Bilanzrezession

Eine Bilanzrezession (englisch balance sheet recession) ist in der Volkswirtschaftslehre ein von Richard Koo geprägter Begriff, der einen Zustand beschreibt, in dem, insbesondere nach einer Finanzkrise, nicht nur die Privathaushalte, sondern auch der Sektor der Unternehmen spart (Investitionen verringert oder aussetzt, seinen Finanzierungsbedarf zu reduzieren trachtet), im Extremfall Nettoüberschüsse erzielt.

Allgemeines

Bilanzrezession ist eine besondere Art von Rezession, in der die Bilanzen des Privatsektors nach dem Platzen einer Vermögensblase in eine Schieflage geraten, weil die Vermögenswerte auf der Aktivseite stark fallen, während die Verbindlichkeiten auf der Passivseite weiter bedient werden müssen.[1] Unternehmen einschließlich der Kreditinstitute versuchen durch Sparen Wertverluste bei Vermögenswerten, die abgeschrieben werden mussten, allmählich wieder auszugleichen oder aufzuholen.

Bilanzrezessionen können zu längerfristiger Stagnation führen, da der private Sektor sich bemüht, seine Bilanzen in Ordnung zu bringen, wofür er seine Ausgaben drastisch reduziert. Damit fehlen der Konjunktur Einnahmen, so dass der Sektor Staat die Gegenposition als Schuldner einnehmen muss, um den Ausgabenverzicht aus Investitions- wie Konsumzurückhaltung der Privaten auszugleichen.[2]

Beispiel

Das Beispiel der Wirtschaft Japans zeigt, dass dies Jahre oder Jahrzehnte dauern kann. In einer Bilanzrezession wie in Japan führt eine durch die Zentralbank finanzierte Staatsverschuldung keineswegs zu Inflation,[3] da sich während dieser Phase die Nettokreditaufnahme der privaten Sektoren (Unternehmen und Konsumenten) unabhängig vom Zinsniveau rückläufig verhält.[4] Nur noch mittels erhöhter staatlicher Aufwendungen kann weiterer Konjunktureinbruch unterbunden werden.[5]

Rezeption

John Maynard Keynes sprach 1936 bereits von Investitions- und Liquiditätsfalle sowie von Gleichgewicht bei Unterbeschäftigung, und schon 1931/32 stellte der deutsche Ökonom Wilhelm Lautenbach fest, dass die Unternehmen nicht investieren (auch nicht bei einem Zinssatz von nur 1 %), wenn diese ihre Produktion nicht absetzen können[6] und das Angebot billigen Kredits lieber nützen, um bestehende Verbindlichkeiten zu konsolidieren als neu zu investieren.[7] Richard Koos Erläuterungen sind insofern nicht neu, dennoch wurde die begriffliche Zuordnung balance sheet recession durch ihn geprägt. Das Verhalten der Unternehmen und der Konsumenten während der Bilanzrezession relativiert die (neo-)klassischen Gleichgewichtstheorien, wonach kein Ungleichgewicht zwischen Sparen und Investitionen (ex ante) entstehen könnte.

Siehe auch

Literatur

  • Literatur über Bilanzrezession im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
  • Richard Koo: Balance Sheet Recession: Japan's Struggle with Uncharted Economies and Its Global Implications. John Wiley & Sons, 2003, ISBN 0470821167
  • Richard Koo: The Holy Grail of Macroeconomics: Lessons from Japans Great Recession. John Wiley & Sons, 2009, ISBN 0470824948
  • Clive M. Corcoran: Systemic Liquidity Risk and Bipolar Markets. John Wiley & Sons, 2012, ISBN 1118409337

Einzelnachweise

  1. Europa Verlag (Hrsg.), Wirtschaft und Gesellschaft, Band 39, 2013, S. 549
  2. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, November 2012: Jahresgutachten 2012/13, S. 93 f.
  3. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, November 2012: Jahresgutachten 2012/13, S. 93 f.
  4. Reinhard Konczer/Stefan Löschenbrand: Eine Bilanzrezession in Europa – nur eine Hypothese? (Memento vom 26. August 2014 im Internet Archive) (PDF), S. 35. In: Oesterreichische Nationalbank, Statistiken Q3/14, S. 35–40.
  5. Reiner Clement/Wiltrud Terlau/Manfred Kiy: Angewandte Makroökonomie. Makroökonomie, Wirtschaftspolitik und nachhaltige Entwicklung mit Fallbeispielen. München 2013, (online auf Google.Books) S. 469.
  6. Wilhelm Lautenbach auf der Geheimkonferenz der Friedrich List-Gesellschaft im September 1931 über Möglichkeiten und Folgen einer Kreditausweitung: „Wir haben in Amerika das Bild, dass der Zinssatz für kurzfristiges Geld sehr niedrig geworden ist und haben trotzdem die Erscheinung, dass die Industrie von dieser Chance des billigen Geldes keinen Gebrauch macht. Warum tut sie das nicht? Das hat zwei Gründe. Einmal stellt sich für jeden Unternehmer in der amerikanischen Wirtschaft die Lage so dar, dass er 100 produziert und bloß 90 absetzt. Also das Bild, das wir bei uns haben. Der Markt nimmt nicht so viel auf, wie er jetzt noch produziert, und obwohl er seine Kapazität nicht ausgenutzt hat, sieht er sich in dem Versuch, sich durch fortschreitende Produktionsverringerung dem Markt anzupassen, immer wieder reduziert. In einer solchen Lage würde der größte Teil der industriellen Unternehmer selbst bei einem niedrigen Zins von 1 Prozent als Anlagekredit von dieser Fazilität gar nicht Gebrauch machen.“
    In: Knut Borchardt/Hans Otto Schötz (Hrsg.): Wirtschaftspolitik in der Krise. Die (Geheim-)Konferenz der Friedrich List-Gesellschaft im September 1931 über Möglichkeiten und Folgen einer Kreditausweitung. Baden-Baden 1991, S. 94.
  7. Wilhelm Lautenbach: Kapitalbildung und Kapitalverwendung. Berlin 1932: „[…] dass aber die gewünschte Belebung der Wirtschaft ausgeblieben ist. […] die unerhörten Anstrengungen und Vorkehrungen das Kreditangebot zu verbilligen und zu vermehren, waren ein Schlag ins Wasser, weil der Kreditnehmer ausblieb, auf den man gerechnet hatte. Es wurde nicht neuer, zusätzlicher Produktionskredit in Anspruch genommen, sondern nahezu ausschließlich Kredit zur Umschuldung, namentlich für Farmer, Eisenbahngesellschaften und illiquide Banken.“
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