Awareness-Team
Als Awareness-Team (englisch Awareness: Aufmerksamkeit, Bewusstsein, Achtsamkeit, Beachtung[1]) wird im deutschsprachigen Raum eine Gruppe von Personen bezeichnet, die auf Veranstaltungen Unterstützung gegen Diskriminierung, übergriffiges Verhalten und sexuelle Belästigung bieten soll.
Begriff „Awareness“
Der englische Begriff der Awareness ist in deutschen Diskursen zu finden, in denen auf Diskriminierungsverhältnisse aufmerksam gemacht werden soll. Dies sei der Fall, wenn es um die Bereitstellung von Ansprechpersonen und Schutzräumen für Betroffene von Gewalt und Diskriminierung gehe, zum Beispiel auf Festivals und anderen Veranstaltungen.[2] Er entstand in der antirassistischen Bildungsarbeit. Im US-amerikanischen Raum tauchte der Begriff etwa ab den späten 1980er-Jahren zunehmend in pädagogischer Literatur auf, die sich mit Bildungsarbeit und Diskriminierung befasst.[3]
Er ist nicht zu verwechseln mit Awareness in anderer Bedeutung in psychologisch-therapeutischen oder spirituellen Zusammenhängen, wie beispielsweise in der Achtsamkeitslehre nach Kabat-Zinn, wo er jedoch ohne einen politischen Anspruch oder den Bezug auf Machtverhältnisse verwendet wird.[4]
Konzept und Aufgaben von Awareness-Teams
Für Partys, Clubs, Festivals entwickelten verschiedene Akteure Awareness-Richtlinien. Daraus entstand eine Standardisierung von Regeln, die von deutschen Fördermaßnahmen unterstützt wird. So förderte die Antidiskriminierungsstelle des Bundes 2021/22 den Verein Act Aware bei der Entwicklung von Empfehlungen für den Veranstaltungssektor. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend fördert das Projekt „support f(x)“ der Initiative Awareness, bei dem es um Awareness-Strukturen im Veranstaltungskontext geht. Universitäten bieten Weiterbildungen zum Thema an. In ihrer praktischen Umsetzung soll Awareness diskriminierende Praktiken unterbinden und deren Folgen mildern. Mitglieder von Awareness-Teams dienen dabei jenen als Ansprechpersonen, die als potenziell rassistisch, sexistisch oder auf andere Weise diskriminierend oder übergriffig empfundenes Verhalten erlebt oder beobachtet haben.[5] Zum Kern von Awareness gehört, die subjektive Sicht betroffener Personen als verbindlich zu erklären. Im Awareness-Leitfaden eines Kunstkollektivs heißt es: „Wir erkennen die Definitionsmacht der betroffenen Person bedingungslos an und sind in allererster Linie für die Unterstützung und den Schutz der betroffenen Person da.“[6] Awareness-Teams bieten Personen, die sich bedrängt oder unwohl fühlen, Unterstützung an. Ihnen stehen aber weder die Mittel einer polizeilichen Sanktionsmacht noch jene des Hausrechts zur Verfügung, sondern nur der situativen Regelung von Verhaltenskonflikten, vor allem in Form von Gesprächen.[7] Awareness-Teams gehören zur Infrastruktur von Safe Spaces. Häufig sind das bei Veranstaltungen abgegrenzte Räume.[8][9] Die Teams arbeiten zum Teil auch mit Security-Personal und Türstehern zusammen.[10][11]
Im Unterschied zu herkömmlichen Security-Teams ist die Hauptaufgabe eines Awareness-Teams nicht, für die Befolgung von Regeln zu sorgen, „sondern vor allem sich um die Unterstützung derjenigen zu kümmern, die durch Regelüberschreitung Verletzungen erfahren haben“.[12] Die Autoren Jacob Hess, Clémence Bosselut und Fred Stecher weisen darauf hin, dass Awareness-Teams angesprochen werden können, wenn es einer Person schlecht gehe. Dies sei aber kein Ersatz für eine psychotherapeutische Begleitung. In der Regel könne jedoch allein durch Zuhören und Dasein viel auffangen werden.[13]
Verbreitung
Seit 2014 werden auf dem Fusion Festival, seit 2015 auf dem Festival Nation of Gondwana Awareness-Teams eingesetzt.[10] Auf sexpositiven Partys sind Awareness-Teams verbreitet.[14] 2019 gab es auf Demonstrationen von Fridays for Future Awareness-Teams[15] und Awareness-Zelte.[16]
Seit den 2020er-Jahren haben zahlreiche Veranstaltungen eine Awareness-Struktur, auch Fußballvereine[17][18][19] und Karnevalsveranstaltungen[20][21] arbeiten mit Awareness-Teams zusammen. Seit 2022 werden auf der Frankfurter Buchmesse,[22] der re:publica[23] und bei Rock im Park[24] Awareness-Teams eingesetzt. Nach den MeToo-Vorwürfen gegen Till Lindemann waren bei Rammstein-Konzerten sogenannte „Awareness-Buddies“ präsent.[25] Auf dem Campus der Universität Stuttgart sind Awareness-Teams seit 2023 auf allen Partys unterwegs, die von der Studierendenvertretung organisiert werden. Der 2020 entwickelte Awareness-Leitfaden sei das Ergebnis von Debatten über #MeToo, die „Ja heißt ja“-Regeln und Konsens beim Flirten.[26]
Seit 2021 setzt die Stadt Wien Awareness-Teams im öffentlichen Raum ein, nachdem öffentliche Plätze aufgrund der COVID-19-Pandemie stärker von Jugendlichen frequentiert wurden. Dabei seien 2022 von Mitgliedern des Teams, das aus Sozialarbeitern bestand, über 18.000 Beratungsgespräche durchgeführt worden.[27] In der Schweiz wurde erstmals 2023 ein Awareness-Team beim Hip-Hop-Festival Spex in Bern eingesetzt, zuständig waren zwei Frauen des Festivalkommitees.[28] Während des Badenfahrt-Volksfestes im Kanton Aargau patrouilierten Awareness-Teams zu zweit über das Gelände. Sie sollten zur Stelle sein, falls es zu Diskriminierung und sexualisierter Gewalt kommen sollte.[29]
Kritische Rezeption
Eine 2023 in der Zeitschrift Leviathan veröffentlichte Studie der Soziologen Nadine Maser und Sighard Neckel wirft dem Awareness-Konzept einen Selbstwiderspruch vor. Bei der Bekämpfung von Diskriminierung werde eine Konstruktionsweise von sozialen Kategorien übernommen, mit der typischerweise viele Arten von Diskriminierung ihrerseits operieren. Maser und Neckel stellen Awareness in den Zusammenhang kontroverser Debatten um das, was als linke „Identitätspolitik“ verhandelt werde, die häufig moralisch aufgeladen geführt würden.[30] Awareness-Teams stehen auch deshalb in der Kritik, da sie aufgrund der Parteilichkeit für Betroffene keinerlei Interesse an der genauen Rekonstruktion und objektiven Bewertung des Einzelfalls zeigen würden.[31]
Alexander Grau kritisierte das Awareness-Team auf der Frankfurter Buchmesse 2022 im Cicero als Möglichkeit zur Denunziation politisch unliebsamer Teilnehmer.[32] Jocelyne Iten meinte im NZZ-Magazin, Awareness-Konzepte in Clubs seien Anzeichen politischer Korrektheit im Nachtleben.[33] Frank Jöricke schrieb 2023 in der Welt, die Idee der Party werde mit Awareness-Teams ad absurdum geführt.[34] Nach den von Frauen erhobenen Vorwürfen gegen Till Lindemann forderte Familienministerin Lisa Paus im Juni 2023 den verstärkten Einsatz von Awareness-Teams bei Rockkonzerten. Caspar Shaller kritisierte das in der taz. Mit dem Einsatz von Awareness-Teams könnten Veranstalter vorgaukeln, etwas gegen Sexismus und Diskriminierung zu tun, ohne wirklich aktiv zu werden.[35]
Literatur
- Nadine Maser, Nina Sökefeld: Feeling Awareness. Affektive Dynamiken in der rassismuskritischen (Weiter-)Bildung. In: Hansjörg Dilger / Matthias Warstat (Hrsg.): Umkämpfte Vielfalt. Affektive Dynamiken institutioneller Diversifizierung. Frankfurt a. M.: Campus: 2021, S. 246–267.
- Nadine Maser, Sighard Neckel: Awareness: Paradoxien eines Emotionsprogramms. In: Leviathan. Berliner Zeitschrift für Sozialwissenschaft, 51 (2), 2023, S. 300–324.
- Ann Wiesental: Antisexistische Awareness. Ein Handbuch. Unrast, Münster 2022, ISBN 978-3-95405-111-3.
Weblinks
- Initiative Awareness e. V: Awareness. Umgang mit Diskriminierung & (sexualisierter) Gewalt bei Veranstaltungen, 2021, PDF
- Paulina Unfried: Awareness-Teams. Von der Gefahr, eine Frau zu sein. Aus: Die Zeit, Nr. 26/2023, online 16. Juni 2023
- Sexuelle Belästigung in der Musikbranche: Sind Awareness-Teams die Lösung? Arte, Frankreich/Deutschland 2023 (Video verfügbar bis 17. Juli 2024)
Einzelnachweise
- Awareness, die. Duden.de (abgerufen am 11. Januar 2024)
- Nadine Maser, Nina Sökefeld: Feeling Awareness: Affektive Dynamiken in der rassismuskritischen (Weiter-)Bildung. In: Hansjörg Dilger, Matthias Warstat (Hrsg.): Umkämpfte Vielfalt. Affektive Dynamiken institutioneller Diversifizierung. Campus Verlag, Frankfurt/New York 2021, ISBN 978-3-593-51412-3, S. 246–247
- Nadine Maser, Nina Sökefeld: Feeling Awareness: Affektive Dynamiken in der rassismuskritischen (Weiter-)Bildung. S. 250.
- Nadine Maser, Nina Sökefeld: Feeling Awareness: Affektive Dynamiken in der rassismuskritischen (Weiter-)Bildung. S. 247 Fn1.
- Nadine Maser, Sighard Neck: Awareness: Paradoxien eines Emotionsprogramms. In: Leviathan, Jahrgang 51 (2023) Heft 2S, S. 303–304
- Nadine Maser, Sighard Neck: Awareness: Paradoxien eines Emotionsprogramms, S. 307
- Nadine Maser, Sighard Neck: Awareness: Paradoxien eines Emotionsprogramms, S. 312–313
- Nadine Maser, Sighard Neck: Awareness: Paradoxien eines Emotionsprogramms. S. 309–310.
- Marion Thuswald: Safe space – brave space? Konzeptionen (queer-)feministischer Schutzräume. In: Orte der Begegnung, Orte des Widerstands. Zur Geschichte homosexueller, trans*geschlechtlicher und queerer Räume. Männerschwarm Verlag, Hamburg 2018, ISBN 978-3-86300-256-5, S. 162.
- Johanna Montanari, Nora Noll: Achtsame Ekstase. nd-aktuell.de, abgerufen am 7. Februar 2023.
- Tanja Kunesch: Mit Awareness-Team und neuem Türsteher: Berliner Technoclub Revier Südost öffnet nach Rassismus-Vorwürfen wieder, Tagesspiegel, 18. November 2021
- Esto Mader: Versammelte Körper. In ders.: Queere Räume, Transcript Verlag, Bielefeld 2023, ISBN 978-3-8376-6818-6, S. 229.
- Jacob Hess, Clémence Bosselut, Fred Stecher: Wege zu einer umfassend inklusiveren Bildungsarbeit – und warum der Satz „Störungen haben Vorrang“ nicht reicht. In: Voluntaris, Jahrgang 11 (2023) Heft 2, Nomos, Baden-Baden, ISSN Online 2700-1350, S. 298
- Sexpositiv: Sie sind so frei. In: FAZ.NET. ISSN 0174-4909 (faz.net [abgerufen am 9. Februar 2023]).
- „Fridays for Future“: Wie ticken die Schulstreikenden? – WELT. Abgerufen am 8. Februar 2023.
- Sarah Obertreis, Dortmund: „Fridays for Future“-Sommerkongress: Ein Besuch bei der Bewegung. In: FAZ.NET. ISSN 0174-4909 (faz.net [abgerufen am 8. Februar 2023]).
- Faszination Fankurve, Brühl Germany: Awareness-Konzept der Südkurve München. Abgerufen am 9. Februar 2023.
- Awarenesskonzept Kennst du Mika? | SV Werder Bremen. Abgerufen am 9. Februar 2023 (deutsch).
- NDR: Codewort „Panama“: Team beim VfL Wolfsburg hilft in Notlagen. Abgerufen am 18. Februar 2023.
- Werner Beuschel: Kolumne Denkanstoß: Karneval voll korrekt. 17. Februar 2023, abgerufen am 18. Februar 2023.
- Roland Morgen: Karneval: Trierer Rosenmontagszug: 1250 Teilnehmer, 40.000 Euro Kosten. 17. Februar 2023, abgerufen am 18. Februar 2023.
- „Wir gehen wachsam durch die Hallen“. Abgerufen am 7. Februar 2023.
- #rp22 – Alles, was ihr wissen müsst! | republica. Abgerufen am 6. Februar 2023.
- Sexuelle Übergriffe: Festivals setzen auf Schutzkonzepte. 5. September 2022, archiviert vom (nicht mehr online verfügbar); abgerufen am 8. Februar 2023.
- Rammstein im Berliner Olympiastadion: die Funktion des Awareness-Teams erklärt. 13. Juli 2023, abgerufen am 20. Juli 2023 (deutsch).
- Tanya Falenczyk, Helene Flachsenberg: Wie wir und heute näher kommen, aus SPIEGEL Start 3/2023, online 13. Juni 2023
- wien ORF at red: Awareness-Teams berieten 18.000 Personen. 20. September 2022, abgerufen am 11. Februar 2023.
- Martin Burkhalter: «Die Gesellschaft ist leider nun mal sexistisch und rassistisch», Der Bund, 19. Juli 2023
- Sibylle Egloff Francisco: Bei Diskriminierung und sexualisierter Gewalt – hier gibt es an der Badenfahrt Hilfe, Luzerner Zeitung, 28. August 2023
- Maser/Neckel. S. 300
- Thomas Thiel: Awareness-Team in der Kritik. Pures Gefühl darf niemals siegen, FAZ.net, 19. August 2023
- „Code of Conduct“ der Buchmesse – Schaden für die literarische Kultur | Cicero Online. Abgerufen am 30. Oktober 2023.
- Jocelyne Iten: Jetzt wird auch das Nachtleben politisch korrekt. Abgerufen am 20. Februar 2023.
- Awareness-Teams in Clubs und bei Konzerten: Das Ende des Flirts? – WELT. 26. September 2023, abgerufen am 26. September 2023.
- Caspar Shaller: Nach Vorwürfen gegen Till Lindemann: Staatlich verordnete Achtsamkeit. In: Die Tageszeitung: taz. 7. Juni 2023, ISSN 0931-9085 (taz.de [abgerufen am 2. Juli 2023]).