Berleburger Bibel

Die Berleburger Bibel ist ein in den Jahren 1726–1742 (Nachdruck Stuttgart 1856) in Berleburg entstandenes umfangreiches Bibelwerk von acht Bänden, das nicht nur eine neue Übersetzung der Bibel bot, sondern vor allem eine umfangreiche Kommentierung.

Berleburger Bibel (1726), Titelbild und Titelseite
Berleburger Bibel (1726), Titelbild und Titelseite
Berleburger Bibel (1726), Titelbild und Titelseite

Entstehung

Der theologisch führende Kopf des Berleburger Bibelwerks war der Straßburger Theologe Johann Friedrich Haug (1680–1753).[1] Haug war in Straßburg wegen „pietistischer und donatistischer Irrtümer“ mit starken mystischen und philadelphischen Neigungen zunächst seines Amtes als Diakon enthoben und 1705 ausgewiesen worden. 1714 folgte ihm sein Bruder, der Buchhändler und Verleger Johann Jacob Haug (* 1690, † 20. Mai 1756), zunächst ins nassau-usingische Idstein und war dort auch als Verleger tätig. Um 1720 zogen die Brüder in die Grafschaft Sayn-Wittgenstein-Berleburg, die unter der Regentschaft des Grafen Casimir (bis 1741) zur Hochburg des radikalen Pietismus und, dank der Brüder Haug, rasch auch zum deutschen verlegerischen Zentrum der entsprechenden Literatur avancierte.

Initiator des Werkes scheint der Berleburger Pfarrer und spätere Hofprediger des Grafen Casimir Ludwig Christof Schefer (1669–1731) gewesen zu sein, der trotz vorhandener Nähe zur philadelphischen Bewegung seine offizielle Kirchenzugehörigkeit bewahrte und bereits 1712 die sog. Marburger Bibel mit Heinrich Horch herausgegeben hatte, die freilich an Bedeutung und Umfang nicht annähernd an die „Berleburger“ heranreichte.

Die von dem tüchtigen Orientalisten Haug besorgte Übersetzung der Berleburger Bibel ist (nach der Piscator-Bibel 1602–1604) eine der ersten von der Lutherbibel unabhängigen deutschen Übersetzungen.

Ziele

Zweck der Ausgabe war nach Jung-Stilling „eine ganz reine Bibelübersetzung [...] denn alle Commentarien, die man bis daher hatte, waren nach ihrer Sprache von Schulgelehrten verfasst, mithin dem Herzen nicht zugänglich“.[2] Diese Aufgabe besorgten eine Reihe von ortsansässigen Kommentatoren, so etwa der schon genannte Schefer, Tobias Eisler, Christoph Seebach (1685–1745), Johann Christian Edelmann (1698–1767), aber auch Graf Casimir selbst. Daneben verweist Jung-Stilling, was wohl auch den Tatsachen entsprechen dürfte, auf eine beträchtliche Anzahl gleichgesinnter „Correspondenten“ über ganz Europa, vor allem dänischer und englischer.[2]

Neben der Erklärung des buchstäblichen Sinnes, für die die Bearbeiter in der Regel auf die traditionelle kirchliche Auslegung der Schrift zurückgriffen, stand vor allem das Bemühen um eine Erklärung, „die den inneren Zustand des geistlichen Lebens oder die Wege und Wirkungen Gottes in der Seelen zu deren Reinigung, Erleuchtung und Vereinigung mit Ihm [Gott] zu erkennen gibt“, so programmatisch schon im Titel. Hier konnte man nun auf den reichen Schatz an mystischen Schriften unterschiedlichster Akzentuierung (Johann Arndt, Jakob Böhme, François Fénelon, Antoinette Bourignon de la Porte (1616–1680) und v. a. Madame Guyon), aber auch auf die englischen Vertreter der philadelphischen Bewegung (Thomas Bromley (1629–1691), John Pordage (1607–1681), Jane Leade (1624–1704)) zurückgreifen. Die Aufnahme des dem gesamten Pietismus eigenen apokalyptisch-chiliastischen Denkhorizontes in die Kommentierung ist ebenso bezeichnend wie die durchgehende Kritik an den verfassten Kirchen. Die Berleburger Bibel ist die vollständigste Zusammenfassung des sonst eher weit verstreuten Schriftgutes des radikalen Pietismus.

Der Einfluss der Berleburger Bibel auf das breite Spektrum pietistischer Gruppierungen und auf die Erweckungsbewegung des 19. Jahrhunderts in Europa bis nach Übersee dürfte allenfalls von ihrem voluminösen Umfang begrenzt worden sein, der einer noch größeren Verbreitung „natürliche“ Schranken setzte. Nach Jung-Stilling hat das Werk „bei allen paradoxen Sätzen unstreitig noch immer [1785!] einen der besten Plätze in der Bibliothek eines Gottesgelehrten verdient“.[3]

Einzelnachweise

  1. Haug wurde bis vor wenigen Jahren in der Literatur häufig fälschlich unter dem Namen „Johann Heinrich Haug“ geführt, ein Fehler, der möglicherweise auf Johann Heinrich Jung-Stilling zurückgeht.
  2. Johann Heinrich Jung-Stilling: Theobald oder die Schwärmer. Sämtliche Schriften, Bd. VI, 1838, S. 84.
  3. Johann Heinrich Jung-Stilling: Theobald oder die Schwärmer. Sämtliche Schriften, Bd. VI, 1838, S. 85.

Literatur

  • Johann Heinrich Jung-Stilling: Theobald oder die Schwärmer. Sämtliche Schriften, Bd. VI, 1838, S. 80 ff.
  • Friedrich Wilhelm Winckel: „Die Berleburger Bibel.“ In: Monatsschrift für die evangelische Kirche der Rheinprovinz und Westphalens [18] (1851), Heft 1, S. 1–33; Heft 2, S. 59–68.
  • Martin Hofmann: Theologie und Exegese der Berleburger Bibel (Beiträge zur Förderung Christlicher Theologie, Bd. 39, 2). Gütersloh 1937.
  • Josef Urlinger: Die geistes- und sprachgeschichtliche Bedeutung der Berleburger Bibel. Ein Beitrag zur Wirkungsgeschichte des Quietismus in Deutschland. Diss. Saarbrücken 1969.
  • Martin Brecht: „Die Berleburger Bibel. Hinweise zu ihrem Verständnis“. In: Pietismus und Neuzeit 8 (1982), S. 162–200.
  • Hans-Jürgen Schrader: Literaturproduktion und Büchermarkt des radikalen Pietismus. Johann Henrich Reitz' „Historie der Wiedergebohrnen“ und ihr geschichtlicher Kontext (Palestra, Bd. 283). Göttingen 1989.
  • Eberhard Bauer: Das „Ende“ der Berleburger Bibel. In: Wittgenstein. Blätter des Wittgensteiner Heimatvereins e.V. 47 (1983), S. 150–152.
  • Eberhard Bauer: Nachtrag zu: Das „Ende“ der Berleburger Bibel. In: Wittgenstein. Blätter des Wittgensteiner Heimatvereins e.V. 49 (1985), S. 69f.
  • Eberhard Bauer: „Radikale Pietisten in Wittgenstein“. In: Wittgenstein. Blätter des Wittgensteiner Heimatvereins e.V. 85 (1997), Heft 4, S. 124–135.
  • Johann Georg Hinsberg: Geschichte der Kirchengemeinde Berleburg bis zur Regierungszeit des Grafen Casimir (18. Jh.). Eingeleitet, herausgegeben und kommentiert von Johannes Burkardt und Ulf Lückel. Bad Berleburg 1999.
  • Ulf Lückel: „Ein fast vergessener großer Berleburger: Inspektor und Pfarrer Ludwig Christof Schefer (1669–1731). Eine erste Spurensuche“. In: Wittgenstein. Blätter des Wittgensteiner Heimatvereins e.V. 88 (2000), Heft 4, S. 137–159.
  • Daniela Deborah Kreher: La Biblia de Berleburg y el contexto que le dio origen en Alemania en el siglo XVIII. Examensarbeit Istituto Universitario ISEDET, Buenos Aires 2007.
  • Ulf Lückel: „Die Berleburger Bibel – von Wittgenstein bis nach Afrika“. In: Wittgenstein. Blätter des Wittgensteiner Heimatvereins e.V. 96 (2008), Bd. 72, Heft 2, S. 34–43.
  • Ulf Lückel: Und noch einmal zur Berleburger Bibel: Eine bisher unbekannte geplante zweite Auflage im 19. Jahrhundert". In: Wittgenstein. Blätter des Wittgensteiner Heimatvereins e.V. 97 (2009), Bd. 73, Heft 2, S. 55–61.
  • Ulf Lückel: Adel und Frömmigkeit. Die Berleburger Grafen und der Pietismus in ihren Territorien.Verlag Vorländer, Siegen 2016.
  • Johannes Burkardt: Verborgene Botschaften aus Mülheim an der Ruhr: Tersteegenzitate im Kommentar der Berleburger Bibel. In: Jahrbuch für Westfälische Kirchengeschichte 119 (2023), S. 197–214.
  • Der Heiligen Schrift fünfter Theil, oder des Neuen Testaments erster Theil, nach dem Grund-Text aufs neue übersehen, nebst der buchstäblichen und geheimen Erklärung, worin von dem im Fleisch erschienenen Gott-Menschen, Christo und seinem Reich, nach der innern und äussern Haushaltung Gottes, gehandelt wird; Stuttgart 1859, (1190S.) Digitalisat bei google-books
  • Berlenburger Bibel Digital Library Project 2017
  • Die Heilige Schrift Altes und Neues Testaments : Nach dem Grund-Text aufs neue übersehen und übersetzet: Nebst Einiger Erklärung des buchstäblichen Sinnes ... von Christo und seinem Reich, und zugleich Einigen Lehren die auf den Zustand der Kirchen in unseren letzten Zeiten gerichtet sind; Welchem allem noch untermängt Eine Erklärung, die den inneren Zustand des geistlichen Lebens, oder die Wege und Wirckungen Gottes in der Seelen ... zu erkennen gibt; Berleburg 1726–1742. Digitalisat der Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt
This article is issued from Wikipedia. The text is licensed under Creative Commons - Attribution - Sharealike. Additional terms may apply for the media files.