Chaos
Das Wort Chaos [altgriechisch χάος cháos, deutsch ‚der weite leere Raum‘) bezeichnet alltagssprachlich zumeist einen Zustand vollständiger Unordnung oder Verwirrung (Wirrwarr), also fehlender Ordnung bzw. Organisation. In der antiken Mythologie und in der Philosophie fungiert er im Rahmen von Kosmogonien und Kosmologien als Gegenbegriff zu Kosmos, dem griechischen Begriff für die (Welt-)Ordnung oder das geordnete Universum, in modernen naturwissenschaftlichen Theorien (Chaosforschung) hingegen zur Bezeichnung der Unvorhersagbarkeit von Prozessen.[1]
] (vonBegriffsgeschichte
Etymologisch hängt das Wort mit dem griechischen Verb χαίνειν chaínein, deutsch ‚klaffen, gähnen‘ zusammen, bedeutet also ursprünglich etwa „klaffender Raum“, „gähnende Leere“, „Kluft“. Das Wort χαίνειν wird ebenso wie Deutsch gähnen auf eine vermutete Wortwurzel der Indogermanischen Ursprache *ghen- zurückgeführt. Chaos ist mit dem älteren Wort chabos verbunden und Chabos („Gähnschlucht“) heißt eine tiefe Schlucht südlich der Burg von Mykene auf der Peloponnes,[2] vergleichbar der Urschlucht Ginnungagap („gähnende Kluft“) der nordischen Mythologie.[3]
In der Theogonie des griechischen Dichters Hesiod (ca. 700 v. Chr.) ist das Chaos der Urzustand der Welt: „Früher als alles entstand das Chaos, aber sodann ward Gaia…“[4] Das Chaos besitzt in diesem kosmogonischen Mythos Ähnlichkeit mit dem Nichts und der Leere. Kinder oder Abkömmlinge des Chaos bei Hesiod sind Gaia (die Göttin der Erde), Nyx (die Göttin der Finsternis, der Nacht), Erebos (der Gott der Finsternis in der Unterwelt), Tartaros (die Unterwelt, Ort und Person zugleich) und Eros (der Gott der Liebe). Alle fünf Götter sind zeitgleich aus dem Chaos entstanden.
In der ersten Schöpfungsgeschichte der Bibel (Genesis 1,1–5) können die Worte „wüst und leer“ auch als ein anderer Ausdruck für Chaos gedeutet werden. In der hebräischen Bibel steht an dieser Stelle תֹהוּ וָבֹהוּ tohu ṿavohu, das später als Tohuwabohu in die deutsche Sprache Einzug gehalten hat. Dieses תֹהוּ וָבֹהוּ tohu ṿavohu besteht aus dem וָ ṿa (Bedeutung: und) תֹהוּ tohu, בֹהוּ vohu diese entsprechen in der babylonisch-sumerischen Mythologie den Ur-Drachen-Wesen Tiamat und Abzu (Gottheit), die vom Gott Marduk besiegt werden.
Der Chaos-Begriff bei Paracelsus ähnelt in gewisser Weise der späteren Vorstellung von Gas bei Johan Baptista van Helmont, bleibt jedoch in seiner Bedeutung einigermaßen okkult.[5]
Seit dem 17. Jahrhundert bezeichnet Chaos in der Alltagssprache die Unordnung, das Gewirr, das Durcheinander (etwa eines unaufgeräumten Zimmers). Im Neugriechischen hat sich neben dieser auch die ursprüngliche Bedeutung (als klaffender, unüberbrückbarer Abgrund) bewahrt.
Chaot
Die Bezeichnung Chaot wird in der Regel abwertend und polemisch verwendet. Im Alltag bezeichnet man damit meist einen sehr unordentlichen und schlecht organisiert auftretenden Menschen. Des Weiteren dient das Wort „Chaot“ (wie auch „Krawallmacher“) als politischer Kampfbegriff, um Angehörige gewaltbereiter sozialer Gruppen zu bezeichnen, besonders im Zusammenhang mit Straßenschlachten und Ausschreitungen. Die Geburtsstunde dieser Chaoten waren die großen Demonstrationen gegen das Kernkraftwerk in Wackersdorf und in Brokdorf. In vielen Massenmedien wird der Begriff auch für Hooligans verwendet.[6]
Vor allem Anarchisten, Autonome und Punks werden in politischen Auseinandersetzungen abwertend als „Chaoten“ bezeichnet. Der Begriff wird aber auch für rechtsextreme Skinheads verwendet. Die Punkszene bezieht sich selbst positiv auf den Begriff und veranstaltete seit den 1980er Jahren mehrmals sogenannte „Chaostage“.
Weitere Bedeutungen
- Mathematik und Physik: ein Zustand nichtlinearer, dynamischer Systeme, siehe Chaosforschung und Entropie
- Einsatzlehre: die Chaosphase bei Einsatzlagen aufgrund einer fehlenden Führungsstruktur bzw. eines fehlenden Lagebildes
- Managementlehre: geringfügige Einflüsse können ein labiles Gleichgewicht in massives Ungleichgewicht stoßen (Schmetterlingseffekt), siehe Edward N. Lorenz
- Im Diskordianismus ist das Chaos, symbolisiert durch Eris, als Antagonistin der durch Aneris symbolisierten Ordnung, von zentraler Bedeutung
Literatur
- Dietrich Busse: „Chaoten und Gewalttäter“. Ein Beitrag zur Semantik des politischen Sprachgebrauchs. In: Burkhardt, Hebel, Hoberg (Hrsg.): Sprache zwischen Militär und Frieden. Aufrüstung der Begriffe? G. Narr, Tübingen 1989, S. 93–121. (PDF; 337 kB)
- Theodor Leiber: Kosmos, Kausalität und Chaos. Naturphilosophische, erkenntnistheoretische und wissenschaftstheoretische Perspektiven (= Spektrum Philosophie. Band 1). Ergon, Würzburg 1996, ISBN 978-3-928034-70-8.
Weblinks
- Robert Bishop: Chaos. In: Edward N. Zalta (Hrsg.): Stanford Encyclopedia of Philosophy.
- Das bedrohte Wort: Es lebe der Chaot! Spiegel online, 5. Mai 2007
Einzelnachweise
- Stefan Lobenhofer (2019): Chaos [deutschsprachige Fassung]. In: Thomas Kirchhoff (Hrsg.): Online Encyclopedia Philosophy of Nature / Online-Lexikon Naturphilosophie, doi:10.11588/oepn.2019.0.68092; https://journals.ub.uni-heidelberg.de/index.php/oepn/article/view/68092
- Kai Brodersen: Antike Stätten am Mittelmeer: Metzler Lexikon. J. B. Metzler, Stuttgart 2016, S. 321.
- Ulrich Mann: Kosmik und Tragik – Grundzüge der altgriechischen Religions- und Geistesgeschichte. In: Die Karawane. Vierteljahreshefte der Gesellschaft für Länder- und Völkerkunde. Heft 1/2 (Im Zeichen des Markuslöwen. Die Peloponnes 1204–1715) 23. Jahrgang, Karawane-Verlag, Ludwigsburg 1982, S. 5–26, hier S. 18.
- Hesiod, Theogonie 116: ἤτοι μὲν πρώτιστα Χάος γένετ᾽· αὐτὰρ ἔπειτα Γαῖ᾽… Übersetzung nach H. Gebhardt (online).
- Willem Frans Daems: Der Chaos-Begriff bei Paracelsus. In: Josef Domes u. a. (Hrsg.): Licht der Natur. Medizin in Fachliteratur und Dichtung. Göppingen 1994, S. 65–76.
- Krawalle in Leipzig: 60 Spiele abgesagt. In: Stern, 13. Februar 2007.