Autoerotischer Unfall
Ein autoerotischer Unfall ist ein Vorgang, bei dem sich ein Mensch bei der Masturbation oder einer anderen autoerotischen Betätigung unabsichtlich eine erhebliche Verletzung zufügt. Im Falle einer tödlichen Verletzung verwendet man den Begriff autoerotischer Selbsttötungsunfall.
Vorkommen
Überwiegend kommt es bei autoerotischen Betätigungen zu leichten oder schwereren Verletzungen, die statistisch nicht erfasst werden. Betroffen sind überwiegend Männer. Da viele Patienten den tatsächlichen Unfallhergang aus Scham dem Arzt gegenüber verschweigen, liegen genaue Zahlen über die Häufigkeit nicht vor. Desgleichen werden autoerotische Selbsttötungsunfälle häufig nicht als solche erkannt und untersucht. In Deutschland sterben jedes Jahr geschätzt mindestens 100 Menschen daran. Andere Schätzungen gehen von einem bis zwei tödlichen Unfällen im Zusammenhang mit der Selbstbefriedigung pro einer Million Personen und Jahr aus.[1]
Arten
Autoerotische Unfälle lassen sich grob in folgende Kategorien einteilen:
- Penisverletzungen durch Masturbation unter Zuhilfenahme von Gegenständen
- Einführen und Verschwinden von Gegenständen in Körperöffnungen, etwa „Harnröhrenstimulation“ oder Fremdkörper in Anus und Rektum oder Fremdkörper in der Vagina
- Unfälle bei (auto)erotischer Betätigung, die Lustschmerz, erotische Elektrostimulation, Bondage oder erotische Asphyxiation (Strangulation) enthalten.
Erhebliches Gefahrenpotential bilden Praktiken der Selbstbefriedigung, die auf unterschiedliche Weise eine Begrenzung oder Unterbrechung der Sauerstoffzufuhr zum Gehirn bewirken und dadurch sexuelles Empfinden intensivieren sollen (Asphyxiophilie oder Hypoxyphilie); ebenso die Anbringung von mechanischen, chemischen (z. B. Capsaicin) und/oder elektrischen Reizquellen an erogenen Zonen und Genitalien, aber auch unterschiedlichste Formen der Strangulation oder Abschnürung von Körperteilen und Genitalien. Bei vielen dieser Techniken kommt es häufiger auch trotz vorher durchgeführter Sicherheitsmaßnahmen zu schweren bis tödlichen Verletzungen bei der Selbstbefriedigung.
Erforschung
Schon um 1900 wurden einzelne kuriose Auffindesituationen bei Todesfällen mit offenbar autoerotischem Hintergrund in Aufsätzen beschrieben, doch erst in den 1960er Jahren wurden autoerotische Unfälle systematisch erforscht und Dissertationen und Zeitschriftenaufsätze hierzu veröffentlicht. Besondere öffentliche Aufmerksamkeit erregte eine 1978 verfasste Dissertation über Staubsauger-Unfälle.[3]
Die Wirkungsweise der Hypoxyphilie ist nicht genau geklärt. Arbeitshypothese ist: Sauerstoffmangel löse im Gehirn eine narkotische und gleichzeitig euphorisierende Wirkung aus. Bei gleichzeitigem Orgasmus könnte ein Dopaminschub ausgelöst werden, der den Orgasmus intensiver mache. Diese Kombination soll einen Rausch erzeugen, der einem Drogentrip ähnele.
Forensische Probleme
Auch ohne Verschleierungsversuche von Hinterbliebenen besteht die Schwierigkeit, einen tödlichen autoerotischen Unfall von einem allgemeinen Unfall, einem Sexualdelikt oder von einem Suizid zu unterscheiden. Indizien für einen autoerotischen Hintergrund bei einem Leichenfund können beispielsweise sein: die Entblößung von Genitalien, das Vorhandensein von Knebelungen, Schnürungen, Fesselungen von Körperteilen, angelegte elektrische Kabel am Körper, aufgestellte Spiegel zur Selbstbetrachtung, pornografische oder Aktdarstellungen am Fundort, bei männlichen Opfern auch Damenkleidung in unmittelbarer Nähe oder in angelegter Form.
Rechtliche Probleme
Wenn Betroffene versuchen, die Ursache ihrer Verletzungen zu verschleiern, kommt es gelegentlich zu Problemen mit der Krankenversicherung. Durch Rekonstruktion des Hergangs durch rechtsmedizinische Sachverständige muss dann geklärt werden, ob es sich um einen häuslichen Unfall oder einen Eingriff handelt, den der Versicherte an seinem Körper vorgenommen hat.[4]
Ein autoerotischer Selbsttötungsunfall zählt in Deutschland nicht als Unfall im Sinne der Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen und führt von daher nicht zu einer Leistungspflicht der Unfallversicherung.[5]
Prominente Todesfälle durch autoerotische Unfälle
- David Carradine, US-amerikanischer Schauspieler, gestorben 2009 durch missglückte Atemkontrolle
- Kevin Gilbert, US-amerikanischer Musiker, gestorben 1996, ebenfalls durch autoerotische Asphyxiophilie
- Stephen Milligan, britischer Journalist und konservativer Politiker, gestorben 1994, autoerotische Asphyxiophilie mit Bondage[6]
- Vaughn Bodē, US-amerikanischer Comiczeichner und Autor, starb 1975 an einem autoerotischen Selbsttötungsunfall
- Albert Dekker, US-amerikanischer Film- und Theaterschauspieler, gestorben 1968, autoerotische Asphyxiophilie mit Bondage[7]
- František Kočvara, tschechischer Komponist und Geiger, starb 1791, einer der ersten bekannten Todesfälle durch autoerotische Atemkontrolle[8]
Michael Hutchence, australischer Musiker, starb 1997 durch Strangulation. Der Gerichtsmediziner befand auf Tod durch Suizid.[9] Hutchences hinterbliebene Lebensgefährtin Paula Yates behauptete demgegenüber in einem Interview von 1999 einen autoerotischen Strangulationsunfall als Todesursache.[10]
Literatur
- A. Sauvageau und S. Racette: Autoerotic deaths in the literature from 1954 to 2004: a review. In: J Forensic Sci 51, 2006, S. 140–146. PMID 16423241.
- Werner Kammer, Klinik der Penisverletzungen unter Berücksichtigung des masturbatorischen Aspektes, Dissertation an der Universität München, 1971 DNB 730567125.
- Hans Krings, Autoerotische Unfälle, Dissertation an der Universität Köln, 1973 DNB 751098361.
- Sandra Kuhn: Autoerotische Todesfälle in Hamburg und München 1983–2002. Dissertation, Hamburg, 2009
- Peter Schwab, Todesfälle durch Strangulation und Rückatmung bei autoerotischer Betätigung, Dissertation an der Universität Düsseldorf, 1975
- Werner Naeve, Sigrid Wittram, Tödliche autoerotische Unfälle. Die versicherungsmedizinische Untersuchung und Begutachtung von Todesfällen in „autoerotischer Fundsituation“, Versicherungswirtschaft, Karlsruhe 1977, DNB 780057570 (basierend auf der Dissertation von S. Wittram an der Universität Hamburg 1975).
- Theimuras Michael Alschibaja: Penisverletzungen bei Masturbation mit Staubsaugern. Dissertation an der TU München 1978 DNB 810005093.
- Atlas der gerichtlichen Medizin. herausgegeben von Waldemar Weimann, Otto Prokop und Georg Radam, 2. Auflage, Karger, Basel 1987, ISBN 3-8055-4144-9, S. 581–605.
- Zahlreiche Artikel in der Zeitschrift Archiv für Kriminologie (Band/Seite): 125/164, 129/16/71, 131/166, 133/142, 135/16, 136/22, 137/17, 142/133, 148/106, 163/25, 171/19, 188/20, 192/17, 199/27, 200/65, 207/148, 212/176 usw.
Weblinks
Einzelnachweise
- Vgl. Klaus M. Beier (Hrsg.), Sexualmedizin. Grundlagen und Praxis, 2. Aufl. 2005, S. 489
- G. M. Pinggera u. a.: Penile strangulation in a patient with Parkinson's disease: a case report. In: Cases Journal 2, 2009,9379 doi:10.1186/1757-1626-2-9379
- T. M. Alschibaja: Penisverletzungen bei Masturbation mit Staubsaugern (PDF-Datei; 993 kB)
- J. Falk, T. Riepert, M. Rothschild: Traumatische Teilamputation des Penis – zur Rekonstruktion eines Unfallgeschehens. In: Versicherungsmedizin 57.2005,1, S. 17–19. PMID 15759810
- LG Heidelberg, Urteil vom 14. Dezember 1995, Az. 1 O 187/95
- 1994: Police probe MP's suspicious death (auf Englisch) BBC News, abgerufen am 21. April 2021.
- Rest in Peculiarity: 12 Unusual Deaths in the 20th Century (auf Englisch) History Collection, abgerufen am 21. April 2021.
- Deadly Euphoria: A Short History of Erotic Asphyxiation in England (auf Englisch) Autorin: Jessica Cale, abgerufen am 21. April 2021.
- Michael Hutchence death explained: the Coroner's account in his own words. Herald Sun (Australien), 4. Januar 2014. Abgerufen am 23. Januar 2023
- Paula challenges Hutchence Verdict, veröffentlicht: 10. August 1999 (auf Englisch) BBC News, abgerufen am 21. April 2021.