Hamburg-Billwerder

Billwerder ist ein Hamburger Stadtteil im Bezirk Bergedorf. Bis ins 20. Jahrhundert hinein bezeichnete der Name Billwärder eine deutlich größere Landschaft zwischen den Flüssen Bille und (Dove) Elbe, die auch die heutigen Stadtteile Allermöhe, Billbrook, Moorfleet, Neuallermöhe, Rothenburgsort sowie den Westteil von Bergedorf (Nettelnburg) umfasst. Zur Unterscheidung von den anderen genannten Siedlungen, insbesondere denen auf der Elbseite, hieß der heutige Stadtteil bis 1949 Billwärder an der Bille.

Geographie

Das heutige Billwerder wird im Uhrzeigersinn umschlossen von den hamburgischen Stadtteilen Billbrook (Nordwesten), Billstedt (Norden), Lohbrügge (Nordosten), Bergedorf (Südosten), Neuallermöhe (Süden), Allermöhe (Südwesten) und Moorfleet (Westen).

Der Stadtteil liegt in feuchtem Marschgebiet und ist dünn besiedelt. Billwerder bildet den Übergang von den ländlichen Vier- und Marschlanden zu den Industrie- und Gewerbegebieten am Ostrand des Hamburger Hafens. Insofern prägen einerseits Gartenbau und Landwirtschaft, andererseits auch Gewerbebereiche sowie direkt umgebende Verkehrsadern wie die Bundesautobahn 1, die Bundesstraße 5 und die Bahnstrecke Berlin–Hamburg das Gesicht des Stadtteils.

Geschichte

Die Insel Billwärder um 1790. Der heutige Ortsteil wird hier als „Billkirche“ bezeichnet.
Karte von Hamburg, mit "Billwärder a. d. Bille" um 1895

Der Name Billwerder bedeutet sinngemäß soviel wie „Insel in der Bille“. Die Besiedlung dieser Marschlandschaft begann etwa um 1150. Die damals sächsischen Siedler errichteten Deiche auf dem Bill- und dem Ochsenwerder nach holländischem Vorbild. Sie entwässerten die Gegend und betrieben Landwirtschaft. 1320 verwüsteten schwere Sturmfluten die Dörfer Billwerder, Allermöhe und Moorfleet. 1331 verkauften die Dörfer ihre Kirchenglocken zur Finanzierung eines neuen Deichs.

1385 erwarb der Hamburger Ratsherr Albert Hoyer zusammen mit seinem Vetter Johannes Hoyer Billwerder von Graf Adolf VII. von Holstein zunächst als Pfand.[1] 1395 kaufte die Stadt Hamburg schließlich Adolfs Sohn Otto I. von Schaumburg Billwerder und andere Dörfer auf dem Gebiet der heutigen Marschlande für 2.400 Mark[2] endgültig ab, um im eigenen Interesse die Elbschifffahrt und den Handel zu sichern. Hamburg richtete die Landherrenschaft Bill- und Ochsenwerder ein, die die Verwaltung des Billwerder übernahm. Dies bedeutete, dass ein Hamburger Ratsherr als Landherr die Rechte der Stadt wahrnahm; hierbei unterstützten ihn Land- und Bauernvögte mit hoheitlichen Befugnissen. Die Stadt baute und finanzierte neue Deiche, so dass Billwerder im 15. Jahrhundert weitgehend gesichert war.

Wie auch in Moorfleet bauten die meisten Bauern Hopfen und Getreide an, wobei sie den Hopfen an die Hamburger Brauereien zur Herstellung des Bieres verkauften. 1627, während des Dreißigjährigen Krieges, erlitt Billwerder Plünderungen der kaiserlichen Armee. 1675 durchzogen dänische Truppen den Ort und 1686 besetzte der Herzog von Braunschweig-Lüneburg Billwerder. Aufgrund der militärischen Auseinandersetzungen verarmten große Teile der Bevölkerung. Durch die Umstellung von Getreide- auf Gemüseanbau erholte sich die Bevölkerung allmählich.

1830 entstand die Landherrenschaft der Marschlande, in die Billwerder überging. Nach 1850 entwickelte sich im Nordosten Billwerders ein riesiges Gewerbe- und Industriegebiet, das 1913 zum eigenen Stadtteil Billbrook wurde. Im Nordwesten hingegen entstand ein dicht besiedeltes Gebiet, das 1871 zum Vorort Billwerder Ausschlag wurde, 1894 den Status eines Stadtteils erhielt und 1938 zumindest zum Teil in Rothenburgsort umbenannt wurde.

Auf den danach verbliebenen knapp 10 Quadratkilometern wird jetzt überwiegend Landwirtschaft mit Ackerbau, Viehzucht und Blumenbau betrieben.[3] 1962 erlitt Billwerder durch die Flutkatastrophe schwere Schäden.

Im Zuge der Flüchtlingskrise in Deutschland 2015/2016 entstand in Billwerder die größte Folgeunterkunft für Flüchtlinge in Deutschland. An der Straße "Am Gleisdreieck" wurden Wohnungen für 2.500 Flüchtlinge gebaut.[4][5]

2017 wurde mit der Planung des neuen Stadtteils Oberbillwerder begonnen. Dieser soll nördlich der S-Bahntrasse im Bereich der Station Allermöhe entstehen.

Statistik

  • Anteil der unter 18-Jährigen: 23,5 % [Hamburger Durchschnitt: 16,6 % (2020)][6]
  • Anteil der über 64-Jährigen: 9,8 % [Hamburger Durchschnitt: 18,0 % (2020)][7]
  • Ausländeranteil: 57,2 % [Hamburger Durchschnitt: 17,7 % (2020)][8]
  • Arbeitslosenquote: 11,1 % [Hamburger Durchschnitt: 6,4 % (2020)][9]

Das durchschnittliche Einkommen je Steuerpflichtigen beträgt in Billwerder 30.575 Euro jährlich (2013), der Hamburger Gesamtdurchschnitt liegt bei 39.054 Euro.[10]

Politik

Für die Wahl zur Hamburgischen Bürgerschaft gehört Billwerder zum Wahlkreis Bergedorf. Die Bürgerschaftswahl 2020 führte zu folgendem Ergebnis:[11]

Ergebnis der Bürgerschaftswahl 2020 in Billwerder
 %
60
50
40
30
20
10
0
25,9
(−29,6)
25,8
(+15,5)
12,8
(+4,1)
12,0
(+2,9)
9,6
(+2,4)
3,5
(n. k.)
2,8
(+2,4)
2,6
(−3,0)
4,9
(+1,3)
2015

2020

Vorlage:Wahldiagramm/Wartung/Altes Ergebnis nicht 100%
Bürgerschaftswahl SPD CDU AfD Linke Grüne1) FDP Übrige
2020 25,9 % 25,8 % 12,8 % 12,0 % 09,6 % 02,6 % 11,3 %
2015 55,5 % 10,3 % 08,7 % 09,1 % 07,2 % 05,6 % 03,6 %
2011 52,6 % 22,9 % 05,8 % 08,6 % 05,6 % 04,5 %
2008 32,6 % 43,5 % 07,8 % 08,0 % 05,2 % 02,9 %
2004 31,6 % 48,2 % 07,5 % 02,9 % 09,8 %2)
1) 
Bis 2011 als Grüne/GAL.
2) 
Darunter 5,6 % für die Pro DM.

Bei der Bezirksversammlungswahl gehört der Stadtteil zum Wahlkreis Vierlande II / Marschlande. Bei Bundestagswahlen zählt Billwerder zum Bundestagswahlkreis Hamburg-Bergedorf – Harburg.

Kultur und Sehenswürdigkeiten

Bauwerke

Billwerder Motive 1907

Die evangelisch-lutherische St.-Nikolaikirche entstand von 1737 bis 1739. Das dazugehörige Pastorat wurde 1833 errichtet, das Gemeindehaus 1905. Bei Lötarbeiten brannte die Kirche 1911 ab. Der 1913 eingeweihte Neubau entstand auf den alten Mauern der Kirche.

Wirtschaft und Infrastruktur

Landwirtschaft

Etwa die Hälfte der Gesamtfläche wird von verschiedenen Betrieben landwirtschaftlich genutzt.

Umschlagbahnhof Billwerder

In den Jahren 1991 bis 1993 entstand in Billwerder ein Umschlagbahnhof für den kombinierten Verkehr, in dem jährlich etwa 180.000 Ladeeinheiten (überwiegend Container) von der Straße auf die Schiene und umgekehrt umgeschlagen werden. Am 5. November 2012 wurde ein drittes so genanntes Umschlagmodul mit 575 m kranbarer Nutzlänge, vier Ladegleisen und zwei Portalkränen sowie den zugehörigen straßenseitigen Lade- und Abstellspuren in Betrieb genommen.[12]

S-Bahn

Das ehemalige Bahnhofs-Empfangsgebäude

Die Haltestellen Billwerder-Moorfleet und Mittlerer Landweg liegen an der parallel zur durchlaufenden Bahnstrecke Berlin–Hamburg angelegten S-Bahnstrecke. Der S-Bahnbetrieb mit Gleichstromzügen begann am 1. Juni 1958.

Die Haltestelle Billwerder-Moorfleet wurde jedoch bereits am 7. Mai 1842 als Bedarfshaltepunkt der Hamburg-Bergedorfer Eisenbahn eröffnet. Die Hamburger Marschbahn kreuzte hier im rechten Winkel von 1928 bis 1952 auf der Strecke von Billbrook nach Zollenspieker.

Rundfunksender

Seit dem 2. Mai 1924 befindet sich auf dem Billwerder Gelände ein großer Rundfunksender, der bis heute zum Sender Billwerder-Moorfleet ausgebaut wurde.

Soziale Einrichtungen

Im Jahr 2000 begann unmittelbar an der Bundesautobahn 1 auf einem fast 200.000 Quadratmeter großen Areal der Bau der Justizvollzugsanstalt Billwerder. Der erste Bauabschnitt wurde im Juni 2003 in Betrieb genommen und der zweite Bauabschnitt war im Februar 2006 abgeschlossen. Die neue, mit 803 Plätzen ausgestattete Anstalt ersetzte die Justizvollzugsanstalt Neuengamme, die zum Teil auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Neuengamme stand.

Vereine

Auf der Sportanlage Mittlerer Landweg spielt der Fußball-Oberligist ETSV Hamburg, der 2023 aufgestiegen ist.[13]

Siehe auch

Literatur

  • Harald Richert: 1395–1995: Die Marschlande 600 Jahre bei Hamburg. In Lichtwark-Heft, Nr. 59, Dezember 1994. Hrsg. Lichtwark-Ausschuß, Bergedorf. (Siehe jetzt: Verlag HB-Werbung, Hamburg-Bergedorf. ISSN 1862-3549).
  • Daniel Tilgner (Hrsg.): Hamburg von Altona bis Zollenspieker. Das Haspa-Handbuch für alle Stadtteile der Hansestadt. Hoffmann und Campe, Hamburg 2002, ISBN 3-455-11333-8.
  • Dorfgemeinschaft Billwärder an der Bille: Billwerder lebt – 1395–1995 – vor 600 Jahren fiel der Billwärder an Hamburg. 1. Auflage. 1995.
  • Dorfgemeinschaft Billwärder an der Bille: Aus Billwärder an der Bille, 20 Jahre Dorfgemeinschaft Billwärder an der Bille e. V. seit 4. Januar 1988, 1. Auflage. 1988.
Commons: Hamburg-Billwerder – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Jürgen Sarnowsky: Hoyer, Albert. In: Franklin Kopitzsch, Dirk Brietzke (Hrsg.): Hamburgische Biografie. Band 3. Wallstein, Göttingen 2006, ISBN 3-8353-0081-4, S. 174.
  2. Richard Reinert: Höfe in Billwerder um 1435. In Lichtwark Nr. 48, Dezember 1984. Hrsg. Lichtwark-Ausschuß, Bergedorf. (Siehe jetzt: Verlag HB-Werbung, Hamburg-Bergedorf. ISSN 1862-3549).
  3. Hamburg.de, Billwerder: Wissens- und Sehenswertes (Memento vom 16. Dezember 2016 im Internet Archive)
  4. Die Asylkrise von Billwerder
  5. Billwerder Gleisdreieck Hierher verirren sich kaum Deutsche
  6. Minderjährigenquote in den Hamburger Stadtteilen 2020
  7. Anteil der 65-Jährigen und Älteren in den Hamburger Stadtteilen 2020
  8. Ausländeranteil in den Hamburger Stadtteilen 2020
  9. Arbeitslosenquote in den Hamburger Stadtteilen 2020
  10. Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein (Hrsg.): Hamburger Stadtteil-Profile 2016 (= NORD.regional. Band 19). 2018, ISSN 1863-9518 (statistik-nord.de [PDF; 6,6 MB; abgerufen am 12. Februar 2018]).
  11. Stadtteilergebnis auf www.wahlen-hamburg.de, abgerufen am 20. Mai 2021
  12. Erweiterung des Umschlagbahnhofs Billwerder abgeschlossen. Kölnische Rundschau, 5. November 2012, abgerufen am 15. März 2021.
  13. Volker Gast: Fußbball-Oberliga: Duell der Giganten im Tor des Aufsteigers ETSV Hamburg. In: abendblatt.de. 30. Mai 2023, abgerufen am 19. März 2024.
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