Antonio Barluzzi

Antonio Barluzzi (* 26. September 1884 in Rom; † 14. Dezember 1960 ebd.) war ein italienischer Architekt. Er ist bekannt durch zahlreiche von ihm entworfene römisch-katholische Kirchenbauten im Heiligen Land (Israel/Palästina).

Gedenktafel für Antonio Barluzzi auf dem Berg Tabor
Porträt Barluzzis in einer Gruppe von Anbetenden, Wandgemälde in der Besuchskirche (En Kerem)

Leben

Antonio Barluzzi, Sohn von Camillo Barluzzi und Marianna Busiri-Vici, entstammte einer Familie, die dem Vatikan seit Generationen nahestand. Sein Großvater mütterlicherseits war Andrea Busiri Vici, erster Architekt und Baumeister des Petersdoms in Rom.[1] Sein Großvater väterlicherseits, Giulio Barluzzi, schrieb ein Buch über Papst Pius IX. (Relazione storica del viaggio di Sua Santità Papa Pio IX da Portici a Roma nell’aprile dell’anno 1850); der Vater Camillo Barluzzi war Sachbearbeiter in der vatikanischen Verwaltung.

Der junge Antonio Barluzzi, stark geprägt von franziskanischer Spiritualität, war im Zweifel, ob er eine Berufung zum Priestertum habe oder vielleicht in die Mission gehen solle. Rückblickend nannte er selbst seinen Lehrer am Lyzeum, den Dichter und Schriftsteller Giulio Salvadori, als eine Persönlichkeit, die ihn stark beeinflusst habe.[2] Den Eintritt ins Priesterseminar stellte er zurück. Zunächst studierte er an der Universität La Sapienza in Rom und erwarb 1907 einen Abschluss in Ingenieurwesen und Architektur. Anschließend assistierte er seinem Bruder, dem Architekten Giulio Barluzzi, bei mehreren Bauprojekten (Zoologischer Garten, Cimitero del Verano). Die Associazione Nazionale per Soccorrere i Missionari Italiani („Nationale Vereinigung zur Unterstützung italienischer Missionare“, ANSMI) beauftragte Giulio Barluzzi mit dem Bau des Italienischen Hospitals in Jerusalem; so kamen die Brüder Barluzzi 1912 ins Heilige Land. Die Architektur des Hospitals ist ganz der toskanischen Frührenaissance verpflichtet; das Gebäude wird heute vom israelischen Erziehungsministerium genutzt.[3]

Bei Beginn des Ersten Weltkrieges kehrte Antonio Barluzzi rechtzeitig vor seiner Internierung durch die osmanischen Behörden nach Italien zurück. Im Dezember 1917 kam Jerusalem unter britische Verwaltung. Auf Initiative von ANSMI kehrte eine Gruppe italienischer Fachleute nach Palästina zurück, darunter Antonio Barluzzi. Der neue franziskanische Kustos, Ferdinando Diotallevi, fragte ihn an, ob er die projektierten Kirchenneubauten auf dem Berg Tabor und in Getsemani übernehmen wolle. Nach Rücksprache mit seinem Beichtvater sagte Barluzzi zu und war dann überzeugt, mit dem Kirchenbau seine persönliche Berufung gefunden zu haben.[4] Kurz nach Kriegsende gab es keinen italienischen Konsul in Jerusalem, und Barluzzi wirkte über mehrere Monate als inoffizieller Repräsentant Italiens in Palästina. Von 1922 an hatte er das Ehrenamt eines italienischen Vizekonsuls; von 1926 bis 1936 war er Sekretär der faschistischen Ortsgruppe in Jerusalem.[5] Barluzzis Werk ist nicht ausschließlich Sakralarchitektur. Als überzeugter Faschist sah Barluzzi seine Mission darin, mit den Mitteln der Architektur die italienische Kultur im Mittelmeerraum zu verbreiten, schreibt Giovanna Franco-Repellini. Zum Beispiel entwarf er im Auftrag des Außenministeriums das italienische Botschaftsgebäude in Teheran, welches durch einen Brand zerstört wurde.[6] Für den Karmeliterorden entwarf er Konventsgebäude und Schule in Haifa, für den Vatikan den Amtssitz des armenisch-katholischen Patriarchen in Beirut sowie die Kirchen in Amman und Madaba. Das Lateinische Patriarchat beauftragte ihn mit dem Bau der Pfarrkirchen in Beit Sour, Irbid und Zerka. Konflikte mit der franziskanischen Kustodie veranlassten Barluzzi in den 1930er Jahren, sich an den See Genezareth zurückzuziehen, wo er sich im Auftrag von ANSMI mit landwirtschaftlichen Fragen befasste (ANSMI hatte am See landwirtschaftlich genutzten Grundbesitz). Aus dieser Schaffensphase datiert die Kirche der Seligpreisungen.[7] Sie wurde mit finanzieller Unterstützung Benito Mussolinis erbaut.[8] Kennzeichnend für Barluzzis Nationalismus ist sein Einsatz dafür, dass Kunstwerke in den von ihm entworfenen Kirchen ausschließlich von Italienern geschaffen wurden. Nachdem die Kustodie Endre Muzsinszki-Nagy mit einem Entwurf für die Mosaiken der Hauptapsis der Kirche aller Nationen beauftragt hatte, schrieb Barluzzi 1931 ein Memorandum für das italienische Außenministerium, das, wie er seinem Bruder brieflich erläuterte, der „Verteidigung unserer künstlerischen Rechte als Italiener in Getsemani“ dienen sollte. Am 5. Mai 1931, kurz nach dem Beginn des Abessinienkriegs, schrieb er dem Künstler Alberto Migliorati, der gleichfalls an dem Auftrag für das Kuppelmosaik interessiert war: „Werter Professor, während unsere Soldaten der Welt den militärischen Wert Italiens zeigen, bitte ich Sie, zu beweisen, dass die Künstler des neuen Italiens von nicht geringerem Wert sind als die italienischen Soldaten.“[9]

1940 kehrte Barluzzi wieder nach Rom zurück. Oft wohnte er während des Zweiten Weltkriegs in Fara in Sabina, wo seine Familie ein Haus besaß. Er widmete sich intensiv den Plänen für eine monumentale Verkündigungsbasilika in Nazareth, die er als sein Hauptwerk ansah.[7]

Als Barluzzi nach Kriegsende nach Jerusalem zurückkehren konnte, stürzte er sich in mehrere Bauprojekte, darunter die Besuchskirche in En Kerem und die Lazaruskirche in Betanien. Zwei kleine Sakralbauten betrachtet Franco-Repellini als Barluzzis Meisterwerke: die Kapelle auf dem Hirtenfeld und die Kapelle Dominus flevit auf dem Ölberg.[7]

In den 1950er Jahren machten sich gesundheitliche Probleme bemerkbar: eine Depression, wahrscheinlich ausgelöst durch den Tod seines Bruders Giulio, ein Lungenemphysem und der Verlust der Sehfähigkeit auf einem Auge. Umso intensiver betrieb er die Planungen für die Verkündigungsbasilika. 1950 wurde deren Modell anlässlich des Heiligen Jahrs in Rom ausgestellt. Doch Barluzzis Entwurf stieß zunehmend auf Widerstand, und schließlich beauftragte der Kustos am 3. Februar 1958 den Architekten Giovanni Muzio mit dem Kirchenbau in Nazareth. Barluzzi hatte daraufhin einen schweren Herzanfall, auch das Lungenemphysem verschlimmerte sich. Er kehrte auf Dauer nach Rom zurück und wohnte in der Niederlassung der Kustodie in der Via Boiardo.[10]

Werk

Neubau der Grabeskirche (Plan)

Die Jerusalemer Grabeskirche war in dem Erdbeben von 1927 schwer beschädigt worden. Die britische Mandatsregierung sah deshalb Einsturzgefahr. Auf Anregung des Erzbischofs Gustavo Testa legte Antonio Barluzzi gemeinsam mit Luigi Marangoni Anfang 1940 Pläne für einen kompletten Neubau der Grabeskirche vor.[11] 1949, anlässlich der 800-Jahrfeier der Weihe der Kreuzfahrerkirche, erschien eine Broschüre, in der diese Pläne nochmals vorgestellt wurden.[12] Nicht nur die bestehende Grabeskirche, sondern ein Großteil der Altstadt sollte abgerissen werden, um eine Freifläche von 7 ha für den Kirchenneubau zu schaffen. Dieser hatte den Planungen zufolge eine Grundfläche von etwa 150 × 200 m und war flankiert von vier rund 100 m hohen, minarettartigen Türmen – erheblich höher als der Turm der Erlöserkirche. Die drei Konfessionen mit den größten Rechten innerhalb der Grabeskirche (Griechen, Lateiner, Armenier) sollten je eine eigene Basilika erhalten, die sich auf einen gemeinsamen Hof hin öffneten. Für weitere Konfessionen, darunter auch die Anglikaner, waren eigene Kapellen vorgesehen.[13] Stilistisch war diese Grabeskirche ein Pastiche aus Neoklassizismus und Orientalismus.[14]

Verkündigungsbasilika Nazareth (Plan)

Masha Halevi charakterisiert die von Barluzzi geplante, nie realisierte Verkündigungsbasilika als eklektische Architektur. Ihr einziger Bezug zur Moderne sei die Verwendung von Stahlbeton (hinter einer Verkleidung aus Naturstein). Die Basilika war konzipiert als Zentralbau mit großer Kuppel; das die Kuppel bekrönende Kreuz war 70 m über dem Bodenniveau. Auch mit seiner Länge von 90 m wäre dieser Kirchenbau in der arabischen Kleinstadt Nazareth höchst dominant gewesen. An den vier Ecken sollten hohe Türme die Evangelisten symbolisieren. Die Dimensionen der Kirche entsprachen der Bedeutung des Themas Inkarnation für den christlichen Glauben.[15]

Realisierte Bauten

Konstantin Akinsha zufolge sind Barluzzis Kirchenbauten gekennzeichnet durch einen „Stil der emotionalen Illusionen.“ Seine Architektur erzeuge Erlebnisse mit Hilfe von Kunstgriffen, die in der europäischen Architekturtradition sonst unüblich seien.[16]

Hauptwerke Barluzzis
Außenansicht Bauwerk Ort Bauzeit Innenraum
Italienisches Hospital Jerusalem 1912–1919
Verklärungskirche Berg Tabor 1919–1921
Kirche aller Nationen im Garten Getsemani Jerusalem 1920–1924
Geißelungskapelle an der Via Dolorosa Jerusalem 1927–1929
Italienisches Hospital Haifa 1932–1933
Golgota-Kapelle in der Grabeskirche (Restaurierung) Jerusalem 1937
Kirche der Seligpreisungen am See Genezareth Tabgha 1937
Besuchskirche En Kerem 1939–1955
Kirche der Auferweckung des Lazarus Betanien 1952–1953
Kapelle auf dem Hirtenfeld Bethlehem 1953
Franziskanerkirche Betfage
Kapelle Dominus flevit auf dem Ölberg Jerusalem 1955

Ehrungen

Antonio Barluzzi wurde für sein Werk vielfach ausgezeichnet:

Literatur

  • Giovanna Franco-Repellini: Antonio Barluzzi: architetto in Terra Santa. Terra Santa, Mailand 2013.
  • הלוי, מאשה, and Masha Halevi: An Italian Nationalist and Religious Artist: Antonio Barluzzi, the Agent of Italian Interests in the Holy Land / לאומן איטלקי ואמן דתי: אנטוניו ברלוצי ופעילותו לקידום האינטרסים האיטלקיים בארץ הקודש. In: Cathedra: For the History of Eretz Israel and Its Yishuv / קתדרה: לתולדות ארץ ישראל ויישובה. Band 144, 2012, S. 75–106, JSTOR:23409447 (englisch).
  • Masha Halevi: The Politics behind the Construction of the Modern Church of the Annunciation in Nazareth. In: The Catholic Historical Review 96/1 (2010), S. 27–55.
  • Masha Halevi: Contested Heritage: Multi-Layered Politics and the Formation of the Sacred Space – The Church of Gethsemane as a Case Study. In: The Historical Journal 58/4, Dezember 2015, S. 1031–1058. (PDF)
  • Daniel M. Madden: Monument to glory. The story of Antonio Barluzzi, architect of the Holy Land. Hawthorn Books, New York 1964.
  • Maria Cristina Pavan Taddei: Barluzzi, Antonio. In: Alberto M. Ghisalberti (Hrsg.): Dizionario Biografico degli Italiani (DBI). Band 6: Baratteri–Bartolozzi. Istituto della Enciclopedia Italiana, Rom 1964.
Commons: Antonio Barluzzi – Sammlung von Bildern

Einzelnachweise

  1. Giovanna Franco-Repellini: Antonio Barluzzi: architetto in Terra Santa, Mailand 2013, S. 21.
  2. Giovanna Franco-Repellini: Antonio Barluzzi: architetto in Terra Santa, Mailand 2013, S. 22. Salvadori war bis zu seiner Hinwendung zum Katholizismus mit Gabriele D’Annunzio befreundet gewesen.
  3. Giovanna Franco-Repellini: Antonio Barluzzi: architetto in Terra Santa, Mailand 2013, S. 22.
  4. Giovanna Franco-Repellini: Antonio Barluzzi: architetto in Terra Santa, Mailand 2013, S. 24.
  5. Masha Halevi: The Politics behind the Construction of the Modern Church of the Annunciation in Nazareth, 2010, S. 1048.
  6. Giovanna Franco-Repellini: Antonio Barluzzi: architetto in Terra Santa, Mailand 2013, S. 27.
  7. Giovanna Franco-Repellini: Antonio Barluzzi: architetto in Terra Santa, Mailand 2013, S. 28.
  8. Raymond Cohen: Saving the Holy Sepulchre. How Rival Christians Came Together to Rescue Their Holiest Shrine. Oxford University Press, New York 2011, S. 68.
  9. Masha Halevi: Contested Heritage: Multi-Layered Politics and the Formation of the Sacred Space – The Church of Gethsemane as a Case Study, 2015, S. 1052.
  10. Giovanna Franco-Repellini: Antonio Barluzzi: architetto in Terra Santa, Mailand 2013, S. 29 und 32.
  11. Mapping Cultural Spaces Across Eurasia: Plan of the New Church of the Holy Sepulchre.
  12. Luigi Marangoni, Antonio Barluzzi: La nuova Basilica del S. Sepolcro. Bergamo 1949.
  13. Robert Ousterhout: Is Nothing Sacred? A Modernist Encounter with the Holy Sepulchre. In: D. Fairchild Ruggles (Hrsg.): On Location. Heritage Cities and Sites. Springer, New York u. a. 2012, S. 131–150, hier S. 138–142.
  14. Raymond Cohen: Saving the Holy Sepulchre. How Rival Christians Came Together to Rescue Their Holiest Shrine. Oxford University Press, New York 2011, S. 76f.
  15. Masha Halevi: The Politics behind the Construction of the Modern Church of the Annunciation in Nazareth, 2010, S. 30.
  16. Konstantin Akinsha: Writing the Fifth Gospel. Interbellum. The beginning of WWII. (Max-Weber-Kolleg, Universität Erfurt)
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