Brixentaler Antlassritt
Beim Brixentaler Antlassritt („Antlas“ von mittelhochdeutsch antlaz für ‚Ablass, Entlassen aus der Buße‘) handelt es sich um eine am Fronleichnamsfest durchgeführte eucharistische Prozession zu Ehren des im Allerheiligsten als gegenwärtig geglaubten Jesus Christus. Der Anlass für das Gelöbnis der mittlerweile über 375 Jahre geübten einzigen Prozession zu Pferd am Fronleichnamstag im oberen Brixental in Nordtirol ist nicht mehr sicher festzustellen, wird aber häufig auf die drohende „Schwedengefahr“ gegen Ende des Dreißigjährigen Krieges zurückgeführt.
Teilnehmer und Verlauf
An der Prozession beteiligen sich neben den Seelsorgern der Gemeinden Brixen im Thale, Kirchberg in Tirol und Westendorf ausschließlich Männer aus den genannten Dörfern. Der Antlassritt beginnt um etwa 11:30 Uhr in den jeweiligen Gemeinden. Die Reitergruppe von Westendorf und Kirchberg begeben sich zunächst in geschlossener Schar zur Dekanatskirche Brixen, wo alle Reiter um zirka 13 Uhr vor dem Pfarrwidum zusammentreffen. Dann wird unter musikalischer Begleitung und Einsetzen der Glocken der vor dem Widum stehende Kastanienbaum umritten und der offizielle Antlassritt in Richtung Schwedenkapelle in Klausen beginnt. Allen voran reiten die Pfarrer der Gemeinden. Dabei hält der Dekan die Monstranz in der Hand und verkündet mit einer symbolischen Kreuzbewegung den Segen Jesu an die Schaulustigen.
Die Schar durchquert sämtliche Ortsteile von Brixen und Kirchberg. Bei Sichtbarwerden der Reiter ab der Höhe nach Bockern beginnen die Glocken der Pfarrkirche Kirchberg einzusetzen und die Gruppe wird am Ortseingang von Kirchberg von der Musikkapelle empfangen und durch das Dorf begleitet. Am Fuße des Kirchberges angekommen schweigt die Musikkapelle, nur die Sterbeglocke von Kirchberg ertönt. Sobald die Reiter an der Klausenkapelle („Schwedenkapelle“) angekommen sind, wird dort ein aufgestellter Maibaum umritten und in Folge setzt sich Geistlichkeit und ein Großteil der Reiter ab. Die Geistlichen begeben sich vor die Pforte der Kapelle, es werden die vier Evangelien gelesen und ein Wettersegen in alle vier Himmelsrichtungen wird erteilt. Oberhalb der Eingangstüre der Kapelle, die am Ende des Dreijährigen Krieges (1618 – 1648) erbaut wurde, steht gemalen die Aufschrift: Bis hieher (sic!) und nicht weiter kamen die Schwedischen Reiter ANNO MDCXLVIII. Die Jahreszahl MDCXLVIII deutet auf das Jahr 1648 hin und nicht wie irrtümlich interpretiert auf 1643.
Nach einer kleinen Verschnaufpause für Pferde und Reiter geht der Ritt wieder zurück in die Gemeinden. Ab der Höhe Klausen erschallt erneut das Kirchberger Geläute ohne Sterbeglocke. Im Dorf trennen sich die Kirchberger vom Rest der Truppe ab. Ab der Jagerhöhe von Brixen beginnt beim Überritt dieser die große Glocke von Brixen zu läuten. Sie signalisiert der Bevölkerung, dass die Reiter bald zurück sind und der Zug endet. Bei nochmaligem Umritt des Kastanienbaumes vor dem Brixner Widum ist der Antlassritt offiziell zu Ende.[1]
Geschichte
Über die geschichtliche Entstehung des Brixentaler Antlassrittes gibt es verschiedene Überlieferungen. Die im Volksmund angenommene Schilderung, die Schweden wären bis zur Talenge nach Klausen vorangeschritten, wo diese von den sogenannten „Enterlender Bauern“ (die Bauern der Gemeinden Kirchberg, Brixen und Westendorf) in einer blutigen Schlacht besiegt wurden, entspricht nur wenig der Wahrheit. Eine weitere unglaubwürdige Version besagt, dass der Brixner Dekan wohl im Alleingang durch das Entgegenhalten der Monstranz die Schweden zu wilder Flucht veranlasst haben soll. In der Geschichtswissenschaft ist mittlerweile eindeutig belegt, dass die Schweden das rechte Innufer, und somit auch das Brixental, niemals überschritten hatten. Die Aufschrift auf der Klausenkapelle widerspricht auf den ersten Anschein. Verschiedenste Forscher und Geschichtswissenschaftler haben sich mit dem Antlassritt befasst, unter anderem der Heimatforscher Anton Dörrer, der Kunsthistoriker Franz Caramelle und der Geistliche Rat DDr. Matthias Mayer.
Die nach Dörrer aufgefasste Version ist die am wahrscheinlich zutreffendste. Laut ihm ist der Ritt einst auf ein Gelöbnis zur Bannung der Schwedengefahr zurückzuführen. Das liegt einerseits darin, dass die Schweden das rechte Innufer nicht überschritten haben, und andererseits am Umreiten der Mai- und Kastanienbäume während der Reiterprozession. Laubbäume treiben im Frühsommer intensiv aus und symbolisieren damit Fruchtbarkeit und Wachstum. Daraus schließt der Heimatforscher, dass der Ritt einer uralten germanischen Tradition entspricht, der den Sieg des Sommers über den Winter darstellt. Dörrers Theorie kommt zum Schluss, dass wohl in den Kriegsnöten des 17. Jahrhunderts diese Erinnerungen an das ursprüngliche Geschehen verblasst sind, und sich der Ritt zu einer rein christlichen Prozession weiterentwickelt hat.
Im Konkreten lässt sich die Entstehung dieses heute noch praktizierenden Gebrauches wohl so darstellen. Zum damaligen Zeitpunkt (wohl zwischen 1643 und 1648) fürchteten auch die Brixentaler Bauern die Gefahr eines Schwedeneinfalles. Im Jahre 1648 befanden sich die feindlichen Truppen bereits in Wasserburg und Rosenheim. Als es dann im Frühjahr des Jahres zu heftigen Überschwemmungen im Inntal kam, das Hochwasser schnitt wortwörtlich den Feinden den Weg ab, und am 24. Oktober desselben Jahres der Westfälische Frieden ausgerufen wurde, war die Gefahr gebannt. Die Bauern aus den Gemeinden dankten dieser glücklichen Wendung und erkannten wohl darin den Segen Gottes.
So ergänzt der Kunsthistoriker Franz Caramelle die Entstehungsgeschichte des Antlassrittes um den Umstand, dass als Dank der Bannung eines Schwedeneinbruches eine Viehprozession abgehalten wurde und man deshalb an der Talenge zu Klausen die „Schwedenkapelle“ errichtete, die ursprünglich dem Hl. Leonhard, dem Viehpatron, geweiht war. Dafür spricht auch noch das Fehlen jeglicher Art von Waffen beim Ritt, denn nicht einmal die Schützen nehmen seit Jahrhunderten an der Prozession teil.
Literatur
- Franz Caramelle: Der Brixentaler Antlaßritt. In: Sebastian Posch (Hrsg.): Brixen in Thale 788–1988. Innsbruck: Wagner 1988 (= Schlern-Schriften 281).
- Günter Kapfhammer: Brauchtum in den Alpenländern. München 1977.
- Ludwig von Hörmann: Tiroler Volksleben. Stuttgart 1909.
Einzelnachweise
- DDr. Matthias Mayer: Der Brixentaler Antlaßritt
Weblinks
- Brixentaler Antlaßritt. Universität Innsbruck, Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie, abgerufen am 14. Juli 2015.
- Bilder vom Antlassritt
- DDr. Matthias Mayer: Der Brixentaler Antlaßritt. Abgerufen am 14. Juni 2023.