Carmen (1926)
Carmen ist eine Verfilmung des gleichnamigen Romans von Prosper Mérimée, die Jacques Feyder 1926 mit Raquel Meller, Fred Louis Lerch und Gaston Modot in den Hauptrollen für Les Films Albatros als Stummfilm realisiert hat. Das Drehbuch schrieb er nach der literarischen Vorlage aus dem Jahre 1845 selbst. Der dem Surrealismus zuneigende Luis Buñuel, welcher neben Charles Spaak auch Regieassistent war, spielt darin eine kleine Rolle als Schmuggler.
Handlung
Don José, ein junger Soldat, lässt, gefangen in Leidenschaft zu der Zigeunerin Carmen, alles hinter sich und wird zuerst fahnenflüchtig und dann zum Schmuggler, nur um ihr nahe zu sein. Um die Frau ganz für sich zu haben, tötet er deren Liebhaber Garcia. Carmen aber, eine freie Frau, hält ihm nicht die Treue und verlässt ihn wegen Lukas, einem Stierkämpfer, was José in den Wahnsinn und zum Mord treibt.
„Carmen kennt weder Vergangenheit noch Zukunft, sondern lebt ausschließlich im Hier und Jetzt. Liebe bedeutet ihr nichts, sie ist nur eine flüchtige Laune. Ihre Haupteigenschaft ist genau die Wandelbarkeit, die Don José am meisten verabscheut.“ (Ulf Kjell Gür)[1]
Hintergrund
Carmen war eine Produktion des 1919 von Exilrussen gegründeten Unternehmens Les Films Albatros um den Produzenten Alexandre Kamenka und seinen Produktionsassistenten Charles Barrois. Sie erschien im Verleih der Les Films Armor. Lazare Meerson schuf das Bühnenbild. Für die Photographie zeichneten Maurice Desfassiaux und Paul Parguel verantwortlich. Den Schnitt besorgte Jacques Feyder, assistiert von Henriette Caire. Die Kostüme entwarfen Wassili Schuchajew und Jeanne Lanvin. Die Titelrolle spielte die spanische Schauspielerin und Sängerin Raquel Meller.[2]
Die Illustrationsmusik schrieb der spanisch-mexikanische Komponist und Dirigent Ernesto Halffter Escriche. Ein Schüler von Manuel de Falla und Maurice Ravel, vermied er die leitmotivische Charakterisierung einzelner Figuren zugunsten einer Atmosphäre in impressionistischen Farben.[3]
Carmen wurde am 5. November 1926 in Paris erstaufgeführt. In Deutschland bekam der Film den Titel „Die weisse Zigeunerin“ und wurde als „ein Drama in 5 Akten aus dem Leben der spanischen Toreros, mit Raquel Meller in der Titelrolle“[4] angekündigt.
Carmen lief europaweit auch in Dänemark, Finnland, Griechenland, Spanien, Portugal und Polen. In Übersee wurde der Film auch in den USA und in Brasilien gezeigt.[5]
Rezeption
Feyders Version von Carmen wurde an Originalschauplätzen in Spanien und Südfrankreich[6] gedreht. Gleichwohl ist sie weit entfernt von einem malerischen Stil, fiel vielmehr „nüchtern und tragisch“[7] aus.
Zur Wahl seiner Hauptdarstellerin bemerkte Jacques Feyder: “No me han pedido hacer una película sobre Carmen con Raquel Meller, sino hacer con Raquel Meller algo sobre Carmen”.[8]
Rezensionen erschienen von/in:
Jean Eyre in Mon Ciné 220 vom 6. Mai 1926, S. 6–8.
Jean Vignaud in Ciné Miroir 111 vom 1. Dez. 1926, S. 9–16.
Eva Elie in Ciné Magazine 49 vom 3. Dez. 1926
„I read Feyder’s film more as a struggle between the directorial vision of Spanish stereotypes on the one hand, and the star’s resistance to that stereotype on the other, a resistance which can be understood in the context of women’s changing place in French society. The film was conceived as a star vehicle for the Spanish actress Raquel Meller by the dynamic Films Albatros, a group of Russian expatriates whose films enjoyed particular success in the 1920s due in part to great actors such as Ivan Mozzhukhin and set-designers such as Lazare Meerson. Meller was originally a popular singer; her song ‘La Violetéra’ had been an international success, and was eventually used by Chaplin in City Lights (1931)“ (Phil Powrie: The kiss-curl and the resisting eyes)
„In the lead, Raquel Meller plays an unusual Carmen. She is not flamboyant and she clashed with the director during the shooting. She even suggested they should call the author, Prosper Mérimée (who died in 1870...) over the phone!“ (Ann Harding)
Carmen inspirierte 1926 mehrere namhafte Graphikkünstler, darunter Pierre Chenal,[9] Alain Cuny,[10] Jean-Adrien Mercier[11] und in Österreich Else Czulik, zu verschiedenen Plakatentwürfen.
- Restaurierung und Wiederaufführung:
Die von der Cinématheque Française 1985 restaurierte Fassung von Carmen maß 3408 Meter und hatte eine Spieldauer von 110 Minuten.[12]
2001 wurde Carmen von ZZ productions erneut restauriert. Der Film ist nunmehr 3824 Meter lang, viragiert, und wurde am 21. Juni 2002 vom Kultursender Arte im Deutschen Fernsehen ausgestrahlt.
Eine Einspielung der Filmmusik von Ernesto Halffter durch das Rundfunk-Sinfonieorchester Frankfurt unter dem Dirigenten Marc Fitz-Gerald ist 2011 auf dem label Naxos als CD erschienen.
Literatur
- François Albera: Albatros des Russes à Paris (1919–1929). ed. Mazzotta e Cinematèque française, 1995, ISBN 88-202-1145-9.
- Marta García Carrión: Por un cine patrio: Cultura cinematográfica y nacionalismo español (1926–1936). Verlag Universitat de València, 2014, ISBN 978-84-370-9326-0.
- Restaurations de la Cinémathèque Française. film projetés en 1986. Cinémathèque Française, Paris 1986, ISBN 2-900596-06-8.
- Ann Davies, Phil Powrie: Carmen on Screen: An Annotated Filmography and Bibliography (= Research bibliographies and checklists: New series). Verlag Tamesis Books, 2006, ISBN 1-85566-129-2, S. 14–15.
- Alan Goble: The Complete Index to Literary Sources in Film. Verlag Walter de Gruyter, 1999, ISBN 3-11-095194-0, S. 705.
- Ulrich Gregor, Enno Patalas: Geschichte des Films. Band 1, Verlag Rowohlt, 1976, ISBN 3-499-16193-1, S. 239.
- Ann Harding: Albatros productions. auf: nitrateville.com, 28. Mar 2012.
- Phil Powrie: The kiss-curl and the resisting eyes: reassessing Carmen (Feyder, 1926). 2003. (PDF)
- Phil Powrie: Carmen on Film: A Cultural History. Indiana University Press, 2007, ISBN 978-0-253-34888-3, S. 295.
- Michel Serceau: Le Mythe, le miroir et le divan: Pour lire le cinéma. Presses Univ. Septentrion, 2009, ISBN 978-2-7574-0112-5, S. 287.
- Winifred Woodhall: Carmen and early Cinema. The Case of Jacques Feyder (1926). In: Carmen: From Silent Film to MTV. (= Critical studies. 24). Verlag Rodopi, 2005, ISBN 90-420-1964-6, S. 37–60.
- Anat Zanger: Film Remakes as Ritual and Disguise: From Carmen to Ripley. (= Film Culture in Transition Series). Amsterdam University Press, 2006, ISBN 90-5356-784-4, S. 147.
Weblinks
- Carmen bei IMDb
- Carmen bei filmaffinity.com (spanisch)
Abbildungen
- Raquel Meller als Carmen 1926.
- Fred Louis Lerch als Don José 1926.
Tondokument
- La Violetéra, Schottisch Español (José Padilla) aus dem Film „Violettes impériales“ („Kaiserliche Veilchen“) [Frankreich 1924, Henry Roussell]. Raquel Meller mit Orchester. ODEON 184.374 (Matr. Ki 962-2), aufgen. Paris, Oktober 1926
Einzelnachweise
- bei IMDb/plotsummary
- geboren am 9. März 1888 in Tarazona, Zaragoza, Aragón, gest. am 26. Juli 1962, spielte zuvor in der stummen Filmoperette „Violettes impériales“ (1924) mit. Vgl. IMDb und findagrave.com; der Musikkatalog der DNB verzeichnet von ihr 49 Tonaufnahmen.
- A. Harding: „...what makes the film worth investigating again is the orchestral score by Ernesto Halffter Escriche. His music recalls the impressionistic colours of Ravel. It's not a leitmotiv full score delineating each character. It's more an accompaniment creating an atmosphere throughout the film […] With the music, the film flows in spite of its length (165 min)“
- vgl. Plakat von Else Czulik (1898–1977) bei imdb.com/title; zu der österreichischen Graphikerin vgl. Heidelinde Resch: 14 Grafikerinnen im Wien des 20. Jahrhunderts: „ … Exaktheit der Zeichnung und Farbe mit echt wienerischem Charme …“ (= Design in Österreich. Band 3). Verlag Birkhäuser, 2013, ISBN 978-3-99043-621-9, S. 25.
- IMDb/releaseinfo
- A. Harding: „The film was shot mostly in Spain (around Seville) and in the South of France making the most of the breathtaking landscapes.“
- „seca y trágica“ bei filmaffinity.com, vgl. Ulf Kjell Gür bei IMDb/plotsummary
- Etwa: „Man hat mich nicht gebeten, einen Film über Carmen mit R.M. zu machen, sondern mit R.M. etwas über Carmen“ (so bei filmaffinity.com)
- Kinoplakat von Pierre Chenal.
- Kinoplakat (Memento des vom 13. September 2017 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. von Alain Cuny.
- Kinoplakat (Paar auf Pferd) und Kinoplakat (Stierkampf) von Jean-Adrien Mercier.
- Restaurations de la Cinémathèque Française. S. 27.