Barockliteratur

Als Barockliteratur oder Literatur des Barocks (von „Barock“, von barocco portugiesisch für seltsam geformte, schiefrunde Perle) wird in der deutschen Literaturgeschichte seit etwa 1800 die literarische Produktion in Europa (v. a. in Italien, Spanien, Deutschland) im Zeitraum zwischen etwa 1600 und 1720 bezeichnet. Allerdings wird in Frankreich die Literatur dieser Epoche als klassisch oder klassizistisch bezeichnet, obwohl sie ähnliche Stilmittel verwendet. Auch in der Literatur Englands des 17. Jahrhunderts finden barocke Stilmittel Verwendung; dennoch wird nicht von englischer Barockliteratur gesprochen. So ist zwischen einem in Deutschland geprägten Epochenbegriff des Barocks und einem Stilbegriff für besondere Merkmale der Literatur (Metaphern, religiöse und mythologische Allegorien, „Schwulst“) auch anderer Phasen zu unterscheiden. Als Begründer der Literaturgeschichte im Barock gilt Daniel Georg Morhof.

In der Barockdichtung trat das Deutsche an die Stelle des Lateinischen, welches die Sprache der bedeutendsten deutschen Lyriker im 16. Jahrhundert gewesen war. Allerdings war eine humanistisch gebildete und an den lateinischen Werken geschulte Elite weiterhin der Träger der Literatur. Insofern steht die Barockdichtung weit mehr in der Tradition der lateinischen Dichtung, als der bisherigen deutschsprachigen (z. B. der Tradition der Meistersinger um Hans Sachs).[1] Entscheidend für diese Reform der deutschen Dichtung war das Buch von der Deutschen Poeterey (1624) von Martin Opitz, der ersten Poetik in deutscher Sprache.[1]

Die barocke Literatur entzieht sich aufgrund ihrer „Künstlichkeit“ meist der unmittelbaren Einfühlung; sie wird wegen ihrer fehlenden „Natürlichkeit“ von den Literaturkritikern der frühen und mittleren Aufklärung gering geschätzt.

Motive im Barock

Die Barocklyrik ist im Wesentlichen von drei Leitmotiven geprägt, die das Lebensgefühl der Menschen beschreiben. Vor dem Hintergrund des Dreißigjährigen Krieges (1618–1648) war der Alltag der Menschen von Gewalt und Zerstörung bestimmt. Alle diese Motive setzen sich mit der dadurch weit verbreiteten Angst vor dem Tod und dessen Auswirkungen auf verschiedene Art auseinander:

  • Memento mori (lat. = „Bedenke, dass du sterben musst“). Das Memento-mori-Motiv drückt das quälende Todesbewusstsein aus. Dazu zählt die häufig wiederholte Erinnerung an den (nahen) Tod. Es bezieht sich mehr auf den Tod und das Sterben als auf das Leben und steht somit in klarem Kontrast zu dem appellierenden Carpe-diem-Motiv. (Beispiel: Thränen deß Vaterlandes Anno 1636 von Andreas Gryphius)
  • Vanitas (lat. = „Eitelkeit“, „Nichtigkeit“, „Misserfolg“, „Vergänglichkeit der Welt“). Das Vanitas-Motiv ist dem Lebensgefühl des memento mori darin ähnlich, dass sie sich beide mit dem Tod und der Vergänglichkeit beschäftigen, anstatt das noch bevorstehende Leben zu fokussieren. Hierbei steht nicht der Tod an sich, sondern die Vergänglichkeit und Nichtigkeit der Menschen im Vordergrund. Dies ist auch in Zusammenhang zu sehen mit der hohen Bedeutung der Transzendenz zu dieser Zeit, das heißt des christlichen Glaubens an ein besseres Leben im Jenseits. (Beispiele: Es ist alles eitel von Gryphius und Die Welt von Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau [1679])
  • Carpe diem (lat. = „Nutze/Genieße den Tag“). Dieses auf den römischen Dichter Horaz zurückgehende Motiv ruft dazu auf, den Tag bewusst zu erleben und zu genießen und die Gedanken an die Vergänglichkeit nicht allzu schwer auf sich lasten zu lassen. In seinem Verzicht auf Transzendenz, insbesondere auf die Annahme eines jenseitigen Lebens steht es im Widerspruch zur christlichen Weltsicht. Es ist deshalb fraglich, ob carpe diem als zentrales Motiv des Barock betrachtet werden kann. Die häufig als Beispiel angeführte Ode Ich empfinde fast ein Grawen von Martin Opitz [1624] wurde erst bei einem Nachdruck im 19. Jahrhundert unter dem Titel „Carpe diem“ veröffentlicht.

Die drei Motive sind Teil der häufigen Intention der Dichter (siehe unten), die in der Aufforderung zum Lebensgenuss sowie der Ermahnung, des Todes und der Nichtigkeit alles Irdischen zu gedenken und der sich daraus ergebenden Empfehlung sich dem Glauben zuzuwenden, besteht.

Das Lebensgefühl im Barock wies eine ausgeprägte Antithetik (Gegensätzlichkeit) auf. Häufige Ausprägungen dessen waren

  • Diesseits und Jenseits
  • Spiel und Ernst
  • Schein und Sein
  • Wollust und Tugend
  • Erotik und Askese
  • irdisches und himmlisches Leben
  • Carpe diem“ (lat. „Nutze den Tag“) und „Memento mori“ (lat. „Bedenke, dass Du sterben wirst“)
  • Ewigkeit und Vergänglichkeit (Vanitas)

und wurden auch so in den lyrischen und epischen Werken als auch in den Dramen der Zeit umgesetzt.

Weitere häufig verwendete Stoffe und Themen entstammen hauptsächlich der Antike, aber auch das Schicksal christlicher Märtyrer sowie der Frauenpreis und die Liebe wurden oft behandelt.

Literatur des Barocks

Zu den Autoren der Literatur des Barocks zählen unter anderem: Martin Opitz, Casper von Lohenstein, Andreas Gryphius, Grimmelshausen, Caspar Ziegler, Paul Fleming, Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau, Sibylla Schwarz und Angelus Silesius.

Lyrik des Barocks

Die bevorzugte Literaturform war das Gedicht, vor allem das Sonett, übliches Versmaß war der Alexandriner mit 6-hebigen Jamben und starken Zäsuren, häufig in der Versmitte. Im Barock spielten die äußere Ästhetik und der Wohllaut eine große Rolle. Um diese Wirkung zu erreichen, wurde auf diverse Stilmittel zurückgegriffen, darunter Anaphern, Metaphern, Antithetik, Hyperbolik sowie Allegorien und Repetitio. Stilmittel wie Metaphern und Symbole wurden bevorzugt eingesetzt, um durch bildliche Darstellungen elementare Dinge wie Diesseits und Jenseits sowie die Rolle des Menschen zu erläutern. Metaphern und Allegorien wie der „Port“ (im Gedicht „Abend“ von A. Gryphius) für eine Heimkehr zu Gott sind typisch. Ebenso wurden Embleme und Allegoresen verwendet, die hinter Namen und Dingen eine tiefere, verborgene Bedeutung erschließen und erkennen lassen.

Der Pfarrerssohn Gryphius zum Beispiel musste als Kind den Herztod seines Vaters mitansehen, nachdem eine brandschatzende Soldateska in dessen Kirche eindrang. Seine Gedichte über Eitelkeit – in der Bedeutung von Nichtigkeit – und Vergänglichkeit Es ist alles eitel und Tränen des Vaterlandes gehören zu den bekanntesten Barockgedichten. Auch die Kirchenlieder von Paul Gerhardt (1607–1676) wie Geh aus, mein Herz, und suche Freud werden der Barocklyrik zugeordnet.

Prosawerke des Barock

Ein wichtiges Prosawerk ist der Schelmenroman Der abenteuerliche Simplicissimus Teutsch (1668) von Grimmelshausen. Im Gegensatz zu späteren Textwerken des deutschen Barock ist er durchaus nicht schwülstig, sondern volkstümlich und mit drastischem Witz geschrieben, Anhäufungen von Gelehrsamkeit oder Latinismen werden, wenn sie gelegentlich auftauchen, meist ironisch übertrieben. Ähnliches gilt für Christian Reuters Schelmuffsky von 1696/97.

Motive, die stets zur verantwortungsvollen Verbesserung der schlechten Realität auffordern, entspringen der christlichen Prägung der Autoren. Sie vertrauten auf eine bessere Ordnung und ein besseres Leben bei Gott.

Die Barockpredigt

Fabeln und Märchen vermitteln meist eine moralische Lehre. Ferner wurden Vergleiche, Schwänke sowie Sprichwörter häufig verwendet. Viele Prediger benutzten Sprachbilder und griffen dabei nicht nur auf die Bibel zurück, sondern auch auf antike Werke. Die Themenwahl der Predigten war breit gestreut. So wurden theologische Probleme ebenso erörtert wie bibelexegetische Aussagen.

Abraham a Sancta Clara ist im deutschsprachigen Raum der bekannteste katholische Prediger des Barocks. Der heute weniger bekannte Georg Scherer bekämpfte in seinen Barockpredigten oft die Reformation.

Der Jesuit Piotr Skarga (1536–1612) war der bekannteste polnische Prediger der Barockzeit. Seine wichtigsten Werke sind die Parlamentpredigten von 1597, die Heiligengeschichten von 1579 und die Militärmessen von 1618.

Barocke Literatur in Spanien und Lateinamerika

Den Höhepunkt des spanischen Theaterschaffens bildeten die streng geformten, philosophisch inspirierten, allerdings wenig volkstümlichen Stücke von Pedro Calderón de la Barca. Von ihm sind ca. 120 Dramen (sog. Comedias) und 80 Fronleichnamsspiele (Autos sacramentales) überliefert. Als populäres, breitenwirksames Instrument zur Erbauung und religiösen Erziehung der breiten analphabetischen Massen wurde das Jesuitendrama genutzt; von diesen Stücken wurden Hunderttausende – z. B. Passions- oder die in Mexiko sehr beliebten Fronleichnamsspiele – verfasst.

Eine spezifisch spanisch-hispanoamerikanische Variante der Barocklyrik und -prosa ist der Gongorismus (nach Luis de Góngora) mit seinem Hang zu Periphrasen, geschraubten Metaphern und extrem komplexer Syntax. Mit möglichst vielen Worten sollten einfache Bedeutungen transportiert werden (Beispiel: „Era del año la estación florida“ (Góngora) – „es war die blühende Zeit des Jahres“, d. h., es war Frühling). Die Vertreter des Gongorismus standen im Konflikt mit denen des conceptismo, namentlich mit Francisco de Quevedo, dessen Stil ein einfaches Vokabular mit witzigen Wortspielen verband. Der Gongorismus wurde von seinen Gegnern auch als Culteranismo („kultivierter Lutheranismus“) bezeichnet, da er ihnen als Häresie an den klassischen Regeln der Dichtkunst erschien.

Kritik an Stil und Regelpoetik, Ende der Epoche

Kritik am modisch gewordenen schwülstigen Schreibstil der späten Barockzeit übte schon 1721 Liselotte von der Pfalz in einem ihrer Briefe: „Ich finde alles in Teutschland so verendert seyder die 50jahr, daß ich in Frankreich bin, daß es mir wie eine andere welt vorkompt. Ich habe brief gesehen, ...so ich mühe habe zu verstehen. Zu meiner zeit fand man wohl geschrieben, wenn die phrasen in kurzem begriff und man viel in wenig worten sagte, nun aber find man schön, wenn man viel wörter daher setzt, so nichts bedeuten. Das ist mir unleydlich, aber gottlob alle die, womit ich correspondiere, haben diese widerliche mode nicht angenommen; ich hätte nicht antworten können...“[2]

Die Frühaufklärung kündigte sich zunächst in Satiren auf die „parfümierte“ barocke Literatur und das höfische Leben an, die selbst noch barocke oder klassizistische Formen verwendeten. Zu diesen Autoren gehören der Friedrich Rudolph Ludwig von Canitz (Neben-Stunden Unterschiedener Gedichte, anonym, posthum 1700), Benjamin Neukirch und Gottlieb Wilhelm Rabener.[3]

Der Frühaufklärer Johann Christoph Gottsched kritisiert 1729 aus rationalistischer Perspektive das kunsthandwerkliche Dichtungsverständnis des französischen Klassizismus. Dessen aus der starren Regelhaftigkeit der Dichtung abgeleitete Postulat der Lehr- und Lernbarkeit der Dichtkunst und die rhetorisch ausgeklügelte Bildersprache sowie der typisierte Gefühlsausdruck erscheinen ihm als Mangel an Originalität; sie führten zu stilistischer Überfrachtung.[4] Lessing verwirft den Gedanken der barocken Regelpoetik in noch radikalerer Weise und fordert die Verwendung der gehobenen Alltagssprache.

Zu der rationalistischen Kritik Gottscheds gesellt sich zunehmend Kritik aus der Perspektive des erstarkenden modernen Sensualismus und der literarischen Strömung der Empfindsamkeit, die einen „natürlichen“ Ausdruck der Emotionen fordern. Der Blick richteten sich nicht mehr vertikal nach oben und unten, sondern horizontal auf die reale Welt: Todessehnsucht wurde durch den Fortschrittsgedanken, Metaphysik und Metaphorik wurden durch empirisch gehaltvolle Naturbeschreibungen, Widmungen an Landesherren und Gönner durch Vorreden an das bürgerliche Publikum ersetzt. Der Geniekult, der sich am europaweit richtungsweisenden Vorbild Shakespeares orientiert und alle Regeln brach, setzt der barocken Regelpoetik schließlich endgültig ein Ende.

Erst im 20. Jahrhundert findet die Barockepoche aufgrund von strukturellen Ähnlichkeiten mit der Postmoderne, nämlich wegen der kreativen Übersteigerung und Wiederverwendung von sprachlichem Material, wieder größeres Interesse. Auch im lateinamerikanischen Magischen Realismus finden sich neobarocke Züge.

Bedeutende Vertreter der deutschen Barockliteratur (Auswahl)


Siehe auch

Literatur

  • Paul Hankamer: Deutsche Gegenreformation und deutsches Barock. (Stuttgart, 1935)
  • Gerhard Dünnhaupt: Der barocke Eisberg. Überlegungen zur Erfassung des Schrifttums des 17. Jahrhunderts. In: Aus dem Antiquariat. (1980), Nr. 10 ISSN 0343-186X
  • Herbert A. u. Elisabeth Frenzel: Daten deutscher Dichtung. Chronologischer Abriß der deutschen Literaturgeschichte. (1953).
  • Das Libretto als literarische Leitgattung am Ende des 17. Jahrhunderts? Zu Zi(e)glers Roman Die Asiatische Banise und seinen Opernfassungen. In: Eleonore Sent (Hrsg.): Die Oper am Weißenfelser Hof (= Weißenfelser Kulturtraditionen, 1 (Rudolstadt, 1996), S. 143–196.
  • Abbildung aus: Olaf Simons, Marteaus Europa oder Der Roman, bevor er Literatur wurde. (Amsterdam, 2001), p.12.
  • Willy Grabert, Arno Mulot, Helmuth Nürnberger: Geschichte der deutschen Literatur. (1983)
  • Volker Meid: Barocklyrik. 2. Auflage, Metzler 2008
  • Max Wehrli (Hrsg.): Deutsche Barocklyrik. Schwabe & Co., Basel 1967.
  • Werner Wilhelm Schnabel: Was ist barock? Zum Geltungsbereich des literaturwissenschaftlichen Epochenschlagworts und Periodisierungskonstrukts. In: Dieter J. Weiß (Hrsg.): Barock in Franken. Dettelbach 2004 (Bayreuther Historische Kolloquien, 17), S. 47–79.
  • Meinolf Schumacher: Liebe in der Lyrik zwischen Mittelalter und Früher Neuzeit. In: Der Deutschunterricht. 65 (1), 2013, S. 2–11 (Digitalisat).

Literaturhinweise zur Barockpredigt:

  • Werner Drobesch: Sozialpolitische Aussagen in den Predigtsammlungen der Gegenreformation. In: Katholische Reform und Gegenreformation in Innerösterreich 1564–1628. ed. France M. Dolinar (Klagenfurt, 1994) 491–507
  • Valentin Hertle: Andreas Strobl als Modellfall der bayrischen Barockpredigt. (kath.-theol. Diss. München, 1965)
  • Maximilian Neumayr: Die Schriftpredigt im Barock. Auf Grund der Theorie der katholischen Barockhomiletik. (Paderborn, 1938)
Wiktionary: Barock – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. Wolfgang Beutin: Deutsche Literaturgeschichte: von den Anfängen bis zur Gegenwart. Metzler, 2008, ISBN 978-3-476-02247-9, S. 111113.
  2. Briefe der Liselotte von der Pfalz, hg. v. Helmuth Kiesel, Insel Verlag, 1981, S. 249f. (Brief an Herrn von Harling vom 22. Juni 1721)
  3. Hermann Glaser, Jakob Lehmann, Arno Lubos: Wege der deutschen Literatur. Eine geschichtliche Darstellung. Ullstein Verlag, 1997, S. 124 f., dort mit inkorrektem Titel.
  4. Johann Christoph Gottsched: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen, Reprint der 4. Aufl. 1751, Darmstadt 1962.
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