Bacchus (Michelangelo)
Bacchus (1496–1497)[1] ist eine Statue aus Marmor von dem italienischen Renaissance-Bildhauer Michelangelo. Die Statue ist 203 Zentimeter hoch und stellt Bacchus (Dionysus), den griechisch-römischen Gott des Weins dar, in einer wackeligen Pose, die Betrunkenheit suggeriert. Sie wurde von Raffaele Riario in Auftrag gegeben, einem Kardinal und Sammler antiker Skulpturen, sie wurde jedoch von ihm abgelehnt und stattdessen von Jacopo Galli, einem Bankier von Riario und Freund von Michelangelo, aufgekauft. Zusammen mit der Pietà ist der Bacchus eine von nur zwei erhaltenen Skulpturen aus der ersten Schaffensperiode des Künstlers in Rom. Heute befindet sich die Skulptur im Museo Nazionale del Bargello in Florenz[2] (Sala di Michelangelo).[3]
Gestalt
Bacchus wird dargestellt mit rollenden Augen, sein schwankender Körper fällt fast von dem Felsen, an dem er steht. Hinter ihm sitzt ein Faun, der eine Traube isst, die aus des Bacchus' linker Hand rutscht. Mit geschwollener Brust und Leib stellt die Figur (laut Giorgio Vasari) „sowohl die Schlankheit eines jungen Mannes dar, als auch die Fleischigkeit und Rundungen einer Frau.“[4] und seine Androgynie wurde schon oft betont. Die Inspiration für dieses Werk scheint eine Beschreibung aus der Naturalis historia von Plinius dem Älteren zu sein. Dort wird eine verlorene Bronzeskulptur von Praxiteles beschrieben, die „Bacchus, Trunkenheit und einen Satyr“ darstellt.[5] Das Gefühl von Unsicherheit (Instabilität), das auf dem hoch liegenden Schwerpunkt beruht, kann in zahlreichen späteren Arbeiten des Künstlers wiedergefunden werden, zum Beispiel beim David und den Figuren in der Decke der Sixtinischen Kapelle.
Bacchus trägt einen Kranz aus Weintrauben und Efeublättern (Die Pflanze war dem Gott heilig).[6] In seiner rechten Hand hält er einen Kelch mit Wein und in seiner linken den Balg eines Tigers, ein Tier, das mit dem Gott durch seine „Liebe zu den Weinbeeren“ (for its love of the grape, laut Michelangelos Biograph Ascanio Condivi) in Verbindung stehe. Die Hand, die den Kelch gehalten hatte, war abgebrochen und der Penis abgemeißelt, bevor Maarten van Heemskerck die Statue in den 1530ern sah. Nur der Kelch war in den frühen 1550ern wiederhergestellt worden. Die Verstümmelung könnte auch erfolgt sein, um der Figur den Anschein größeren Alters zu geben, zumal sie von Anfang an zwischen einem echten antiken Torso und fragmentarischen römischen Reliefs in Jacopo Gallis Römischem Garten aufgestellt wurde.[7] Solche Zugeständnisse an „klassische“ Sensibilitäten überzeugten jedoch nicht Percy Bysshe Shelley von der Treue des Werkes gegenüber dem „Geist und der Bedeutung von Bacchus“ (the spirit and meaning of Bacchus). Er schrieb, dass „es betrunken, brutal und engstirnig aussieht, und den äußerst abstoßenden Ausdruck von Zügellosigkeit verkörpert.“ (It looks drunken, brutal, and narrow-minded, and has an expression of dissoluteness the most revolting.)[8] Der Kunsthistoriker Johannes Wilde fasst die Reaktionen folgendermaßen zusammen: „kurz gesagt… es ist nicht das Bild eines Gottes.“[9]
Geschichte
Die Statue war für den Garten von Kardinal Raffaele Riario in Auftrag gegeben worden.[10] Riario wollte damit ursprünglich seine Sammlung klassischer Skulpturen ergänzen. Aber Riario lehnte sie ab und um 1506[11] fand sie den Weg in die Sammlung von Jacopo Galli, der sowohl für den Kardinal als auch für Michelangelo als Bankier tätig war und der einen ähnlichen Skulpturengarten beim Palazzo della Cancelleria gestaltete. Dort ist sie erstmals durch eine Zeichnung von Maarten van Heemskerck (1533/36) nachweisbar.[12] Die Statue wurde 1572 für die Medici erworben und nach Florenz gebracht. Die Hand wurde von einem späteren Bildhauer ersetzt.
Einzelnachweise
- In den Rechnungsbüchern von Baldassare und Giovanni Balducci, den Bankieren von Kardinal Raffaele Riario, lässt sich nachvollziehen, dass das Werk zwischen dem Sommer 1496 und dem Sommer 1497 ausgeführt wurde. S. a. S. 93 von: Michael Hirst: Michelangelo in Rome: an altarpiece and the 'Bacchus', In: The Burlington Magazine. 123, Oktober 1981: 581-593.
- Museo del Bargello: il San Giorgio di Donatello e il Bacco di Michelangelo. Archiviert vom (nicht mehr online verfügbar) am 16. September 2018; abgerufen am 12. September 2018. Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- MUSEO NAZIONALE DEL BARGELLO. Abgerufen am 12. September 2018.
- „both the slenderness of a young man and the fleshiness and roundness of a woman“
- Luba Freedman: Michelangelo's Reflections on Bacchus. In: Artibus et Historiae. 24, No. 47 2003: 121-135. Die Autorin bemerkt, dass öfters während des 15. Jahrhunderts der Bacchus als Antiquität bezeichnet wurde.
- Hirst, Dunkerton 1994: 75 n.27.
- Leonard Barkan: Unearthing the Past: Archaeology and Aesthetics in the Making of Renaissance Culture. New Haven/London 1999: 201-05. Barkan schreibt, dass Michelangelo als Fälscher von Antiquitäten arbeitete und der Bacchus ein ambivalentes Werk war, dass darauf ausgelegt war, „den Betrachter mit der Unbestimmtheit zu locken, ob es alt oder modern sei.“ (to tease the viewer with uncertainties as to whether it was ancient or modern).
- Die lange Tradition negativer Reaktionen auf den Bacchus wird dargestellt in den Anmerkungen zu Giorgio Vasari: La Vita di Michelangelo…, herausgegeben von Paola Barocchi, Mailand 1962: II: 62-67.
- in brief… it is not the image of a god. Johannes Wilde: Michelangelo: Six Lectures. Oxford University Press 1978: 33.
- Michelangelos Biograph, Ascanio Condivi, schreibt auf Michelangelos direkte Anweisung hin, aber fälschlich, dass Riario nie etwas in Auftrag gegeben habe und schreibt den Auftrag Galli zu; Dokumente, die 1981 entdeckt wurden stellten den Auftrag jedoch richtig: Hirst, Dunkerton 1994: Appendix C "Cardinal Riario and the 'Bacchus'".
- Freedman 2003: 124.
- Das Skizzenbuch ist in Berlin. Ralph Lieberman: Regarding Michelangelo's Bacchus. In: Artibus et Historiae. 22, No. 43, 2001: 65-74, S. 66 fig. 2; Lieberman analysiert den „beinahe brutalen Realismus“ (almost brutal realism) der Skulptur und das „fehlerlos kontrollierte Ungleichgewicht“ (flawlessly controlled disequilibrium, S. 67), welches sich erschließt, wenn man die Skulptur umrundet.
Literatur
- Malcolm Bull: The Mirror of the Gods: Classical Mythology in Renaissance Art. London: Penguin 2005.
- James Hall: Michelangelo and the Reinvention of the Human Body. London: Chatto & Windus 2005.
- Michael Hirst, Jill Dunkerton: Making and Meaning: The Young Michelangelo. Yale University Press, New Haven and London 1994.
- John Pope-Hennessy: Italian High Renaissance and Baroque Sculpture. London: Phaidon 1996. Catalogue volume, p. 9.
- John Addington Symonds. The Life of Michelangelo Buonarroti. Project Gutenberg
- Ilona Wolff: Der Bacchus von Michelangelo. Aspekte des Paragone: oder Ein Wettstreit mit der Antike. Saarbrücken: AV Akademikerverlag 2016. Online-Ressource (Verlag) ISBN 978-3-639-87262-0
- Christin Bartz: Bacchus in der Skulptur der Italienischen Renaissance und des Barock. München: GRIN Verlag GmbH 2014. Online-Ressource (pdf) (Verlag) ISBN 978-3-656-70372-3
- Gustav Schörghofer: Vom Bacchus zur Pietà: Michelangelo als Steinbildhauer. In: Stimmen der Zeit. Freiburg, Br., Herder – 232.2014 = 139 (2014), 2, S. 75–85. ISSN 0039-1492
- Sergio Risaliti, Francesco Vossilla; Fotografien von Serge Domingie: Il Bacco di Michelangelo: il dio della spensieratezza e della condanna. Florenz: Maschietto 2007. [Tandem; 1] ISBN 978-88-88967-83-7
- Paola Barocchi: Il bacco di Michelangelo. In: Lo specchio del Bargello; 8: Michelangelo, Buonarroti, 1475–1564 [Ill.] Florenz: Museo Nazionale del Bargello 1982
- Constance Gibbons Lee: Gardens and Gods: Jacopo Galli, Michelangelo’s “Bacchus”, and their art historical settings. Providence, RI, Brown Univ., Diss., 1981.
- Karolina Lanckorońska (1898–2002): Antike Elemente im Bacchus Michelangelos und in seinen Darstellungen des David. Lwów: National-Inst. Ossoliński, 1938.