Chorturm

Ein Chorturm ist ein über dem Chor (Altarraum) einer Kirche errichteter Kirchturm, der häufig auch als Glockenturm dient. Kirchen mit einem solchen Chorturm werden Chorturmkirche genannt. Dieser Bautyp entstand in der Zeit der Romanik und war im Mittelalter vor allem in ländlichen Gegenden in Mittelhessen, in Thüringen, Sachsen, Mittel- und Süddeutschland, im Elsass, in Österreich und in Skandinavien bei kleineren Kirchen verbreitet. In manchen Gegenden hielt sich diese Form über das Ende des Mittelalters hinaus.

Chorturm von St. Laurentius in Oberdollendorf

Formen

Der Kunsthistoriker Joseph Hoster erkannte 1947 eine Uneindeutigkeit in der Literatur zur Beschreibung dieser Bauform und entwickelte eine Typologie der am häufigsten vorkommenden drei Formen. Diese sollten nicht mit Vierungstürmen verwechselt werden.[1][2]

Die drei Formen sind nach Hoster:

Chorturm: Der Chor befindet sich im Untergeschoss des Turmes. Der Chor schließt im Osten gerade mit der Turmwand und ragt nicht mit einer Apsis über diese hinaus.

Chorjochturm: Der Turm befindet sich über dem Chorjoch der Kirche, an das eine Apsis angefügt ist.

Choranschlussturm: Der Turm schließt sich unmittelbar hinter dem Chor an. Diese Form wird auch als Ostturm bezeichnet. Zu beobachten z. B. bei der Jesuitenkirche St. Mariä Himmelfahrt in Köln. Von den beiden vorgenannten Formen unterscheidet er sich darin, dass er keinen Teil des Chorraums beherbergt. Seine Funktion entspricht also eher einem Chorflankenturm. In manchen Gebäudebeschreibungen werden auch Chorflankentürme beiläufig als „Chortürme“ bezeichnet.

Schwerpunkte der Verbreitung

In Erich Bachmanns Arbeit Kunstlandschaften im romanischen Kleinkirchenbau Deutschlands befinden sich detaillierte Beschreibungen der Verbreitung und vor allem eine informative Verbreitungskarte, auf der eindeutig begrenzte Schwerpunkte ins Auge springen: Mittelhessen (z. B. Lahn-Dill-Kreis, Liste der Kirchen im Landkreis Marburg-Biedenkopf und Liste der denkmalgeschützten Kirchen im Landkreis Gießen), Thüringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen; westlich des Rheins im nördlichen Winkel zwischen Rhein und Mosel und der Raum zwischen Main und Donau.

Nach Untersuchungen von Wolfgang Müller waren in der Ortenau von 109 Kirchen mit gemauertem Turm 84 Chorturmkirchen. Seit dem 18. Jahrhundert sind die meisten Chorturmkirchen verschwunden, da Neubauten an die Stelle der alten Kirchen traten. Die schönsten Beispiele für Chorturmkirchen in der Ortenau sind neben der Kirche von Wittelbach die Kirchen in Burgheim, Altfreistett und Hausgereut bei Rheinbischofsheim.[2] Auch im Elsass, soweit es zum Bistum Straßburg gehörte, war der Chorturm sehr verbreitet. Das lässt den Schluss zu, dass innerhalb der Diözese Straßburg sowohl links wie rechts des Rheines dieselben Baugewohnheiten vorgeherrscht haben.

Ein ungewöhnliche Häufung an Chorturmkirchen bietet die Gemeinde Oberstenfeld nordöstlich von Stuttgart, Hier gibt es gleich drei derartige Kirchen, die romanische Stiftskirche St. Johannes, die barocke Dorfkirche St. Gallus (BILDER) und als älteste die ursprünglich einem Nachbarort angehörende Peterskirche (BILDER). In weiten Teilen von Thüringen und im südlichen Sachsen-Anhalt ist die Chorturmkirche im ländlichen Bereich eher die Regel als die Ausnahme.

Ein weiteres Gebiet der Verbreitung ist die Gegend südlich von München mit Kirchen u. a. in Unterhaching, Taufkirchen, Großdingharting und Hanfeld.

Östlich der Elbe gibt es dagegen nur sehr wenige mittelalterliche Chorturmkirchen, Ausnahmen bilden die Dorfkirche Grünow in der Uckermark und die Dorfkirche Hohenseeden bei Genthin in Sachsen-Anhalt.

Beispiele für Chorturmkirchen

Die „Sieben verkehrten Kirchen der Altmark“

Eine Gruppe von Chorturmkirchen ist als die „Sieben verkehrten Kirchen der Altmark“ bekannt geworden. Dazu gehören die folgenden Kirchen:[3]

Die Chorturmkirchen in Hagen (Apenburg-Winterfeld) und Hohenseeden könnten ebenfalls dazu gerechnet werden, sind jedoch nicht Bestandteil dieser Gruppe, was vermutlich mit der überlieferten Symbolik der Siebenzahl zusammenhängt. Nicht alle diese Kirchen sind Chorturmkirchen im engeren Sinne, da bei einigen der Chor nicht im Turm untergebracht ist.

Weitere Beispiele

Auf- und Grundriss des Chorjochturms von St. Laurentius (Oberdollendorf)

Literatur

Überblick:

  • Erich Bachmann: Kunstlandschaften im romanischen Kleinkirchenbau Deutschlands. In: Zeitschrift des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft, Bd. 8, 1941, S. 159–172.
  • Erich Bachmann: Chorturm. In: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte. Band 3, Stuttgart 1953, Sp. 567–573 online

Einzelne Landschaften:

  • Ulrich Coenen: Von des Chores Maß und Gerechtigkeit. In: Die Ortenau. 1999, S. 373–411.
  • Manfred Eimer: Die Chorturmkirche in Württemberg. In: Württembergische Vierteljahrshefte für Landesgeschichte. NF Band 41, Hefte 3 und 4, Stuttgart 1935, S. 254–266.
  • Joseph Hoster: Chortürme im Rheinland. In: Colonia Sacra 1 (1947), S. 100–162. Auch abgedruckt in: Festgabe für Wilhelm Neuss zur Vollendung seines 65. Lebensjahres, Köln 1947.
  • Wolfgang Müller: Chorturmkirchen im Breisgau. In: Schauinsland. Zeitschrift des Breisgau-Geschichtsvereins „Schau-ins-Land“. 81 (1963), S. 42–55 (Online)
  • Wolfgang Müller: Pfälzische Chorturmkirchen. In: Blätter für pfälzische Kirchengeschichte und religiöse Volkskunde. 34, 1967.
  • Wolfgang Müller: Die Ortenau als Chorturmlandschaft : ein Beitrag zur Geschichte der älteren Dorfkirchen. Verlag Konkordia, Bühl/Baden 1965. (Veröffentlichung des Alemannischen Instituts 18).
  • Manfred Eimer: Die romanische Chorturmkirche in Süd- und Mitteldeutschland. Tübinger Chronik Verlag, Tübingen 1935.

Einzelnachweise

  1. Joseph Hoster: Chortürme.
  2. Chorturm. (Memento des Originals vom 27. November 2005 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.beyars.com In: Das grosse Kunstlexikon. auf: beyars.com.
  3. Thomas Hartwig: Alle Altmarkkirchen von A bis Z. Elbe-Havel-Verlag, Havelberg 2012, ISBN 978-3-9814039-5-4.
This article is issued from Wikipedia. The text is licensed under Creative Commons - Attribution - Sharealike. Additional terms may apply for the media files.