Atlantropa

Atlantropa ist die Bezeichnung eines monumentalen Staudamm-Projektes in der Straße von Gibraltar und bei den Dardanellen, das der deutsche Architekt Herman Sörgel ab 1928 bis zu seinem Unfalltod im Jahre 1952 geplant und bekannt gemacht hat.

Übersichtskarte der Wasserkraft- und Landgewinnungsprojekte Atlantropas
Design-Skizze des Hochhauses über der Gibraltardamm-Schleuse (Peter Behrens)
Das Mittelmeer zur Zeit der letzten Kaltzeit, zugleich ein Bild davon, wie es nach der Realisierung von Atlantropa aus dem Weltraum aussehen würde

Konzeption

Das Konzept basierte auf der Beobachtung, dass ständig Wasser aus dem Atlantik und dem Schwarzen Meer in das Mittelmeer strömt, da dort mehr Wasser verdunstet, als seine Zuflüsse ausgleichen. Durch einen Staudammbau sollte dieser Zufluss einerseits verringert werden, um zur Neulandgewinnung den Meeresspiegel abzusenken, andererseits sollte der Restzufluss zur Stromerzeugung mittels Wasserkraft genutzt werden.

Anfang der 1920er Jahre begann Sörgel zusammen mit dem Schweizer Ingenieur Bruno Siegwart die Planung des Staudamms Atlantropa an der Meerenge von Gibraltar. Sie entschieden sich bei den Planungen nicht für die schmalste Stelle, sondern für die circa 20 Kilometer westlich davon gelegene flachste. Nach Sörgels Aufzeichnungen sollte allein das Fundament 2,5 Kilometer breit und bis zu 300 Meter hoch sein. Die Bauzeit wurde mit zehn Jahren veranschlagt. In vier Schichten sollten je 200.000 Arbeiter eingesetzt werden. Ungeklärt blieben die logistischen Probleme bei der Baumaterialbeschaffung und dem Arbeitertransport.

Das Projekt lief ursprünglich unter dem Namen „Panropa“.[1] Die Änderung in Atlantropa sollte den Unterschied zu einer anderen Interessengruppe, der Paneuropa-Bewegung deutlich machen, in der Sörgel allerdings einen Bruder und Bundesgenossen sah.[2]

Gestaltung

Der Name des Projektes steht auch für das visionäre Ziel des Projektes, einen durchgängigen Kontinent aus dem heutigen Europa und Afrika, verbunden über ein weitgehend trockengelegtes Mittelmeer, zu bilden. Sörgel plante zwei Absenkungsgebiete ein. So sollte eine Landbrücke Sizilien, das heutige Italien und Nordafrika, genauer Tunesien miteinander verbinden. Damit sollte eine durchgehende Eisenbahnverbindung zwischen Berlin, Rom und Kapstadt ermöglicht werden.

Im dergestalt zweigeteilten Mittelmeer hätte in der Endausbaustufe der Wasserstand im westlichen Teil um bis zu 100 Meter abgesenkt werden sollen, im östlichen Teil um 200 Meter. Die Wasserfläche des Mittelmeeres wäre um 20 Prozent geschrumpft und 500.000 km² Neuland wären gewonnen worden; eine Fläche etwa in der Größe Spaniens.

Für Venedig plante Sörgel in seinem Projekt einen Staudamm und einen künstlichen See, der die venezianische Lagune vor dem „Austrocknen“ bewahren sollte. Der Staudamm in einer Entfernung von etwa 30 km sollte vom Campanile nicht mehr sichtbar sein, sodass der ursprüngliche Charakter Venedigs erhalten geblieben wäre.[3]

Ebenfalls sollte das Projekt auch die Bewässerung der Sahara und nach späteren Plänen auch des Kongobeckens beinhalten. Mit Erweiterung des Tschadsees sollte so eine Art „zweiter Nil“ entstehen.[4]

Ziele

Das Projekt sollte mehrere Probleme gleichzeitig lösen. Es sollte wertvolles Neuland gewinnen, Lebensraum und Arbeitsplätze schaffen und elektrische Energie für ganz Europa liefern. Nicht zuletzt sollten durch dieses kolonisatorische, über mehrere Generationen laufende Großprojekt die Schaffenskräfte der europäischen Völker positiv gebündelt und dadurch neuerliche kriegerische Auseinandersetzungen in Europa vermieden werden. 1940 wurde nach langer Planung der Verein „Atlantropa-Institut“ gegründet, der auch nach dem Tod von Sörgel bis 1960 betrieben wurde und versuchte, Geld für die Realisierung des Projektes aufzutreiben. Das Institut wurde sechs Jahre nach dem Tod Sörgels aufgelöst.[4]

Erdgeschichtlicher Hintergrund

Mittlerweile hat man herausgefunden, dass zur Zeit der Messinischen Salinitätskrise vor einigen Millionen Jahren die Meerenge von Gibraltar auf natürliche Weise verschlossen war, was tatsächlich zum starken Absinken des Wasserspiegels im heutigen Mittelmeergebiet führte.

Fehlschlag

In den 1920er Jahren war Afrika fast völlig von europäischen Kolonialmächten beherrscht, sodass man aus heutiger Sicht Sörgels Atlantropa-Projekt als kolonialistisch bewertet. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 versuchte Sörgel Atlantropa mit dem neuen Regime weiterzuführen. Er argumentierte dann sogar mit dem für die „HerrenrasseLebensraum schaffenden Projekt und mit Verweis auf die Erweiterung der Achse Berlin-Rom zu einer Achse Berlin-Rom-Kapstadt. Doch das Nazi-Regime lehnte Atlantropa als zu pazifistisch ab. Stattdessen wurde ein Propagandafilm gegen das Projekt veröffentlicht und Sörgel in den 1940er Jahren mit einem Publikationsverbot belegt.[4]

Vorteile

Der Vorteil des Projekts wären neben der Landgewinnung eine größere Unabhängigkeit der europäischen Energieversorgung und der niedrigere Verbrauch von fossilen Energieträgern zur Erzeugung elektrischer Energie gewesen. Hinzugekommen wären die wirtschaftliche Integration und ein industrieller Aufbau von Nordafrika.

Nachteile

Geologisch betrachtet wäre der Damm neben den Gefahren der Plattentektonik einer erhöhten Gefährdung durch Tsunamis ausgesetzt gewesen. Eine Auswirkung der immensen Druckveränderung auf die vulkanisch und seismisch aktiven Zonen etwa in Italien, Griechenland oder der Türkei ist kaum abschätzbar, induzierte Seismizität ist schon von weit kleineren Eingriffen in die Erdoberfläche bekannt. Durch die Versteppung der Randzonen des Mittelmeers hätten sich die Niederschläge in Nordafrika verringert und damit auch die Ernteerträge.

Zusätzlich wären schwere ökologische Folgen (Vernichtung des Lebensraumes tausender Arten) zu erwarten, insbesondere durch den ansteigenden Salzgehalt des Restmeeres. Zudem dürfte der Einfluss auf das Klima in der Mittelmeerregion nur äußerst schwer abzuschätzen sein.

Auch die politischen Folgen wären nicht absehbar gewesen, da sich die Grenzen aller Mittelmeeranrainer verschoben hätten.

Das Projekt hätte Auswirkungen auf den internationalen Warenhandel durch Schiffsverkehr gehabt, da er durch eine Vielzahl von Schleusen eingeschränkt und beeinträchtigt worden wäre. Praktisch alle existierenden Häfen im Mittelmeer wären trocken gelegen und hätten neu angelegt werden müssen.

Durch das Umverteilen des Wassers aus dem Mittelmeerraum auf die Weltmeere würde der Meeresspiegel weltweit um etwa einen Meter steigen, und dies würde eventuell auch den Golfstrom beeinflussen.[4]

Literatur

Sörgels Schriften zu Atlantropa

  • Mittelmeer-Senkung. Sahara-Bewässerung. (Atlantropa-Projekt) = Lowering the Mediterranean, irrigating the Sahara. Leipzig: Gebhardt 1929.
  • Europa-Afrika: ein Weltteil (online)/ Herman Sörgel. – [Electronic ed.]. In: Sozialistische Monatshefte. – 37(1931), H. 10, S. 983–987.
  • Atlantropa. Zürich: Fretz & Wasmuth 1932, XII.
  • Die drei großen „A“. Großdeutschland und italienisches Imperium, die Pfeiler Atlantropas. [Amerika, Atlantropa, Asien]. München: Piloty & Loehle 1938, XII.
  • Atlantropa-ABC: Kraft, Raum, Brot. Erläuterungen zum Atlantropa-Projekt. Leipzig: Arnd 1942.
  • Atlantropa. Wesenszüge eines Projekts. Vorwort von John Knittel. Stuttgart: Behrendt 1948.

Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2006

Weitere Autoren

  • Dirk van Laak: Weiße Elefanten. Anspruch und Scheitern technischer Großprojekte. DVA, Stuttgart 1999, (Besprechung der NZZ, PDF-Datei, 4 S.)
  • Wolfgang Voigt: Atlantropa: Weltbauen am Mittelmeer. Ein Architektentraum der Moderne. Dölling und Galitz, Hamburg 1998, ISBN 3-933374-05-7.
  • Alexander Gall: Das Atlantropa-Projekt: die Geschichte einer gescheiterten Vision. Herman Sörgel und die Absenkung des Mittelmeers. Campus, Frankfurt a. M. 1998, ISBN 3-593-35988-X.
  • Alexander Gall: Atlantropa: A Technological Vision of a United Europe. In: Erik van der Vleuten, Arne Kaijser (Hrsg.): Networking Europe. Transnational Infrastructures and the Shaping of Europe, 1850–2000. Science History Publications, Sagamore Beach 2006, ISBN 0-88135-394-9, S. 99–128.
  • Oliver Köller: Herman Sörgels „Atlantropa“ zwischen Technokratie und politischer Utopie. Grin-Verlag, München, 2018, ISBN 978-3-668-80516-3.
  • Ulrich Blode: Gibraltardamm und Mittelmeersenkung. In: Walter Delabar, Frauke Schlieckau (Hrsg.): Bluescreen. Visionen, Träume, Albträume und Reflexionen des Phantastischen und Utopischen. Aisthesis Verlag, Bielefeld 2010, ISBN 978-3-89528-769-5, S. 87–97.

Film

In der Fiktion

Das Atlantropa-Projekt wurde in mehreren fiktiven Werken als verwirklichter Plan und als Inspiration für ähnliche Projekte genutzt. In Philip K. Dicks Roman Das Orakel vom Berge hat der fiktive Reichskanzler Martin Bormann das Mittelmeer zu weiten Teilen trockenlegen lassen, um neues Land zu schaffen. In der Serien-Adaption des Philip-K.-Dick-Werkes wird dieser Plan gerade vorbereitet und mit einem Modell und einer Konzeptskizze präsentiert – und zwar unter dem Namen Atlantropa, Sörgel wird dabei nicht erwähnt.

Im ersten Teil des Rama-Zyklus von Arthur C. Clarke wird angesprochen, dass das Mittelmeer unter großen technischen Mühen abgesenkt worden war – unter anderem, um immense archäologische Ausgrabungen zu ermöglichen.

Ein weiterer Roman ist Projekt Atlantropa von J. E. Wells (Pseudonym von Eberhard Seitz) aus dem Jahre 1956.

Das jahrzehntelange Bemühen Herman Sörgels und seiner Frau Irene, Unterstützung für die Schaffung Atlantropas zu finden, behandelt der 2021 erschienene Roman Der kühnste Plan seit Menschengedenken von Matthias Lohre.[5]

Commons: Atlantropa – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Hanns Günther (Walter de Haas): In hundert Jahren. Kosmos, 1931.
  2. Sylvia Huber: Atlantropa. Das Mittelmeer – wegen Umbaus geschlossen. In: forum. Magazin Technisches Museum Wien. ZDB-ID 2056697-9. Heft 3/2017 S. 5–7.
  3. Huber, Atlantropa, S. 7.
  4. Michael Förtsch: Atlantropa: Als ein Münchner Architekt das Mittelmeer trocken legen wollte. In: 1E9 Community. 1E9 Team, 14. Februar 2020, abgerufen am 24. Februar 2020.
  5. Der kühnste Plan seit Menschengedenken – Wagenbach Verlag. Abgerufen am 10. Juni 2021.. ISBN 978-3-8031-3336-6.
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