Braunrote Stendelwurz

Die Braunrote Stendelwurz (Epipactis atrorubens),[1] auch Rotbraune Stendelwurz, Dunkelrote Stendelwurz oder Schwarzrote Stendelwurz, Braunroter Sitter oder Schwarzroter Sitter, Strandvanille oder Vanilleständel genannt, ist eine Pflanzenart aus der Gattung der Stendelwurzen (Epipactis) innerhalb der Familie der Orchideen (Orchidaceae).

Braunrote Stendelwurz

Braunrote Stendelwurz (Epipactis atrorubens)

Systematik
Familie: Orchideen (Orchidaceae)
Unterfamilie: Epidendroideae
Tribus: Neottieae
Untertribus: Limodorinae
Gattung: Stendelwurzen (Epipactis)
Art: Braunrote Stendelwurz
Wissenschaftlicher Name
Epipactis atrorubens
(Hoffm. ex Bernh.) Besser

Um die Öffentlichkeit auf seine Schutzwürdigkeit hinzuweisen, wurde die Braunrote Stendelwurz von den Arbeitskreisen Heimische Orchideen (AHOs) für das Jahr 2022 zur Orchidee des Jahres gewählt.

Beschreibung und Ökologie

Illustration aus Flora Batava, Volume 19
Seltene gelblich-grün Form

Vegetative Merkmale

Die Braunrote Stendelwurz ist eine ausdauernde, krautige Pflanze, die Wuchshöhen von 20 bis 80 Zentimetern erreicht. Sie bildet ein kurzes, oft mehrtriebiges Rhizom mit zahlreichen fleischigen Wurzeln.

Generative Merkmale

Die Blütezeit reicht von Juni bis August. Der aufrechte Blütenstand ist meist purpurfarben überlaufen und im oberen Teil dicht behaart. Die zygomorphen Blüten können bisweilen in ihrer Farbe variieren, sind in der Regel aber braunrot oder auberginefarben gefärbt und werden durch Insekten, oft durch Bienen, bestäubt oder sind selbstbestäubend. Sie verströmen besonders bei warmem Wetter intensiven Vanilleduft, weshalb die Pflanze auch als „Strandvanille“ bezeichnet wird.

Samen, äußere Samenschale (Testa) aus abgestorbenen Zellen sowie die innere Samenhülle (Carapace), die den Embryo enthält

Aus Kapselfrüchten werden die leichten, staubartigen Samen durch Wind ausgebreitet.

Die Chromosomenzahl beträgt 2n = 40.[2]

Braunrote Stendelwurz (Epipactis atrorubens)
Hybride zwischen Braunroter und Breitblättriger Stendelwurz
(Epipactis ×schmalhausenii)

Vorkommen und Gefährdung

Die Vorkommen der Braunroten Stendelwurz sind verstreut und reichen im Norden bis an die boreale, im Süden an die meridionale Zone und in Richtung Osten bis Zentralsibirien und zum Kaukasusraum. In Mitteleuropa fehlt sie im Tiefland mit Ausnahme an den sandigen Küsten. Insgesamt ist sie selten, kommt aber an ihren Standorten meist in kleineren Trupps oder in sehr lockeren, individuenarmen Beständen vor.[3] Die Braunrote Stendelwurz ist auch in Gebirgslagen anzutreffen, in den südlichen Alpen etwa bis auf Höhenlagen von 2400 Metern. Sie steigt in den Alpen bis in Höhenlagen von etwa 2000 Meter auf.[3] In den Allgäuer Alpen kommt sie im Tiroler Teil im Tannheimer Tal zwischen Sabajoch und Nesselwängler Scharte bis in einer Höhenlage von 1950 Meter vor.[4] Nach Baumann und Künkele steigt die Art in den Alpenländern zu folgenden Höhengrenzen auf: Deutschland 5–1870 Meter, Frankreich 1–2360 Meter, Schweiz 400–2380 Meter, Liechtenstein 446–2030 Meter, Österreich 250–2200 Meter, Italien 10–2390 Meter, Slowenien 180–1800 Meter.[5] In Europa liegen die Höhengrenzen bei 1–2390 Metern Meereshöhe.[5]

Man findet die Braunroten Stendelwurz in hellen Wäldern, Säumen und an trocken-warmen Standorten. Die Braunrote Stendelwurz gedeiht am besten auf basisch bis neutralen, nährstoffarmen, durchlässigen Sand- und Steinböden. Sie gilt aber auch als Pionierart, die gern Brachland, Bahndämme und Halden besiedelt, die sich in einem frühen bis mittleren Sukzessionsstadium mit Gras- und Staudengesellschaften und lichtem Birkenbestand befinden. Die Braunrote Stendelwurz besiedelt auch extrem trockene Standorte und kommt selbst auf Sanddünen vor. Die Braunrote Stendelwurz gedeiht am besten auf kalkreichen, aber ausgesprochen stickstoffarmen, trockenen Böden. Sie gedeiht in Mitteleuropa meist in lichten Gebüschen oder Trockenwäldern.[3] Sie ist ein Kiefernbegleiter und gedeiht gern in Pflanzengesellschaften der Verbände Erico-Pinion, Cytiso-Pinion, Seslerion, Stipion calamagrostis oder im Carici-Fagetum des Verbands Fagion sylvaticae.[2]

In Mitteleuropa ist die Braunrote Stendelwurz – wie alle Orchideengewächse – seit Jahrzehnten im Rückgang begriffen, gehört jedoch nicht zu den stark bedrohten Orchideenarten. Wie alle einheimischen Orchideenarten steht die Braunrote Stendelwurz unter Naturschutz. Die Standorte der Braunroten Stendelwurz sind in den Dünen fast alle vernichtet worden. Vermutlich kommt sie heute noch auf Rügen und auf Usedom vor. Dass sie früher in den Küstengebieten wohlbekannt war, geht auch aus dem Volksnamen „Strandvanille“ hervor, der sich- außer auf den Standort- auf den Vanilleduft bezieht. Die Braunrote Stendelwurz ist auch in den Kalk-Mittelgebirgen selten geworden.[3]

Naturhybriden

Von der Braunroten Stendelwurz sind natürliche Hybriden mit anderen Epipactis-Arten bekannt. Darunter:

  • Epipactis ×schmalhausenii K.Richt. = Epipactis atrorubens × Epipactis helleborine. Sie kommt in Europa vor.

Bilder

Literatur

  • Fritz Füller: Epipactis und Cephalanthera (Orchideen Mitteleuropas, 5. Teil). 4. Auflage (unveränderter Nachdruck der 3. Auflage von 1986). Westarp Wissenschaften, Hohenwarsleben 2005 (Die Neue Brehm-Bücherei, Band 329), ISBN 3-89432-310-8.
  • AHO (Hrsg.): Die Orchideen Deutschlands. Verlag AHO Thüringen, Uhlstädt - Kirchhasel 2005, ISBN 3-00-014853-1.

Einzelnachweise

  1. Epipactis atrorubens (Hoffm.) Besser, Braunrote Ständelwurz. auf FloraWeb.de
  2. Erich Oberdorfer: Pflanzensoziologische Exkursionsflora für Deutschland und angrenzende Gebiete. Unter Mitarbeit von Angelika Schwabe und Theo Müller. 8., stark überarbeitete und ergänzte Auflage. Eugen Ulmer, Stuttgart (Hohenheim) 2001, ISBN 3-8001-3131-5, S. 272.
  3. Dietmar Aichele, Heinz-Werner Schwegler: Die Blütenpflanzen Mitteleuropas. 2. Auflage. Band 5: Schwanenblumengewächse bis Wasserlinsengewächse. Franckh-Kosmos, Stuttgart 2000, ISBN 3-440-08048-X.
  4. Erhard Dörr, Wolfgang Lippert: Flora des Allgäus und seiner Umgebung. Band 1, IHW, Eching 2001, ISBN 3-930167-50-6, S. 384.
  5. Helmut Baumann, Siegfried Künkele: Orchidaceae. In: Oskar Sebald u. a.: Die Farn- und Blütenpflanzen Baden-Württembergs. 1. Auflage Band 8, Seite 306. Verlag Eugen Ulmer, Stuttgart 1998. ISBN 3-8001-3359-8
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