Castrismus

Als Castroismus, Castro-Kommunismus oder Castrismus wird gelegentlich das unter der Führung von Fidel Castro auf Kuba nach dem Sieg der kubanischen Revolution ab 1959 errichtete politische System bezeichnet, das vor allem durch eine „extrem zentralisierte Führung in einem sehr starken Staat“ charakterisiert ist.[1] Im Mittelpunkt dieser Politik steht die Person Fidel Castro. Seine Reden wurden zur ideologischen Leitlinie.[2]

Den Begriff, der die Identifikation des kubanischen politischen Systems mit der Person des Revolutionsführers impliziert, hat sich die kubanische Führung selbst jedoch nie zu eigen gemacht.

Ideologisch hat sich das von Castro aufgebaute politische System auf die Tradition des kubanischen Nationalhelden der Unabhängigkeitsbewegung José Martí und ab 1961 explizit insbesondere auf den Marxismus-Leninismus berufen[3] und dabei zu unterschiedlichen Zeitpunkten durchaus unterschiedliche Prinzipien als maßgeblich betont. Seit der gesundheitsbedingten Übernahme der Führungsverantwortung durch Fidel Castros jüngeren Bruder Raúl ab Juli 2006 weisen Beobachter auf die politisch bedeutsamen Unterschiede zwischen den jahrzehntelangen Weggefährten hin und benutzen in diesem Zusammenhang auch die Begriffe „Fidelismus“, „Post-Fidelismus“ und „Raulismus“,[4][5] während offizielle kubanische Quellen die Kontinuität im politischen System betonen.[6]

Strukturell orientierten sich die ab 1959 in Kuba aufgebauten staatlichen Institutionen und der Führung unterstellten Massenorganisationen eng am Vorbild des unter Josef Stalin entwickelten, stark hierarchischen Ein-Parteien-Systems der Sowjetunion,[7][8] das ab dem Ende des Zweiten Weltkriegs bis 1989 auch insbesondere in den realsozialistischen mittel- und osteuropäischen Staaten adaptiert wurde. Die politische Anlehnung an die Sowjetunion war dabei in den 1970er und 1980er Jahren besonders ausgeprägt. In den Anfangsjahren der Revolution verfolgte die kubanische Führung einen von Moskau unabhängigeren Kurs, der insbesondere die direkte Unterstützung revolutionärer Guerillabewegungen in Lateinamerika und Afrika beinhaltete – diese Politik wurde damals von Beobachtern als Kernelement des „Castroismus“ gesehen und unter Bezugnahme auf Ernesto Guevara teilweise auch als „Castroismus-Guevarismus“ bezeichnet.[9][10]

Die Ausprägung des Castrismus unter dem Präsidenten Miguel Díaz-Canel wird innerhalb der kubanischen Opposition auch als Castrocanelismus (spanisch: castrocanelismo) bezeichnet.[11]

In Lateinamerika galt der venezolanische Staatspräsident Hugo Chávez als größter Bewunderer und wichtigster Unterstützer des von den Brüdern Castro aufgebauten kubanischen Systems.

Castro, 2002, neben einer Statue von José Martí

Literatur

  • Régis Debray: Der Castrismus. Der lange Marsch Lateinamerikas. In: Régis Debray, Fidel Castro, Gisela Mandel und K. S. Karol (Hg.): Der lange Marsch: Wege der Revolution in Lateinamerika. Trikont, München 1968
  • Theodore Draper: Castroism: Theory and Practice. Praeger, New York 1965
  • Samuel Farber: Cuba since the Revolution of 1959. A Critical Assessment. Haymarket, Chicago 2011, ISBN 978-1-60846-139-4
  • Boris Goldenberg: Die kubanische Revolution und der Castrismus. In: Boris Goldenberg und Klaus Eßer: Zehn Jahre kubanische Revolution. Verlag für Literatur und Zeitgeschehen, Hannover 1969, Sonderheft 4 der Zeitschrift Vierteljahresberichte des Forschungsinstituts der Friedrich-Ebert-Stiftung, S. 7–85
  • Albrecht Hagemann: Fidel Castro. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2002, ISBN 3-423-31057-X.
  • Robert F. Lamberg: Die castristische Guerilla in Lateinamerika — Theorie und Praxis eines revolutionären Modells. Verlag für Literatur und Zeitgeschehen, Hannover 1971 (Vierteljahresberichte / Forschungsinstitut der Friedrich-Ebert-Stiftung. Sonderheft 7).
  • Michael Zeuske: Kleine Geschichte Kubas. C. H. Beck 2007, ISBN 9783406494222, S. 198, 221, 227, 230, 233–234 (Auszug in der Google-Buchsuche).

Einzelnachweise

  1. Michael Zeuske: Traditionen, Gegenwart und Zukunft der kubanischen Revolution (Memento vom 15. Oktober 2010 im Internet Archive). In: Aus Politik und Zeitgeschichte. Nr. 41–42 / 11. Oktober 2010 - Beilage: Revolutionen in Lateinamerika (Material der BPB)
  2. Bert Hoffmann: Kuba. 3. Auflage, Verlag C.H. Beck, 2009, S. 87
  3. Ernst Halperin: Unzufriedener Castro. Blick nach Moskau: Der große Bruder hält sich zurück in: Die Zeit vom 27. April 1962, abgerufen am 9. Juni 2012
  4. Jaime Suchlicki: Cuba transition from Fidelismo to Raulismo (Memento vom 30. Januar 2010 im Internet Archive) in: Miami Herald vom 24. August 2006, abgerufen via Havana Journal am 11. Juni 2012 (englisch)
  5. Philipp Lichterbeck: Kuba: Castro korrigiert Castro in: Der Tagesspiegel vom 4. März 2009, abgerufen am 11. Juni 2012
  6. Raúl Castro: Central Report to the 6th Congress of the Communist Party of Cuba in: Cubadebate vom 16. April 2011, abgerufen am 11. Juni 2012 (englisch)
  7. Samuel Farber: Cuba: The Unity of the People in: Havana Times vom 4. Dezember 2011 (Auszug aus dem Buch Cuba since the Revolution of 1959), abgerufen am 9. Juni 2012 (englisch)
  8. Heinz Dieterich: La Des-Fidelización de Cuba (Memento vom 16. Dezember 2012 im Internet Archive) in: Analítica vom 20. September 2011, abgerufen am 9. Juni 2012 (spanisch)
  9. Bill Vann: Fidel Castro und kleinbürgerlich nationalistische Politik, Vortrag vom 7. Januar 1998, in: World Socialist Web Site, abgerufen am 30. November 2016.
  10. Wolfgang Berner: Der Evangelist des Castroismus-Guevarismus, in: Berichte des Bundesinstituts für Ostwissenschaftliche und Internationale Studien 1968
  11. Elías Amor: Producción industrial en Cuba: otro fracaso del “castrocanelismo”. In: CubaNet. 10. März 2021, abgerufen am 15. März 2024 (spanisch).
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