31]

Beta, Christiane Mudras erste Musiktheaterinszenierung, feierte am 17. Februar 2024 in der Tischlerei der Deutsche Oper Berlin Uraufführung. Die Musik hat Dariya Maminova komponiert.[32] Beta behandelt Fragen von Digitalisierung, Künstlicher Intelligenz und dem Wert und der Bewertung von (persönlichen) Daten. Wirtschaftliche Interessen von Tech-Visionären, politische Regulierung und gesellschaftliche Anliegen wie Daten- und Verbraucherschutz treffen dazu in Person eines Tech-Entrepreneurs, einer Digitalministerin und einer Hackerin, unterstützt von diversen Avataren, im Raum des Metaverse aufeinander.[33]

Theaterarbeiten

  • inSight? (2012)
  • outLook (2013)
  • yoUturn (2013)
  • Wir waren nie weg (2015)
  • Off the Record (2016)
  • Kein Kläger (2019)
  • The Holy Bitch Project (2021)
  • Der Schlüssel (2021)
  • Selfie & Ich (2022)
  • Hotel Utopia (2023)
  • Beta (2024)

Filmografie

  • The Holy Bitch Project (2022), 123 Minuten – Filmische Dokumentation auf Basis des gleichnamigen Theaterabends. Uraufführung am 22. Juni 2022 im Monopol-Kino München.[34]
  • Selfie + Ich (2023), 29:30 Minuten – Kurzfilm, zugleich Abschlussfilm HFBK Hamburg.[35]

Einzelnachweise

  1. about. In: investigative theater. Abgerufen am 18. Februar 2023 (deutsch).
  2. Christiane Mudra. Abgerufen am 18. Februar 2023.
  3. DPA: Überwachungsexperiment in Brasiilien. Abgerufen am 19. Februar 2024.
  4. Landeshauptstadt München Stadtverwaltung: Optionsförderung Theater. Abgerufen am 19. Februar 2024.
  5. HFBK Repositorium. Abgerufen am 19. Februar 2024.
  6. 38. Friedensfilmpreis auf der 73. Berlinale: Die Jury | Heinrich-Böll-Stiftung. Abgerufen am 19. Februar 2024.
  7. deutschlandfunkkultur.de: Zum Ende des NSU-Prozesses - Nichts ist in Ordnung! Abgerufen am 18. Februar 2023.
  8. re:publica 2017 – Christiane Mudra: Off record-Quellenschutz und V-Mann-Praxis im NSU-Komplex. Abgerufen am 18. Februar 2023 (deutsch).
  9. Gäriger Haufen. Abgerufen am 19. Februar 2024.
  10. Podcast: Terrorismus - Terrorismus in der Bundesrepublik: Die Achtzigerjahre (7/20). Abgerufen am 19. Februar 2024 (deutsch).
  11. Christiane Mudra: Terrorismus in der Bundesrepublik: Die Zehnerjahre. Abgerufen am 19. Februar 2024.
  12. Schau-Prozesse. In: Literatur und Recht. 2022, ISSN 2730-7085, doi:10.1007/978-3-662-65552-8 (springer.com [abgerufen am 19. Februar 2024]).
  13. Annette Walter: Straßentheaterstück „Wir waren nie weg“: Pokern mit enttarnten V-Männern. In: Die Tageszeitung: taz. 23. Juli 2015, ISSN 0931-9085 (taz.de [abgerufen am 18. Februar 2023]).
  14. Cornelia Fiedler: Wir waren nie weg – Christiane Mudra jagt in ihrem NSU-Projekt die Wahrheit quer durch München. 19. Februar 2024, abgerufen am 19. Februar 2024 (deutsch).
  15. Süddeutsche Zeitung: Der tiefe Sumpf des NSU. 3. November 2016, abgerufen am 19. Februar 2024.
  16. deutschlandfunkkultur.de: Kriminalhörspiel "Off the record" - NSU, Geheimhaltung und die Vierte Gewalt. Abgerufen am 19. Februar 2024.
  17. Michael Stadler: Das NSU-Stück „Off the Record“ von Christiane Mudra. 4. November 2016, abgerufen am 19. Februar 2024.
  18. Anna Landefeld: Kein Kläger – Investigative Theater München – Christiane Mudra zeigt in einer Tour durch den Münchner Stadtraum rechtsextreme Kontinuitäten auf. 19. Februar 2024, abgerufen am 19. Februar 2024 (deutsch).
  19. Ernst Grube - Holocaust-Überlebender. Abgerufen am 19. Februar 2024 (deutsch).
  20. Markus Schmorell - Neffe des Widerstandskämpfers Alexander Schmorell. Abgerufen am 19. Februar 2024 (deutsch).
  21. Saskia von Brockdorff - Tochter der Widerstandskämpferin Erika Gräfin von Brockdorff. Abgerufen am 19. Februar 2024 (deutsch).
  22. Gabriel Bach - Ankläger im Eichmannprozess. Abgerufen am 19. Februar 2024 (deutsch).
  23. Gerhard Wiese - Ankläger im Auschwitzprozess. Abgerufen am 19. Februar 2024 (deutsch).
  24. Süddeutsche Zeitung: Die Frau, die Gewalt und der Tod. Abgerufen am 18. Februar 2023.
  25. Yvonne Poppek: München: Ein Theaterabend zu Verschwörungstheorien. 8. November 2021, abgerufen am 19. Februar 2024.
  26. Yvonne Poppek: München: "Selfie & Ich" von Christiane Mudra. 27. November 2022, abgerufen am 19. Februar 2024.
  27. „Selfie & Ich“ am Ballhaus Ost: Über den sehr schmalen Grat zwischen Normalzustand und Krankheit. In: Der Tagesspiegel Online. ISSN 1865-2263 (tagesspiegel.de [abgerufen am 19. Februar 2024]).
  28. Amelie Sittenauer: Theaterstück „Selfie & Ich“: Glücksterror in Neukölln. In: Die Tageszeitung: taz. 20. September 2023, ISSN 0931-9085 (taz.de [abgerufen am 19. Februar 2024]).
  29. Michael Stadler: Christiane Mudras 'Hotel Utopia'. 7. November 2023, abgerufen am 19. Februar 2024.
  30. Amelie Sittenauer: Theaterstück „Hotel Utopia“: „Sprachkurse, Ebene 3“. In: Die Tageszeitung: taz. 2. Dezember 2023, ISSN 0931-9085 (taz.de [abgerufen am 19. Februar 2024]).
  31. Janis El-Bira: Hotel Utopia – Ballhaus Ost – Christiane Mudra spielt im Flughafen Tempelhof mit Reisepässen und reitet den Amtsschimmel. 19. Februar 2024, abgerufen am 19. Februar 2024 (deutsch).
  32. Die Deutsche Bühne: Kritik: Dariya Maminova / Christiane Mudra: Beta | Berlin. Abgerufen am 19. Februar 2024 (deutsch).
  33. BETA | Investigatives Musiktheater von Christiane Mudra und Dariya Maminova. In: Kabinett Online. 3. Februar 2024, abgerufen am 19. Februar 2024 (deutsch).
  34. The Holy Bitch Project. In: investigative theater. Abgerufen am 18. Februar 2023 (deutsch).
  35. HFBK Repositorium. Abgerufen am 19. Februar 2024.

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