Bedretto

Bedretto (tess.: Büdree) ist eine politische Gemeinde im Kreis Airolo, Bezirk Leventina des Schweizer Kantons Tessin.

Bedretto
Wappen von Bedretto
Wappen von Bedretto
Staat: Schweiz Schweiz
Kanton: Kanton Tessin Tessin (TI)
Bezirk: Bezirk Leventinaw
Kreis: Kreis Airolo
BFS-Nr.: 5063i1f3f4
Postleitzahl: 6781
Koordinaten:682432 / 151085
Höhe: 1402 m ü. M.
Höhenbereich: 1266–3153 m ü. M.[1]
Fläche: 75,19 km²[2]
Einwohner: 94 (31. Dezember 2022)[3]
Einwohnerdichte: 1 Einw. pro km²
Ausländeranteil:
(Einwohner ohne
Schweizer Bürgerrecht)
7,4 %
(31. Dezember 2022)[4]
Gemeindepräsident: Ignazio Leonardi
Website: www.bedretto.ch
Villa
Villa

Villa

Lage der Gemeinde
Karte von Bedretto
Karte von Bedretto
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Geographie und Geologie

Val Bedretto. Historisches Luftbild von Walter Mittelholzer (1931)

Bedretto liegt westlich von Airolo im Val Bedretto. Zur politischen Gemeinde Bedretto gehören die Ortschaften Ossasco[5], Villa (dt. früher Romig oder Romegg), Bedretto, Ronco und All’Acqua. Das Gemeindehaus steht in Villa. All’Acqua ist im Winterhalbjahr nicht bewohnt. Früher waren auch die Weiler Orello und Nostengo oberhalb von Villa Bedretto besiedelt.

Die politische Gemeinde Bedretto grenzt unmittelbar an die Gemeinde Realp im Kanton Uri und an die Gemeinde Obergoms (bis 2009 Ulrichen und Oberwald) im Wallis in der Deutschschweiz sowie an die Gemeinden Airolo, Cevio und Lavizzara im Kanton Tessin und Formazza in der Region Piemont in Italien, welche über den Passo San Giacomo[6] erreichbar ist. Südlich des Witenwasserenstock findet sich ein Dreikantonseck (Tessin, Uri und Wallis) (Welt-Icon). Während der Eiszeit floss der Griesgletscher vom Wallis über den Cornopass (2485 m ü. M.) ins hintere Bedrettotal (Val Corno). Das Wasser des Griesstausees (2386 m ü. M.) wird über Druckleitungen, die zum System der Maggia Kraftwerke gehören, via Bedrettotal bis zum Lago Maggiore (193 m ü. M.) geleitet.

1918 erteilte der Kanton Tessin die Genehmigung zum Abbau des Baukalkvorkommens auf der Alp Manió. Während und nach dem Ersten Weltkrieg bezog auch die Schweizer Industrie diesen Kalk, die ihn wegen des ungenügenden Reinheitsgrades vorher kaum berücksichtigt hatte. Auf der Alp Cavanna (2020 m ü. M.) bestand ein Specksteinbruch. Der Serpentin des Tals (Antigorit) ist grünlich. Der Rotondogranit ist bei Kletterern bekannt, weil er wegen der Höhe und Südlage flechtenfrei ist.

Ortschaften der Gemeinde Bedretto

Geschichte und Verkehr

Val Bedretto. Historisches Bild von Leo Wehrli von 1911

Vorrömische Gräber (Villa) und römische Münzenfunde (Bedretto) weisen auf eine frühe Besiedelung hin. Bedretto wird 1210 erstmals urkundlich als Bedoledo, 1457 als Bedreudo erwähnt. Als 1227 die Alpen der Talschaft Leventina aufgeteilt wurden erscheint Bedretto als Nachbarschaft und selbständige Pfarrei. Das Tal trennte sich vermutlich vor 1277 von Airolo. 1567 besass es 38 Haushalte (Herdstellen). 1594 wurde die Pfarrkirche Martiri Maccabei in Villa nach einem Lawinenniedergang neu aufgebaut.[7]

Vom Hospiz in All’Acqua führten zwei wichtige Saumpfade über den Nufenenpass ins Oberwallis und über den San-Giacomo-Pass, wo das 1405 erwähnte Hospiz San Nicolao im Val d'Olgia stand, ins italienische Formazzatal. Im steilen Bedrettotal kommt es im Winter häufig zu Lawinenniedergängen und die Verbindungen zwischen den Dörfern und Airolo sind oft abgeschnitten. Das Dorf hatte oft unter Lawinen zu leiden, unter anderem am 16. und 17. Januar 1594, als die Pfarrkirche und mehrere Häuser zerstört wurden, am 6. und 7. Februar 1749 (Zerstörung von Ossasco), am 11. Januar 1863 (Tod von 29 Personen); im Lawinenwinter 1951 musste das ganze Tal evakuiert werden. Mächtige Lawinenverbauungen haben die Situation verbessert. Seit 1924 gibt es eine Fahrstrasse von Airolo nach Bedretto, seit 1932 bis Ronco und seit 1964 über den Nufenenpass.

Die Nähe der italienischen Grenze am San-Giacomo-Pass zur Gotthardfestung führte 1939–1945 oberhalb von All‘Acqua zum Bau der Sperrstelle San Giacomo mit dem Artilleriewerk Grandinagia, dem Infanteriewerk San Giacomo, der Artilleriestellung Manegorio und den Militärseilbahnen All’Acqua-Winkelstation Z307-Grandinagia Z313-San Giacomo Z308 sowie All’Acqua–Rotondo SB163.[8]

Von Ossasco (noch vorhandene Talstation am Dorfausgang) wurde anfangs 1940er Jahre die 4550 Meter lange Militärseilbahn Z305/306 via Umlenkstation Alp Cassinello (2130 m ü. M.) mit einem kurzen Tunnel auf der Bassa di Folcra (2560 m ü. M.) und hinunter ins Val Torta (2350 m ü. M.) errichtet, um dort die Truppen zu versorgen, die sich gegen feindliche Vorstösse über den Naret- oder Cristallinapass zu verteidigen hatten. Die Bahn wurde 1983 abgebrochen. Auf der Bassa di Folcra befinden sich Reste des Seilbahntunnels.[9][10]

Beim Bau des wintersicheren Furka-Basistunnels wurde 1977 von der Tunnelmitte nach Ronco ein Stollen erstellt, das sogenannte Bedretto-Fenster, weil ursprünglich eine zweite Tunnelverbindung zwischen Oberwald und Ronco geplant war. Seit 1982 ist der Stollen stillgelegt.

Früher hatte jede Ortschaft eine eigene Primarschule. 1960 wurde in Bedretto eine Gesamtschule eröffnet, und heute besuchen die wenigen Schüler den Unterricht in Airolo.

Wirtschaft und Tourismus

Das Tal lebte hauptsächlich von der Landwirtschaft (Viehzucht, Alp- und Milchwirtschaft, Kartoffel- und Roggenanbau). Viele Bewohner mussten saisonal in Italien und Frankreich als Maronibrater, Kellner oder Hausdiener Arbeit suchen oder auswandern.

In den 1950er- und 1960er-Jahren bauten die Maggia Kraftwerke in zwei Etappen eine Wasserkraftanlage mit Wasserstollen, die vom höchstgelegenen Speichersee der Schweiz, dem Griessee, bis zur Kraftwerkzentrale Verbano bei Brissago am Lago Maggiore führen. Im Bedrettotal wurde der Zuleitungsstollen Gries-Bedretto-Robiei mit den Fenstern Cruina und Stabbiascio sowie den Fassungen der Bäche Cavagnolo, Val d'Olgia und San Giacomo erstellt. Die Konzession der Anlage Magga 1 (Sambuco, Peccia, Cavergno, Verbano) dauert bis zum Jahr 2035, diejenige von Maggia 2 (Cavagnoli-Naret, Robiei, Bavona) bis 2048. Für den Ausbau der Maggia Kraftwerke gab es eine – heute stillgelegte – Kraftwerkbahn von All’Acqua nach Stabbiascio. Am 15. Februar 1966 ereignete sich in der Galerie Stabbiascio/Robiei das schlimmste Grubenunglück im Kanton Tessin. 15 italienische Bergarbeiter und zwei Feuerwehrmänner aus Locarno wurden durch Giftgas im Tunnel getötet.

Nach dem Zweiten Weltkrieg entvölkerte sich das Tal. In den Sommermonaten wird es heute durch die Rückkehr Einheimischer und den Zustrom von Touristen und Feriengästen wieder belebt. Touristische Stützpunkte sind die SAC-Hütten Corno Gries, Piansecco und Cristallina.

Alpwirtschaft und Besitzer

  • Cioss Prato (1572 m ü. M.) (Bürgergemeinde Bedretto)
  • Valleggia (1753 m ü. M.) (Bürgergemeinde Bedretto)
  • Manegorio (Bürgergemeinde Sobrio)
  • Formazzora (1652 m ü. M.) (Alpgenossenschaft von Tarnolgio di Mairengo)
  • Cruina (2002 m ü. M.) (Alpgenossenschaft Osco)

Bevölkerung

Bevölkerungsentwicklung
Jahr17451798185019001930195019952000[11]20042008201020152021
Einwohner2935943882572752137275707464108106

Heute zählt die Gemeinde Bedretto nur noch wenige Einwohner, zum grössten Teil Pensionierte. Da das Tal nur wenig Arbeitsmöglichkeiten bietet und überdies in den Wintermonaten oft gänzlich von der Aussenwelt abgeschnitten ist, verlassen die meisten jungen Menschen das Tal. Gemäss der Volkszählung, die vom Bundesamt für Statistik im Jahr 2000 durchgeführt wurde, ist Bedretto die «älteste» Gemeinde der Schweiz, indem sie den höchsten Anteil an über 65-jährigen in der Bevölkerung aufweist. Allerdings scheint sich die Einwohnerzahl seit der Jahrtausendwende zu stabilisieren.

Die Einwohner der Gemeinde Bedretto werden im Leventina Parüsch genannt.

Ortsbürgergemeinde

Bedretto war in den ältesten Urkunden eine selbstständige Gemeinde und Pfarrei. Als die Alpen der Talschaft Leventina 1227 aufgeteilt wurden, bildete Bedretto eine Nachbarschaft, erhielt jedoch als einzige keine Alp für sich alleine. Die moderne Gründung stammt aus dem Jahr 1761 mit den Ortsteilen Ossasco, Villa, Ronco, All’Acqua.

Vorrat

  • Renato Leonardi: Präsident[12]

Aktive Ortsbürgerfamilien und ihre Spitznamen

  • Borelli
  • Forni: Mestar-Catona-Panarèr (alfieri, da Fahnenträger)-Petri-Pozzina-D’Albin
  • Leonardi: Carlo d’All’acqua-Mufrit- Parüsc (Holznagel)
  • Orelli: Bidesca-Chiaplit-Cenovis
  • Spizzi
  • Vella: Sandrui-Serafinui.

Immobilien

  • Cios Prato (1572 m ü. M.)
  • Valleggia (1753 m ü. M.)

Sehenswürdigkeiten

Das Dorfbild ist im Inventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz (ISOS) als schützenswertes Ortsbild der Schweiz von nationaler Bedeutung eingestuft.[13]

  • Pfarrkirche Santi Maccabei im Ortsteil Villa, der polygonale Kirchturm dient auch als Lawinenbrecher[14]
  • Wohnhaus Rossi[14]
  • Osteria Novena[14]
  • Im Ortsteil All’Acqua: Ospiz-Gasthof[14]
  • Festungen San Giacomo[15]

Persönlichkeiten

  • Arnoldo Borelli (* 12. Mai 1875 in Bedretto; † 31. Dezember 1957 in Airolo), Fotograf[16]
  • Raffaele Forni (1906–1990), Priester, Erzbischof und Diplomat des Heiligen Stuhls
  • Giorgio Orelli (1921–2013), Schriftsteller, Literaturkritiker und Übersetzer
  • Giovanni Orelli (1928–2016), Schriftsteller, Dozent und Dichter
  • Diego Orelli (* 1934 in Bedretto), Gastwirt, Gemeindepräsident von Bedretto
  • Renato Leonardi (* 1945 in Bedretto), Dozent, Dichter, ehemaliger Mittelschuldirektor, Präsident der Ortsbürgergemeinde Bedretto[17]

Literatur

  • Piero Bianconi, Arminio Janner: Ossasco, All’Acqua und Bedretto. In: Arte in Leventina. Istituto Editoriale Ticinese, Bellinzona 1939, S. 64, 65, 87.
  • Piero Bianconi (Hrsg.): Bedretto. In: Inventario delle cose d’arte e di antichità. Le Tre Valli Superiori. Leventina, Blenio, Riviera. Grassi & Co., Bellinzona 1948, S. 18.
  • Mario Fransioli: Bedretto. In: Historisches Lexikon der Schweiz. 17. Mai 2004.
  • Ottavio Lurati: Terminologia e usi pastorizi di val Bedretto. Società svizzera per le tradizioni populari, Basel 1968.[18]
  • Johann Rudolf Rahn: I monumenti artistici del medio evo nel Cantone Ticino. Tipo-Litografia di Carlo Salvioni, Bellinzona 1894, (Ronco) S. 263.
  • Simona Martinoli u. a.: Guida d’arte della Svizzera italiana. Hrsg. Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte, Edizioni Casagrande, Bellinzona 2007, ISBN 978-88-7713-482-0, S. 148.
  • Celestino Trezzini: Bedretto In: Historisch-Biographisches Lexikon der Schweiz, Band 2, Basel – Berikon, Attinger, Neuenburg 1924, S. 69 (Digitalisat), (abgerufen am 8. Juni 2017).
  • Marco Volken: Leventina und Bedrettotal: Ursprung des Tessin. Salvioni Editore, Bellinzona 2001.[19]
Commons: Bedretto – Sammlung von Bildern

Einzelnachweise

  1. Generalisierte Grenzen 2023. Bei späteren Gemeindefusionen Flächen aufgrund Stand 1. Januar 2020 zusammengefasst. Abruf am 7. September 2023.
  2. Generalisierte Grenzen 2023. Bei späteren Gemeindefusionen Flächen aufgrund Stand 1. Januar 2020 zusammengefasst. Abruf am 7. September 2023.
  3. Ständige Wohnbevölkerung nach Staatsangehörigkeitskategorie, Geschlecht und Gemeinde, definitive Jahresergebnisse, 2022. Bei späteren Gemeindefusionen Einwohnerzahlen aufgrund Stand 2022 zusammengefasst. Abruf am 7. September 2023
  4. Ständige Wohnbevölkerung nach Staatsangehörigkeitskategorie, Geschlecht und Gemeinde, definitive Jahresergebnisse, 2022. Bei späteren Gemeindefusionen Einwohnerzahlen aufgrund Stand 2022 zusammengefasst. Abruf am 7. September 2023
  5. Ossasco auf ETHorama
  6. Mario Fransioli: Passo di San Giacomo. In: Historisches Lexikon der Schweiz. 7. Oktober 2009.
  7. Mario Fransioli: Bedretto. In: Historisches Lexikon der Schweiz. 17. Mai 2004.
  8. Z307 All'Acqua, Airolo V.Bedr. In: Bundesamt für Kultur (Hrsg.): Schweizer Seilbahninventar. 2011 (deutsch, französisch, italienisch, seilbahninventar.ch).
  9. Tessiner Alpen: Val Cassinello (Memento des Originals vom 7. Mai 2021 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/alpi-ticinesi.ch
  10. Hans Richard, Jürg Keller: Militärseilbahnen/Téléfériques militaires. Verein Historische Militäranlagen Freiburg/Bern, Jahresheft 2016
  11. Mario Fransioli: Bedretto. In: Historisches Lexikon der Schweiz. 17. Mai 2004.
  12. Ortsbürgergemeinde Bedretto, Renato Leonardi Präsident (italienisch) auf bedretto.ch/Patriziato-caa48300
  13. Liste der Ortsbilder von nationaler Bedeutung (Memento des Originals vom 10. Juli 2018 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.bak.admin.ch, Verzeichnis auf der Website des Bundesamts für Kultur (BAK), abgerufen am 10. Januar 2018.
  14. Simona Martinoli u. a.: Guida d’arte della Svizzera italiana. Hrsg. Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte, Edizioni Casagrande, Bellinzona 2007, ISBN 978-88-7713-482-0, S. 148.
  15. Festungen San Giacomo auf forti.ch, abgerufen am 26. Juli 2015.
  16. Arnoldo Borelli auf sik-isea.anton.ch/actors (italienisch)
  17. Renato Leonardi Schuldirektor (Foto) (Memento vom 22. Dezember 2015 im Internet Archive)
  18. Ottavio Lurati: Terminologia e usi pastorizi di val Bedretto. in portal.dnb.de (abgerufen am: 3. Mai 2016.)
  19. Marco Volken: Leventina und Bedrettotal: Ursprung des Tessin. in portal.dnb.de (abgerufen am: 3. Mai 2016.)
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