Architektur des Barock
Die Architektur des Barock bildet innerhalb der Kunst des Barock einen Höhepunkt. Die oftmals streng und schwer wirkenden, geschlossenen Baukörper der Renaissance erfahren ab dem 17. Jahrhundert – von Italien ausgehend – eine Veränderung, die vor allem an den Fassaden ablesbar ist. Wenn am Anfang der Entwicklung auch noch eine ähnliche Gliederung wie in der Renaissance herrscht (die einzelnen Stockwerke sind noch durch querverlaufendes Gesims oder Gebälk voneinander getrennt, s. die Fassade von Il Gesù in Rom), setzen sich nach und nach Säulen, Pilaster, Giebel, Fensterbekrönungen und Kuppeln als festlicher Schmuck am Gebäude durch. Reiche Ornamente und eine starke Betonung der Mitte sind die Hauptmerkmale der Architektur, deren Bauteile im Lauf der Zeit in schwingende, konkave und konvexe Formen übergehen.
Die Innenräume werden heller. Ab dem Bau von Schloss Versailles wird es Mode, größere Fenster zu verwenden, die mehr Licht in die Gebäude bringen, das dort sogar noch durch den Einsatz von Spiegeln vermehrt wird. Die Galérie des Glaces (der Spiegelsaal von Schloss Versailles) steht am Anfang der Entwicklung, die sich von Frankreich aus über ganz Europa verbreitet. Zudem kommt die Freude am Spiel mit dem Licht hinzu. Lichteffekte werden eingesetzt, die den Betrachter erstaunen lassen, weil er oft ihren Ursprung nicht erkennen kann. Francesco Borromini war einer der ersten, die sich in der Kirche San Carlo alle Quattro Fontane dieser Kunst bediente. Licht – und auch die raffinierte Perspektive der Kuppel im Innenraum – gelten als frühe Höhepunkte dieser Entwicklung. Sie werden bald vielerorts von Architekten und Baumeistern kopiert. Zum Schmuck der Fassaden und Innenräume werden Plastik und Malerei miteinbezogen, um auf verschiedenste Weise neuerlich Überraschungseffekte hervorzurufen. Der in eine Kirche eintretende und darin verweilende Mensch soll von der Schönheit und Pracht beeindruckt werden, die symbolisch für die Herrlichkeit Gottes stehen.[1]
Ursprung in Italien
Italienische Barock-Architektur nimmt ihren Anfang in Rom, das sich in der Mitte des 17. Jahrhunderts zum unbestrittenen Mittelpunkt des Kunstgeschehens entwickelt. Alle Architektur in den – früher bedeutenden – Provinzen wurden durch die Bauten Gian Lorenzo Berninis und Francesco Borrominis in kurzer Zeit überholt. Eine Ausnahme bildete Guarino Guarini, der in Messina, Modena und Turin baute und Entwürfe bis nach Lissabon, Paris und Böhmen lieferte.
Rom war die Stadt der Päpste, die dort, weltlichen Fürsten gleich, ihren Ruhm der Nachwelt durch steinerne Zeugen hinterlassen wollten. Papst Paul V. nahm die Fertigstellung von St Peter in Angriff. Carlo Maderno schuf das Langhaus und die Fassade zum Petersplatz. Er gilt als der bedeutendste Architekt des römischen Frühbarock, der sich nicht so sehr durch die Erfindung neuer Typen als durch die Auflockerung und Erweiterung der Formensprache auszeichnete. Unter Papst Paul V. Neffen Kardinal Scipione Borghese entstanden der Palazzo Borghese und die Villa Borghese, die weniger durch die Architektur Vasanzios berühmt wurde, sondern durch die reichen Sammlungen ihres Besitzers. Während der Regierungszeit Papst Urbans VIII. wurde unter der Leitung Carlo Madernos, der noch immer als der führende Architekt galt, der Palazzo Barberini errichtet. In seinem Atelier arbeitete auch Francesco Borromini, der erste große Auftrag Papst Urbans VIII. ging aber an Bernini, der das Tabernakel (vermutlich in gemeinsamer Arbeit mit Borromini) über dem Petrusgrab ausführte. Außer dem Papst übernahmen andere kirchliche Institutionen die Rolle der Förderer der Architektur. So schuf Borromini seinen ersten selbständigen Bau mit der Kirche von San Carlo alle Quattro Fontane, deren stark geschwungene Konkav-Konvex-Fassade ein frühes Beispiel der bewegten Fassade darstellt. Der Umbau der Lateransbasilika wurde ebenfalls Borromini übertragen. Für Papst Clemens IX. schuf Bernini kurz vor seinem Tod die Engel der Engelsbrücke. Die Zeit des großen päpstlichen Mäzenatentums war nun aber vorbei, und die Weiterentwicklung der barocken Architektur verlagerte sich nach Frankreich, wo sie unter dem Einfluss Colberts und später König Ludwigs XIV. eine Reglementierung erfuhr und sich in eine andere – die klassizistische – Richtung entwickelte.[2]
Ausbreitung in Europa
Die Erschütterungen des Dreißigjährigen Krieges haben die künstlerische Entwicklung in Zentraleuropa gehemmt, die auch im Heiligen Römischen Reich zunächst unter dem Einfluss italienischer Vorbilder aber auch unter der Vorherrschaft italienischer Künstler und Handwerker stand. Erst im letzten Viertel des 17. Jahrhunderts treten heimische Künstler hervor, die neue, national beeinflusste Stilvarianten hervorbringen. Unbeeindruckt vom Kriegsgeschehen entstand in Salzburg schon zu Beginn des 17. Jahrhunderts der Dom als erstes barockes Gotteshaus nördlich der Alpen. Typisch ist die additive Aneinanderreihung einzelner Bautrakte entlang einer Achse und ihre spannungsreiche Verschränkung mithilfe der Lichtführung. Lang- und Zentralbauten behalten ihren eigentümlichen Charakter bei. Der Zentralbau setzt sich nach und nach bei Mausoleen und bei Wallfahrtskirchen durch, wo er sich besonderer Beliebtheit erfreut und häufig mit einer Kuppel bekrönt wird. Bekannte frühe Beispiele sind die Mausoleen in Graz und in Ehrenhausen, die Dreifaltigkeitskirche Kappl in Waldsassen und die Karlskirche in Volders bei Hall in Tirol. In der profanen Architektur übernimmt ein dominierender Mittelbau, der häufig mit einem Giebel bekrönt ist, die auf das Zentrum ausgerichtete Bewegung. Elias Holl baut als einer der ersten barocke Profangebäude; als sein bedeutendstes Werk gilt das Rathaus in Augsburg. Aber erst mit Andreas Schlüters Berliner Schloss und Fischer von Erlachs Schloss Schönbrunn setzt sich der neue architektonische Gedanke durch. Eine eigenständige Entwicklung bildet das Aneinanderreihen von Höfen bei Klöstern und Schlossanlagen. Sie fand eine besondere Ausformung in der Münchner Residenz; ab 1660 hat man sich beim Ausbau der Hofburg in Wien auf dasselbe Vorbild berufen. In der religiösen Architekt wird, wenn es möglich ist, die Kirche ins Zentrum der Hofanlage gerückt. Vorbild ist die Klosterresidenz des Escorial in Madrid. Eine wichtige Komponente für den zentraleuropäischen Profanbau stellt die Lusthaus-Architektur dar, wie z. B. das Palais im Großen Garten von Dresden oder Schloss Troja bei Prag.[3] Spätbarocke Sonderformen bilden das Friderizianische Rokoko unter König Friedrich II. in Preußen und der Theresianische Stil unter Kaiserin Maria Theresia in Wien.
Der aus Graz stammende und in Salzburg und Wien tätige Johann Bernhard Fischer von Erlach zählt auf dem Gebiet des heutigen Österreich als einer der Vorreiter des national geprägten/= deutschen Barock. Als sein bedeutendstes sakrales Werk gilt die Karlskirche in Wien. Johann Lucas von Hildebrandt (1668–1645) bringt unter dem Einfluss Prinz Eugens von Savoyen, für den er baut, eine französische Note in die Architektur der Kaiserstadt, bestes Beispiel ist das obere Schloss Belvedere, dessen pavillonartige mit Kuppeln bekrönten Bauteile darauf verweisen. Johann Dientzenhofer (1665–1726) und seine Brüder Georg, Christoph, Leonhard, Wolfgang bauten den Dom zu Fulda, Kloster Banz und Schloss Pommersfelden, Johann Balthasar Neumann (1687–1753), der für fünf Bischöfe aus dem Haus der Grafen Schönborn tätig war, und Dominikus Zimmermann (1685–1766), der Meister der Wieskirche, zählen zu den bedeutendsten Baumeistern auf deutschem Gebiet. In und um München entstanden die italienisch inspirierte, dem hl Kajetan geweihte Theatinerkirche und die kurfürstlichen Landschlösser Nymphenburg und Schleißheim. Berühmte barocke Kloster- und Wallfahrtskirchen sind Kloster Banz und die Basilika Vierzehnheiligen, die Wallfahrtskirche Birnau, Kloster Ottobeuren und die Wieskirche, in Österreich Stift Melk, das Jakob Prandtauer errichtet. In der Schweiz wurden (wie in zahlreichen anderen Gebieten) mittelalterliche Klöster barockisiert, wie die Stiftskirche von St. Gallen, Kloster Einsiedeln und Kloster Disentis. In Württemberg entstand das Residenzschloss Ludwigsburg, in Baden Schloss Karlsruhe. Die Fürstbischöfe Grafen Schönborn waren große Auftraggeber auf fränkischem Gebiet: sie ließen die Würzburger Residenz, die Neue Residenz Bamberg, die Schlösser Pommersfelden, Werneck und Bruchsal sowie zahlreiche Kirchen errichten. In Sachsen erreichte der Dresdner Barock mit dem Zwinger von Matthäus Daniel Pöppelmann einen künstlerischen Höhepunkt. Auftraggeber war Kurfürst August der Starke, König von Polen. Für den preußischen König Friedrich I. in Berlin schuf Andreas Schlüter (1660–1714), der in Warschau gelernt hatte, das Schloss und Jean de Bodt, der später in Dresden wirkte, das Zeughaus. Auch das Friderizianische Rokoko, nach König Friedrich II. von Preußen benannt (dazu zählen Sanssouci, das Potsdamer Stadtschloss, das Neue Palais sowie die Staatsoper Unter den Linden) wurde von Dresdner Vorbildern und Handwerkern geprägt. Über Schlesien flossen auch böhmisch-österreichische Vorbilder in Preußen ein. Im Thüringer Raum, vor allem in Weimar, wurde Gottfried Heinrich Krohne im Barock und Spätbarock mit Bauten wie dem Eisenacher Stadtschloss tonangebend. In Leipzig war Friedrich Seltendorff der prägende Architekt. Er schuf die Barockfassade des Gewandhauses. In Norddeutschland entstand mit dem Großen Garten zu Herrenhausen in Hannover ein idealer Barockgarten. Die Hauptkirche Sankt Michaelis in Hamburg zählt neben der Dresdner Frauenkirche zu den bedeutendsten protestantischen Barockkirchen.
Unter den Stuckateuren gehörten die Handwerker der Wessobrunner Schule im süddeutschen Raum zu den begehrtesten Künstlern, zu denen Johann Baptist Zimmermann (als sein Hauptwerk gilt die Ausstattung der Amalienburg im Nymphenburger Schlosspark) und sein Bruder Dominikus Zimmermann gezählt werden, aber auch der vielseitig begabte Bildhauer, Stuckateur, Altarbauer und Kupferstecher Joseph Anton Feuchtmayer. Er ist der Schöpfer des „Honigschleckers“, eines Puttos in der Wallfahrtskirche in Birnau.
In Frankreich entwickelte sich Barock in einer gemäßigteren und der philosophischen Strömung der Zeit entsprechenden rationaleren Form als in Italien. Die architektonische Stilrichtung hieß Klassizismus, der sich in einige anderen europäischen Ländern später ebenfalls durchsetzen sollte. In England hing man generell einer strengeren Form an, die sich auf die Architektur Palladios zurückbezog und deren wichtigste Vertreter Inigo Jones und Christopher Wren hießen. Ihren Höhepunkt nahm die kunsthistorische Epoche in den römisch-katholischen Ländern, was man an der großen Zahl der neu errichteten Kirchengebäude erkennen kann, während man in protestantischen Gebieten einer strengeren und schlichteren Form anhing und bevorzugt Gotteshäuser aus der Gotik (weiter)verwendete.
Stilistische Entwicklung
Barocke Architektur entwickelte sich von Italien ausgehend über ganz Europa bis in die Kolonien der Neuen Welt und in die meisten kulturell hochstehenden Länder. Fast jeder (Deutsche), der Baumeister werden wollte, begab sich in seiner Jugend nach Italien und studierte dort die klassische antike und die moderne Architektur. Danach kehrte er meist wieder in die Heimat zurück und verbreitete dort die Ideen der von Rom ausgehenden Kunstströmung. Der zweite und nicht minder starke Einfluss kam von italienischen Architekten, Künstlern und Handwerkern, die in den meisten Ländern Europas beschäftigt waren und dort die Geheimnisse ihres Wissens weitergaben. Dazu gehörten nicht nur die Architekten, sondern auch Stuckateure, Maler und Bildhauer, deren Kunst im Frühbarock besonders gefragt war und die an der Dekoration von Fassaden und Innenräumen beteiligt waren.
Im deutschen Raum wird häufig zwischen dem norddeutschen Barock und dem süddeutschen Barock unterschieden.[4] In den süddeutschen Ländern entwickelte sich aus dem italienisch inspirierten Barock unter dem Einfluss deutscher/österreichischer Architekten eine eigenständige Form, die vor allem an der Kirchenarchitektur ablesbar ist. Ganz typisch sind die Zweiturmfassaden mit Zwiebelhelmen, die Elias Holl als erster einsetzte. In der profanen Architektur zählen in Österreich die Schlösser Schönbrunn und Belvedere in Wien und Stift Melk zu den bedeutendsten Schöpfungen, auf dem Gebiet des heutigen Deutschland der Zwinger in Dresden, die Schlösser Moritzburg und Pillnitz in Sachsen. Der Stil verbreitete sich in eigentlich allen Ländern Europas, wo er je nach dem Geschmack der Kultur auf verschiedenste Weise interpretiert wurde. In Frankreich hing man einem gemäßigten Klassizismus an (Ostfassade des Louvre, Gartenfassade Schloss Versailles, Invalidendom in Paris), in England knüpfte man architektonisch an Palladio an (vor allem die Architekten Christopher Wren und Inigo Jones). Im protestantischen Nordeuropa favorisierte man wie in England eine schlichtere Ausdrucksform (königliches Schloss in Stockholm, Schloss Drottningholm). In den katholischen Ländern, allen voran in Spanien und in den spanischen Kolonien bevorzugte man eine überreiche Dekoration der Innenräume, die für heutige Betrachter beinahe überladen wirkt. Jede noch so kleine Fläche wurde mit einem Stuck- oder Holzornament besetzt, das man häufig auch vergoldete, und man verwendete außer klassischen Säulen auch gewundene/gedrehte, die mit Blumengirlanden verziert sein konnten (Kathedrale von Santiago de Compostela). Eine Eigenheit Portugals und Spaniens sind die an Außen- und Innenwänden verwendeten Azulejos, kunstvoll bemalte Fliesen, hauptsächlich in Blautönen (port. azul = dt. blau), die wie ein Mosaik zusammengesetzt meist große Bildflächen ergeben. Nach Russland gelangte Barock erst unter Zar Peter dem Großen, wo er in der Spätphase des Rokoko monumental und farbenfroh interpretiert wurde (Schloss Peterhof, Winterpalast in St Petersburg).
- Palazzo Barberini, Rom (1625–1638)
- Das Casino der Villa Doria Pamphili, Rom (1644–1652)
- Schloss Drottningholm, Schweden (1662–1681)
- Schloss Versailles (1634–1710)
- Gartenfassade von Blenheim Palace mit Wasserparterre (1704–1722)
- Der Schlosshof von Residenzschloss Ludwigsburg (1704–1733)
- Dresdner Zwinger (1709–1728)
- Schloss Favorite bei Förch, Rastatt (1710–1729)
- Schloss Weißenstein (Pommersfelden) (1711–1718)
- Schloss Belvedere, Wien (1720–1726)
- Östliche Gartenfassade der Würzburger Residenz (1719–1744)
Barocke Kirchenarchitektur
Die Entstehung und Entwicklung der barocken Kirchenarchitektur ist maßgeblich vor dem Hintergrund der römisch-katholischen Gegenreformation zu verstehen. Dabei gingen die Innovationen bis zum Ende des 17. Jahrhunderts meist von römischen Architekten aus, stießen in den verschiedenen Teilen Europas jedoch auf regionale Bautraditionen, mit denen sie Synthesen bildeten. Den Höhepunkt erreichte diese Entwicklung in den meisten Ländern im 18. Jahrhundert. Als die wichtigsten Trends, die die Herausbildung der barocken Kirchenarchitektur charakterisierten, hat Christian Norberg-Schulz die Vereinheitlichung der – traditionell in Longitudinal- und Zentralbauten geschiedenen – Kirchengrundrisse und die Neubestimmung des Verhältnisses genannt, in dem ein Kirchenbau zu seiner räumlichen Umgebung steht.[5] Zentralisierung – als Ausrichtung auf einen erhabenen Mittelpunkt mit dem Charakter eines Appells an alle zur Teilnahme – war eine der Grundideen des barocken Denkens.[6] Städtebaulich erfolgt die Ausrichtung auf monumentale Gebäude hin, die die Kernwerte der Gesellschaft repräsentieren, also auf die Kirchen (die nun oft hohe Kuppeln bekamen) und die Paläste der Herrschenden. Als Prototyp einer solchen Ausrichtung gilt die Anlage des Petersdoms.[7] Die Konsequenz der Vereinheitlichung der Kirchengrundrisse war eine Ausbreitung von verlängerten Zentral- und von zentralisierten Longitudinalgrundrissen.[8] Vom barocken Denken her wären gänzlich zentralisierte Grundrisse ideal gewesen; die leicht gestreckte Form war sowohl ein Zugeständnis an die Erfordernisse der katholischen Liturgie als auch eine Absage an die zentralisierten Sakralbaugrundrisse der Renaissance, denen nun ein Odium von „Heidentum“ zugeschrieben wurde.[9]
Bewegung
Zu den einflussreichsten Beispielen der frühen barocken Kirchenarchitektur zählen die römischen Kirchen Il Gesù (1568–1584, Giacomo Barozzi da Vignola) und Santa Maria ai Monti (1580, Giacomo della Porta). Charakteristisch für beide ist die Akzentuierung der Längsachse – nicht etwa durch Streckung dieser Achse, sondern durch auffällige Symmetrie des Gebäudes und durch Gestaltung der Fassade als ein gewaltiges Tor, das das Kircheninnere mit dem Außenraum in eine starke dynamische Beziehung setzt und dazu auffordert, das Gebäude zu betreten. Ein drittes gemeinsames Merkmal, das für die barocke Kirchenarchitektur zum Programm wurde, ist die weithin sichtbare Rundkuppel, die die Vierung der Kirche krönt und damit das Ziel der Bewegung markiert, die das Bauwerk mit der Betonung der Längsachse und des Tores initiiert.[10]
Fassade
Die Fassade der frühen Barockkirchen weist den zweigeschossigen Aufbau auf, den Leon Battista Alberti 1470 erstmal bei der Basilika Santa Maria Novella (Florenz) verwendet hat.[11]
- Vorbild für die frühbarocke Fassadengestaltung: die Renaissancekirche Santa Maria Novella
- Il Gesù
- Santa Maria ai Monti
Mittelschiff
- Il Gesù: Blick ins Innere
- Il Gesù: Grundriss
- Santa Maria: Blick ins Innere
- Santa Maria: Grundriss
Kuppel
Die meisten Barockkirchen haben, wenn überhaupt, nur eine einzige Kuppel. Im Bestreben, Zentralbauten etwas zu strecken, wurden aber vor allem seit dem Hochbarock oft mehrere Kuppeln verwendet. Eine Renaissancekirche, die hierfür das Vorbild geliefert hatte, war die Veroneser Chiesa della Madonna di Campagna (1589, Michele Sanmicheli, Francesco Banterle). Aufgegriffen wurde die Anregung etwa beim Bau der Mailänder Kirche San Giuseppe (1630, Francesco Maria Richini). Ihren Höhepunkt erreichte diese Bauweise in Italien mit der Errichtung der Santa Maria della Salute in Venedig (1687, Baldassare Longhena).[12]
- Santa Maria: Kuppel
- Madonna di Campagna (Renaissancekirche mit zwei Kuppeln)
- San Giuseppe: hinter der Hauptkuppel erscheint eine zweite, kleinere
- Santa Maria della Salute
Räumliche Integration
Die räumliche Kleinteiligkeit, die für die Grundrisse der gotischen und noch der Renaissancekirchen charakteristisch gewesen war, wich im Barock bald einer offeneren Bauweise mit einer Tendenz zur Integration der Einzelräume. Ein frühes Beispiel für diese Entwicklung bietet die römische Sant’Andrea della Valle, deren Seitenkapellen deutlich weniger tief, dafür aber höher sind als etwa in Il Gesù und in Santa Maria ai Monti.[10]
- Il Gesù: eine Seitenkapelle
- Santa Maria ai Monti: eine Seitenkapelle
- Sant’Andrea della Valle (Rom), 1650, Francesco Maria Grimaldi
- Sant’Andrea della Valle: zwei Seitenkapellen
- Sant’Andrea della Valle: eine Seitenkapelle
- Santi Domenico e Sisto (Rom), 1674, Giacomo della Porta, Orazio Torriani
- Santi Domenico e Sisto: Blick ins Innere
- Santi Domenico e Sisto: die Seitenkapellen sind hier zu bloßen Arkaden geschrumpft
Ein Gesichtspunkt der Integration des Raumes ist die Öffnung von Räumen, die vorher stärker abgeschlossen waren. Ein Beispiel hierfür ist die Kuppel der Pariser Kirche Notre-Dame du Val-de-Grâce (François Mansart, 1645), die auf ungewöhnlich breiten Pfeilern ruht.[11]
- Die Kuppel in Sant’Andrea…
- …und in Notre-Dame du Val-de-Grâce
Die Ellipse und andere wichtige Formen
Eine weitere Maßnahme zur Integration des Raumes war die Einführung elliptischer Grundrisse. Als eines der ersten Beispiele gilt Sant’Anna dei Palafrenieri (Giacomo da Vignola, 1583 geweiht). Statt einer Vierung überkront die Kuppel bei einem solchen Grundriss das gesamte Oval. Da dies besondere statische Probleme erzeugte, wurde das Konzept zunächst nur bei kleineren Kirchenbauten umgesetzt. Zu den ersten größeren barocken Kirchenbauten mit ovalem Grundriss zählte die von Francesco Capriani und Carlo Maderno entworfene und 1600 fertiggestellte Kirche San Giacomo degli Incurabili. 1732 stellte in einem Wallfahrtsort im Piemont Francesco Gallo die Kuppel der Basilika von Vicoforte fertig, die die größte ihrer Art ist.[11] Die Ellipse ist, wie Christian Norberg-Schulz schrieb, „eine der grundlegenden Formen des Barock, aufgrund seiner Vereinigung von Bewegung und Konzentration, von Linearität und Radialität“.[13]
- Sant’Anna
- Sant’Anna: Grundriss
- San Giacomo
- San Giacomo: Grundriss
- Basilika von Vicoforte
- Basilika von Vicoforte: Grundriss
- Karlskirche: Grundriss
Neben den elliptischen wurden weiterhin auch rechteckige, quadratische, runde, achteckige und andere Grundrisse verwendet.[13] Typisch für das Barock ist insbesondere das leicht verlängerte griechische Kreuz. Als eines der bedeutendsten hochbarocken Beispiele für diese Grundrissform gilt die römische Kirche Santi Luca e Martina (1664, Pietro da Cortona).[14]
- Santi Luca e Martina
- Santi Luca e Martina
- Santi Luca e Martina: Grundriss
Skelettale Erscheinung
Eine weitere Neuerung, die in Sant’Andrea della Valle erstmals erscheint, ist ein Durchziehen der Pfeiler über das Gebälk hinaus, wodurch der Eindruck eines aus vertikalen und horizontalen Elementen zusammengesetzten Skeletts entsteht.[15]
- Chorgewölbe in Il Gesù…
- …und in Sant’Andrea
Dekoration und Artikulation
Charakteristisch für Barockkirchen ist eine hohe plastische Ausgestaltung der Formen (z. B. Dreiviertel- und Vollsäulen statt bloßer Blendsäulen oder Pilaster) und besonderer Reichtum der Verzierungen. Bedeutende Beispiele in älteren Kirchen, in denen Barockensembles nachträglich hinzugefügt wurden, sind die Cappella Salviati in Santi Andrea e Gregorio al Monte Celio (um 1600, Daniele da Volterra, Carlo Maderno), die Cappella Paolina in der Basilika Santa Maria Maggiore (1613, Flaminio Ponzio) und die Cappella Lancellotti in der Lateranbasilika (um 1675, Giovanni Antonio de Rossi).
- Cappella Paolina
- Cappella Lancellotti
Kennzeichnend für das Frühbarock ist ein verstärkter Einsatz von üppigen ästhetischen Ausdrucksmitteln: Verdoppelung der Säulen, Kombinationen aus Pilastern und Säulen, Kolossalordnung, starkes und vielfaches Durchbrechen von Gebälk und Pedimenten, oder eine entsprechende illusionistische Dekoration.[16]
Galerie
- Petersdom, Rom, im Kontext
- Santa Maria del Giglio, Venedig. Fassade von Giuseppe Sardi.
- Certosa di San Martino, Neapel
- Blick in die Kuppel von Sant’Agnese in Agone, Rom, 1652–1672 (Francesco Borromini, Ciro Ferri, Giov. Batt. Gaulli, genannt „Bacciccia“)
- Innenausstattung der Peterskirche in Wien
- Innenausstattung der Jesuitenkirche in Wien
- Innenausstattung der Stiftsbasilika Waldsassen
- Igreja da Madre de Deus (Museu Nacional do Azulejo), Lissabon
- Kirche des Convento de São Francisco, Salvador da Bahia, Brasilien
Übersicht
- Nur eine Minderzahl der deutschen Barockkirchen weist eine klassische römische Barockfassade auf.
- Ein stärker verbreites Kennzeichen ist eine quadratische Turmbasis, der ein achteckiges Prisma aufgesetzt ist, welcher wiederum irgendeine Form von Zwiebelhaube folgt.
- Die Türme können durch Gesimse visuell untergliedert sein.
- Die Portale sind wuchtig und oft ausgesprochen prunkvoll. Typisch sind verspielte antikisierende Elemente wie gesprengte Pedimente.
- Die Fenster sind oft rundbogenförmig, elliptisch oder rund oder weisen verspielte Variationen dieser Formen auf (das Foto zeigt Bassgeigenfenster).
Grundrisse
Während sich unter den stilprägenden italienischen Barockkirchen auch viele Basiliken und Kirchen vom „Il-Gesù-Typ“ finden, sind die meisten deutschen Barockkirchen Wandpfeilerkirchen, Saalkirchen oder Zentralbauten oder haben elliptische Grundrissformen.[17]
Barock erscheinende Basiliken, wie St. Blasius in Landshut, St. Peter in Bad Waldsee oder Maria Himmelfahrt in Niederschönenfeld gehen in Deutschland regelmäßig auf einen ursprünglich romanischen oder gotischen Bau zurück.
- Grundriss der Chiesa del Gesù, Rom
- Wandpfeilerkirche: Studienkirche Dillingen
- Grundriss der Studienkirche Dillingen
- Saalkirche: Hl. Dreifaltigkeit, Moosthenning
- Grundriss der Kirche Hl. Dreifaltigkeit
- Zentralbau: St. Michaelis, Hamburg
- Grundriss der St. Michaelis-Kirche
- Ovaler Grundriss: Wallfahrtskirche Steinhausen
- Grundriss der Wallfahrtskirche Steinhausen
Fassaden
Barockkirchen haben, während die übrigen Außenseiten wenig Gestaltungswillen erkennen lassen, oft eine einzige Schauseite. Damit die theatrale Wirkung zur Geltung kommt, ist diese Prunkfassade oft auf einen freien Platz hin ausgerichtet, von dem aus sie ohne Sichtbehinderung bewundert werden kann.[17]
- Zum Vergleich eine gotische Kirche (Ulmer Münster)…
- …und eine frühe Renaissancekirche (Kathedrale von Florenz): alle Außenseiten sind durchgestaltet.
- Eine frühe italienische Barockkirche (Santa Maria della Vittoria, Rom) mit einer einzigen Schaufassade
- Drei entsprechende Beispiele aus Deutschland: St. Joseph und St. Maria Magdalena, Würzburg…
- …St. Michael, Paderborn…
- …Spitalkirche, Bayreuth
- Gegenbeispiele: Eine Barockkirche (St. Peter und Paul, Würzburg) mit durchgestalteten Seitenfassaden…
- …und eine weitere (St. Peter und Paul, Affing) ganz ohne erklärte Hauptfassade
Bedeutende Architekten des Barock und ihre Bauwerke (Auswahl)
Siehe auch
Literatur
nach Autoren alphabetisch geordnet
- Stephan Hoppe: Was ist Barock? Architektur und Städtebau Europas 1580–1770. Darmstadt 2003.
- Erich Hubala: Kunst des Barock und Rokoko. Malerei, Plastik, Architektur. Belser, Stuttgart 1991, ISBN 3-7630-1879-4.
- Wilfried Koch: Baustilkunde. Das Standardwerk zur europäischen Baukunst von der Antike bis zur Gegenwart. Prestel Verlag, München 2014, 32. Auflage, ISBN 978-3-7913-4997-8.
- Rolf Toman (Hrsg.): Barock. Architektur-Skulptur-Malerei. Könemann im Tandem-Verlag, 2005, ISBN 3-8331-1041-4.
- Heinrich Wölfflin: Renaissance und Barock: Eine Untersuchung über Wesen und Entstehung des Barockstils in Italien. Theodor Ackermann, München 1888.
Weblinks
Einzelnachweise
- Die Kunst des 17. Jahrhunderts. In: Erich Hubala (Hrsg.): Propyläen Kunstgeschichte. Propyläen Verlag Berlin, Frankfurt am Main, Berlin 1990, S. 207–211.
- Norbert Huse: Italienische Plastik und Architektur. In: Erich Hubala (Hrsg.): Propyläen Kunstgeschichte. Die Kunst des 17. Jahrhunderts. Propyläen Verlag Berlin, Frankfurt am Main, Berlin 1990, S. 207–211.
- Renate Wagner-Rieger: Architektur und Plastik in Zentraleuropa. In: Erich Hubala (Hrsg.): Propyläen Kunstgeschichte. Die Kunst des 17. Jahrhunderts. Propyläen Verlag Berlin, Frankfurt am Main, Berlin 1990, S. 279–282.
- Koch, S. 325 ff.
- Christian Norberg-Schulz: Baroque Architecture. Harry N. Abrams, New York 1971, S. 103.
- Christian Norberg-Schulz: Baroque Architecture. Harry N. Abrams, New York 1971, S. 13.
- Christian Norberg-Schulz: Baroque Architecture. Harry N. Abrams, New York 1971, S. 18.
- Christian Norberg-Schulz: Baroque Architecture. Harry N. Abrams, New York 1971, S. 14.
- Christian Norberg-Schulz: Baroque Architecture. Harry N. Abrams, New York 1971, S. 20, 22.
- Christian Norberg-Schulz: Baroque Architecture. Harry N. Abrams, New York 1971, S. 103.
- Christian Norberg-Schulz: Baroque Architecture. Harry N. Abrams, New York 1971, S. 113.
- Christian Norberg-Schulz: Baroque Architecture. Harry N. Abrams, New York 1971, S. 129.
- Christian Norberg-Schulz: Baroque Architecture. Harry N. Abrams, New York 1971, S. 115.
- Christian Norberg-Schulz: Baroque Architecture. Harry N. Abrams, New York 1971, S. 142.
- Christian Norberg-Schulz: Baroque Architecture. Harry N. Abrams, New York 1971, S. 103, 105.
- Christian Norberg-Schulz: Baroque Architecture. Harry N. Abrams, New York 1971, S. 182.
- Architektonische Merkmale des Barock. Abgerufen am 14. Januar 2023.