Aufstocker

Aufstocker sind in der Terminologie der Bundesagentur für Arbeit Personen, die Leistungen nach dem SGB II ergänzend zum Arbeitslosengeld (Arbeitslosengeld I) erhalten.[1] Dies kann der Fall sein, wenn die Ansprüche auf Arbeitslosengeld I zu gering sind, um das Existenzminimum zu decken. In der Umgangssprache in Deutschland ist Aufstocker ein Begriff für Personen, die mit ihrer Beschäftigung ein so geringes Einkommen erzielen, dass sie ergänzend finanzielle Leistungen vom Jobcenter erhalten.[2] Die Arbeitsmarktstatistik spricht hier jedoch offiziell von „erwerbstätigen Arbeitslosengeld II-Beziehern“ oder „Ergänzern“.[3]

Leistungsarten

Aufgestockt werden kann jede Art von Einkommen: Es kann sich um Arbeitseinkommen aus einem Beschäftigungsverhältnis, um Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit oder um Sozialleistungen (Arbeitslosengeld, Krankengeld, Verletztengeld, Übergangsgeld, Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung) handeln.

Anspruch auf Grundsicherungsleistungen

Erwerbsfähige haben Anspruch auf Arbeitslosengeld II (Regelbedarf, Bedarfe für Unterkunft und Heizung, eventuelle Mehrbedarfe) ergänzend zu ihrem Einkommen, wenn ihr anrechenbares Einkommen nicht ausreicht, um davon die genannten Bedarfe zu decken und wenn auch kein oder kein ausreichendes einzusetzendes Vermögen vorhanden ist.

Das Einkommen wird nach bestimmten Regeln „angerechnet“ (§ 11 SGB II in Verbindung mit der Alg-II-Verordnung). Es werden bestimmte Beträge abgesetzt (Absetzbeträge nach § 11b SGB II). Wegen der Freibeträge nach § 11b Abs. 2 und Abs. 3 SGB II liegen die Einnahmen eines erwerbstätigen Aufstockers insgesamt über den Leistungen zur Grundsicherung. Hierdurch soll ein Anreiz für die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit gesetzt werden.

Anspruch auf Arbeitsförderungsleistungen

Aufstocker haben außerdem Anspruch auf aktive Arbeitsförderung oder Eingliederungsleistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch.

Erwerbstätige Leistungsbezieher in der Sozialstatistik

Im November 2012 gab es bzgl. des Arbeitslosengelds II

  • 4,334 Mio. Personen erwerbsfähige Leistungsberechtigter, davon waren
  • 1,310 Mio. Personen bzw. 30 % erwerbstätig (auf Kreisebene zwischen 21 % und 43 %), davon waren
  • 1,196 Mio. Personen bzw. 91 % abhängig erwerbstätig (auf Kreisebene zwischen 84 % und 99 %, die anderen selbständig), davon hatten
  • 0,329 Mio. Personen bzw. 28 % ein Einkommen oberhalb von 800 Euro (auf Kreisebene zwischen 17 % und 44 %).[4]

Demzufolge sind etwa 9 % der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten abhängig erwerbstätig beschäftigt mit einem Einkommen oberhalb von 800 Euro.

Die Anzahl der Bedarfsgemeinschaften, in denen mindestens ein sozialversicherungspflichtig vollzeit Beschäftigter Leistungsberechtigter lebt, lag

  • 2007 bei 382.000 Bedarfsgemeinschaften,
  • 2008 bei 377.000 Bedarfsgemeinschaften,
  • 2009 bei 332.000 Bedarfsgemeinschaften,
  • 2010 bei 334.000 Bedarfsgemeinschaften,
  • 2011 bei 327.000 Bedarfsgemeinschaften.[5]
JahrErwerbstätige
ALGII-Bezieher
Anteil aller
ALGII-Bezieher
davon
sozial-
versicherungs-
pflichtig
Anteil aller
sozial-
versicherungs-
pflichtig
Beschäftigten
davon
in Vollzeit
davon
alleinlebend
Quelle
Juni 20053,3 %

[6][7]

20071.219.98123,1 %2,6 %[6][8][9]
20081.321.671[8]
20091.324.8095,1 %[6][8]
20101.404.18828,3 %331.000[8][9]
20111.400.0002,5 %329.00079.500[10]
Dezember 20111.355.00030,0 %[6]
Juli 20121.320.000557.000350.000[11]
Juni 20131.300.000218.00047.000[12]
Juni 2021868.00023,0 %455.000107.000[13]
Juni 2023779.00020,0 %380.00083.000[14]

Im Juni 2010 gab es knapp über 1,4 Millionen Aufstocker in Deutschland.

Bei Einführung des neuen Grundsicherungsrechts gab es im Jahresdurchschnitt 2005 insgesamt 4,89 Mio. Bezieher von Arbeitslosengeld II. Davon waren 2,77 Mio. arbeitslos gemeldet. Die übrigen 2,12 Mio. Leistungsbezieher waren „vor allem Personen, die noch die Schule besuchen, die Arbeitslosengeld II als aufstockende Hilfe ergänzend zum Lohn aus einem Beschäftigungsverhältnis bekommen, Personen, die an einer Qualifizierungsmaßnahme teilnehmen oder wegen besonderer Umstände dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen.“[15]

2007 waren 1,22 Mio. Aufstocker (23,1 Prozent der Leistungsempfänger).[16] Bis Juni 2010 hat sich der Anteil auf 28,3 Prozent erhöht (= rund 1,4 Millionen). Den größten Anteil von Aufstockern gab es im Juni 2010 mit 32,6 Prozent in Sachsen-Anhalt.[8] Bundesweit lag dieser Anteil 2013 bei 29,6 Prozent.[17]

Einer Studie des DGB zufolge, ist der Anteil der Aufstocker an den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten vom Juni 2005 bis September 2009 in den neuen Bundesländern von 3,3 auf 5,1 Prozent angestiegen.[6] In den westlichen Bundesländern sei der Anteil im selben Zeitraum von 1,1 auf 2 Prozent gestiegen.[6] Die höchste Quote sei demnach in Berlin mit 6,5 Prozent Aufstockern festzustellen gewesen.[6] Der Übergang in eine besser bezahlte Tätigkeit gelinge nur sehr selten; insoweit gebe es keine Veränderungen gegenüber der Zeit vor der Einführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende.[6] Es dominierten kurzfristige prekäre Beschäftigungen in Leiharbeit.[6] 39,2 Prozent der ostdeutschen Aufstocker (29,5 Prozent der westdeutschen) verdienten unter 5 Euro in der Stunde, 37,3 Prozent (im Westen: 28,3 Prozent) unter 7,50 Euro.[6] Das Armutsrisiko liege mit 14,3 Prozent doppelt so hoch wie bei der übrigen sozialversicherungspflichtig beschäftigten Bevölkerung.[6]

Im Jahr 2011 seien an mehr als 1,21 Millionen Bedarfsgemeinschaften mit Aufstockern durchschnittlich 737 Euro je Monat gezahlt worden.[18]

Problematik der steigenden Aufstockerzahl

Unter anderem wegen der starken Zunahme der Aufstocker unter den Erwerbstätigen wurde in neuerer Zeit zunehmend die Einführung eines Mindestlohns gefordert, der zum 1. Januar 2015 per Mindestlohngesetz eingeführt worden ist. Trotzdem gab es 2020 noch 1 Mio. Aufstocker.[19] Außerdem gab es Forderungen nach Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens, was jedoch sozial- und wirtschaftspolitisch umstritten ist. Der DGB hat sich dagegen ausgesprochen, den Selbstbehalt für hinzuverdienende Empfänger von Grundsicherungsleistungen anzuheben, weil damit ein Anreiz für Arbeitgeber verbunden sein könnte, Löhne noch weiter zu senken.[6]

Heike Göbel wies in der FAZ darauf hin, dass Aufstocken zwar Menschen helfe, „Chancen auf eine bessere Arbeit zu wahren. Es bietet Unternehmen aber auch Anreiz, sich mit subventionierter Beschäftigung einzurichten und den Staat auszubeuten.“[20]

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Bundesagentur für Arbeit (Hrsg.): Zweites Buch Sozialgesetzbuch – SGB II. Fachliche Weisungen§ 7 SGB II Leistungsberechtigte. 10. August 2016, S. 31 / 7.78 (arbeitsagentur.de [PDF; 327 kB; abgerufen am 29. Januar 2017]).
  2. Aufstocker. Eintrag im Gründerszene Lexikon, abgerufen am 8. April 2018.
  3. Christian Thomann-Busse: Wenn der Lohn einfach nicht reicht. In: ZDF. 29. März 2018, archiviert vom Original am 13. Juni 2018;.
  4. Bundesagentur für Arbeit: Tabellenanhang zu Geldleistungen an Bedarfsgemeinschaften mit Einkommen aus Erwerbstätigkeit. (MS Excel; 749 kB) Ehemals im Original (nicht mehr online verfügbar); abgerufen am 17. Januar 2019.@1@2Vorlage:Toter Link/www.statistik.arbeitsagentur.de (Seite nicht mehr abrufbar. Suche in Webarchiven)
    Tabellenblatt 4. Erwerbstätige Arbeitslosengeld II-Bezieher nach Art der Erwerbstätigkeit und Höhe des Bruttoeinkommens
  5. Bundesagentur für Arbeit: Tabellenanhang zu Geldleistungen an Bedarfsgemeinschaften mit Einkommen aus Erwerbstätigkeit. (MS Excel; 749 kB) Ehemals im Original (nicht mehr online verfügbar); abgerufen am 17. Januar 2019.@1@2Vorlage:Toter Link/www.statistik.arbeitsagentur.de (Seite nicht mehr abrufbar. Suche in Webarchiven)
    Tabellenblatt 10. Bedarfsgemeinschaften (BG) mit erwerbstätigen ALGII-Beziehern: Bestand und Zahlungsansprüche auf Leistungen nach Beschäftigungsformen
  6. Leipziger Volkszeitung: DGB-Studie: Mehr Hartz-IV-Aufstocker trotz Aufschwung – Osten besonders betroffen (Memento vom 30. September 2010 im Internet Archive)
  7. Arm trotz Arbeit. focus.de, 8. Juli 2010
  8. Datensammlung Erwerbstätigkeit und Leistungsbezug nach dem SGB II, 2007 - 2010 (PDF; 202 kB), Sozialpolitik aktuell, Universität Duisburg-Essen
  9. Immer mehr Menschen gehen trotz Arbeit zum Amt. In: Die Welt. 24. Juni 2012. Abgerufen am 24. Juni 2012.
  10. Sascha-Pascal Schimmel: Nur 30 Prozent der ALG II-Bezieher arbeiten. In: FOCUS-Online. 28. Februar 2013, abgerufen am 20. April 2013.
  11. Arm trotz Arbeit: Aufstocker sind wesentlicher Teil des Hartz IV-Systems. 16. November 2012, abgerufen am 20. April 2013.
  12. Statistikbereinigung: Rund ein Drittel weniger Hartz-IV-Aufstocker in Vollzeit. 31. Januar 2014, abgerufen am 26. Februar 2022.
  13. Monatsbericht zum Arbeits- und Ausbildungsmarkt. Abgerufen am 25. Februar 2022.
  14. Monatsbericht zum Arbeits- und Ausbildungsmarkt. Abgerufen am 4. November 2023.
  15. Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Datenreport 2006 (Memento vom 20. September 2008 im Internet Archive; PDF; 470 KB), S. 105.
  16. @1@2Vorlage:Toter Link/www.arbeitsagentur.deSGB II Halberstadt: Eingliederungsbilanz 2007. Halberstadt, 30. Juni 2009, Seite 4; dort als „Ergänzer“ aufgeführt (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im Januar 2017. Suche in Webarchiven) - Es findet sich aber auch der Begriff „Aufstocker“ für erwerbstätige Leistungsempfänger in der Statistik, siehe: BMAS. @1@2Vorlage:Toter Link/www.bmas.deBericht der „Arbeitsgruppe Arbeitsmarkt“ (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im Januar 2017. Suche in Webarchiven). Berlin, den 26. April 2007
  17. Sozialpolitik aktuell, Universität Duisburg-Essen
  18. Hartz-IV-Gesetze. Mehr als 70 Milliarden Euro für Aufstocker (Memento vom 23. Dezember 2012 im Internet Archive). In: Tagesschau.de. 22. Dezember 2012. Abgerufen am 22. Dezember 2012.
  19. Mindestlohn: Eine Million Menschen müssen ihren Lohn "aufstocken", zeit.de, 12. Jul 2020
  20. Heike Göbel: Der politische Lohn, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2. November 2011

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