Ardez

Ardez ([ɐrˈdɛts]; deutsch veraltet: Steinsberg) ist ein Dorf der Gemeinde Scuol im Kreis Sur Tasna im Bezirk Inn des Schweizer Kantons Graubünden.

Ardez
Wappen von Ardez
Wappen von Ardez
Staat: Schweiz Schweiz
Kanton: Kanton Graubünden Graubünden (GR)
Region: Engiadina Bassa/Val Müstair
Politische Gemeinde: Scuoli2
Postleitzahl: 7546
frühere BFS-Nr.: 3741
Koordinaten:810857 / 184136
Höhe: 1467 m ü. M.
Fläche: 61,32 km²
Einwohner: 427 (31. Dezember 2014)
Einwohnerdichte: 7 Einw. pro km²
Website: www.ardez.ch
Ardez
Ardez

Ardez

Karte
Ardez (Schweiz)
Ardez (Schweiz)
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Bis zum 31. Dezember 2014 war Ardez eine eigenständige politische Gemeinde. Am 1. Januar 2015 wurde Ardez mit den vier Gemeinden Ftan, Guarda, Sent und Tarasp in die Gemeinde Scuol eingegliedert.[1]

Seit 2021 ist Ardez gemeinsam mit den Dörfern Guarda und Lavin Teil der der internationalen Alpenvereinsinitiative Bergsteigerdörfer.

Wappen

Blasonierung: Geteilt von Silber (Weiss) und Schwarz, in Silber ein halber schwarzer, rot bewehrter Steinbock, in Schwarz ein silbernes Tatzenkreuz

Wappenbild nach einem Siegel des 19. Jahrhunderts.

Geographie

Historisches Luftbild von Walter Mittelholzer von 1925
Ardez, historisches Luftbild von Werner Friedli (1947)
Gemeindestand vor der Fusion am 1. Januar 2015

Ardez liegt auf der linken Talseite des Unterengadin über dem Inn. Zu Ardez gehören die Fraktionen Sur En (rechte Talseite) und Bos-cha (zwischen Ardez und Guarda). Das ehemalige Gemeindegebiet erstreckt sich von der österreichischen Grenze im Norden (Gemsspitze, Hintere Jamspitze) bis zur Nationalparkgrenze im Süden (Piz Sampuoir). Der höchste Punkt der ehemaligen Gemeinde ist der Piz Plavna Dadaint (3166 m). Zu Gebiet von Ardez gehören die südlich des Inn gelegenen Seitentäler Val Nuna und Val Sampuoir und auf der nördlichen Talseite die Val Tasna. Die Nachbargemeinden sind Zernez und das österreichische Galtür. Der Ardezer Boden reichte noch um 1900 bis ins Montafon (Vorarlberg) und ins Paznaun (Tirol).

Geologie

Die Ardezer Landschaft liegt eingebettet zwischen den Kristallinmassen der Silvretta und den Unterengadiner Dolomiten. Hier grenzen Kristallin- und Kalk-/ Schiefergebiete aneinander. Die hügelige Terrasse östlich der Burg Steinsberg besteht vorwiegend aus Tasna-Altkristallin. Darüber liegen Triasdolomit und die Liasgesteine der Burg Steinsberg. Westlich des Dorfes sind Sandkalke des Neokom der jüngeren Kreideniveaus (Weg nach Bos-cha) überlagert.

Bevölkerung

Die Bevölkerungsentwicklung verlief ziemlich stabil. 1780 waren es 531 Einwohner, im Jahr 1900 612. Einen Höhepunkt gab es 1910 infolge des Bahnbaus mit 1005 Einwohnern und einen Tiefstand 1980 mit 383 Einwohnern.

Sprachen

Die bündnerromanische Mundart Vallader ist bis heute die Sprache einer grossen Bevölkerungsmehrheit geblieben. Sie wird auch von der Gemeinde und der Schule unterstützt. Daher gaben 1990 85 % und 2000 gar 89 % der Einwohnerschaft an, Romanisch zu verstehen. Bis 1900 war die Gemeinde sogar fast einsprachig (1880 94 %, 1900 94 %). Dieser Anteil sank zwar seither, doch bis 1980 nur unwesentlich (1941 84 %, 1980 83 %). Seit den 1980er-Jahren ist der Anteil der Deutschsprachigen deutlich gestiegen.

Sprachen in Ardez
SprachenVolkszählung 1980Volkszählung 1990Volkszählung 2000
AnzahlAnteilAnzahlAnteilAnzahlAnteil
Deutsch5013,05 %7819,85 %8120,20 %
Rätoromanisch31682,51 %28873,28 %29673,82 %
Italienisch174,44 %266,62 %122,99 %
Einwohner383100 %393100 %401100 %

Religionen und Konfessionen

Die Ardezer Bürger traten 1538 zur protestantischen Lehre über.

Herkunft und Nationalität

Von den Ende 2005 431 Bewohnern waren 394 (= 91,42 %) Schweizer Staatsangehörige.

Geschichte

Prähistorische Funde gab es bei Bos-cha (Schalensteine) und bei Chanoua (Keramik der Fritzens-Sanzeno-Kultur)[2]. Suotchastè war gemäss den Ausgrabungen von der späten Bronzezeit (Laugen-Melaun-Kultur, 13. bis 6. Jahrhundert v. Chr.) bis in die jüngere Eisenzeit (Fritzens-Sanzeno, 5. bis 1. Jahrhundert v. Chr.) besiedelt. Ortsnamen und ein der Fritzens-Sanzeno-Kultur zuzuordnender Schriftfund[3] legen es nahe, die Urheber entsprechender Artefakte als Räter im Sinne antiker Quellen anzusehen. 15 v. Chr. wurden sie von den Stiefsöhnen Drusus und Tiberius des Kaisers Augustus unterworfen und im 1. Jahrhundert n. Chr. in die römische Provinz Raetia eingegliedert. Hiervon zeugen auch römische Fundgegenstände in Ardez.

Ardez mit Ruine Steinsberg um 1870. Radierung von Heinrich Müller

Ardez wurde um das Jahr 900 erstmals im karolingischen Urbar erwähnt. Der Bau der Burg Steinsberg fällt vermutlich in die Zeit Karls des Grossen. Die Herren de Ardetz lebten nachweislich von 1161 bis 1310. 1209 erwarb der Churer Bischof Reinher von Torre die Burg. Steinsberg wurde zunächst Kirchenkastell (Luziusstein; Kirche St. Luzi auf dem Burghügel) und ab dem 12. Jahrhundert Feudalsitz. Zum Schutz von Rechten und Freiheiten gründete die Bevölkerung 1367 den Gotteshausbund in Zernez. Im Rahmen des Schwabenkrieges (Engadinerkriegs)zerstörten die Österreicher 1499 das Dorf Ardez und die Burg.

Der Übertritt zur Reformation erfolgte 1538. Zur alten Pfarrei Ardez gehörten mit Tauf- und Begräbnisrecht neben Ardez auch Guarda, Lavin, Susch sowie Galtür. Die Einwohner von Galtür begruben ihre Toten im Friedhof von Ardez. Im Winter, wenn der Futschölpass nicht begehbar war, vergruben sie die Toten im Schnee und brachten sie im Frühling nach Ardez.

Im 16. Jahrhundert wurde die Fahne des Unterengadins in Ardez aufbewahrt. Die Gemeinden besassen ein hohes Mass an Souveränität. Wenn die Herren (Magnaten) sich zu viel Macht anmassten, griffen die Bauern in den Gemeinden zu Waffe und Fahne („Fähnlilupf“), um dafür zu sorgen, dass ein Gerichtsverfahren wieder gerechte Verhältnisse herstellte.

1622 wurde das protestantische Ardez durch den katholisch-österreichischen Feldherrn Alois Baldiron dem Erdboden gleichgemacht. 1652 kauften sich die Ardezer von Österreich los. Von 1854 bis 2014 war Ardez eine politische Gemeinde.

Ardez wurde 1975 als Pilotgemeinde des Europäischen Jahres für Denkmalpflege zusammen mit Corippo, Murten und Martigny als Musterdorf mit beispielhafter Restaurierung der typischen Engadinerhäuser („Réalisation Exemplaire“) ausgewählt.

Kultur und Sehenswürdigkeiten

Das Dorf von Westen her gesehen
Dorfkern mit Ruine Steinsberg

In der Tradition der Übernamen der Engadiner Dörfer heissen die Ardezer la bescha, zu deutsch: „die Schafe“.

Am ersten Samstag im Januar wird jeweils das Fest Babania gefeiert.

  • Evangelische Kirche, 1576–1577 erbaut, Vorgängerbau im 12. Jahrhundert erstmals erwähnt
  • Reformierte Filialkirche[4]
  • Seit 1622 fast unverändertes Dorfbild mit vielen Engadiner Häusern: Haus Könz,[5] Wohnhaus Jacob Simon Könz,[6] Wohnhaus Swizer,[7] Wohnhaus mit Fassadenmalerei[8]
  • Tuor Planta-Vonzun (La Praschun = Käfigturm) 13. Jahrhundert, Wohnturm der Familie Planta und später Vonzun (im südlichen Dorfteil), zuletzt Kreisgefängnis und Hirtenunterkunft[9]
  • Ruine der Burg Steinsberg
  • Ehemaliges Von-Planta-Haus, jetzt Sitz der Stiftung Not Vital[10]
  • Foura Chagnoula, eine Höhle, die ehemals als Tierfriedhof diente
  • Ruine des Passantenhauses und Postgebäudes Chanoua am alten Verkehrsweg nach Ftan. Es wurde erstmals im 9. Jahrhundert im karolingischen Urbar als fiskalische Taberne/Taverne bei „Ardezis“ an der damaligen Verbindungsstrasse Via imperiala Como – Tirol erwähnt.
  • ehemaliger Wohnturm der Familie Scheck von Ardez
  • 2011: Bibliothek Chasa Plaz von Men Duri ArquintSchweizer Holzbaupreis[11][12][13]
  • 2012–2013: Haus Planta von Wildenberg von Men Duri ArquintAuszeichnung für gute Bauten Graubünden[14]

Wirtschaft und Infrastruktur

Im 16. Jahrhundert hatten die Ardezer ein Verteilungssystem für ihre Alpwirtschaft entwickelt, in dem sich Gruppen von benachbarten Häusern ein Maisensäss teilten. Das Dorf war in fünf Dorfteile mit Weiderechten aufgeteilt, die «vachers» genannt wurden und zu denen die fünf Maiensässe Las Teas, Craista Suterra, Val Gronda, Mundaditsch und Chöglias gehörten. Alle sieben Jahre wurde die Anzahl Alpstösse pro Quartier angepasst, um eine Überweidung zu verhindern. Alle 28 Jahre wurden die Alpen unter den Quartieren neu verteilt.[15]

2015 gab es noch dreizehn Bauernbetriebe, mehrere davon sind Bio-Höfe mit Mutterkuh- oder Schafhaltung. Es wurde Milch, Fleisch und Gerste produziert.

Der Dienstleistungssektor besteht aus einem Architekturbüro, zwei Hotels, drei Restaurants, einem VOLG-Dorfladen, einem Laden für Schafprodukte und etlichen Ferienwohnungen. Zu den Handwerksbetrieben gehören auch solche, die Lederhandschuhe und Schafwolljacken fertigen.[16]

Ardez ist Ausgangsort vieler Wanderungen in die Umgebung. Die nächstgelegenen Skigebiete sind in Ftan und auf Motta Naluns oberhalb von Scuol, das ca. 10 Kilometer von Ardez entfernt ist.

Ardez liegt an der Bahnstrecke Bever–Scuol-Tarasp der Rhätischen Bahn (RhB) sowie an der Hauptstrasse 27.

Persönlichkeiten

Bilder

Literatur

  • Jon Claglüna: Ardez. Gemeindechronik. 4., erweiterte Auflage. Selbstverlag, Chesa Solena / Pontresina 1985.
  • Bericht zur Réalisation exemplaire Ardez. 1975–1985. Stiftung Pro Ardez, 1986.
  • Anna-Maria Deplazes-Häfliger: Die Scheck im Engadin und Vinschgau. Geschichte einer Adelsfamilie im Spätmittelalter. Quellen und Forschungen zur Bündner Geschichte Band 16, Kommissionsverlag Desertina, Chur 2006, ISBN 978-3-85637-322-1.
  • Paul Eugen Grimm: Ardez. In: Historisches Lexikon der Schweiz. 8. Dezember 2016.
  • Erwin Poeschel: Die Kunstdenkmäler des Kantons Graubünden III. Die Talschaften Räzünser Boden, Domleschg, Heinzenberg, Oberhalbstein, Ober- und Unterengadin. (= Kunstdenkmäler der Schweiz. Band 11). Hrsg. von der Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte GSK. Bern 1940. DNB 760079625.
  • Jürg Wirth: Ihr Ferienort stellt sich vor: Ardez. Gammeter, St. Moritz und Scuol 2015.
Commons: Ardez – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Scuol ist dank Fusion die grösste Schweizer Gemeinde. In: SWI swissinfo.ch. Abgerufen am 13. Januar 2016.
  2. Lage der Ruina Chanoua: 46° 46′ 52,3″ N, 10° 12′ 50,6″ O
  3. Siehe: Stefan Schumacher: Die rätischen Inschriften. Geschichte und heutiger Stand der Forschung (= Innsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft. Sonderheft 121 = Archaeolingua. 2). 2., erweiterte Auflage. Innsbrucker Gesellschaft zur Pflege der Geisteswissenschaften, Innsbruck 2004, ISBN 3-85124-155-X, S. 13 u. a.
  4. Reformierte Filialkirche (Foto) auf baukultur.gr.ch.
  5. Haus Könz (Foto) auf baukultur.gr.ch.
  6. Wohnhaus Jacob Simon Könz (Foto) auf baukultur.gr.ch.
  7. Wohnhaus Swizer (Foto) auf baukultur.gr.ch.
  8. Wohnhaus mit Fassadenmalerei (Foto) auf baukultur.gr.ch.
  9. Tuor Vonzun (La Praschun) (Foto) auf baukultur.gr.ch.
  10. Beschrieb und Bilder auf der Website des Architekten Duri Vital. Abgerufen am 2. August 2011.
  11. Bibliothek Chasa Plaz Men Duri Arquint Architekten. Ehemals im Original (nicht mehr online verfügbar); abgerufen am 9. April 2021 (englisch).@1@2Vorlage:Toter Link/www.swiss-architects.com (Seite nicht mehr abrufbar. Suche in Webarchiven)
  12. A. D. Redaktion: Zu Besuch bei dem Schweizer Künstler Not Vital. 23. Dezember 2019, abgerufen am 9. April 2021.
  13. Winterserie Prix Lignum: Grosses Werk auf kleinem Raum. Abgerufen am 9. April 2021.
  14. men duri arquint - not vital foundation | leonardo finotti. Abgerufen am 9. April 2021.
  15. Jon Claglüna: Ardez. Selbstverlag Pontresina 1985
  16. Jürg Wirth: Ihr Ferienort stellt sich vor: Ardez. Gammeter, St. Moritz und Scuol 2015.
  17. Oskar Nussio. In: Sikart, abgerufen 19. Januar 2016.
  18. Jérôme Guisolan: Tgetgel, Jon Andri. In: Historisches Lexikon der Schweiz.
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