Bidirektionales Laden

Unter bidirektionellem Laden (kurz: Bidi-Laden) versteht man die Fähigkeit von Elektroautos, den geladenen Strom auch anders nutzbringend entnehmen zu können als nur durch Fahren. Bei stationären Batteriespeichern ist dies mit Kopplung ans Stromnetz bereits in über 600.000 Haushalten üblich, allerdings beträgt deren Gesamtkapazität in Deutschland im April 2023 laut „Battery Charts“[1] mit gut sieben GWh nur ca. ein Zehntel der E-Auto-Flotte die mit 68 bis 83 GWh gemäß „Mobility Charts“[2] bereits doppelt soviel „Hubraum“ hat wie die deutschen Pumpspeicherkraftwerke mit über 35 GWh. Man kann davon ausgehen, dass die gesamte Motorleistung alleine der über 1 Million Batterie-Autos weit über 100 Gigawatt beträgt, somit deutlich mehr als die höchste deutsche Spitzenlast von ca. 83 GW. Eine Kopplung an das Stromnetz könnte über die bei „Dunkelflaute“ ungenutzten Wechselrichter von PV-Anlagen, insbesondere über die vorhandenen Heimspeicheranlagen erfolgen, die durch PKW-Speicher vergrößert werden, ein Gleichstrom-Anschluss über den verbreiteten CCS-Stecker ist jedoch bislang öffentlich kaum verfügbar[3].

Kombinierte (CCS) Ladebuchse, die über die beiden großen Pins Gleichstrom direkt aus dem Akku ausgeben könnte

Über die in allen PKW übliche 12V-Buchse („Zigarettenanzünder“) können einige Ampere dem Bordsystem entnommen werden, mit einem Wechselrichter („Inverter“) aus dem Kfz-Zubehörhandel kann daraus für einige Zeit ca. 100 Watt mit ca. 230V Wechselspannung bereitgestellt werden, oft nur „sinusähnlich“. Deutlich länger und stärker können einige asiatische Fahrzeuge Strom aus der Antriebsbatterie abgeben, insbesondere japanische Fabrikate die mit dem in Europa wenig verbreiteten CHAdeMO-Gleichstrom-Anschluss ausgestattet sind, wofür ein teures Wechselrichter-Zusatzgerät nötig ist. Einige Modelle aus Korea haben als Zubehör einen Wechselrichter eingebaut und können direkt über eine 230V-Schuko-Steckdose Wechselstrom mit bis zu 3500 Watt für einzelne Geräte abgeben, eine synchrone vorschriftsgemäße Kopplung ans Stromnetz ist damit aber bislang nicht möglich.

Elektroautos können, wie in Modellversuchen bewiesen, durch Bidi-Laden dabei helfen, die Schwankungen von Angebot und Nachfrage im Stromnetz auszugleichen.[4] Erste Systeme wie das von Volkswagen bzw. der Konzern-Marke „Elli“ sind verfügbar.[5] Tesla verkauft Speicher verschiedener Größen separat als Tesla Powerwall usw. und schaltet die Fahrzeuge nicht für „bidi“ frei.

Beim bidirektionalen Lademanagement (BDL) sind folgende Komponenten beteiligt:

Die Normung ISO 15118-20 wurde im April 2023 abgeschlossen. Sie regelt die Kommunikation zwischen E-Auto und Ladetechnik. Dementsprechend waren auf der Messe Power2Drive ´23 nahezu alle präsentierten Ladeboxen bereits welche, die die Ströme in beide Richtungen verarbeiten können.[6]

Das Bundesministerium für Digitales und Verkehr hat die Aufgabe die Ladesäuleninfrastruktur zu fördern. Dazu hat der Beirat der Nationalen Leitstelle Ladeinfrastruktur[7] zur Umsetzung der Maßnahme 47 des Masterplans Ladeinfrastruktur II eine Roadmap für die Einführung des bidirektionalen Ladens in Deutschland erstellt.[8]

Vehicle-to-X (V2X)

BiDi-Testfahrzeug auf der IAA Mobility 2023

Es gibt verschiedene Anwendungsmöglichkeiten[9] des bidirektionalen Ladens. Diese können nach dem Erlösort des Mehrwerts gruppiert werden und werden zusammenfassend als Vehicle-to-X (V2X) bezeichnet:

  • Vehicle to Load (V2L) auch Vehicle-to-Utility (V2U)[10] ermöglicht die Stromversorgung einzelner Geräte (Campingausrüstung, Laden von e-Bikes etc.). Einige Elektroautos unterstützen diese Funktion bereits, etwa durch eingebaute 230V-Schuko-Steckdosen (Honda e bis 1500 W) oder durch Adapter am Typ-2-Ladeport (Hyundai Ioniq 5/Kia EV6 mit bis zu 3500 W).
  • Vehicle to Home (V2H) bezeichnet die Versorgung eines Hauses mit Strom aus dem Akku eines Elektrofahrzeugs.
  • Vehicle to Grid (V2G) bezeichnet die normgerechte Anbindung an das öffentliche Stromnetz, wie etwa bei Photovoltaik-Anlagen. Dies wird in Studien erforscht und im neu entstehenden Stadtteil von Utrecht („Cartesius“), als Praxismodell erprobt.[11] In der Schweiz ist es bereits erlaubt, bidirektionale Ladestationen zu installieren und zu betreiben. Benötigt wird lediglich die Zustimmung des lokalen Verteilnetzbetreibers. Nach erteilter Genehmigung wird der dem Auto entnommene Strom jenem aus einem herkömmlichen Speicher gleichgesetzt und zu auch denselben Konditionen vergütet.[12]
  • Vehicle to Building (V2B): Bei Vehicle to Building versorgen mehrere Fahrzeuge oder ganze Flotten große Gebäude mit mehreren Parteien mit Strom oder decken Lastspitzen ab (peak shaving).
  • Vehicle-to-Vehicle (V2V): bezeichnet das Laden anderer E-Autos oder zum Beispiel auch das Laden von Booten oder Campern.[10]

Regulatorische Schwierigkeiten

Neben technischen sind insbesondere regulatorische Schwierigkeiten zu lösen, um V2X erfolgreich umzusetzen:

  • Garantiebedingungen von Akkus von Elektrofahrzeugen: Um die Garantiebedingungen der Autohersteller von Akkus nicht zu verletzen, kann eine Beschränkung des bidirektionalen Betriebs vorgesehen werden.
  • Erweiterung / Harmonisierung von Gesetzen / Vorgaben
    • In der Ladesäulenverordnung fehlen die Definitionen oder technische Voraussetzungen des bidirektionalen Ladens.
    • Im Elektromobilitätsgesetz fehlt die Definition der verschiedenen Rückspeisungsmöglichkeiten oder die Kennzeichnung von bidirektionalen Ladesäulen.
    • Das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) berücksichtigt Elektrofahrzeuge weder als mobile Speicher noch generell zur Energiespeicherung.
    • Das Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) und das EEG besitzen unterschiedliche Definitionen des Letztverbrauchers.
  • Politische Vorgaben: Im Masterplan Ladeinfrastruktur der Bundesregierung[13] werden keine Vorgaben gemacht, ob und wie viele Elektrofahrzeuge das bidirektionale Laden unterstützen und welche Ladesäulen den Stromfluss in beide Richtungen unterstützen sollen.
  • Steuerrechtliche Fragen: Die Fragestellungen (u. a. Betreiber wird zu Unternehmer mit Gewinnerzielungsabsicht) des bidirektionalen Ladens können mit der steuerliche Behandlung von PV-Anlagen verglichen werden.

Bei den Anwendungsmöglichkeiten sind unterschiedlich viele Marktteilnehmer beteiligt, die damit regulatorisch unterschiedlich komplex sind:

  • Bei V2L sind nur die Automobilhersteller involviert und diese erfüllen die technischen und regulatorischen Voraussetzungen. Einige Automobilhersteller bieten V2L in ihren Fahrzeugen bereits an.
  • Bei V2H sind neben Automobilherstellern auch Wallboxhersteller, PV Anlagenhersteller, Smart Home Hersteller und Elektroinstallateure beteiligt.
  • Bei V2G kommen zusätzlich Netzbetreiber und Bundesnetzagentur hinzu.

V2H ist regulatorisch einfacher als V2G, womit V2H schneller marktreif wird als V2G. Im Positionspapier zu notwendigen regulatorischen Anpassungen im Kontext des bidirektionalen Ladens[14] werden regulatorische Hemmnisse und Handlungsempfehlungen genannt.

Literatur

  • Marco Jung: Multifunktionales bidirektionales Laden. In: Handbuch Elektromobilität 2015. / Reiner Korthauer (Hrsg.). EW Medien und Kongresse, Frankfurt a. M., Berlin, Essen 2015, ISBN 978-3-8022-1132-4, S. 182–198.
  • Marco Jung et al.: Kabelgebundenes und kabelloses bidirektionales Laden von Elektrofahrzeugen. In: Elektrik/Elektronik in Hybrid- und Elektrofahrzeugen und elektrisches Energiemanagement VI.: [4th Conference "Electric & Electronic Systems in Hybrid and Electric Vehicles and Electrical Energy Management" organized by Haus der Technik e.V. Essen April 22nd and 23rd, 2015, in Bad Boll; EEHE] / Carsten Hoff; Ottmar Sirch (Hrsg.). expert-Verl., Renningen 2015, ISBN 978-3-8169-3311-3, S. 459–481.
  • Adrian Ostermann, Matthias Müller, Sebastian Faller: Bidirectional charging management – Developing a measurement concept for pilot operation in Germany. In: NEIS 2020: Conference on Sustainable Energy Supply and Energy Storage Systems, Hamburg, 14-15 September 2020. [8th NEIS Conference]. / Detlef Schulz (ed.) VDE-Verl., Berlin [2020], ISBN 978-3-8007-5359-8, S. 155–160.
  • Marek Mägi: Analysis of distribution substation topologies for energy exchanging between EV and utility networks. In: 11th International Symposium "Topical problems in the field of electrical and power engineering". Doctoral school of energy and geotechnology II: Pärnu, Estonia, January 16-21, 2012. / J. Zakis (ed.). Tallinn University of Technology, Faculty of Power Engineering; Elektriajam, Tallinn 2012, ISBN 978-9985-69-051-2, S. 158–167 (PDF).

Einzelnachweise

  1. Jan Figgener, Dirk Uwe Sauer: Battery Charts. In: RWTH Aachen. Abgerufen am 13. März 2024 (deutsch).
  2. Jan Figgener, Dirk Uwe Sauer: Mobility Charts. In: RWTH Aachen. Abgerufen am 13. März 2024 (britisches Englisch).
  3. Ausnahme: ein Schweizer Angebot für den Honda e
  4. Stefan Menzel: „Bidirektionales Laden“: So will Volkswagen am Speichern von Strom verdienen. Elektroautos können bislang nur laden und keinen Strom abgeben. Der VW-Konzern wird das im kommenden Jahr ändern. Andere Hersteller dürften nachziehen. In: www.handelsblatt.com. Handelsblatt, 5. April 2021, abgerufen am 29. Mai 2022.
  5. Strom laden, speichern und wieder abgeben. Abgerufen am 13. Januar 2024.
  6. Neuer Standard fürs Laden. Abgerufen am 13. Januar 2024.
  7. Nationale Leitstelle Ladeinfrastruktur. Im Auftrag des BMDV koordiniert und steuert die Nationale Leitstelle Ladeinfrastruktur unter dem Dach der bundeseigenen NOW GmbH die Aktivitäten zum Ausbau der Ladeinfrastruktur in Deutschland. Abgerufen am 12. März 2024.
  8. BMDV - Expertengremium legt Handlungsempfehlungen zum bidirektionalen Laden vor. Handlungsempfehlungen des Beirats der Nationalen Leitstelle Ladeinfrastruktur zur Umsetzung der Maßnahme 47 des Masterplans Ladeinfrastruktur II. Abgerufen am 12. März 2024.
  9. Erlöspotenziale, ökologische Mehrwerte und Kosten durch das gesteuerte und bidirektionale Laden von Elektrofahrzeugen. Abgerufen am 30. November 2021 (deutsch).
  10. Götz Warnke: Bi-Di-Laden – Das E-Auto als Speicher. In: www.dgs.de. Deutsche Gesellschaft für Sonnenenergie, 27. Mai 2022, abgerufen am 31. Mai 2022.
  11. Ajaz Shah: Utrecht soll zur bi-direktionalen Lade-City werden. In: Energyload. 5. Mai 2022, abgerufen am 14. Juli 2022 (deutsch).
  12. energie360: Bidirektionales Laden: Wann kommt der Durchbruch? Abgerufen am 29. Februar 2024.
  13. Masterplan Ladeinfrastruktur der Bundesregierung. (PDF; 0,475 MB) Bundesministerium für Digitales und Verkehr, 24. Juni 2022, abgerufen am 13. Juli 2022 (deutsch).
  14. Positionspapier zu notwendigen regulatorischen Anpassungen im Kontext des bidirektionalen Ladens. (PDF; 1,41 MB) Im Auftrag der Initiative „Bidirektionales Laden“ Nymoen Strategieberatung GmbH, Dr. Håvard Nymoen, Tim Kimpel, Christopher Kaschade, 7. März 2022, abgerufen am 14. Juli 2022 (deutsch).
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